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Tagesanbruch: Der Tod kommt aus Düsseldorf und Hartz IV mal ganz anders gedacht


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.12.2018Lesedauer: 7 Min.
Rheinmetall-Chef Armin PappbergerVergrößern des Bildes
Rheinmetall-Chef Armin Pappberger (Quelle: Fabrizio Bensch/Reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

in den vergangenen 24 Stunden haben mich so viele Zuschriften erreicht wie selten zuvor. Überwältigend. Als Ergebnis nehme ich mit: Die Mehrheit der Tagesanbruch-Abonnenten wünscht sich ausdrücklich nicht nur eine detaillierte, sondern auch eine kritische Berichterstattung über die Themen in Deutschland und der Welt. Wenn ich Sie nun noch zu einem weiteren Punkt um Ihre Meinung bitten darf, helfen Sie mir sehr: Ist der Tagesanbruch zu kurz, zu lang oder gerade richtig? Bitte stimmen Sie hier ab. Herzlichen Dank!

Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Sie sehen: eine italienische Gaststätte wie Tausende andere. Sie heißt "Osteria" und steht im nordrhein-westfälischen Pulheim, aber sie könnte auch "Pizzeria Sowienoch" oder "Ristorante xyz" heißen, so gewöhnlich sieht sie aus. Ist sie aber nicht. Polizisten haben das Lokal gestern Morgen gestürmt und den Wirt festgenommen. Er soll Mitglied in einer "kriminellen Organisation" und am "Kokainhandel in sehr, sehr umfangreichem Maße" beteiligt sein. Gleichzeitig schlugen Ermittler in Duisburg und Viersen, in Italien, Belgien und den Niederlanden zu, verhafteten 84 weitere Personen, durchsuchten mehr als 100 Immobilien. Eine der größten Polizeiaktionen gegen die organisierte Kriminalität, die es in unseren Breiten je gegeben hat.

"Kriminelle Organisation" ist allerdings eine zu harmlose Beschreibung für die Truppe im Fokus der Fahnder. Italienische Staatsanwälte nennen sie "die gefährlichste Organisation der Welt": Die in bis zu 400 Untergruppen verzweigte ’Ndrangheta aus Kalabrien soll allein in Deutschland rund 600 Mitglieder zählen. Sie verdienen ihr schmutziges Geld mit Schutzgelderpressung, Prostitution, illegalem Autohandel und vor allem Drogen-Deals, die bis nach Mexiko reichen. So tragen sie zum geschätzten Jahresumsatz der ’Ndrangheta von 53 Milliarden Euro bei – pro Jahr. Das Geld waschen sie, indem sie Hotels betreiben, Immobilienprojekte entwickeln, ganze Straßenzüge aufkaufen und vermieten. Nicht irgendwo in Süditalien, sondern hier bei uns. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gelten als Hochburgen der Paten.

Die Mafia ist eine große Gefahr für unsere Demokratie, weil sie Teile der Gesellschaft unterwandert. Sage nicht ich, sagen Ermittler. Und sagt Roberto Saviano, einer der besten Mafia-Kenner, der in seinem Buch "Gomorrha" präzise beschrieben hat, wie die Gangster ihre Geschäfte abwickeln und ihre Macht Schritt für Schritt ausweiten. Meistens unbehelligt. Weil sie sich exzellente Anwälte leisten können, weil sie ihre Machenschaften verschleiern, weil sie sich auf die Omertà verlassen können, das Gesetz des Schweigens.

Kürzlich fragte ich den Wirt meines Stammitalieners, bei dem ich abends vor der Tagesanbruch-Pflicht zu sitzen pflege, wie das denn mit der Mafia sei. "Mafia? Gibt es hier nicht", murmelte er und wandte sich schnell wieder seinen Kochtöpfen zu. "Ich bin ja nur ein kleines Licht." Ich mag diesen Mann, ich habe mich schon oft und gut mit ihm unterhalten – aber bei diesem Thema erstirbt das Gespräch. Ich ahne: Vielleicht liegt das nicht daran, dass er dazu nichts zu sagen hätte, sondern daran, dass er sich nichts zu sagen traut. Ich kann es ihm nicht verdenken. Unser Kriminalreporter Dietmar Seher hat beschrieben, wie die Mafiosi italienische Gastwirte einschüchtern: "Denk an Duisburg!" Drei gezischte Worte reichen, um dem Betreiber einer Osteria, Pizzeria oder eines Ristorante klarzumachen, wer das Sagen hat. Unvergessen, wie Killer der ’Ndrangheta vor elf Jahren in einem Duisburger Restaurant sechs Männer erschossen.

