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Beherbergungsverbot und Lottospielen: Corona gibt uns eine Denkaufgabe


Meinung
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Was heute wichtig ist
Und schon ist die Unsicherheit zurück

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

13.10.2020Lesedauer: 6 Min.
Markus Söder: Er favorisiert das Beherbergungsverbot.Vergrößern des Bildes
Markus Söder: Er favorisiert das Beherbergungsverbot. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms.

WAS WAR?

Mit Wahrscheinlichkeiten ist das so eine Sache. Am Samstag gewann eine Frau aus Baden-Württemberg den höchsten Einzel-Lottogewinn aller Zeiten: 42,5 Millionen Euro. Den bekommt sie jetzt ohne Steuerabzug bar aufs Konto. Ich brauche Ihnen wohl über die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis nichts zu erzählen, es liegt bei eins zu 140 Millionen.

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Nicht nur die Gewinnerin, auch die Lottogesellschaften freuen sich jetzt: In den kommenden Wochen dürfte die Zahl der Lottospieler und Spielerinnen deutlich ansteigen. Weil wir alle hoffen, wir könnten ja auch einmal Glück haben. Obwohl das mit recht großer Wahrscheinlichkeit nie passieren wird. Warum also hoffen wir trotzdem? Das ist völlig irrational.

Es kommen zwei Dinge zusammen.

Erstens: Der Mensch ist kein rein rationales Wesen. Wir wären es gerne, Rationalität ist seit der Beginn der Aufklärung ein erklärt erstrebenswertes Ziel. Es hält unsere Gesellschaft zusammen. Und doch entscheiden wir manche Dinge gegen jedes rationale Argument. Wir spielen Lotto.

Zweitens: Wir sind unglaublich schlecht darin, Zahlen einschätzen zu können, nicht nur beim Lotto. Ein schönes Gedankenexperiment, es wurde in ähnlicher Form im Jahr 1973 durchgeführt: Paul ist 28 Jahre alt, intelligent und hat sich als Student intensiv mit Fragen sozialer Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Und jetzt die Frage ans Publikum, was vermuten Sie? A) Paul ist Bankangestellter. B) Paul ist Bankangestellter und als Klimaschützer aktiv. Die Antwort ist simpel. Bei dem Experiment tippten knapp 85 Prozent der Teilnehmer auf Aussage B. Doch die mathematische Logik spricht dagegen: Da Aussage A von Aussage B eingeschlossen wird, kann die Wahrscheinlichkeit für B nicht größer sein als für Aussage A.

Beim Lotto ist es noch relativ einfach: Wir wissen, dass wir uns irrational Hoffnungen auf sechs Richtige ausrechnen. Und spielen trotzdem. Es geht ja auch um wenig.

Beim Corona-Virus ist das etwas anders. Es geht um viel. Unsere Gesundheit, um das Wohl unserer Nächsten und im schlimmsten Fall auch ums Überleben. Das macht vielen Menschen Angst. Wir versuchen deshalb, die Gefahr einer Ansteckung zu vermeiden. Eigentlich möchten wir sie ganz eliminieren. Aber geht das überhaupt?

Versuchen wir es mit Wahrscheinlichkeiten, mit dem Ansteckungsrisiko im öffentlichen Nahverkehr. In der Hauptstadt wohnen derzeit 3,769 Millionen Menschen. Bei derzeit 3.441 infizierten Berlinern (Stand gestern) kämen an öffentlichen Orten wie etwa dem öffentlichen Nahverkehr auf etwa 1.095 Gesunde ein Corona-Kranker. Doch die Rechnung stimmt nur, wenn diese täglich im Nahverkehr unterwegs wären. (Anmerkung: Die erste Berechnung an dieser Stelle wurde korrigiert.)

Wie hoch ist also die Wahrscheinlichkeit, direkt neben einem Infizierten zu stehen und sich tatsächlich anzustecken? Unmöglich, das auch nur näherungsweise zu beziffern.

