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Bund-Länder-Gipfel: Die Pandemie-Bekämpfung wird zum gefährlichen Chaos


Meinung
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Was heute wichtig ist
Gefährliches Chaos

  • Florian Wichert
MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 04.03.2021Lesedauer: 8 Min.
Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. (Quelle: Markus Schreiber/reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages – heute von mir als Stellvertreter von Florian Harms:

WAS WAR?

Drei frohe Botschaften hatte Kanzlerin Angela Merkel, als sie gestern Abend um 23.34 Uhr zum Abschluss des Bund-Länder-Gipfels die Pressekonferenz eröffnete. Erstens: "Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Phase der Pandemie." Zweitens: "Deutschland hat Stärke gezeigt in seiner Reaktion auf die zweite Welle." Drittens: "Der Frühling 2021 wird anders sein als der vor einem Jahr." Sie meint damit: besser. Und möchte vor allem eines – Hoffnung machen. Merkel nennt zwei vielversprechende "Helfer", die uns auf dem Weg aus der Pandemie begleiten sollen: Testen und Impfen.

Wer Merkel so zuhört, wie sie liebevoll von den "Helfern" spricht, bekommt das Gefühl: Alles ist gut. Toll, wie wir uns da bisher durch die Pandemie manövriert haben.

Doch leider ist das nicht die ganze Wahrheit.

Dazu gehört allein schon, dass die Gespräche zuvor ganz offensichtlich von Dünnhäutigkeit geprägt waren. Bei den fast zehnstündigen Verhandlungen flogen so sehr die Fetzen, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Nachgang Stellung zu einem Streit mit Vizekanzler Olaf Scholz nehmen musste. Sie seien nicht unbedingt ein Herz und eine Seele, aber der Konflikt sei ausgeräumt, so Söder. Alles ganz normal also. Dabei hatte er Scholz zuvor an den Kopf geworfen, dass der nicht "der Kanzler" sei und nicht "schlumpfig herumgrinsen" brauche.

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Die Beschlüsse? Werden von einem Bund-Länder-Gipfel zum nächsten unübersichtlicher und sind geprägt vom Druck der Bevölkerung, endlich Lockerungen vorzunehmen, obwohl Inzidenzen steigen, die britische Mutante auf dem Vormarsch ist und Deutschland in die dritte Welle stolpert. Eine Übersicht finden Sie hier.

In der Zusammenfassung besagen die Ergebnisse: Der Lockdown wird bis zum 28. März verlängert. Je nach Infektionslage soll es allerdings weitere Möglichkeiten für Lockerungen geben, die in einem Fünf-Stufen-Plan festgehalten sind. Die Inzidenz von 35 ist als Maßstab vom Tisch, nachdem sie in den vergangenen Wochen noch eine der wichtigsten Größen war. Wobei: Ganz vom Tisch ist sie nicht. Sie spielt eben nur noch ausschließlich bei den Regelungen für Kontaktbeschränkungen eine Rolle. Je länger eine Inzidenz stabil bleibt, desto mehr Öffnungen sind möglich. Ab der kommenden Woche soll jeder Bundesbürger einen kostenlosen Schnelltest pro Woche erhalten. Hausärzte sollen künftig an den Impfungen beteiligt werden.

Und: Zur Absicherung der Beschlüsse soll es eine "Notbremse" geben, wenn die Zahlen rapide ansteigen. Genauer: Klettert die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner in einem Bundesland oder einer Region an drei aufeinander folgenden Tagen auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln wieder in Kraft, die bis zum 7. März gegolten haben.


Wenn sie grundsätzlich mittlerweile Schwierigkeiten haben, den Beschlüssen von Bund-Länder-Gipfeln zu folgen, dann lesen Sie mal folgenden Absatz:

"Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz 14 Tage lang nach dem Inkrafttreten des dritten Öffnungsschritts landesweit oder regional stabil bei unter 35 Neuinfektionen bleibt, kann das Land entsprechend landesweit oder regional folgende Öffnungen vorsehen: kontaktreicher Sport wie Martial-Arts-Kämpfe in Innenräumen und insbesondere Käfigen unter der Voraussetzung, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer über einen tagesaktuellen Covid-19-Schnell- oder Selbsttest verfügen."

Fällt Ihnen hier etwas auf?

Falls nicht: kein Wunder. Bei den zahlreichen Beschlussvorlagen, die in den vergangenen Tagen in Vorbereitung auf den Bund-Länder-Gipfel durch die Gegend waberten, überrascht es kaum, dass unter gewissen Bedingungen auch die Wiederaufnahme von Käfigkämpfen in Deutschland möglich sein soll. Logisch: Mit jeder zusätzlichen "Wenn..., dann..."-Konstruktion und jedem Inzidenzen- und Zahlengewitter nimmt der Grad der Abstumpfung zu.

