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Coronavirus-Krise: Ketten zahlen keine Miete — "Ein Armutszeugnis"


Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

Ketten zahlen keine Miete
"Ein Armutszeugnis für das deutsche Unternehmertum"


Aktualisiert am 27.03.2020Lesedauer: 1 Min.
Ein geschlossener Adidas-Store: Sollte Adidas in der Corona-Krise keine Mieten mehr zahlen?Vergrößern des Bildes
Ein geschlossener Adidas-Store: Sollte Adidas in der Corona-Krise keine Mieten mehr zahlen? (Quelle: Kai Pfaffenbach/reuters)

Ein neues Gesetz erlaubt es Händlern, ihre Miete zu stunden, ohne dass ihnen eine Kündigung droht. Auch große Ketten wie Adidas, H&M und Deichmann machen davon Gebrauch. Doch sollte das auch so sein?

Um dem Einzelhandel in der Corona-Krise zu helfen, hat die Bundesregierung ein Gesetz erlassen, dass Mietern nicht mehr gekündigt werden darf, wenn sie ihre Miete nicht bezahlen. Jetzt haben sich Adidas, H&M und Deichmann gemeldet: Sie wollen ihre Mieten zeitweise nicht mehr bezahlen – vorsorglich.

So heißt es etwa von Adidas auf t-online.de-Anfrage: "Es ist richtig, dass Adidas, wie viele andere Unternehmen auch, vorsorglich Mietzahlungen temporär aussetzt wo unsere Läden geschlossen sind. Wir sind dazu mit den betreffenden Vermietern in engem Austausch."

Doch sollte das so sein? Ist es in Ordnung, dass Großkonzerne ihre Mieten in der Corona-Krise stunden?

Pro
Florian Schmidt
Florian SchmidtLeiter Hauptstadtbüro

Ja, die Konzerne haben eine Verantwortung für ihre Mitarbeiter

Dieser Aufschrei kam mit Ansage. Ja, es stimmt: Moralisch ist es fraglich, wenn große Konzerne und Ketten wie Adidas, Deichmann und H&M nun für ihre geschlossenen Läden keine Mieten mehr zahlen, obwohl sie es sich auf den ersten Blick leisten könnten. Genauso richtig ist aber die Frage: Warum sollten sie?

Schuld an all dem ist – wie so oft – die Politik. Per Gesetz hat der Bundestag nicht nur privaten Mietern, sondern auch Unternehmen mit Geschäftsräumen zugestanden, dass ihnen bis September nicht gekündigt werden darf, wenn sie in der Corona-Krise ihre Miete stunden. Was der Gesetzgeber dabei versäumt hat, ist es Ausnahmen zu bestimmen und Spezifizierungen vorzunehmen.

Natürlich hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier hier primär kleinere Geschäfte im Blick, inhabergeführte Bekleidungsläden, Schuster, Frisöre. Dass auch Ketten mit genügend Rücklagen davon Gebrauch machen könnten, um ihre Mietzahlungen für Stores in Einkaufszentren und Fußgängerzonen auszusetzen, hatte wohl niemand auf dem Schirm.

Für die Vermieter rächt sich das jetzt. Für die Mieter aber heißt es: Vor dem Gesetz sind alle gleich. So unverschämt der Schritt zunächst erscheinen mag, auch für finanziell potente Konzerne gilt: Sie müssen seriös wirtschaften, sie sind dem eigenen Erfolg verpflichtet – nicht zuletzt zum Wohle ihrer Tausenden Mitarbeiter. Ihnen gilt ihre größte Verantwortung. Und nicht den Vermietern, die sie durch das Stunden der Miete in Bedrängnis bringen.

Wenn Deichmann, Adidas oder H&M die Möglichkeit des neuen Gesetzes nun nutzen, ist das nur recht und billig. Sie sparen dadurch große Summen Geld; Kosten, die sich nicht an anderer Stelle einsparen müssen – zum Beispiel beim Personal. Denn trotz finanzieller Polster müssen auch Konzerne ihre Planungen anpassen, wenn ihnen das Geld an anderer Stelle fehlt. Überspitzt gesagt: Wer jetzt fordert, dass die Konzerne aus Großzügigkeit Mieten für geschlossene Läden fortzahlen sollten, nimmt mögliche Entlassungen in Kauf.

Kontra
Mauritius KloftRessortleiter Politik und Wirtschaft

Nein, das ist ein Armutszeugnis für Traditionsunternehmen

Ökonomisch ist der Schritt sinnvoll. Dass Adidas, H&M und Deichmann für ihre Geschäfte jetzt keine Miete mehr zahlen, spart ihnen kurzfristig viel Geld. Langfristig aber könnte der Schaden immens sein – vor allem für ihr Image.

Sicher, es war die Bundesregierung, die es ausnahmslos allen Unternehmen ermöglicht hat, Mieten für Geschäfte zu stunden, ohne dass es eine Kündigung geben darf. Doch war das Gesetz auch für Großkonzerne gedacht? Wohl kaum. Scholz, Altmaier und Co. hatten nicht primär die riesigen Konzerne im Sinn. Das Gesetz sollte den Kleinen helfen, dem Laden auf dem Dorf, dem Nagelstudio um die Ecke, der Pizzeria im Kiez. Also allen, die Angst haben mussten, dass ihnen eine Kündigung in den Briefkasten flattert – weil sie keine Miete mehr bezahlen. Weil sie es wirklich nicht können.

Anders bei Adidas und Co.: Die Krise setzt auch ihnen zu, klar. Doch sie können die Mietkosten durchaus stemmen. Denn ihre Rücklagen gehen in die Milliarden. Allein Adidas hatte zum ersten Halbjahr 2019 Gewinnrücklagen von mehr als sechs Milliarden Euro auf der hohen Kante.

Dennoch dauerte es keine Woche, bis die großen Unternehmen auf dem nächsten Baum waren. Das wirft kein gutes Licht auf die Konzerne.

Adidas-Chef Kaspar Rorsted hat angekündigt, auf die Hälfte seines April-Gehalts zu verzichten. Immerhin, ein erster Schritt. Langfristig lassen sich zwar auch damit nicht die gesamten Mietkosten für geschlossene Läden kompensieren. Durch den gänzlichen Verzicht in den nächsten Monaten aber würde er ein wichtiges Signal senden. Ein Signal, das man erwartet hätte von einem deutschen Traditionskonzern.

Für das deutsche Unternehmertum sind die Mietstundungen von Adidas, Deichmann und Co. mehr als ein Armutszeugnis. Auf Tugenden, die in Deutschland zählen, so scheint es, ist kein Verlass mehr.

Was denken Sie – ist es in Ordnung, dass große Ketten ihre Miete jetzt stunden?

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