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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Wahlkomplott Wie Trumps Republikaner das Chaos provozierten
Bei der US-Wahl sind die Briefwähler wichtig wie nie. Das weiß auch Donald Trump. Mit allen Mitteln wollen seine Republikaner die Auszählung verhindern. Denn Joe Biden könnte profitieren.
Für Donald Trump ist die Abstimmung bereits entschieden: Der alte Präsident der USA ist auch der neue. "Offen gesagt, wir haben die Wahl gewonnen", behauptet Trump. Tatsache ist hingegen: In wichtigen Bundesstaaten steht noch kein Ergebnis fest. Trumps falsche Behauptung folgt allerdings einer lang angelegten Strategie. Der Präsident und seine Helfer in Partei und Institutionen verfolgen sie seit Monaten.
Wie nie zuvor ist angesichts der Corona-Pandemie bei dieser Entscheidung die Briefwahl wichtig, mehr als 90 Millionen Amerikaner haben sie beantragt. Umfragen belegen allerdings, dass demokratische Wähler sie weit mehr nutzen. Politikwissenschaftler nennen das lange bekannte Phänomen den "Blue Shift". Alles, was nach der Wahl gezählt wird, nutzt eher den Demokraten.
Trump ist das bewusst. Deswegen erschwerten seine Verbündeten in den Staaten bis zuletzt die Stimmabgabe per Briefwahl. Jetzt droht Trump mit lange in Stellung gebrachtem juristischem Geschütz, um das noch ausstehende Wahlergebnis zu delegitimieren: "Wir ziehen vor den Supreme Court." Das Ziel: Er will die Auszählung in den noch offenen Schlüsselstaaten stoppen, die noch einige Tage brauchen wird.
Angst vor der ungeöffneten Post
Trumps Furcht hat seine Berechtigung. Im wichtigen Bundesstaat Pennsylvania beträgt sein Vorsprung gut 700.000 Stimmen. Da laut dem dortigen Gouverneur Tom Wolf, einem Demokraten, aber noch mehr als eine Million Briefwahlstimmen ausgezählt werden müssen, ist ein Sieg Bidens in Pennsylvania noch durchaus realistisch.
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Die Gefahr vorausahnend, versuchen Trump und die Republikaner deswegen seit Monaten, die Briefwahl völlig ohne Belege in Misskredit zu bringen. Als "größten Betrug in der Geschichte der Wahlen", bezeichnete der US-Präsident die Briefwahl. "BEOBACHTET DIE STIMMZETTEL!", forderte Trump per Twitter seine Anhänger im September auf. "Außer Kontrolle. Eine manipulierte Wahl !!!", schimpfte er dann am 9. Oktober.
Derartige Tweets von Trump gibt es in den verschiedensten Formen. Sinn und Zweck sind stets der gleiche: eine vermeintlich rationale Erzählung zu schaffen, um ein missliebiges Wahlergebnis anzugreifen. Auf Grundlage dieser Erzählung führen seine republikanischen Helfer in denjenigen Schlüsselstaaten, die Joe Biden den Wahlsieg sichern könnten, einen erbitterten Kampf gegen die Briefwahlen.
Viele Hebel zur Wahlbeeinflussung
Im wichtigen Pennsylvania beispielsweise verhinderte Trumps Partei, dass per Briefwahl abgegebene Stimmen vor dem eigentlichen Wahltag gezählt werden können, wie das in anderen Bundesstaaten ganz selbstverständlich geschieht. Die Wahlbehörden hatten dringend um eine entsprechende Gesetzesänderung gebeten, um das durch die Corona-Pandemie besonders hohe Briefwahl-Aufkommen bewältigen zu können – ohne Erfolg.
Durch die republikanische Blockade ist bis zum Mittwochmorgen in einigen Bezirken wohl noch keine einzige Stimme ausgezählt worden, die bereits in den letzten Wochen abgegeben wurde. Wird nun die Auszählung gestoppt, wie Trump verlangt, verfallen Hunderttausende gültig abgegebene Stimmen.
Für andere Winkelzüge in Pennsylvania und anderen weiterhin umkämpften Bundesstaaten hat die Trump-Administration ihre Helfer vor Ort munitioniert: Im Vorfeld der Wahlen hat sie die US-Post offenbar gezielt geschwächt, um die Zustellung der Briefstimmen zu verzögern. Briefkästen wurden abmontiert, Überstunden und Gelder gestrichen. In den Tagen vor der Wahl häuften sich die Meldungen, dass auch aufgrund dieser Einschnitte immer mehr Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig zugestellt werden könnten.