Falls Sie doch aufgemerkt haben: Ja, diese Passage ist Quatsch – und angeblich nur auf einen Scherz von Kanzleramtsminister Helge Braun zurückzuführen. Blöd für den Chef der Berliner Senatskanzlei, Christian Gaebler: Er leitete den Entwurf mit dem für ihn persönlich gedachten Scherz einfach weiter. Und letztlich landete das Papier in der Öffentlichkeit.

Der Scherz ist missglückt, zeigt aber eines: Die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels sind mittlerweile so komplex, dass geplante Öffnungsperspektiven nicht wie oben beschrieben einen Weg zurück in Richtung Normalität darstellen und eigentlich auch nicht mal einen adäquaten Trampelpfad. Es fühlt sich eher an wie ein Irrweg durch ein Labyrinth von verschiedenen Inzidenzwerten. Unter Berücksichtigung voranschreitender Mutantenausbreitung. In Abhängigkeit von Schnell- und Selbsttests und den Fortschritten beim Impfen, die nicht so groß sind wie erhofft.

Noch schwieriger wird es, wenn sich herausstellt: Der Irrgarten hat auch noch ein paar Konstruktionsfehler, die ein Durchkommen unmöglich machen. In Bezug auf die Öffnungsperspektive bedeutet das: Wenn die Schnell- und Selbsttests, die Lockerungen möglich machen sollen, noch nicht in der dafür nötigen Menge verfügbar sind, dann wird es eben doch nichts mit den Lockerungen. Zumindest nicht gleich.

Der Gedanke hinter Merkels angekündigter neuer Phase der Pandemiebekämpfung ist soweit klar: Bisher ging es bei den beschlossenen Maßnahmen der Bund-Länder-Gipfel stets darum, die Infektionszahlen zu senken. Die einfache Regel: Sinken die Zahlen, kann gelockert werden – ab einem bestimmten Wert. Steigen die Zahlen, muss verschärft werden. Mittlerweile geht es allerdings eher darum, gewisse Werte nicht zu überschreiten und dabei so viel Alltag wie möglich zuzulassen. Weil die Ältesten, dazu teilweise Lehrer, Kranken- und Pflegepersonal sowie Risikogruppen, und bald hoffentlich auch die etwas jüngeren Älteren nach und nach geimpft werden, sinkt die Zahl der vulnerablen Menschen. Impfungen und Tests sollen nun Lockerungen ermöglichen. Leider fehlen dafür immer noch an vielen Stellen die nötigen Tests und die entsprechenden Impfangebote.

Wohlwollend ausgedrückt handelt es sich um einen Strategiewechsel.

Realistisch betrachtet ist es ein gefährliches Chaos. Denn der Pandemie-Frust in der Bevölkerung wächst weiter. Und Merkels neue Phase beinhaltet mindestens drei große Risiken.

1. Die Zahlen steigen möglicherweise schneller als wir Schnelltests organisieren und das Impfen beschleunigen können. Der kostenlose Schnelltest für jeden Bundesbürger soll von geschultem Personal in Testzentren oder Praxen abgenommen werden. Bestätigt mit einer Testbescheinigung. Wer die ausstellt? Unklar. Bekommen das die Länder schon nächste Woche organisiert? Unklar.

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Wann sind die fehlenden Selbsttests da? Unklar. Und dann kommt noch die fehlende Verlässlichkeit dieser Tests hinzu. Einer von fünf ist falsch. Wer Anwendungsfehler begeht, das Ergebnis zu früh oder zu spät kontrolliert, erhält womöglich auch ein falsches Ergebnis. Erfasst wird dieses ohnehin nicht. Heißt: Klappt das Testen und Impfen nicht, ist der Plan von Bund und Ländern nichts wert.

2. Die Politik verliert mit den neuen Beschlüssen noch mehr Vertrauen. Die Beschlüsse sind an Unübersichtlichkeit nicht zu überbieten. Und: Sie sind voraussichtlich das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Die Länder sind noch weiter auseinander als je zuvor. Beispiel: Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz befindet sich im Wahlkampf und wirbt vor den Landtagswahlen mit Lockerungen bei der Pandemie-müden Bevölkerung.

Die einen wollen dies zuerst öffnen, die anderen das.

Und dann gibt es auch noch die, die gar nicht wollen. Die gestrigen Öffnungsbeschlüsse sind sogar gegen den Protest Sachsens festgelegt worden. In einer Protokollnotiz heißt es, dass das Land "die hier beschlossenen unkonditionierten Öffnungen angesichts der aktuellen und absehbaren Infektionslage sowie Impfquote für nicht vertretbar" halte.

3. Diverse Branchen stehen weiterhin vor dem Kollaps. Ob die Veranstaltungsbranche, der Einzelhandel oder die Gastronomie: Für viele Branchen sind die schrittweisen Öffnungen unzureichend. "Klar ist: Von neun Kunden am Tag kann ich nicht leben", wie es eine Buchhändlerin aus Rheinland-Pfalz bei t-online formulierte, die bereits Termine zum Shoppen vergeben darf. Oder wie Norbert Fiebig, Präsident des Reiseverbandes DRV, es ausdrückt: "Die Politik muss mit ihren Appellen, auf das Reisen zu verzichten, aufhören." Die Salamitaktik mit Lockdown-Verlängerungen von jeweils zwei Wochen zermürbt nicht nur die Bevölkerung, sondern auch diverse Branchen.

