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US-Wahl 2020: Fünf Aufgaben für den neuen Präsidenten


Meinung
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Was heute wichtig ist
Fünf Aufgaben für den neuen Präsidenten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Das Weiße Haus sollte wieder zu einem Hort der Vernunft werden.Vergrößern des Bildes
Das Weiße Haus sollte wieder zu einem Hort der Vernunft werden. (Quelle: Andrej Sokolow/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Amerika ist eine Demokratie, das muss man in diesen aufgewühlten Tagen ja gelegentlich erwähnen. Aber es ist eine gestutzte Demokratie. Das Prinzip "One man, one vote" ist kaum mehr als ein hohles Versprechen aus dem Geschichtsbuch. In Wahrheit kann vielerorts nur wählen, wer ein tadelloses Führungszeugnis und einen festen Wohnort besitzt, den mitunter komplizierten Registrierungsprozess durchlaufen hat und nicht kurz vor der Urne unter obskuren Vorwänden an der Stimmabgabe gehindert worden ist. Wer sich für die Briefwahl entschieden hat, muss mancherorts darum bangen, dass seine Stimme überhaupt berücksichtigt wird.

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Rund 160 Millionen Bürger haben es trotzdem geschafft, bei dieser historischen Präsidentschaftswahl ihren politischen Willen zu bekunden. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,9 Prozent, der höchste Wert seit 120 Jahren. Mehr als die Hälfte der Stimmen gingen an Joe Biden, nie zuvor in der amerikanischen Geschichte hat ein Präsidentschaftskandidat mehr Zuspruch bekommen. Dass der demokratische Bewerber trotzdem stundenlang zittern muss, ist dem komplizierten Wahlsystem zuzuschreiben, in dem die Bürger in den einzelnen Bundesstaaten nur "Wahlmänner" wählen, die dann den neuen Regierungschef bestimmen. In den vergangenen Stunden ist das Auszählungsdrama weitergegangen, Joe Biden holte sich die beiden Schlüsselstaaten Wisconsin und Michigan im Mittleren Westen. Auch in Arizona liegt er vor Donald Trump. Überraschend holte er zudem in Georgia auf, wo er heute Morgen knapp hinter Trump liegt. Falls er sich Georgia oder auch noch das kleine Nevada sichert, hat er die notwendigen 270 Wahlmännerstimmen beisammen. Dann hätte er die Wahl gewonnen – falls die juristischen Einsprüche von Trumps Team gegen das Auszählverfahren von Richtern abgeschmettert werden. Noch aber geht das Drama weiter. Hier erfahren Sie den aktuellen Stand der Ereignisse.

Das Misstrauen in das US-Wahlsystem ist groß, und ähnlich groß ist die Sorge vieler Amerikaner um ihre Demokratie. Donald Trump hat sich nach Schließung der Wahllokale ersichtlich Mühe gegeben, das Misstrauen weiter zu schüren. Ich möchte sein Gekeife und seine Nörgeleien auf Twitter hier nicht wiederholen, nur so viel: Es ist nicht die Sprache eines Staatsmanns, sondern mal die eines Verschwörungsrauners, mal die eines beleidigten Kindes. Dass wir alle so lange einen solchen Typen im mächtigsten Amt der Welt ertragen mussten, ist eine Zumutung.

Trotz allem gibt es viele Menschen, die Herrn Trump für einen astreinen Regierungschef halten, viele andere haben ihn zwar mit Bauchschmerzen, aber am Ende eben doch gewählt. Über die Gründe haben wir auf t-online ausführlich berichtet. Heute Morgen möchte ich gemeinsam mit Ihnen einen kurzen Blick in die Zukunft werfen: Was müsste der neugewählte amerikanische Präsident nach seiner Amtseinführung im Januar tun, um die drängendsten Probleme in den Griff zu bekommen? Viele Aufgaben drängen sich auf, aber fünf stechen heraus:

Erstens: Er müsste sich unzweideutig zum demokratischen Prozess bekennen und auf seine politischen Gegner zugehen. Er dürfte dabei nicht nur reden, sondern müsste vor allem zuhören. Ohne Dialog und Kompromissbereitschaft lässt sich die von Hass, Ressentiments und Sprachlosigkeit vergiftete US-Gesellschaft nicht kurieren.

Zweitens: Er wäre klug beraten, einen Prozess zur Reform des Wahlsystems anzustoßen. Die Absurdität, dass ein Bewerber viel mehr Stimmen als sein Rivale erhalten, aber am Ende trotzdem unterliegen kann, widerspricht demokratischen Prinzipien – ebenso wie das unselige "Gerrymandering", durch das Wahlkreise so zugeschnitten werden, dass der favorisierte Kandidat einer Partei sicher gewinnt. Hillary Clinton hat das vor vier Jahren den Sieg gekostet. "Würde in den USA nach dem deutschen Wahlrecht abgestimmt, könnten die Demokraten jedes Mal mit großer Mehrheit eine Regierung bilden. Die Republikaner haben sich hingegen zu einer Partei entwickelt, die demokratische Wahlen behindert, um sich weiter Wahlerfolge zu sichern", hat der führende US-Historiker Timothy Snyder im Interview mit t-online gesagt. So kann das nicht weitergehen. Die USA wollen weltweit ein demokratisches Vorbild sein. Dann sollten sie sich auch selbst so organisieren, dass sie glaubwürdig bleiben.