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Das verschafft der Trump-Kampagne beispielsweise im US-Bundesstaat Pennsylvania eine Handhabe. Das Wahlgesetz dort sieht vor, auch die Stimmen noch zu zählen, die zwar fristgerecht eingereicht, aber erst nach dem Wahltag zugestellt wurden. Republikaner dort ziehen deswegen vor Gericht, mutmaßlich um dem "Blue Shift" entgegenzuwirken. Sie könnten damit Erfolg haben.
"Das Ergebnis der Wahl potenziell drehen"
Denn der Oberste Gerichtshof stützt die Bemühungen, Trump hat einige der Richter persönlich ernannt. Für den Bundesstaat Wisconsin hatte er bereits verfügt, dass nur Briefwahlstimmen einbezogen werden dürfen, die auch bis zum Wahltag am 3. November eingetroffen waren. Brett Kavanaugh, von Trump inthronisierter Verfassungsrichter, lieferte ein juristisches Argument, dass die Grundlage für die weiteren juristischen Kämpfe legt: "Die Staaten sollten Chaos und den Verdacht von Unregelmäßigkeit vermeiden wollen, was entstehen könnte, wenn Tausende von Briefwahlstimmen nach dem Wahltag eingehen und so das Ergebnis der Wahl potenziell drehen könnten."
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Es ist ein Gerichtsurteil, das eher wie ein Tweet des Präsidenten klingt, kommentierten Justizbeobachter. Ein "Ergebnis der Wahl", ohne dass alle Stimmen ausgezählt wurden? In der Logik des Richters ist das offenbar möglich.
Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
In anderen Bundesstaaten verfängt Kavanaughs Argument und hat Konsequenzen: In Minnesota stützten sich Richter bereits darauf und verboten das Auszählen von Stimmen, die nach dem Wahltag eintreffen. In Michigan haben Republikaner ein gleichlautendes Urteil erwirkt. Dort verfallen nun Stimmen, die fristgerecht eingereicht wurden. Ein großer Sieg für die Republikaner, deren juristische Bemühungen noch weit darüber hinausgehen.
Im besagten Pennsylvania haben sie Klage erhoben, weil in der Nähe der Metropole Philadelphia Beamte bestimmte Briefwahlunterlagen vor einigen Tagen unsachgemäß aussortiert haben sollen. Im US-Bundesstaat Nevada gehen sie sogar ganz konkret gegen einzelne Bezirke vor: Hier verlangen sie, dass alle Unterschriften unter den Wahlzetteln mit den Unterschriften der Wähler eines von Demokraten dominierten Bezirks abgeglichen werden. In Las Vegas wollten sie gleich die gesamte Auszählung verhindern, scheiterten aber damit.
Werden die Richter entscheiden?
Noch weit schlimmer als die juristischen Schlagabtäusche könnte sich ein anderer Schachzug erweisen: Mit seiner Dauertirade vom Betrug durch Briefwahl könnte Trump seinen republikanischen Parteikollegen in Staaten mit knappem Ergebnis die Handhabe verschaffen, das Ergebnis als verfälscht zu bezeichnen. So würden Wahlmänner, die von ihren jeweiligen Regierungen in den Staaten bestätigt werden müssen, in manchen Staaten nicht in das Wahlmännergremium entsandt werden. Noch schlimmer für Joe Biden: Republikanisch dominierte Parlamente der Bundesstaaten könnten eigene Wahlmänner wählen und diese entsenden.
Am Ende könnte sich so der Oberste Gerichtshof als das Zünglein an der Waage erweisen, das Donald Trump zu weiteren vier Jahren im Weißen Haus verhelfen könnte. Nicht zuletzt hat Donald Trump kürzlich mit Amy Coney Barrett dort eine weitere ultrakonservative Richterin platziert. Für Demokraten ist die Einbeziehung des Obersten Gerichtshofs eine Art Alptraum, eine Erinnerung an das Jahr 2000.
Fünf Wochen lang hatte damals ein juristisches Drama die Nation bewegt, ausgegangen war es von Florida. Hatte der Demokrat Al Gore den Staat gewonnen? Oder doch sein republikanischer Kontrahent George W. Bush? Letzten Endes entschieden die obersten Richter, der Streitpunkt galt dem Einbezug handgezählter Stimmen. Faktisch bedeutete ihr Urteil, dass George W. Bush der 43. Präsident der USA wurde. Juristen, nicht die Wähler hatten entschieden, wer das höchste Staatsamt erhalten sollte. Ein Novum in der Geschichte.
Für Donald Trump ist nach eigener Aussage ohnehin klar, dass er nur verlieren könne, wenn Betrug im Spiel sei. So ist wahrscheinlich, dass es eine juristische Auseinandersetzung geben wird, bis der Kampf ums Weiße Haus entschieden ist. Denn auch die Demokraten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Von ihnen ernannte Richter stellen aber nicht die Mehrheit am Obersten Gerichtshof.
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