Nun mögen Sie vielleicht denken: Schlimm, ja, aber solange die unter sich bleiben, ficht mich das nicht an. Dann erlauben Sie mir bitte, Ihnen zu widersprechen. Erstens kann es unser Rechtsstaat natürlich nicht tolerieren, dass Verbrecher vor unserer Nase unbehelligt ihr Unwesen treiben. Zweitens: Falls Sie ebenso gern beim Italiener speisen wie ich, dürfte Sie die neueste Geschäftsmethode der ’Ndrangheta interessieren. Sie panschen systematisch Lebensmittel – Wein, Salami, Schinken, Mozzarella, Balsamico, Olivenöl – und zwingen Gastwirte, diese abzunehmen und zu verarbeiten. Als ich die Details im Artikel unseres Reporters gelesen habe, ist mir, offen gestanden, ein bisschen schlecht geworden.

Das sollte nun nicht dazu führen, dass Sie oder ich künftig italienische Lokale meiden. Die allermeisten Wirte sind selbstverständlich rechtschaffene Bürger, die hart für ihr Geld arbeiten und uns mit lukullischen Genüssen und südländischer Lebensart erfreuen. Ich habe mir aber Folgendes vorgenommen: Beim nächsten Plausch mit meinem Stammwirt werde ich ihm einfach mal sagen, dass ich alle Menschen bewundere, die sich nicht von Gangstern gängeln lassen. Die den Mut haben, zur Polizei zu gehen, wenn sie Besuch von Mafiosi bekommen. Das mag naiv sein. Das mag wie ein Rufer in der Wüste klingen. Aber wenn es mir ein paar andere Gäste gleichtun, fühlt sich mein Wirt vielleicht nicht mehr ganz so klein.

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Die Verbindungen der ’Ndrangheta reichen bis nach Mexiko, schrieb ich oben. Mexiko? Ja, das schillernde Urlaubsziel, wo am Strand die Wellen locken und im Dschungel die Tempel der Maya. Mexiko ist aber zugleich ein mörderisches Land, in dem Drogen-Gangs die enthaupteten Leichen ihrer Feinde in Massengräber kippen, Polizei und Politik von Kriminellen durchsetzt sind und man in manchen Städten schon beim Gang zum Einkaufen sein Leben riskiert. Passt nicht zusammen? Und ist doch beides wahr. Diejenigen, die in Mexiko nicht nur zum Kurzbesuch sind und an Korruption und Gesetzlosigkeit inzwischen verzweifeln, haben ihren alten Präsidenten aus dem Amt gejagt und an der Urne einen radikalen Neuanfang gewählt. Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, hat im Sommer einen erdrutschartigen Sieg errungen, am Samstag sein Amt als neuer Staatschef angetreten – und gestern klargestellt: Er will alles anders machen. Der Präsidentenpalast? Soll nicht sein Amtssitz sein. Das Präsidentengehalt? Wird gekürzt. Die Präsidentenmaschine? Bitte verkaufen, er fliegt Linie. Die Straffreiheit des Präsidenten? Will er aufheben lassen. Starke Gesten eines linken Populisten. Symbolpolitik kann er also.

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Der neue Präsident hat sich schon zu Zeiten, als er noch Bürgermeister von Mexico City war, als pragmatisch und kompetent erwiesen. Aber sein Plan zur Bekämpfung von Gewalt und Korruption überzeugt nun längst nicht jeden. Ohne Zweifel gedenkt er den schwächelnden Zentralstaat zu stärken – weniger gut steht es bislang um die Stärkung der Demokratie. Eine Flut von Reformen will er lostreten, nichts Geringeres als eine Transformation Mexikos. An deren Ende, so die Hoffnung, könnte eine gelungene Sozialreform stehen und ein Sieg über die Gewalt. Oder eine Regierung, die mit Volksabstimmungen populistische Politik macht und sich um das Parlament nicht mehr schert. Die der neoliberalen Kleptokratie erst das Handwerk legt und sie dann durch eine sozialistische Kleptokratie ersetzt. Passt nicht zusammen? Natürlich nicht. Mexiko ist ein schillerndes Land, wo am Strand die Wellen locken und ein paar Kilometer weiter die Massengräber der Drogen-Gangs warten.

