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Deutschland: Dieser nackten Wahrheit müssen wir uns stellen


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Tagesanbruch
Dieser nackten Wahrheit müssen wir uns stellen

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 17.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Nacktheit in Schwimmbädern, ein umstrittenes Thema?Vergrößern des Bildes
Nacktheit in Schwimmbädern, ein umstrittenes Thema? (Quelle: Gala Martinez/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich schreibe Ihnen diesen Text als Mann. Das könnte noch eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Entscheiden Sie nach der Lektüre gerne selbst. Es soll heute um ein Thema gehen, das bisher vor allem in Städten wie Berlin, Hamburg und Köln diskutiert wird. Wenn Sie den Tagesanbruch gerade in Meppen, Heidenheim oder Bamberg lesen, haben Sie damit womöglich noch keine Berührungspunkte gehabt. Aber bald könnte es auch zu Ihnen herüberschwappen.

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Denn überall gibt es Schwimmbäder. Oder öffentliche Orte, an denen Menschen sich im kühlen Nass erfrischen. Dort gibt es ungeschriebene Gesetze. Zum Beispiel, dass es sich gehört, seinen Müll einzusammeln und zu entsorgen. Aber es gibt auch festgeschriebene Regeln. Jedes Schwimmbad hat eine Hausordnung – und in dieser steht oft eine Passage, die nun vielerorts zu wackeln scheint.

Diese Passage liest sich zum Beispiel so wie hier bei den Berliner Bäderbetrieben: "In den Schwimmbädern ist von allen Badegästen handelsübliche Badekleidung zu tragen wie z.B. Badehose, Badeshorts, Bikini, Badeanzug, Burkini."

Was dort nicht explizit steht, aber für Frauen bedeutet: Zu einem handelsüblichen Bikini gehört auch ein Oberteil. Sie sollen also ihre Brüste bedecken. Während Männer mit einfacher Badehose planschen dürfen, oberkörperfrei versteht sich, galt es jahrzehntelang offenbar als gesellschaftlicher Konsens, dass Frauen das nicht dürfen.

Da fragt man(n) sich ja schon: warum eigentlich? Warum dürfen wir Männer etwas, was Frauen verwehrt wird? Es ist akzeptiert, zusammen nackt in der Sauna zu schwitzen, oberkörperfrei auf einer Liege in der Sonne zu braten, aber kaum geht es in den Schwimmbereich, muss die Frau sich schleunigst ein Bikinioberteil überstreifen.

Diese logische Inkonsistenz bröckelt. In Städten wie Göttingen, Siegen, Hannover und eben Berlin, Hamburg und Köln ist es erlaubt oder wird es bald erlaubt sein, auch als Frau oben ohne ins Hallenbad und Freibad zu gehen. In den Kölner Bädern soll die neue Regelung ab dem 1. April in Kraft treten. Man habe sich wegen der bundesweiten Oben-ohne-Diskussion der vergangenen Jahre dafür entschieden, begründete eine Sprecherin der Bäder den Schritt.

Tatsächlich gab es zuletzt einige Fälle, die das Thema in die Schlagzeilen gespült haben. Unter anderem in Göttingen wurde eine Frau ohne Oberbekleidung eines Schwimmbads verwiesen. Daraufhin gab es Shitstorms im Internet, Klagen und Initiativen, die sich mit dem Thema beschäftigten. Lotte Mies aus Berlin hat Ähnliches im Dezember 2022 erlebt. Sie wollte in einem Hallenbad in Berlin-Kaulsdorf nur mit Badehose bekleidet schwimmen gehen – und wurde rausgeworfen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Daraus soll(te) kein neues Dogma abgeleitet werden. Wenn Frauen lieber mit Bikinioberteil baden gehen, ist das völlig in Ordnung. Aber wenn sie sich ohne wohler fühlen, warum sollen sie dann gezwungen werden, sich zu bedecken? Eine weibliche Brust ist doch kein öffentliches Ärgernis, keine Provokation oder anstößig. Sie sollte genauso gezeigt werden dürfen, wie es bei ihrem männlichen Pendant der Fall ist.

Für mich ist das eine Frage der Gleichberechtigung. Frauen sollen genau die gleiche Freiheit genießen dürfen wie Männer auch. Insofern ist die Bewegung in den Bädern der Republik als Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungen nur folgerichtig. Denn wessen Freiheit soll dadurch eingeschränkt werden, dass Frauen mit nacktem Oberkörper ins Wasser springen?

Womit wir bei der nackten Wahrheit wären: Zieht sich eine Frau aus, drehen sich noch heute viele Köpfe um, beginnt das Starren und Glotzen. Die weibliche Brust gilt immer noch als sexuelles Objekt der Begierde, sie zieht die Blicke auf sich. Es liegt also auch an uns Männern, die Brust zu entsexualisieren, diese gesellschaftliche Entwicklung aktiv mitzugestalten.