Ist nun also Hoffnung angebracht, wie die Kanzlerin sie transportieren möchte? Vielleicht. Erleben wir einen Strategiewechsel? Ja. Nur leider geht der mit einem gefährlichen Chaos einher, das kaum noch jemand versteht.


WAS STEHT AN?

Mitten im Lockdown und mit wenig Flugverkehr zieht der Lufthansa-Konzern heute Morgen seine Bilanz für das Corona-geprägte Horrorjahr 2020. Wegen der zahlreichen Flugabsagen und andauernden Reisebeschränkungen werden deutlich gesunkene Umsätze und Verluste in Milliardenhöhe erwartet.


Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen reisen nach Israel, um mit Regierungschef Benjamin Netanjahu darüber zu diskutieren, wie die drei Länder bei der Erforschung und Produktion von Impfstoffen und Medikamenten enger kooperieren können. Hintergrund: Dänemark und Österreich wollen nicht mehr von der EU abhängig sein, die ihnen zu langsam agiert.


Falls Sie sich für Fußball interessieren: In der englischen Premier League treffen heute Abend zwei der besten deutschen Trainer aufeinander. Jürgen Klopp mit Meister FC Liverpool und Thomas Tuchel mit dem FC Chelsea. Anpfiff ist um 21.15 Uhr.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Es sind nicht mehr nur Björn Höckes "Flügel", einzelne Landesverbände oder die Nachwuchsorganisation "Junge Alternative": Der Verfassungsschutz verdächtigt die gesamte AfD, in fundamentaler Opposition zum Grundgesetz zu stehen. Ähnlich wie Neonazi-Parteien. Das wird für die Partei schwere Konsequenzen haben, wie mein Kollege Jonas Müller-Töwe berichtet.


Seit Monaten breiten sich neben der ursprünglichen Variante von SARS-CoV-2 weltweit verschiedene neue Versionen des Virus aus. Mittlerweile sind die britische B.1.1.7 sowie die südafrikanische Variante B.1.351 in Europa weit verbreitet.

Jetzt kommen aus den USA zwei neue Mutanten, die Sorge bereiten: Als besonders beunruhigend gilt neben der Mutante CAL.20C aus Kalifornien nun die Variante B.1.526 aus New York. Forscher befürchten, dass eine Mutation bei dieser Virusvariante die Wirksamkeit der verfügbaren Corona-Impfstoffe schwächen könnte. Wie gefährlich ist diese Mutante? Meine Kollegin Sandra Simonsen weiß mehr.


Zu wenig Impfstoff, zu langsame Terminvergabe: Am Fortschritt der Impfkampagne in Deutschland gibt es viel Kritik. Aktuelle Daten zeigen, dass Deutschland beim Impfen international nur Mittelmaß ist. Nicht nur Länder wie Israel oder die USA liegen deutlich vor uns, auch Nachbarländer wie Polen und Dänemark sind schon weiter als wir. Philip Friedrichs und Axel Krüger zeigen Ihnen, wie schlecht Deutschland beim Impfen wirklich dasteht.


Werden in Deutschland Impfstoffdosen vernichtet, weil sich Impfzentren allzu starr an die Priorisierung halten? Eine Nutzerin auf Twitter klagte am Dienstagabend genau das an und löste damit eine Welle der Empörung aus. Der Vorwurf wiegt schwer, dass mancherorts möglicherweise verschwenderisch mit der kostbaren Ressource Impfstoff umgegangen wird, während Millionen Menschen noch Monate auf den ersehnten Piks warten dürfen. t-online hat in den zuständigen Ministerien der Bundesländer sowie stichprobenartig in Landkreisen und bei Landesverbänden des Deutschen Roten Kreuzes nachgefragt, wie Verschwendung vermieden werden soll. Hier lesen Sie die Antworten.


Sie kennen Friederike Kempter womöglich aus dem Münster-"Tatort". 18 Jahre lang spielte sie Nadeshda Krusenstern – zum letzten Mal Anfang 2020. Was die 41-Jährige heute macht und warum sie sich dem Klimaschutz verschrieben hat, lesen Sie im Interview, das meine Kollegin Maria Bode mit ihr geführt hat.


WAS AMÜSIERT MICH?

Der Verfassungsschutz hat die ganze AfD als Verdachtsfall einer rechtsextremistischen Bestrebung eingestuft. Das führt zu wilden Spekulationen.

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag – und einen guten Durchblick, wenn Sie sich mit den Corona-Beschlüssen auseinandersetzen. Morgen schreibt an dieser Stelle Florian Harms für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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