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Europaweite Großrazzia: Wie Mafia-Geschäfte in den deutschen Alltag sickern


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Europaweite Großrazzia
Wie Mafia-Geschäfte in den deutschen Alltag sickern

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 06.12.2018Lesedauer: 3 Min.
Polizisten durchsuchen ein Eiscafe in Duisburg: Bei einer Großrazzia in mehreren Ländern haben Fahnder über ein Dutzend mutmaßliche Mafiosi festgenommen.Vergrößern des Bildes
Polizisten durchsuchen ein Eiscafe in Duisburg: Bei einer Großrazzia in mehreren Ländern haben Fahnder über ein Dutzend mutmaßliche Mafiosi festgenommen. (Quelle: Christoph Reichwein/dpa-bilder)
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Fahnder haben gegen die italienische Drogen-Mafia zugeschlagen. Doch die Geschäftsfelder von kriminellen Organisationen wie der ’Ndrangheta weiten sich aus – erstmals könnten sie in unserem Alltag ankommen.

Pulheim bei Köln am sehr frühen Mittwochmorgen: Der Besitzer der Osteria liegt im Bett, als die Polizei vor der Tür des eineinhalbgeschossigen Eckgebäudes steht und ihn aus dem Schlaf reißt. Der 45-Jährige wird abgeführt. Der Vorwurf an seine Adresse ist eindeutig: Er handelt mit Kokain, und das "in sehr, sehr umfangreichem Maß".

90 seiner mutmaßlichen Komplizen ist es heute genauso gegangen. Festnahmen wie in Pulheim gab es gleichzeitig in Italien, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Südamerika. Allein bundesweit wurden 14 Verdächtige festgenommen, 65 Immobilien durchsucht, hohe Bargeldsummen beschlagnahmt. Insgesamt wird gegen 47 Beschuldigte ermittelt. Der Schwerpunkt der Razzia lag in Bayern und NRW. Es war einer der größten Anti-Mafia-Coups der letzten Jahre. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Verdächtigen mindestens eine halbe Tonne Kokain nach Deutschland schmuggelten. Die Gewinne sollen in Immobilien und Restaurants geflossen sein.

"Die gefährlichste Organisation der Welt"

Der Mann aus Pulheim ist nach den Ermittlungen ein ’Ndranghetista, ein Mitglied der größten italienischen Mafia-Gruppierung, die nach den Worten des früheren italienischen Innenministers Roberto Maroni mittlerweile "die gefährlichste Organisation der Welt" ist. Die in bis zu 400 Untergruppen verzweigte ’Ndrangheta aus dem süditalienischen Kalabrien macht einen Jahresumsatz von geschätzt 53 Milliarden Euro. In Deutschland stellen sie 600 aktive Mitglieder, von denen das Bundeskriminalamt ausgeht. Binnen zehn Jahren hat sich die Zahl deutlich erhöht. Regionale Schwerpunkte liegen im Rheinland und in Baden-Württemberg.

Einsatzzentralen waren immer schon Gaststätten, die verdächtigsten die, die besonders wenig Besucher haben. Die Marktabdeckung ist breit. Von hier aus werden Drogenhandel, Prostitution, Schutzgelderpressungen, illegaler Kfz-Handel und Geldwäsche gelenkt, die klassischen Geschäftsfelder in Deutschland. Seit wenigen Jahren gehört der Bau dazu, wo Scheinfirmen gegründet und Maurer illegal beschäftigt werden. Doch längst sind neue Einnahmequellen in Arbeit.

Behörden tun sich schwer mit Verfolgung

Italienische Sicherheitsbehörden haben ihre deutschen Kollegen seit Mitte der Nullerjahre gemahnt, mehr gegen das Treiben in dieser Szene zu unternehmen. Mehr abzuhören, härter vorzugehen gegen Mitglieder verdächtiger Familien. Doch der deutsche Datenschutz ist restriktiv, Sippenhaft gibt es nicht, Wanzen in Speiselokalen zu setzen, ist untersagt. Dabei hat das Bundeskriminalamt schon 2008 eine Liste von 229 tätigen Clans erarbeitet und den Ländern zugeschickt – einschließlich der Adressen verdächtiger Restaurants.

Dass die Italien-Mafia hier lange vor allem bei Politikern eher wenig Aufmerksamkeit fand, hat noch einen anderen Grund: Gewaltanwendung außerhalb der italienischen Community meiden die Täter, Morde zählen in der Regel nicht zum Auftrag. Als Männer von zwei ’Ndrangheta-Familien aus San Luca 2007 in einem Ristorante nahe dem Duisburger Hauptbahnhof aneinandergerieten und nach kurzer Zeit sechs Leichen auf dem Platz lagen, führte das intern zu einer schweren klimatischen Belastung. Tötungsdelikte, die verunsichern, können die Mafia-Bosse auf dem lukrativen Markt Deutschland nicht gebrauchen, glaubt nicht nur das Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen.

Doch die jüngsten Entwicklungen alarmieren. Vor wenigen Monaten warnte das BKA auf einer Veranstaltung in Wiesbaden vor der "Agro-Mafia". Die Ermittler fürchten, dass sich deren Geschäftsfeld in Deutschland ausweiten könne. Damit kämen die Mafia-Geschäfte nicht nur in der deutschen Wirtschaft an, sondern mitten im deutschen Alltag, beim schönen Abend beim Italiener. In der Heimat in Kalabrien ist es schon zu einem Milliardengeschäft geworden.

Was steckt hinter der Agro-Mafia?

Salami und Schinken, Mozzarella, Balsamico und Olivenöl – all die Dinge, die wir mögen – werden unter der Regie von ’Ndrangheta-Familien ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Käufer billigst zusammengepanscht. Ob die Lebensmittel verdorben sind oder nicht? Spielt keine Rolle. Der passende Räuchereffekt wird dem Parmaschinken auch schon mal in einem Lastwagen addiert, in dem zuvor Müll transportiert wurde. Das zweifelhafte Zutaten-Portfolio wird anschließend Gastwirten ungefragt zugesandt und dann mit unzweideutigen Hinweisen zum Kauf aufgepresst. Als Warnung kommt der sechsfache Mord von 2007 ins Spiel: "Denk an Duisburg!"


Wie groß der Schaden ist, der durch den Vertrieb mafiagefälschter Lebensmittel entsteht, wurde Anfang dieses Jahres erstmals klar: 2.500 Tonnen der Panscherei beschlagnahmten die Fahnder europaweit. Zusätzlich stellten sie 275.000 Liter gefälschter Getränke sicher, die teilweise mit Chemikalien versetzt waren. Die Aktion brachte 170 mutmaßliche Mafiosi des Farao-Clans aus dem Städtchen Ciro hinter Gitter. Elf davon gingen in Deutschland, vor allem im Südwesten, ins Netz.

Deutsche Anti-Mafia-Fahnder dürften jetzt nach Feierabend mit gemischteren Gefühlen unterwegs sein.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
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