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Russland: Wladimir Putin – der Schattenmann


Meinung
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Was heute wichtig ist
Der Schattenmann

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin regiert Russland seit 20 Jahren. Nun wird seine Macht herausgefordert.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin regiert Russland seit 20 Jahren. Nun wird seine Macht herausgefordert. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Seit bald einem Jahr hält das Coronavirus Deutschland in Atem – und es wird mindestens noch ein Dreivierteljahr dauern, bis der Erreger eingehegt ist: Der gestrige Impfgipfel hat nicht viele Erkenntnisse hervorgebracht, aber dieser Schluss lässt sich jetzt ziehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte hinterher die drei entscheidenden Sätze:

Erstens: "Die Kanzlerin hat das Impfen zur Chefsache gemacht, das hat man heute gemerkt."
Bedeutet: Merkel weiß, wie groß die Erwartung in der Bevölkerung ist, dass auf die vollmundigen Impfversprechen nun Taten folgen. Die Nervosität im Kanzleramt ist spürbar.

Zweitens: "Eine punktgenaue Planung ist aus Sicht der Hersteller nicht möglich."
Bedeutet: Einen konkreten Impfplan wird es nicht geben, allenfalls vage Kalkulationen. Die Produktion der Mittel ist aufwändig, na klar. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Pharmafirmen sich nicht in die Karten schauen lassen wollen, welche Staaten sie bevorzugt beliefern – und welche nicht.

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Drittens: "Wir können den Rückstand gegenüber anderen Ländern nicht aufholen, aber wir können besser werden."
Bedeutet: Die Regierenden finden sich damit ab, im Rennen gegen die Zeit weiter hinterherzulaufen. Einen Impfsprint wie in den USA oder Großbritannien wird es nicht geben, aber vielleicht lässt sich ja dieses oder jenes im Prozedere verbessern. Gut, dass wir gesprochen haben.

Genügt das? "Natürlich tut jeder ab sofort noch mehr sein Bestes, damit künftig etwas schneller geimpft werden kann. Das ist nicht nichts. Aber es reicht angesichts der Herausforderungen dieser Jahrhundertkrise eben längst nicht aus" analysiert unser Reporter Johannes Bebermeier, der den Gipfel im Berliner Regierungsviertel beobachtet hat. "Die Politik müht sich an den inzwischen kaum noch lösbaren Problemen von gestern ab, während schon jetzt absehbar ist, dass die Probleme von morgen noch viel größer sein werden. Sie laboriert an den akuten Symptomen herum und tut zu wenig dafür, die schlimmer werdende Krankheit zu heilen." Ein ernüchterndes, aber ehrliches Fazit. Dabei ließe sich mehr tun. Was genau, beschreibt mein Kollege hier.


WAS STEHT AN?

Es ist leicht, Schatten zu sehen, wenn man selbst im Licht sitzt. Sehen wir Knüppel auf Demonstranten niedergehen und Schüler im Würgegriff von Polizisten zappeln, empfinden wir Empörung. Sehen wir Paläste mit goldenen Wasserhähnen, die korrupte Herrscher sich spendieren lassen, fällt es uns nicht schwer, die Raffgier der Kleptokraten anzuprangern. Sehen wir, wie eine skrupellose Staatsmafia Jahr für Jahr Wahlen fälscht, Medien manipuliert und die Bürger belügt, stimmen wir rasch in den Chor der Kritiker ein. Unrecht zu erkennen ist einfach, wenn man selbst in einem demokratischen Rechtsstaat lebt.

Und es stimmt ja: Was der ehemalige Geheimagent Wladimir Putin und seine Kamarilla aus Russland gemacht haben, erscheint empörend: einen Polizeistaat, in dem der Autokrat alles bestimmt und sich nimmt, was ihm gefällt – Macht, Privilegien, Geld. Ein Riesenland mit enormen Bodenschätzen, aber mickriger Wirtschaft, mit stolzer Geschichte, aber trauriger Gegenwart, mit großen Versprechen für die Massen, aber geringen Chancen für den Einzelnen. Wir sehen einen Herrschaftsapparat, der nur drei Zwecke zu haben scheint: erstens sein eigenes Überleben zu sichern, zweitens seine Günstlinge zu bereichern und drittens den gekränkten Nationalstolz wiederaufzurichten – koste es, was es wolle. Kein Ziel hat Wladimir Putin seit seinem Amtsantritt vor 20 Jahren so oft beschworen wie das Comeback der russischen Großmacht.

Lassen sich alle drei Ziele verbinden, laufen er und seine Leute zur Hochform auf: Immer dann, wenn sich in den vergangenen Jahren der Bürgerfrust in Demonstrationen entlud und den Kreml herausforderte, musste schnell ein Feldzug her, martialisch von den Propagandamedien inszeniert. Der Kaukasus, die Krim, die Ostukraine, Syrien: Die Schauplätze wechselten, die Masche blieb dieselbe. Truppen stellte gern ein Geschäftsfreund mit Privatarmee, so waren offiziell nur wenige Gefallene zu betrauern. Eine Hand wäscht die andere, und seine Hand muss immer oben liegen: So ist es Herrn Putin gelungen, mit einem Gebräu aus Patriarchalismus und Klientelismus, aus Nationalismus und Brutalität zwei Jahrzehnte lang am Ruder zu bleiben. Machttaktisch eine Meisterleistung – aber zu welchem Preis?

