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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Markus Söder heult auf: Kollateralnutzen der Wahlrechtsreform


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Ampelreform
Ein ziemlich deutscher Schwachsinn

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 17.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Markus Söder: Die CSU attackiert das Wahlrecht scharf. (Quelle: IMAGO/Bernd Feil/M.i.S.)
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Die Ampelkoalition schrumpft den Bundestag. Das ist gut, auch wenn sie den falschen Weg wählt. Einen Kollateralnutzen hat die Reform jedoch, schreibt unser Kolumnist Christoph Schwennicke.

Vorneweg erst mal das: In meinen Augen geht die Reform des Wahlrechts, die den aufgedunsenen Bundestag verkleinern und seine weitere Blähung verhindern soll, den falschen Weg. Aber sie kommt zum ersten Mal seit Jahrzehnten aussichtsreich am richtigen Ziel an. Letzteres ist so wichtig und zählt, dass ich über Ersteres hinwegsehe. Nicht das Prinzip zählt, sondern das Ergebnis.

Warum der Weg falsch ist? Weil er nicht ans Übel geht, sondern an den eigentlich zu stützenden Kern unseres Wahlrechts: den direkt gewählten Abgeordneten, die direkt gewählte Abgeordnete.

Das deutsche Wahlrecht ist mit seiner Erst- und Zweitstimme ein Mischsystem aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Dürfte ich frei wählen, welche Komponente bei einer Reform gestärkt werden sollte, so wäre das die Mehrheitskomponente. One man, one vote, one constituency: Eine Person stellt sich in einem Wahlkreis zur Wahl, wer gewinnt, zieht ins Parlament ein. Machte bei 299 Wahlkreisen 299 Abgeordnete. Die Mehrheit hat die Partei, die die meisten Wahlkreise gewinnt.

Das hat Schwächen, ja. Kleine Parteien werden benachteiligt oder tun sich schwerer. Aber das Prinzip wird in der ältesten Demokratie der Welt seit jeher so gehandhabt. Und niemand spricht Großbritannien ab, eine intakte parlamentarische Demokratie zu sein. Inzwischen kommt es dort, trotz Mehrheitswahlrecht, immer wieder zu Koalitionen. Es gibt aber klare Verhältnisse, und in Westminister muss nicht angebaut werden. Die Vorteile überwiegen die Nachteile.

Mit der Axt an den Ahorn

Der Entwurf eines neuen Wahlrechts aus der Feder der Ampelkoalition geht einen ganz anderen Weg. Er stärkt die Verhältniskomponente zulasten der Direktkandidaten. Das Übel der wundersamen Parlamentariervermehrung kommt primär durch die Überhangmandate zustande. Das sind Mandate, die einer Partei bisher zusätzlich zustehen, wenn sie mit ihren Erststimmen mehr Direktmandate gewonnen hat als ihr aufgrund ihres Zweitstimmenergebnisses eigentlich prozentual zustehen würden.

Den Überhangmandaten hat man dann die Ausgleichsmandate hinzugestellt. Das Ausgleichsmandat ist das eigentliche Übel. Es wird wiederum denjenigen gegeben, die bei den Überhangmandaten in die Röhre gucken. Ein ziemlich deutscher Schwachsinn, der allen wohl und keinem wehe tun will, der gerecht sein soll und zutiefst ungerecht ist. Könnte direkt aus Schildbürga stammen. Kommt aber eher aus Karlsruhe. Denn leider sind diese Ausgleichsmandate durch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht etwa getilgt, sondern angemahnt worden.

Deshalb geht man jetzt an die Direktmandate. Wenn das Zweitstimmenergebnis einer Partei weniger Mandate bedeutet als die Summe ihrer Direktkandidaten, werden diese von hinten her nach ihrem Abschneiden gestrichen. Die Logik dahinter: wo kein Überhang von Direktmandaten mehr, da auch keine Ausgleichsmandate. Das stimmt zwar. Aber es ist so, als würde man die Axt an den Ahorn legen, um der schmarotzenden Mistel den Garaus zu machen.

Abhilfe muss her

Aber sei's drum. Abhilfe muss her, inzwischen beinahe schon egal, wie. Seit mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt quillt das deutsche Parlament auf wie ein Hefeteig auf dem Ofensims. Der frühere Parlamentspräsident Norbert Lammert von der CDU schlug schon bei 630 Abgeordneten Alarm, inzwischen sind es 736. Die 800 waren bei der vergangenen Bundestagswahl nicht außerhalb jeder Realität.

Jeder bisherige Versuch, eine Reform im Parlament zu verabschieden, verebbte in den Weiten der Flure des Bundestages. Die unrühmlichste Rolle, Lammert hin, Lammert her, spielte dabei immer die Union. Weshalb es kein Zufall ist, dass eine Große Koalition nie hinbekommen hat, was jetzt bei einer Ampel und deren Mehrheit klappen könnte.

Aufgeheult hat präziser gesagt vor allem immer die CSU, und sie tut es jetzt wieder, in einem für sie seltsamen Bunde mit dem Klassenfeind, der Linken. Polemisch könnte man sagen: Wenn die CSU aufheult, dann liegt die Sache goldrichtig.

Die CSU wird nach dem neuen Wahlrecht einige ihrer Direktmandate verlieren, die sie traditionell mit der Erststimme im Freistaat einfährt. Das ist schon schlimm für sie. Schlimmer aber ist der Wegfall der Grundmandatsklausel. Sie besagt, dass jede Partei, wenn sie drei oder mehr Direktmandate einfährt, in den Bundestag einzieht, auch wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt. Deshalb regt sich die Linke jetzt so auf, weil sie ein paar starke Wahlkreise hat, aber längst strukturell in der Todeszone der fünf Prozent unterwegs ist.

Die CSU ritte auf dieser Klausel immer glorreich in den Bundestag ein, selbst wenn sie mal bundesweit (!) an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, die sie zuletzt mit 5,2 Prozent nur knapp übersprang. Das bisherige einzigartige Spiel der CSU, je nach Opportunität Artenschutz als Regionalpartei zu genießen, aber dann auch wieder bedeutende Bundespartei zu sein, geriete in Gefahr. Sie ist die bayerische Mistel im Geäst des bundesrepublikanischen Parlamentarismus.

Das macht aber nichts. Dass dieses unfaire Spiel der CSU auf diese Weise beendet oder mindestens begrenzt würde, wäre ein Kollateralnutzen dieser Reform. Denn es ist nicht so, dass dieses neue Wahlrechtskonzept das Antlitz eines "Schurkenstaates" hätte, wie der CSU-Generalsekretär verbläst. Es hegte die ungerechten Sonderkonditionen für die CSU vielmehr gerechterweise ein. Wunderbar.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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