Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was heute Morgen wichtig ist

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
seit 16 Monaten schenken Sie mir an jedem Werktagmorgen ein bisschen Ihrer Zeit. Viele von Ihnen erfreuen mich und meine Kollegen mit Lob und Kritik, humorvollen E-Mails, klugen Anmerkungen im Kommentarforum. Dafür und für Ihre Treue: Ganz herzlichen Dank! Es ist eine Ehre, für Sie schreiben zu dürfen.
Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Narzissten können nicht mit anderen Menschen im Team zusammenarbeiten, heißt es. Sie hassen es, wenn jemand ihre Ansichten und Entscheidungen infrage stellt, sie fühlen sich durch Kompetenz bedroht. Insofern ist es nur konsequent, dass US-Verteidigungsminister James Mattis nun seinen Posten in der Regierung des mächtigsten Narzissten der Welt räumt. Der wievielte Rücktritt/Rauswurf/Rausirgendwas ist das noch gleich? Gefühlt der fünfundzwanzigste. Man könnte lachen, wäre es nicht so ernst: Es gibt immer weniger Menschen, die dem mächtigsten Mann im Zweifel in den Arm fallen können, wenn er an der Weltpolitik zündelt. Als Erste treffen die Folgen nun wohl die Syrer.
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Viele Tage hat das Jahr nicht mehr, es weihnachtet sehr, da stockt der Verkehr: Wir hocken in proppenvollen Zügen, kämpfen uns durch überfüllte Flughäfen, erhaschen beim Blick aufs Smartphone die Nachricht: Warnung am Airport Stuttgart! Zwei mutmaßliche Islamisten, ein Vater und sein Sohn, sollen das Gelände und den Terminal fotografiert haben, mindestens einer der beiden gilt als Gefährder. Damit nicht genug: Nach dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt wurden die beiden bereits auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle gesichtet, auch dort verhielten sie sich verdächtig. Das reicht, um die Sicherheitsbehörden zu alarmieren. Die Polizei in Baden-Württemberg gründet eine Ermittlungsgruppe, die Bundespolizei verstärkt ihre Kontrollen an allen Flughäfen. Nach und nach tröpfeln immer mehr Details in unsere Köpfe: noch mehr Verdächtige, Chatprotokolle, "Sie führen Krieg gegen den Islam, meine Brüder und ich sind hier, um sie zu bekämpfen", soll einer der Verdächtigen gedroht haben.
Ein Satz wie ein Eiszapfen; ein Satz, der uns verunsichert: Können wir noch sicher reisen, unbesorgt im Duty-Free-Laden einkaufen, in der Wartehalle mit unseren Kindern Brause trinken? Was ist mit Bahnhöfen, Marktplätzen, Fußgängerzonen, sind die noch sicher? Wenn wir beginnen, aus Angst unser Leben in der Öffentlichkeit einzuschränken, haben die Terroristen schon gewonnen, heißt es. Ich selbst habe diesen Satz so ähnlich schon geschrieben. Wir dürfen nicht klein beigeben, wir müssen unsere offene Gesellschaft verteidigen, und dazu gehört auch, dass wir hierzulande reisen, wohin wir wollen.
Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings noch ein zweiter Gedanke: Die Verunsicherung, bei manchen auch die Angst, bleiben natürlich trotzdem. Und die Hoffnung, nein: die Erwartung, dass die Sicherheitsbehörden alles, wirklich alles tun, um jeden Anschlag zu verhindern, jeden Gefährder zu überwachen, jedes Risiko zu tilgen. Vollständige Sicherheit wird es nie geben, aber das Vertrauen, dass alles Menschenmögliche getan wird, um Terroristen das perfide Handwerk zu legen: Das wollen wir haben.
Kürzlich diskutierten wir im Audio-Tagesanbruch am Wochenende darüber, dass die Sicherheitsbehörden in Europa, aber auch in den verschiedenen Bundesländern, sich viel besser vernetzen müssen. Das bewies der Hergang der Anschläge auf die Weihnachtsmärkte in Berlin und in Straßburg. Dort fehlte es an Koordination, Absprache, Verantwortung. Nun erfahren wir: Vor der jetzigen Warnung am Stuttgarter Flughafen gab es einen Hinweis des marokkanischen Geheimdienstes, über den die deutsche und die französische Polizei sich eng abstimmten. So muss es laufen, genau das erwarten wir von den Behörden, denken wir. Und sind gleich ein kleines bisschen weniger verunsichert.
