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Gegen das Coronavirus hilft jetzt eines: Resilienz


Meinung
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Was heute wichtig ist
Gegen das Coronavirus hilft jetzt eines: Resilienz

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 30.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Mitglieder der Nationalgarde von Puerto Rico bereiten sich darauf vor, ankommende Passagiere auf dem Flughafen auf Covid-19 zu untersuchen.Vergrößern des Bildes
Mitglieder der Nationalgarde von Puerto Rico bereiten sich darauf vor, ankommende Passagiere auf dem Flughafen auf Covid-19 zu untersuchen. (Quelle: dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms:

WAS WAR?

Die Nachrichtenmoderatoren wissen nicht mehr, wohin sie in diesen Tagen zuerst schalten sollen. Italien: mehr Tote als in China. Spanien: Das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Die USA: der höchste Anstieg aller Corona-Fälle weltweit. Brasilien: Ein Gericht verbietet dem Präsidenten Jair Bolsonaro, die Leute dazu aufzufordern, ihrem Alltag unverändert nachzugehen.

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Und Deutschland? Am Samstag, Auftritt des sonst so unsichtbaren Kanzleramtsministers Helge Braun: Nein, sagt er. Eine Lockerung der Maßnahmen vor dem 20. April werde es keinesfalls geben.

Die Ansage war an Deutlichkeit nicht zu überbieten.

Braun meldete sich aus gutem Grund zu Wort: Das politische Berlin diskutiert munter, wie lange die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus denn dauern könnten. Voran prescht - mal wieder - FDP-Chef Christian Lindner. Der hatte schon Mitte der Woche gesagt, die Isolation der Menschen könne kein Dauerzustand bleiben. Am Sonntag mahnte er dann, es brauche Pläne für die Zeit danach. "Je besser wir vorbereitet sind, desto schneller können wir das öffentliche Leben kontrolliert wieder hochfahren."

Was für ein Satz. Eine Selbstverständlichkeit, formuliert als politische Forderung.

Lindner versucht, uns das Gefühl zu vermitteln, er sei der Einzige, der an die Zeit nach der ersten Infektionswelle denkt. Vielleicht hat der FDP-Chef aber auch einfach nur ein wenig Zeitung gelesen. CDU-Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann hatte bereits Mitte der Woche gefordert: "Spätestens nach Ostern müssen wir unser Wirtschaftsleben wieder schrittweise hochfahren." Selbst der sonst so mahnende Gesundheitsminister Jens Spahn hatte sich mit den Worten zitieren lassen, man müsse öffentliches Leben auch in Zeiten der Epidemie wieder möglich machen. "Bis spätestens Ostern will ich darauf eine gute Antwort geben können." Damit war eigentlich alles gesagt.

Die Debatte zeigt vor allem eines: Wir alle sehnen uns nach Normalität. Nach Freiheit und wirtschaftlicher Stabilität. Im Moment vermitteln alle Nachrichten das Gegenteil. All das setzt uns unglaublich zu. Nur der FDP-Chef trifft (mal wieder) einen Ton, der klingt, als wolle er lediglich politisches Kapital schlagen.

Natürlich ist es geboten, Pläne für eine Gesellschaft nach der ersten Infektionswelle zu entwickeln. Im viel zitierten Nationalen Pandemieplan steht nichts dazu. Auch Zukunftsforscher tun sich in Talkshows und Interviews schwer, ein Bild der Nach-Corona-Welt zu entwerfen. Das Kanzleramt hat auch noch keinen Plan vorzuweisen.

Doch der Drang, unsere Zukunft zu kennen, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir noch eine Weile diese Unsicherheit durchstehen müssen. Auch wenn die Zeit des Homeschooling und Homeoffice vorbei ist, wird das Virus vieles verändern. Was das sein wird, kann noch niemand vorhersagen.

Sollen wir auf dem Bürgersteig gebührend Abstand halten? Werden wir im Supermarkt aufgefordert, bargeldlos zu zahlen? Werden die Menschen öffentliche Verkehrsmittel oder überfüllte Fußgängerzonen meiden? Werden wir nicht mehr ausgelassene Parties feiern können? Was wird aus Konzerten und Bundesliga-Spielen?