Hier entsteht Raum für Unsicherheit: Sie werden sich diese Wahrscheinlichkeit jetzt optimistisch kleinrechnen oder angstvoll groß vorstellen. Weil sie nicht wissen, wie viele Infizierte den Nahverkehr nutzen, wie viele Fahrgäste in ihrer Umgebung stehen, wie gut Masken die Ansteckungsgefahr eliminieren. Kein Wissenschaftler wird ihnen eine definitive Antwort liefern.

Ähnliche Erfahrung haben Sie vielleicht mit der Corona-App gemacht. Da steht dann bei manchen: "1 Begegnung mit niedrigem Risiko". Weiße Schrift auf grünem Grund. Keine Panik, kann man dann im Internet nachlesen. Aber ein wenig infiziert fühlt man sich schon. Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen.

Das Glas ist also halb leer. Oder halb voll.

Wir tun uns nur schwer, mit solchen Unsicherheiten zu leben. Die Politik ist deshalb bemüht, in der Pandemie Antworten zu liefern. Uns ein Stück Unsicherheit zu nehmen. Doch die Protagonisten handeln auf Basis einer wackligen Faktenlage. Zu beneiden sind sie darum nicht.

Da geht eine Entscheidung auch schon mal daneben, wie das in der vergangenen Woche beschlossene Beherbergungsverbot. Es sah auf den ersten Blick aus wie ein guter Plan, die potenziell Infizierten aus den Risikogebieten fernzuhalten von allen anderen. Nun aber zweifeln Wissenschaftler, ob das Verbot die gewünschte Wirkung erzielt (etwa hier und hier). Die Wahrscheinlichkeit, dass Urlauber die Pandemie verbreiten, halten sie für sehr gering. Zudem: Einen negativen Corona-Test vorzuweisen, um reisen zu dürfen, erweist sich im Moment als völlig unpraktikabel. Die Testzentren sind überlastet, die Ergebnisse sind nicht rechtzeitig bei den Reisenden.

Und schon ist die Unsicherheit zurück.

Eine ganze Reihe von Ministerpräsidenten haben sich inzwischen deshalb distanziert, auch gegenüber unserer Redaktion. Selbst Markus Söders Koalitionspartner Hubert Aiwanger ließ sich gestern im ZDF zu der Aussage hinreißen: "Die Wirte und Hoteliers haben bewiesen, dass sie die Maßnahmen soweit aufgestellt haben, dass keine Infektionen dort weitergegeben wurden, vor diesen Hintergrund stellt sich die Frage, wo ist das Risiko?"

Am Mittwoch wird gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über das Beherbergungsverbot noch einmal verhandelt. Zum ersten Mal wieder persönlich im Kanzleramt.

Entscheidend dabei: Die Kanzlerin gilt als die personifizierte Rationalität in der Politik. Sie spielt vermutlich nicht Lotto.

Merkel hat es zu Beginn der Pandemie zeitweise geschafft, den Deutschen zu vermitteln, dass wir mit der Unsicherheit eine Zeit lang leben müssen. Wahrscheinlichkeiten kann man nicht eliminieren, nur verkleinern. Darum muss es in den nächsten entscheidenden Tagen gehen.


WAS STEHT AN?

Die Frankfurter Buchmesse findet ab heute Mittag ohne Publikum statt. Nur einen Tag vor der Eröffnung kam die Absage für die Besucher: "Angesichts steigender Infektionszahlen in Frankfurt am Main und bundesweit" habe man am Montag beschlossen, nur Autoren und Moderatoren zuzulassen, sagten die Veranstalter.

Direktor Juergen Boos hofft, per Livestream möglichst viele Menschen erreichen zu können. Es ist schon ein merkwürdiges Jahr: eine Buchmesse ohne Bücher (zumindest keine zum Anfassen). Das ist wie Kaffee ohne Sahne, hätte man früher gesagt.

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In Köln tritt die deutsche Nationalelf in der Nations League gegen die Schweiz an. Nicht erst seit den mageren Ergebnissen gegen die Türkei und die Ukraine ist das Interesse der Fußball-Fans auf dem Tiefpunkt.