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WAS STEHT AN?
Es war ein wildes Jahr. Aber was war eigentlich am wildesten? Herrn Trumps Auftritt beim G7-Gipfel in Kanada? Herrn Trumps Clinch mit einem Journalisten während einer Pressekonferenz? Herrn Trumps Rauswürfe? Moment! Es gab ja auch noch Herrn Seehofer! Auch ziemlich wild. Sie erinnern sich: Im Sommer bestand der CSU-Boss darauf, Frau Merkel zu zeigen, was ‘ne Harke ist. Streitpunkt in seinem "Masterplan Migration" war nur ein einziger der 63 Punkte: Seehofer wollte partout Asylbewerber an der Grenze zu Österreich zurückweisen, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Merkel bestand dagegen auf einer abgestimmten Lösung mit den EU-Partnern. Der Streit sprengte fast die große Koalition, die in diesen Wochen, sehr, sehr klein aussah. Die Bürger staunten erst, wie die Herrschaften in Berlin einander wild durch die Manege jagten, dann wandten sich immer mehr ab und stellten CDU, CSU und SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen in den Senkel. Am Ende rangen die Koalitionäre sich zu einem Kompromiss durch, aber Angela Merkel trat trotzdem als CDU-Vorsitzende ab, Friedrich Merz tauchte aus der Versenkung auf, fand aber in Annegret Kramp-Karrenbauer seine Meisterin und …
Entschuldigung, ich drifte ab. Erinnern Sie ja alles. Worauf ich hinaus möchte: Der formale Kern des ganzen Schlamassels war Seehofers Forderung, dass Deutschland unbedingt!, partout!, auf jeden Fall! all die registrierten Asylbewerber an der Grenze zu Österreich aufhalten und sofort zurückschicken müsse. All die …? Na ja. Schauen wir mal genauer hin, wie viele das nun wirklich geworden sind. Mein Kollege Johannes Bebermeier hat genau das getan. Die Zahl lautet: vier. Jawohl, vier. Vier Menschen wurden auf Grundlage des Koalitionskompromisses von Juli bis Ende November an der Grenze zurückgewiesen.
Was ist die Moral von der Geschicht? Die waren nicht ganz dicht. Vergaßen ihre Pflicht. Na ja, am 19. Januar endet Seehofers Schicht.
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Schicht im Schacht ist heute auch in Bottrop. Und Bergmann Horst Rudnik weiß ganz genau, was das bedeutet. Schon sein Vater fuhr unter Tage, sein Großvater dito. Er selbst tat es 42 Jahre lang. Familien wie die Rudniks haben im Ruhrgebiet eine Ära geprägt. Wenn heute mit der Zeche Prosper-Haniel das letzte Steinkohlebergwerk Deutschlands stillgelegt wird und Bundespräsident Steinmeier das letzte geförderte Stück Kohle überreicht bekommt, geht diese Zeit endgültig zu Ende.
Doch die Kohle-Vergangenheit steckt immer noch tief in der Region. Sei es durch die gemeinsame Sprache, vom Bergbau geprägt, sei es durch die alten Industrieanlagen, die heute im neuen Glanz erstrahlen, sei es durch Bergbauschäden, die Familien aus ihren Häusern treiben. Grund genug für meinen Kollegen Daniel Schreckenberg, ein emphatisches Porträt seiner Heimat zu schreiben, das ich Ihnen heute ans Herz legen möchte.
Wenn Sie damit fertig sind, nehme ich Sie mit in die Vergangenheit und übergebe Sie dort an unseren Kriminalreporter Dietmar Seher. Er erzählt Ihnen, wie der Nazi-Gauleiter Albert Hoffmann im Jahr 1945, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, die Ermordung von rund 30.000 Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen plante: Eingemauert in Bergwerksschächten in Dortmund sollten die wehrlosen Menschen verrecken. Was aus dem perfiden Plan wurde, erfahren Sie hier.
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Drohnen sind ein nettes Spielzeug. Aber Drohnen über Flughäfen sind gar nicht nett. Dann können sie nämlich Stillstand und ein Verkehrschaos auslösen. So wie jetzt in London-Gatwick: Hunderte Flugzeuge müssen am Boden bleiben oder werden umgeleitet, mindestens 70.000 Menschen saßen gestern fest. Heute werden dort 115.000 Reisende erwartet, morgen 126.000. Eigentlich. Aber die meisten werden wohl nicht abfliegen oder landen können. Wegen ein paar Drohnen.