Dazu kommen die noch nicht absehbaren wirtschaftlichen Folgen, für Deutschland, Europa und die Welt.

Es geht im Moment nicht nur darum, "das öffentliche Leben schrittweise wieder hochzufahren". Es geht darum, die Zukunft nicht zu kennen. Wir erahnen erst, wie sie aussehen wird. Doch wie soll man sich auf etwas vorbereiten, wenn man gar nicht weiß, worauf? Klingt unmöglich. Ist es aber nicht.

Das Stichwort heißt: Resilienz.

In der Soziologie bezeichnet der Begriff die Fähigkeit von Gesellschaften, externe Störungen zu verkraften, Krisen zu überstehen. So hat zum Beispiel die Europäische Union nach der Finanzkrise 2009 das Währungssystem resilienter gestaltet (Stichwort: Euro-Rettungsschirm). Die Wirtschaftsmaßnahmen der Bundesregierung der vergangenen Tage folgen dem gleichen Ansatz: Die Unternehmen sollen in der Krise belastbarer werden. Egal wie groß der Schaden ist, das System soll ihn aushalten können. Auch unser Gesundheitssystem kann resilienter werden, wenn es flexibel auf viele neue Corona-Infizierte zu reagieren vermag. Es braucht allerdings Kapazitäten, die im Krisenfall aktiviert werden können.

Auch die Psychologie arbeitet mit dem Begriff Resilienz. Er bezeichnet dort die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Wir müssen mit äußeren Störungen umgehen lernen, sodass sie unserer psychischen Gesundheit weniger anhaben können. Resiliente Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie anpassungsfähig sind, belastbar, neugierig und voller Selbstvertrauen.

Kurz gesagt: Wenn wir auch einem fast leeren Glas noch etwas Positives abgewinnen können, sind wir resilient.

In vielerlei Hinsicht wird Resilienz in den kommenden Wochen überlebenswichtig. Für unsere Gesellschaft. Für uns ganz persönlich.

Vor dem Höhepunkt der Corona-Krise die baldige Lockerung der Maßnahmen zu fordern (wie der FDP-Chef), ist im Sinne der Resilienz nur eine Flucht vor der Realität. Es geht darum, nicht zu flüchten. Sondern möglichst flexibel, schlau, belastbar und voller Selbstvertrauen zu agieren.


WAS STEHT AN?

Das politische Berlin gleicht einer großen Videokonferenz: Am Vormittag tagen Präsidien und Bundesvorstände, versammelt vor Bildschirmen. Um 8.30 Uhr tagt das CDU-Präsidium, eine Stunde später die Grünen, die Linkspartei um 11 Uhr. Und so weiter. Die anschließenden Pressekonferenzen folgen im gleichen Modus.

Wie die Debatte auf Distanz den Diskurs unserer Demokratie verändert? Derzeit sind noch alle Parteien stolz, wenn technisch alles einigermaßen reibungslos funktioniert. Wenn Abstimmungen im Umlaufverfahren gefällt werden, Anträge erfolgreich im Intranet erscheinen und Positionspapiere in Echtzeit gemeinsam erarbeitet werden.

Doch persönliche Gespräche und politische Mehrheitsfindungen? Das klassische "Hinterzimmer" ist verwaist, die spontane Zusammenkunft am Rande einer Sitzung entfällt. Der politische Diskurs im Digitalen ist ein Zerrbild dessen, was er vor der Corona-Krise war.


