Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch In Gefahr
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Olaf Scholz ist es gewohnt, in Gefahr zu sein. Er kann schon lange nicht mal mehr joggen gehen ohne seine Bodyguards vom BKA. So ist das eben als Vizekanzler. Sicherheit geht vor. In den vergangenen Tagen jedoch ist die Gefahr für Olaf Scholz konkreter geworden. Es ist zum Glück nur eine politische Gefahr, aber die kann Olaf Scholz im Moment eben auch nicht gebrauchen. Immerhin will der Vizekanzler im Herbst zum Kanzler werden.
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Es ist Afghanistan, dieses riesengroße Schlamassel, das nun auch für Olaf Scholz zum Problem wird. Die deutsche Regierung hat die Lage dort komplett falsch eingeschätzt. Und Scholz ist eben der Vizekanzler, der Stellvertreter der Kanzlerin, die qua Amt alle Politik in Deutschland verantwortet. Im Guten wie im Schlechten. Gerade also mal wieder: im Schlechten.
Und Scholz ist zusätzlich noch derjenige, der die Bundesminister seiner SPD in der Regierung koordiniert, der sich vor den Kabinettssitzungen erst mal allein mit seinen Genossen zu den drängenden Fragen abstimmt. Ausgerechnet einer dieser Genossen steht jetzt besonders in der Kritik: Außenminister Heiko Maas.
Es ist also kein Wunder, dass die SPD gerade alles tut, um sich zu verteidigen. Denn alles, was an ihr und ihren Ministern hängen bleibt vom Schlamassel Afghanistan, droht auch am Kanzlerkandidaten Olaf Scholz hängen zu bleiben. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der Scholz seine SPD nun schon beim zweiten Umfrageinstitut vor die Grünen manövriert hat.
Für Olaf Scholz und seine Kampagne ist das Regierungsversagen, das nun Stück für Stück offenbar wird, dabei besonders bedrohlich. Denn sein Hauptargument in eigener Sache lautet im Wahlkampf: Ich kann das. Ich kann regieren, ich bin der Erfahrene, ich bin der Krisenerprobte. Ich bin alles in allem und bei aller Bescheidenheit: so ziemlich der Beste für den Job.
Die SPD und ihre Strategen wissen das natürlich, sie haben in den vergangenen Monaten den kompletten Wahlkampf auf diese Botschaft zugeschnitten. Und das völlig zu Recht, weil die Beliebtheit von Olaf Scholz ihr stärkstes Argument ist. (Wer ein bisschen böse ist, der sagt: das einzige Argument, das für die SPD noch funktioniert.)
Das Problem daran ist: Jedes Mal, wenn Zweifel aufkommen, dass die Bundesregierung uns alles in allem schon irgendwie "gut regiert", könnten auch schnell Zweifel an Olaf Scholz aufkommen. Es ist deshalb nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass plötzlich rege Betriebsamkeit auf allen Ebenen der SPD aufkommt, wenn's mal wieder so richtig schiefläuft. In der Corona-Krise, als es noch um fehlerhafte Masken und fehlenden Impfstoff ging, war das schon mal so.
Tagelang stritten Union und SPD, wer am meisten und wer am allermeisten Schuld hatte. Ein öffentlichkeitswirksam lancierter Fragenkatalog von Olaf Scholz an CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn war nur einer der Höhepunkte (oder vielleicht doch eher: Tiefpunkte).
Das wiederholt sich jetzt. Weil gerade Heiko Maas am schärfsten angegriffen wird, tun alle alles, um ihn zu beschützen. Vor allem, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Union lenken – mal mit besseren, mal mit schlechteren Argumenten. Die schlechteren Argumente sind dabei nicht viel mehr als Nebelkerzen: Am Mittwoch etwa wurde in SPD-Kreisen ein Bericht darüber geteilt, dass CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und CDU-Kanzlerin Angela Merkel am vergangenen Freitag gezweifelt hätten, dass das bisherige Afghanistan-Mandat der Bundeswehr einen Einsatz zur Sicherung der Evakuierung erlaube. Und so angeblich der Einsatz verzögert worden sei.
Nur stimmt das offenbar schlichtweg nicht. Das stellten nicht nur Experten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala rasch klar, das soll Teilnehmern zufolge auch Heiko Maas selbst in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gesagt haben. Es war Gefahr in Verzug, und deshalb konnte die Bundeswehr ohnehin handeln.