Denn bei aller Fixierung auf die Bekleidung in Badeanstalten geht es doch um so viel mehr als nur um ein sekundäres Geschlechtsorgan. Es geht um Toleranz und darum, Frauen auch im alltäglichen Zusammensein die gleichen Rechte einzuräumen. Und was ist mit Menschen, die sich als Männer definieren, aber nicht wie welche aussehen? Diese müssten sich verhüllen. Das ist nicht zeitgemäß, das grenzt an Diskriminierung.

Lotte Mies zum Beispiel hat sich erfolgreich für das Oben-ohne-Baden in Berliner Schwimmhallen eingesetzt und wird jetzt dafür angefeindet. Sie berichtet sogar von Mord- und Missbrauchsandrohungen. Das passiert hier bei uns. In Deutschland. Im Jahr 2023. Diese aggressive Intoleranz dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen.


Wird heute die umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen?

Am heutigen Freitag will die Ampelkoalition ihre Wahlrechtsreform im Bundestag beschließen. Wie es aussieht, wird sie das mit eigener Mehrheit schaffen. Das hieße, der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag würde bei der nächsten Wahl wieder auf 630 Mandate verkleinert. Das funktioniert, weil es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben soll.

Doch Union und Linkspartei haben bereits Verfassungsklagen angekündigt. Erzürnt sind sie vor allem, weil auch die sogenannte Grundmandatsklausel wegfallen soll. Sie bewirkt, dass eine Partei auch dann nach ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat. Nur deshalb sind die Linken überhaupt im Bundestag und bei der Union bangt vor allem die CSU um das Erreichen der magischen Marke, schließlich kam die Schwesterpartei der CDU zuletzt bundesweit nur auf 5,2 Prozent.


Scholz reist nach Tokio

Der Bundeskanzler und mehrere Minister reisen zu den ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen. Neben Olaf Scholz werden unter anderem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und Außenministerin Annalena Baerbock bei der Reise dabei sein. Japan hat in diesem Jahr den Vorsitz in der G7. Es wird bei dem Besuch um Strategien gehen, wie Abhängigkeiten bei Energie- und Rohstofflieferungen verringert werden können – vor allem von China.

Womit wir direkt bei einem brisanten Thema wären, das gestern Abend durch einen Bericht des US-Magazins "Politico" aufkam und aller Wahrscheinlichkeit nach auch den deutsch-japanischen Delegationen nicht verborgen geblieben sein dürfte. Dieser dreht sich um mögliche Waffenlieferungen Chinas an Russland.

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Hat China Waffen an Russland geliefert?

"Sollte es wirklich stimmen, dann wird es Konsequenzen geben", schreibt unser US-Korrespondent Bastian Brauns in Washington. Unter Berufung auf Handels- und Zolldaten legt die Recherche nahe, dass chinesische Firmen bereits im vergangenen Jahr rund 1.000 Sturmgewehre, Teile von Drohnen sowie kugelsichere Schutzkleidung an russische Unternehmen geliefert haben sollen.

Das dürfte auch an diesem Freitag eines der bestimmenden Themen sein. Wie wird China auf diesen Bericht reagieren? Welche Konsequenzen zieht der Westen – und wird es womöglich schon im Rahmen der Japanreise vonseiten der Bundesregierung eine Einschätzung geben?


Was lesen?

Die Deutschen gelten als ausgesprochen schlechte Revolutionäre, Ordnung sei ihnen lieber als politische Freiheit. Stimmt das? Nein, sagt der Historiker Mark Jones im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke anlässlich des 175. Jahrestags der Märzrevolution von 1848. Die demokratischen Revolutionen von 1848 und 1918 waren erfolgreicher, als ihnen die Nachwelt oft zugestanden hat.


Die Kampfflugzeug-Grenze ist gefallen: Die Ukraine erhält vier MiG-29 aus Polen. Doch sind die legendären Jagdflieger nicht zu alt für einen modernen Krieg? Mein Kollege Patrick Diekmann gibt einen Überblick.


Max Eberl sollte eigentlich am Samstag im ZDF-"Sportstudio" zu Gast sein. Doch daraus wird nichts, weil er über "bestimmte Themen" nicht reden wollte. Unser Sportchef Andreas Becker sieht einen "absoluten Tiefpunkt" gekommen.


Was amüsiert mich?

Optimismus zu verbreiten, ist in diesen Tagen immer gut. Oh, Moment. Vielleicht ist dieses Eigenheim dann doch kein Grund zur Freude.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen gibt es an dieser Stelle den Tagesanbruch am Wochenende von meiner Kollegin Lisa Fritsch.

Herzliche Grüße

Ihr

Ihr Steven Sowa
Redakteur Unterhaltung
Twitter @StevenSovani

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Mit Material von dpa.

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