Sie erinnern sich vielleicht: Nach dem Aus in der Gruppenphase der WM 2018 sollte es bei der Nationalmannschaft einen Neuanfang geben. Von einer Aufbruchstimmung ist seitdem wenig zu spüren. Im Gegenteil: Die Fans wenden sich vom DFB-Team ab. Das bestätigt auch eine repräsentative Umfrage, die t-online in Auftrag gegeben hat. Hier geht es zu den Ergebnissen.

Ich wünsche der Nationalmannschaft viel Erfolg. Es ist immerhin eine Weile her, seit wir das letzte Mal ein Spiel gegen die Schweiz gewonnen haben.


Noch drei Wochen bis zur US-Wahl. Erstmals seit seiner Corona-Erkrankung flog Donald Trump gestern Abend (bei uns in der Nacht auf Dienstag) wieder zu einer Wahlkampf-Veranstaltung. Es ging nach Sanford in Florida. Sein Herausforderer Joe Biden nennt das "verantwortungslos". Trump selbst behauptet, er sei genesen und gegen das Virus immun. Sein Leibarzt bescheinigt ihm das.

Und in Europa fragen wir uns: Kann Trump die Wahl noch gewinnen? Unser US-Korrespondent Fabian Reinbold hält es für möglich. Aus dem Büro in Washington hatte er am Wochenende per Video die Fragen der t-online-Leser beantwortet.


Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlicht am Nachmittag seine Prognose zur Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Vorhersage dürfte etwas weniger pessimistisch ausfallen als im Juni. Damals ging der IWF für 2020 von einem Rückgang um 4,9 Prozent aus. Der Konjunktureinbruch im zweiten Quartal sei jedoch weniger dramatisch gewesen als befürchtet, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa vergangene Woche.

Doch der IWF spürt bereits die zweite Welle. Die IWF-Chefin warnte: "Die globale Wirtschaft ist zurück aus den Tiefen der Krise, aber diese Katastrophe ist längst nicht vorbei." Die schwierige wirtschaftliche Erholung ab kommendem Jahr werde "langsam, ungleich, unsicher und anfällig für Rückfälle" sein. Im Juni hatte der IWF prognostiziert, dass die globale Wirtschaft 2021 wieder um 5,4 Prozent zulegen würde.


WAS LESEN?

Fast 200 Banken und Sparkassen erheben in Deutschland inzwischen Strafzinsen auf Giro- und Tagesgeldkonten. Doch ist das überhaupt legal? Mit dieser Frage beschäftigt sich an diesem Dienstag das Landgericht Leipzig. Warum das Urteil eine Signalwirkung für Sparer in ganz Deutschland haben könnte, erklären meine Kollegen Mauritius Kloft und Christine Holthoff.


Seit Jahren stehen in den Siegerlisten der großen Herrentennis-Turniere immer die gleichen Namen: Rafael Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer. Selbst mit Mitte bzw. Ende dreißig dominierten die drei nach Belieben – zuletzt bei den French Open, als sich Nadal und Djokovic ein Finale der Extraklasse lieferten. Der Spannung wird das allerdings auch in Zukunft nicht abträglich sein. Das meint zumindest der ehemalige Weltklassespieler Nicolas Kiefer. Im Interview mit meinem Kollegen David Digili erklärt Kiefer, warum es die neue Generation weiter schwer haben wird – und er sich Sorgen um Deutschlands Jungstar Alexander Zverev macht.


Immer mehr Labore kommen bei der Auswertung der Corona-Tests nicht mehr hinterher. Die Chancen auf ein schnelles Testergebnis schrumpfen. Was das für die Entwicklung der Pandemie in Deutschland bedeutet und welche Strategie Entlastung schaffen könnte, erklärt meine Kollegin Nicole Sagener.


WAS AMÜSIERT MICH?

Es gibt einfache Statistiken. Nur die Fallzahl sollte immer richtig gewählt sein.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den Tag. Morgen schreibt mein Kollege Florian Wichert an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

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