In der Sache mehr Substanz scheint da schon der Vorstoß der SPD zu haben, jetzt schnellstmöglich das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages einzuberufen. Denn auch der Bundesnachrichtendienst muss sich natürlich fragen lassen, warum er die Lage in Afghanistan offenbar falsch eingeschätzt hat. Und wie er die Lage jetzt bewertet, bevor der Bundestag am Mittwoch (nachträglich) das Bundeswehr-Mandat zur Sicherung beschließt.
Doch die SPD beklagt sich lautstark über eine Blockade der Union, die die Sitzung bislang nicht vorziehen wolle. Es kommt ihr dabei natürlich nicht ungelegen, mit dem Verweis auf den Bundesnachrichtendienst zu signalisieren: Selbst die haben nichts gewusst, wie hätte unser Heiko Maas dann mehr wissen sollen? Zuständig für den BND ist übrigens das CDU-geführte Kanzleramt – nicht die SPD. Wie passend.
Heiko Maas selbst versucht derweil, die Verantwortung möglichst breit zu verteilen. In einem bemerkenswerten Interview mit dem ZDF-"heute journal" gestand er Dienstagabend zwar Fehleinschätzungen ein, allerdings vor allem kollektiver Art: "Die Fehleinschätzung, die es gegeben hat, die haben alle getroffen", sagte Maas. Auch am Mittwoch blieb er bei dieser Linie.
Eine Art Brandbrief des stellvertretenden Botschafters, in dem der sich offensichtlich darüber beklagte, dass Warnungen wochenlang nicht ernstgenommen worden seien, relativierte Maas im ZDF als reine Beschreibung der Situation in der Botschaft. Der Botschafter habe zudem noch am Freitag im Krisenstab betont, dass die Sicherheit der Mitarbeiter kurzfristig gewährleistet sei. Und sowieso: Bis auf ein notwendiges Kernteam seien doch alle Botschaftsmitarbeiter nun in Deutschland. In Sicherheit. "Es ist ja nichts geschehen."
Ein bisschen mehr Demut, ein bisschen mehr Bewusstsein für die persönliche Verantwortung täte Heiko Maas ganz sicher gut. Doch am Ende hat er mit einer Sache vermutlich recht: Beim Schlamassel Afghanistan sieht die komplette Bundesregierung miserabel aus. Ob das jetzt auch auf ihren zweitmächtigsten Vertreter zurückfällt? Den Vizekanzler? Olaf "Ich kann das" Scholz?
Was fordert Söder zu Afghanistan?
CDU-Chef Armin Laschet hat schon in den vergangenen Tagen allerhand Konsequenzen aus dem Afghanistan-Desaster gefordert. Mal sehen, ob er ab Herbst die Chance bekommt, irgendwas davon als Kanzler zu verwirklichen.
Der verhinderte Unionskanzlerkandidat und CSU-Chef Markus Söder will seinem Lieblingsparteifeind da offenbar in nichts nachstehen. Er hat sein CSU-Präsidium heute zur Videokonferenz eingeladen. Thema: Afghanistan. Eine Pressekonferenz gibt es natürlich auch. Man darf gespannt sein, wie Bayern auf die internationale Krise reagiert.
Hält das NSU-Urteil?
Gut fünf Jahre verhandelte das Oberlandesgericht München. Im Juli 2018 fiel das Urteil. Doch beendet ist der Prozess um die rechtsextreme Terrorgruppe NSU noch immer nicht. Der Bundesgerichtshof will heute über "weitere Entscheidungen" und den Fortgang des Verfahrens informieren.
Mehrere Beteiligte hatten Revision eingelegt, darunter auch Beate Zschäpe. Sie war damals als Mittäterin an zehn NSU-Morden verurteilt worden, das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Sie dürfte also noch lange im Gefängnis sitzen. Sofern das Urteil Bestand hat.
Was lesen?
Was wird aus Afghanistan, wenn wieder die islamistischen Fanatiker die Macht ausüben? "Dem Westen wird es egal sein, was die Taliban in Afghanistan tun", sagt der Außen- und Sicherheitsexperte Carlo Masala im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke – und spricht über den Selbstbetrug des Westens.
Die Taliban überrumpelten die westliche Allianz mit ihrem schnellen Siegeszug in Afghanistan. Der Sündenbock war auch für die Bundesregierung schnell gefunden: die afghanische Arme. Doch damit macht sie es sich zu einfach, meint mein Kollege Patrick Diekmann. Wie nach der Flucht des Westens nun die Feinde einer freiheitlich-demokratischen Weltordnung in der Region die Macht übernehmen, beschreibt er in diesem Text.
Was amüsiert mich?
Diesen Satz wird Armin Laschet so schnell nicht mehr los...
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.
Herzliche Grüße, Ihr
Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier
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Mit Material von dpa.
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