Drittens: Amerika braucht ein gerechteres Steuersystem. Weil Reiche bevorzugt werden und dank allerlei Tricks ihre Abgaben minimieren können, hat der Staat zu wenig Geld, um die bröckelnde Infrastruktur zu reparieren, dringend benötigte Sozialprogramme zu finanzieren, das vielerorts miese Bildungssystem zu verbessern und so die krassen Unterschiede bei den Aufstiegschancen für die Bürger auszugleichen. Dass sich so viele Amerikaner von absurden Verschwörungstheorien wie dem QAnon-Kult verführen lassen, liegt zum einen am Wildwuchs in den sozialen Medien, aber zum anderen am niedrigen Bildungsniveau. Wer nie kritisches Denken gelernt hat, neigt dazu, jeden Quatsch zu glauben, der ihm auf Facebook, Telegram, Youtube oder Twitter untergejubelt wird.

Viertens: Der neue Präsident sollte Ruhe und Vertrauen in die internationale Politik zurückbringen. Die Staaten der Welt sind mit so vielen Herausforderungen konfrontiert, dass vielfach nur Kooperation statt Egoismus zum Ziel führt – seien es die Folgen der Corona-Pandemie, die Klimakrise, die Schwächung der Demokratie, globale Handelsstreitigkeiten, die Risiken der digitalen Monopole, die atomare Aufrüstung, der Terrorismus oder Armut und Hunger. Teil einer konstruktiven Politik sollte ein klares Bekenntnis zur Nato sein – aber verbunden mit dem Willen, Russland nicht als Gegner, sondern als möglichen Sicherheitspartner zu behandeln. Das schlösse klare Forderungen an Moskau ein.

Fünftens: Der Mann im Weißen Haus sollte tun, was Abermillionen lebende und noch mehr in Zukunft geborene Menschen von ihm verlangen dürfen: die Klimakrise endlich ernst zu nehmen und entschlossen dafür zu arbeiten, das Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen einzuhalten. Das ist womöglich weniger schwierig als gedacht: Forscher haben errechnet, dass schon ein kleiner Teil der weltweiten Corona-Hilfsgelder reichen würde, um dem Ziel deutlich näherzukommen. Wir müssen jetzt handeln, um unsere Welt lebenswert zu erhalten.

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Fünf Aufgaben, keine davon ist klein. Aber von einem Präsidenten wie Joe Biden könnte man ihre Lösung erwarten. "Wir müssen wieder einander zuhören und uns respektieren", hat er vor wenigen Stunden gesagt. "Ich weiß, dass die Gräben in unserem Land tief sind. Aber wir dürfen unsere Kontrahenten nicht als Feinde betrachten." Klare und vielversprechende Worte.

Und was bliebe für den Grabenkämpfer Donald Trump, wenn er das Weiße Haus verlassen muss? Vielleicht ein millionenschwerer Vertrag für eine neue Fernsehshow, in der er sich nach Lust und Laune austoben kann. Das wäre womöglich sogar unterhaltsam. Aber eben nicht mehr gefährlich.


WAS STEHT AN?

In England bleiben ab heute nur noch Schulen, Universitäten und zum Leben notwendige Geschäfte geöffnet. Die Einwohner sollen ihre Wohnungen nur noch aus triftigem Grund verlassen, beispielsweise zur Arbeit oder zum Sport. Ich erwähne das hier als Information für alle, die meinen, der Teil-Lockdown in Deutschland sei besonders hart.

Die Bundeswehr erklärt am Vormittag, wie sie bei der Bewältigung der Corona-Krise helfen kann. Vielleicht findet ja der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der sich lange gegen Unterstützung durch Soldaten bei der Kontaktnachverfolgung wehrte, dabei eine besondere Erwähnung.

Prominente Zeugen werden in der Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses "Breitscheidplatz" befragt: Geladen sind unter anderem die Chefs des Bundeskriminalamts und des Bundesnachrichtendiensts, Holger Münch und Bruno Kahl, sowie Pegida-Frontmann Lutz Bachmann. Ob jeder von ihnen tatsächlich zur Aufklärung des Terroranschlags durch den Verbrecher Anis Amri im Dezember 2016 beitragen kann, wird sich zeigen.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Donald Trump hat die Briefwahl verteufelt, denn überdurchschnittlich viele Anhänger der Demokraten stimmten auf diese Weise ab. Meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Marc von Lüpke erläutern, wie und wann der Oberste Gerichtshof den Wahlausgang entscheiden könnte.


Die Demokraten verteidigen das Repräsentantenhaus, können aber die Mehrheit im Senat wohl nicht erringen. Damit hätte es Joe Biden als Präsident schwer, große Reformpläne zu verwirklichen, meint der "Spiegel"-Kollege Ralf Neukirch.


Wochenlang konnten sich Reiserückkehrer kostenlos auf Corona testen lassen, mittlerweile gilt das nur noch für Reisende aus Risikogebieten. Auch sonst sind die Tests limitiert worden – trotzdem sind die Labore jetzt am Limit. Was bedeutet das für mögliche Infizierte? Meine Kollegin Sandra Simonsen klärt Sie auf.


Immer mehr schwere Covid-19-Fälle müssen im Krankenhaus behandelt werden – und immer mehr Spitäler stoßen an ihre Grenzen. Was passiert mit den Patienten, sollten einzelne Kliniken oder gar ganze Regionen überlastet sein? Das Bundesinnenministerium hat dafür das "Kleeblatt-Prinzip" entworfen. Was dahinter steckt, erläutert Ihnen meine Kollegin Melanie Weiner.


Hamed Abdel-Samad nennt sich einen Islamkritiker, einige seiner Thesen sind verkürzt und umstritten. Doch was er in diesem kurzen Video über den Umgang mit militanten Islamisten sagt, sollte uns zu denken geben.


WAS AMÜSIERT MICH?

Der Donald hat ja auch sein Gutes.

Ich wünsche Ihnen einen richtig guten Tag. Morgen schreibt mein Kollege Carsten Werner den Tagesanbruch für Sie, von mir hören Sie am Samstagmorgen wieder. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material der dpa.

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