In Bayern gibt es eine Vielzahl von neuen Bürgermeistern und Landräten. Weil nach der Kommunalwahl vor zwei Wochen Stichwahlen fällig wurden, haben die Bürgerinnen und Bürger nun per Briefwahl erneut abgestimmt. In München ist der alte OB der Neue: Dieter Reiter (SPD) kommt nach Hochrechnungen auf mehr als Zweidrittel der Stimmen. Eigentlicher Gewinner der Stichwahlen ist aber voraussichtlich Ministerpräsident Markus Söder: In vielen Städten und Gemeinden setzten sich CSU-Kandidaten durch - unter anderem in Nürnberg, Augsburg oder Bayreuth.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Die Corona-Pandemie betrifft die ganze Welt, deshalb müssen auch unterschiedliche Staaten darauf reagieren. Aber welches politische System meistert solch eine Krise am besten? Der Politikwissenschaftler Michael Zürn sagt zu Gast bei Ursula Weidenfeld im Podcast "Tonspur Wissen", es komme nicht so sehr auf die Staatsform an, sondern auf drei Dinge. Welche das sind, hören Sie in der neuen Ausgabe, die mein Kollege Marc Krüger online gebracht hat.

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Es war das Aufreger-Thema des Wochenendes: Mit Adidas, Deichmann, H&M, Saturn haben mehrere Großunternehmen angekündigt, wegen der Corona-Krise keine Miete mehr für ihre geschlossenen Ladengeschäfte zu zahlen. Gekündigt werden darf ihnen deshalb nicht, ein neues Gesetz verbietet es. Viele Menschen fragten sich, ob deren legales Verhalten auch legitim ist. In einem Pro & Kontra diskutierten darüber meine geschätzten Kollegen Mauritius Kloft und Florian Schmidt. Lesenswert.


"Der Himmel über Berlin" ist ein Filmklassiker. Der Himmel über Europa, Asien und der Welt ist momentan eher schlecht besucht. Reisebeschränkungen haben dem Luftverkehr den Garaus gemacht. Arno Wölk und Hanna Klein zeigen in einer Vorher-Nachher-Aufnahme den Unterschied in einem Animationsvideo.


Die Corona-Pandemie verbreitet sich mit rasanter Geschwindigkeit. Das Virus kennt keine Grenzen, deshalb muss es global bekämpft werden. Internationale Zusammenarbeit war selten so wichtig wie in diesen Tagen. Die derzeitige Katastrophe bringt deshalb neue Chancen, schreibt mein Kollege Patrick Diekmann in einem bemerkenswerten Essay.


Die USA sind jetzt Epizentrum der Coronavirus-Pandemie – und Donald Trump sorgt mit seinen Verharmlosungen für Entsetzen. Dahinter steckt ein Plan, schreibt mein Kollege Fabian Reinbold. Der könnte sogar aufgehen.


DIE GUTE NACHRICHT

Wenn die Resilienz einen Treibstoff braucht, dann findet sie ihn mit Sicherheit in der Hoffnung. Und auch in diesen Zeiten gibt es noch gute Nachrichten, die Hoffnung machen.

1. Die 95-jährige Gertrude Fatton macht mir Hoffnung. Die Schweizerin hat das Coronavirus überlebt. "Ich dachte nicht, dass ich bald sterben werde", sagt sie. Dabei leidet sie unter einer chronischen Bronchitis. Im Video-Interview erzählt sie, wie sie die Zeit gemeistert hat. Und wie sie jetzt wieder Kontakt zu ihren elf Urenkeln hält.

2. Jeder Einzelne von uns kann der Wissenschaft helfen, das Virus zu besiegen. Der Kollege Ali Vahid Roodsari hat die Geschichte aufgeschrieben: Indem wir die Rechenleistung unserer Computer zur Verfügung stellen, können wir helfen, Covid-Proteine zu simulieren. Für Kinder gibt es das auch als Computerspiel.

3. Einen Gottesdienst vor leeren Kirchenbänken wollte der Pfarrer der Gemeinde Achern in Baden-Württemberg nicht mehr halten. Deshalb hat Joachim Giesler seine Gemeindemitglieder aufgerufen, Porträtfotos zu schicken. Innerhalb einer Woche bekam er mehr als 200 Bilder. Die druckte er aus und befestigte sie an den Kirchenbänken. Den Gottesdienst streamte die Gemeinde live im Internet. Das spendet Trost und Hoffnung.


WAS AMÜSIERT MICH?

Trotz Coronavirus, das Lachen wird uns nicht vergehen.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Wochenstart. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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