Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Corona-Krise Das Kalkül hinter Trumps Plänen
Die USA sind jetzt Epizentrum der Corona-Pandemie – und Donald Trump sorgt mit seinen Verharmlosungen für Entsetzen. Dahinter steckt ein Plan, der sogar aufgehen könnte.
Guten Tag aus Washington,
wo man vor der neuen Realität immer schlechter die Augen verschließen kann. Die USA haben bei der Zahl der bekannten Coronavirus-Fälle nun sogar China überholt.
Wir sind jetzt trauriger Spitzenreiter, das neue Epizentrum der globalen Pandemie. New York City wird wohl das nächste Wuhan, das zweite Bergamo. Während ich diesen Satz in die Tastatur tippe, muss ich selbst ungläubig mit dem Kopf schütteln. Doch so wird es kommen:
New York wird der Ort sein, von dem uns die nächste Ladung an kaum fassbaren Bildern aus Krankenhäusern erreichen wird.
Das ist die Realität in den Vereinigten Staaten. Die eine.
Daneben gibt es noch eine andere. In der sieht man bereits "Licht am Ende Tunnels", dort würde jemand Schutzmaßnahmen am liebsten schon zum Osterfest aufheben, weil die Amerikaner schlichtweg nicht dafür gemacht seien, zu Hause zu sitzen. So einfach ist das. Willkommen in der Welt von Donald Trump.
Der Präsident redet die Pandemie auch im Moment der Eskalation klein, weil er die wirtschaftlichen Probleme klein halten will.
- Tagesanbruch: Die Ruhe vor dem Sturm
- Newsblog zur Coronakrise: Alle Informationen finden Sie hier
Wie kann er nur? Schließlich hat das, was der Präsident in diesen Tagen von sich gibt, ganz wenig mit der tatsächlichen Lage in New York, die Vorbote für andere Hotspots im Land sein dürfte, oder mit der Einschätzung der eigenen Gesundheitsexperten zu tun.
Und doch ist das alles ganz einfach: Trump kämpft um seine Zukunft. Er weiß, dass seine Wiederwahl jetzt von der Bewältigung der Corona-Krise und ihrer Folgen abhängen wird. Nicht vom Impeachment, nicht von seiner Grenzpolitik, es gilt nur noch Corona.
Das ist Trumps Grundgedanke bei den Einschätzungen, die er zur Coronavirus-Krise äußert, bei den Entscheidungen, die er trifft. Eine anhaltende Wirtschaftskrise würde ihm sein bestes Argument für die Wiederwahl verhageln. Deshalb schaut er stärker auf die Wirtschafts- statt auf die Gesundheitskrise und beurteilt alles danach, was es für seine Stellung bedeutet.
Das klingt Ihnen zu zynisch?
Warum sagte der Präsident dann, er wolle keine Passagiere von Bord eines Kreuzfahrtschiffes mit Corona-Verdächtigen lassen, weil er "glücklich mit den aktuellen Fallzahlen" im Land sei?
Warum behauptete er vor einem Monat, die Fallzahlen seien bald wieder bei Null?
Warum log er am 6. März: "Jeder, der sich testen lassen will, kann das tun", während die ganze Welt um den eklatanten Mangel an Tests weiß?
Warum reagierte er am Freitag auf die Frage eines respektierten Kollegen vom Sender NBC, was seine Botschaft an jene Amerikaner sei, die Angst hätten so: "Ich würde sagen, dass Sie ein furchtbarer Reporter sind!" Die Frage sei "gemein".
Natürlich: Die Sorgen um den wirtschaftlichen Absturz sind berechtigt und groß. Und doch zeigt Trumps Plan, Teile des Landes zum Entsetzen der Experten wieder zu öffnen, nur, dass es noch zynischer geht.
Ich sehe es so: Trump glaubt nicht einmal daran, dass dies zu Ostern gelingt. Aber das ist auch egal. Es genügt ihm schon, wenn er als derjenige dasteht, der diese Öffnung gefordert hat, um Schaden von der Wirtschaft abzuwenden. Wenn dann die Gouverneure der betroffenen Staaten aufgrund der tatsächlichen Lage die Ausgangssperren doch aufrechterhalten – denn letztlich haben sie und nicht Trump die Kompetenz dazu – stehen sie dafür in der Verantwortung und nicht der Präsident. Frei nach dem wahlkampftauglichen Motto: ICH wollte die Wirtschaft ja retten….
Genau deshalb sind Trumps tägliche Corona-Krisen-Briefings im Weißen Haus in Wahrheit gar keine Corona-Krisen-Briefings, sondern Wahlkampf.
Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Sie sind Ersatz für seine heiß geliebten, heftig vermissten Massenkundgebungen, die derzeit abgesagt sind. Bei seinem kurzen Auftritt am Mittwoch etwa teilte Trump vor allem gegen jene aus, die er als die wahren Gegner identifizierte: Die EU, die "Spielchen mit uns treibt", die Verbündeten, die einen ausnutzten, und natürlich die Medien, die nur eines verhindern wollten: Ja, genau, seine Wiederwahl. Ein Krisenbriefing? Nein, ganz sicher nicht.
Und wenn Sie es noch zynischer verkraften: Das Ganze könnte sogar funktionieren. Denn Trump nutzt diese Bühne, die er nun allabendlich bekommt, live von den Fernsehsendern zur prime time übertragen. Die Bürger schalten ein, die Scheinwerfer sind auf den Mann gerichtet, der den Krisenmananger zumindest spielt. Da winkt der altbekannte Effekt, dass sich Amerikaner in Krisenzeiten hinter ihrem Commander-in-chief versammeln.
Die Umfragen zeigen derweil, dass die Anhänger der Republikaner, die überproportional auf dem Land leben, weniger über das Coronavirus besorgt sind als Wähler der Demokraten. Sie verraten auch, dass Trumps Krisenmanagement bei einer knappen Mehrheit der Bürger gut ankommt. In diesem Sinne macht Trump das Beste aus der Krise: Vielleicht nicht für die Amerikaner, aber ganz sicher für sich selbst.