Einem viel zu hohen!, rufen hierzulande jene, die an die Wirkung von Sanktionen glauben und am liebsten gleich die Ostsee-Pipeline knicken würden. Doch auch hier kommt es auf die Perspektive an. In den Augen seiner Gegner hat Putin Russland heruntergewirtschaftet: Die Menschen verdienen heute weniger Geld als früher, dafür müssen sie länger arbeiten und haben weniger Rechte. Seine Anhänger zeichnen hingegen ein ganz anderes Bild: Demnach hat der Präsident nach Jelzins Chaos und den Raubzügen der Oligarchen Russland endlich wieder Stabilität und weltweiten Respekt verschafft. Er bietet der übergriffigen Nato die Stirn und setzt der amerikanischen Weltmacht Grenzen. Niedergeknüppelte Demonstranten und vergiftete Regimekritiker sind aus dieser Perspektive nur kleine Kratzer in einem großen Gemälde. Die einen so, die anderen so: So halten sich die Lager die Waage.

Ändert sich das nun? Politische Vorhersagen sind in Russland seit jeher eine tückische Wissenschaft, die Irrtümer der Kremlologen füllen ganze Regale. Zehntausende Menschen sind an den beiden vergangenen Wochenenden auf die Straßen gegangen, um für die Freilassung Alexej Nawalnys zu demonstrieren – aber noch viel mehr sind zu Hause geblieben. Das bedeutet nicht, dass sie alle satt und zufrieden sind, aber die Gewöhnung an den Dauerpräsidenten, die Angst vor Putins Polizisten oder das Bangen um die Stabilität des Landes sind womöglich stärker. Wir sollten daher nicht den Fehler machen, die Unterstützung für den medienaffinen Oppositionellen zu überschätzen. Auch dann nicht, wenn heute wieder Tausende demonstrieren, weil ein Moskauer Gericht darüber entscheidet, ob Nawalnys Bewährungsstrafe in eine reguläre Haftstrafe umgewandelt wird und er womöglich jahrelang hinter Gittern verschwindet. Es ist leicht, die Schatten zu sehen, wenn man selbst im Licht sitzt. Doch wer im Dunklen sitzt, der sieht die Schatten nicht.

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Myanmar ist weit weg, trotzdem sollten wir uns für das Land in Südostasien interessieren. Nach dem Militärputsch ruft die festgesetzte Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu Protesten auf. Einst galt sie als Heldin der Demokratie, dann verteidigte sie den Völkermord an den Rohingya und half, die schwarze Weste der Generäle weißzuwaschen. Das Volk verehrt sie trotzdem immer noch, aber das Militär brauch sie nun nicht mehr und drängt sie ins Aus. Von einer "moralischen Bankrotterklärung" spricht der ARD-Korrespondent. Die Menschen erwartet nun ein Jahr lang Notstand, dann soll es angeblich Neuwahlen geben. Wir ahnen: Frei und gleich werden sie wohl kaum sein.


Joe Bidens Mannschaft nimmt Form an. Heute stimmt der Senat über zwei seiner wichtigsten Mitarbeiter ab: Heimatschutzminister soll Alejandro Mayorkas werden, der erste Latino auf diesem Posten. Fürs Verkehrsressort ist Pete Buttigieg vorgesehen, er wäre das erste offen homosexuell lebende Kabinettsmitglied. Auch wenn der Bestätigungsprozess schleppend vorankommt: Sein Wahlkampfversprechen, für mehr Vielfalt in der Regierung zu sorgen, löst Herr Biden ein.


WAS LESEN?

Der Impfstreit und die Virusmutationen lenken uns vom größten Problem der Corona-Pandemie ab, schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl. Seinen Text habe ich mit Gewinn gelesen.


Schon 20 Milliarden Dollar sollen Hedgefonds verloren haben, weil Online-Rebellen die Aktienkurse einzelner Firmen in die Höhe treiben. Wann kommt der Absturz und wer könnte vorher profitieren? Die Kollegen der "Süddeutschen Zeitung" geben uns den Überblick.


Es wird einsam um Kardinal Woelki: Viele Gläubige ertragen seinen scheinheiligen Umgang mit Missbrauchsfällen nicht mehr, immer mehr Kirchenobere setzen sich von ihm ab – nun auch der Kölner Stadtdechant. Wir sehen "das hässliche Gesicht der Kirche", kommentiert die "Deutsche Welle".


Mehr als eine halbe Milliarde Euro Gehalt: Kann ein Angestellter wirklich so viel wert sein? Natürlich, kommentiert mein Kollege Benjamin Zurmühl: "Messi ist jeden einzelnen Cent wert."


WAS AMÜSIERT MICH?

Ist die deutsche Russlandpolitik wirklich gelungen?

Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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