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WAS STEHT AN?

Ich habe nicht mitgezählt, aber die Zahl der Tagesanbruch-Ausgaben, in denen der Konflikt im Jemen thematisiert wurde, dürfte zweistellig sein – ebenso wie die Klage über den brutalen Zynismus Saudi-Arabiens und des Iran, die sich in dem bitterarmen Land auf Kosten der Zivilbevölkerung einen Stellvertreterkrieg liefern. Das Leid schreit zum Himmel, seit Jahren schon, aber in den Hauptstädten dieser Welt wurde es kaum gehört. Aktivisten einer Hilfsorganisation haben mir neulich neue Fotos aus dem Jemen gezeigt. Ich erspare Sie Ihnen hier, weil ich denke, dass Sie mir auch so glauben, wenn ich notiere: Es ist unfassbar, dass einer der Anstifter dieses Verbrechens, der saudische Kronprinz, sich scherzend im Kreis der G20-Regierungschefs tummeln darf. Und es ist ebenso unfassbar, dass die deutsche Firma Rheinmetall trotz des von der Bundesregierung verhängten Rüstungsexport-Stopps den saudischen Kriegstreibern offenbar über Tochterfirmen weiterhin Munition liefert. So lautet übrigens die Anschrift des Unternehmens:

RHEINMETALL AG
Postfach 10 42 61
40033 Düsseldorf

Heute sollen in Stockholm endlich Friedensgespräche für den Jemen beginnen. Ob sie rasch Erfolge bringen? Solange Menschen wie Herr Salman in der Region das Sagen haben und Firmen wie Rheinmetall vom Tod prächtig profitieren, bleibe ich skeptisch.

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Die Kultusminister der Bundesländer wollen heute auf ihrer Konferenz in Berlin versuchen, den Digitalpakt für Schulen doch noch zu retten. Der Bund spendiert viel Geld – aber Hessen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Sachsen möchten verhindern, dass dabei zugleich ihre Hoheit über die Bildungspolitik beschnitten wird. Schwieriges Thema. Einerseits halte ich den chaotischen Bildungsföderalismus für eines der größten Übel hierzulande. Andererseits verstehe ich jeden Bayer, Württemberger und Sachsen, der sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dass seine Kinder mit luschigen Lehrplänen aus Hamburg oder Schleswig-Holstein behelligt werden.

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Auf dem OSZE-Außenministertreffen in Mailand geht es heute um die Ukraine-Krise und den Atomkonflikt zwischen Russland und den USA. Heiko Maas ist dabei.

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Schäuble unterstützt lauthals Friedrich Merz, Merkel unterstützt klammheimlich Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn kämpft ohne prominente Unterstützung: Aber wie genau läuft die Wahl auf dem CDU-Parteitag ab? Wenn Sie den kurzen Erklärtext meiner Kollegin Helena Serbent gelesen haben, können Sie heute am Frühstückstisch oder im Büro mitreden. Am Abend tagen die Spitzengremien der CDU, morgen entscheiden die 1.001 Delegierten über die Frage aller Fragen. Wird spannend. Dazu morgen mehr.

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WAS LESEN?

Hilft Druck oder lähmt er? Seit 2005 gelten die Hartz-IV-Gesetze mit dem Prinzip des "Förderns und Forderns"; der deutsche Arbeitsmarkt hat auch deshalb einen starken Aufschwung hinter sich. Erst jetzt geht es aber um eine Frage, die tief in das Leben vieler Betroffener eingeschnitten hat: Bewirken die Sanktionen wirklich etwas? Ein Berliner Verein will das gemeinsam mit Wissenschaftlern herausfinden, indem er die Sanktionen für 250 Hartz-IV-Empfänger kurzerhand abschafft. Heute werden die Details von "HartzPlus" öffentlich vorgestellt. Meine Kollegen Ana Grujic und Lars Wienand kennen sie bereits und erklären Ihnen die Vor- und Nachteile.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Gar nichts? Doch, es gibt da noch etwas: ausrangierte Computer. Gestriger geht’s echt nicht. Und anders als bei sonstiger angestaubter Technik wie beispielsweise dem Röhrenradio ist damit auch ästhetisch kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Oder? Werfen Sie bitte mal einen Blick auf diese ur-ur-uralten Kisten hier. Die verdienen tatsächlich keinen Blumentopf. Sondern einen Schönheitspreis.

Ich wünsche Ihnen einen gepflegten Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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