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WAS LESEN?
Viel wurde geschrieben über den "Spiegel"-Reporter, der seine Geschichten erfand. Über seine Vorgesetzten, Kollegen und Dokumentare, die den Betrug nicht sahen. Über den Umgang des Magazins mit der Schmach. So viel, dass man meinen könnte, Journalisten interessierten sich am allermeisten nicht für die Welt da draußen, sondern für ihresgleichen. Erschütternd der ganze Fall, schon richtig. Beschädigt die Glaubwürdigkeit unseres Berufs, auch das. Muss akribisch aufgearbeitet werden und womöglich zu neuen Arbeitsstandards führen, jawohl. Aber im Vergleich zu den Missetaten in der Wirtschaft, der Politik, im Sport relativiert sich das Ganze dann doch ein kleines bisschen. Es geht um ein schwarzes Schaf unter vielen, vielen weißen. Vielleicht muss man gerade jetzt einfach mal festhalten: Der deutsche Journalismus war noch nie so facettenreich und so gut wie heute. Wir lassen uns unseren Ruf nicht von einem Betrüger zerstören. Aber wir hinterfragen unsere Arbeit selbstverständlich. Damit Sie sich nicht durch all die Texte zum Thema wühlen müssen, habe ich Ihnen drei herausgesucht: Hier erzählt der Reporter Juan Moreno, den ich aus gemeinsamer Zeit bei der "Süddeutschen Zeitung" als gewissenhaften Kollegen schätze, wie er dem "Spiegel"-Kollegen auf die Schliche kam. Hier berichten Einwohner des amerikanischen Ortes Fergus Falls in Minnesota, wie der "Spiegel"-Mann bei seinem Einsatz vor Ort die Fakten verbog. Und hier macht sich unser Parlamentsreporter Jonas Schaible grundsätzliche Gedanken über die Rolle von Geschichten im Journalismus.
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Die Norwegerin Ada Hegerberg sorgte kürzlich für Schlagzeilen, weil sie als erste Fußballerin mit dem Ballon d’Or ausgezeichnet wurde – und der Moderator ihr während der Preisvergabe auf der Bühne einen sexistischen Spruch an den Kopf warf. Die Geschichte ging um die Welt. Aber die viel bessere Geschichte erzählt Hegerberg jetzt selbst.
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Lassen Sie uns eine kurze Zeitreise unternehmen: Wissen Sie noch, was Sie am 4. Februar 2007 gemacht haben? Womöglich zählten Sie zu den mehr als 16 Millionen Deutschen, die an diesem Tag das Finale der Handball-WM im Fernsehen verfolgten. Beim "Wintermärchen" holte Deutschland in Köln gegen Polen den Titel – und Pascal Hens war mittendrin. "Pommes", wie der Mann mit der lustigen Frisur genannt wird, hat sich im Gespräch mit meinen Kollegen Arno Wölk, Martin Trotz und Benjamin Zurmühl an die einzigartige Nacht erinnert. Warum? Weil schon in wenigen Wochen die nächste Heim-WM auf die deutschen Handballer wartet. Da können sie den Fußballern mal zeigen, wo der Hammer hängt, findet Herr Hens. Finde ich auch.
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WAS AMÜSIERT MICH?
Weihnachten ist das Fest der Liebe. Der Nächstenliebe. Ein Fest des Gebens. Und übrigens auch des Nehmens. Speziell beim Nehmen muss man sich auch nicht unbedingt stören lassen. Zum Beispiel von irgend so einem armen Hund, dem man gerade, nun ja, kräftig etwas nimmt. Den Protest einfach abperlen lassen! Und weiterfuttern, mit katzenhafter Grazie. Die Loser haben eben Pech beim festlichen Bankett. Aber wissen Sie was? Das Weihnachtsgeschenk – ich finde, das geht diesmal an den Hund.
Ich wünsche Ihnen einen liebevollen Freitag und dann ein ebensolches Adventswochenende. Wenn Sie mögen, können Sie ab morgen früh hier den letzten Tagesanbruch des Jahres anhören. Anschließend verabschiede ich mich in die Pause und bin erst am Montag, den 7. Januar, wieder für Sie da. Genießen Sie die Festtage und kommen Sie wohlbehalten ins neue Jahr!
Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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