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Friedrich Merz zu USA: "Sind doch nicht die Befehlsempfänger der Amerikaner"


Friedrich Merz über USA
"Wir sind doch nicht die Befehlsempfänger der Amerikaner"

InterviewVon Tim Kummert und Florian Harms

Aktualisiert am 07.08.2020Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Friedrich Merz: "Der Libanon stand ja schon vor dem schrecklichen Unglück in Beirut am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs."Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz: "Der Libanon stand ja schon vor dem schrecklichen Unglück in Beirut am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs." (Quelle: Daniel Rosenthal/t-online.de)

Eine Explosion hat Beirut verwüstet, der CDU-Politiker Friedrich Merz fürchtet um die Folgen: Die Weltpolitik wird in Zeiten von Corona und Donald Trump immer prekärer. Was Europa nun tun sollte, erklärt er im t-online.de-Gespräch.

Der Libanon ist ein labiles Land, nun liegen auch noch weite Teile der Hauptstadt Beirut in Trümmern. Die Explosionskatastrophe ereignete sich in einer Zeit, in der sich die USA aus dem Nahen Osten zurückziehen. Und nicht nur von dort: Auch aus Deutschland werden US-Truppen abgezogen. Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, sieht die Entwicklung mit Sorge.

Merz weiß wovon er spricht, er war Chef des einflussreichen Vereins "Atlantik-Brücke", der den Austausch zwischen den USA und Deutschland pflegt - was Merz allerdings nicht von scharfer Kritik an den Vereinigten Staaten abhält: Dort seien "viele bisherige Selbstverständlichkeiten ins Wanken" geraten. Welche Probleme er in den USA sieht und wie er die Herausforderung aus China bewertet, erklärt er hier im Interview:

t-online.de: Herr Merz, nach einer Explosion im Hafen von Beirut sind mindestens 140 Menschen gestorben, 4.000 weitere sind verletzt. Wird das Unglück in der Region für weitere Instabilität sorgen?

Friedrich Merz: Ja, das steht leider zu befürchten. Gerade der Libanon stand ja schon vor dem schrecklichen Unglück in Beirut am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs.

Muss sich Deutschland in der Region jetzt stärker engagieren?

Deutschland sollte sich im Rahmen der Ratspräsidentschaft für gemeinsame europäische Antworten auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts einsetzen. Dazu gehört auch eine koordinierte Nahostpolitik.

Die USA ziehen sich aus dem Nahen Osten immer weiter zurück, in drei Monaten stehen die Präsidentschaftswahlen an. Die Corona-Pandemie und die Polarisierung der Gesellschaft haben das Land in eine tiefe Krise gestürzt, die Präsident Trump auch noch verschärft. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Die amerikanische Gesellschaft ist so tief gespalten wie lange nicht mehr – und das auch noch kurz vor einer sehr wichtigen Wahl. Da sind Demonstranten unterwegs, die jeden Abend durch die Straßen ziehen und buchstäblich zündeln. Zugleich werden die politischen Positionen auf beiden Seiten immer extremer. Diese Polarisierung bereitet der ganzen westlichen Welt zu Recht erhebliche Sorgen.

Wo sehen Sie die Gründe?

Die Entwicklung hat sich in den USA über Jahre aufgestaut. Man kann das schon seit längerer Zeit auch an den Universitäten beobachten. Selbst in Harvard wurden in den vergangenen Jahren bestimmte Teile der Geschichte tabuisiert oder nicht mehr so intensiv behandelt. Lehrbücher und historische Dokumente werden mit Triggerwarnungen versehen oder ganz ausgelistet, damit sich ja niemand beleidigt oder belästigt fühlt. Bei den Studenten geben inzwischen radikale Minderheiten den Ton an, und diese Stimmung überträgt sich auf die ganze Gesellschaft.

Was meinen Sie?

Identitäre Bewegungen und Cancel Culture bekommen immer größeren Einfluss auf das öffentliche Meinungsklima. Da versuchen kleine, aber laute Gruppen, der Mehrheit Sprech- und Denkverbote aufzuerlegen. Wer widerspricht, wird öffentlich diffamiert oder beim Arbeitgeber angeschwärzt, da werden ganze Existenzen vernichtet. Eine sachliche Debatte findet praktisch gar nicht mehr statt. Und der Präsident befeuert diesen öffentlichen Streit noch mit seiner Rhetorik statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, das Land zu einen. Es wird lange dauern, bis die amerikanische Gesellschaft einen neuen common sense gefunden hat. Und leider bemerken wir ähnliche Tendenzen auch hierzulande.

In Harvard studiert die Elite. Was ist mit den normalen Bürgern, die auf einem normalen College studieren? Auch dort ist die Spaltung ja offensichtlich.

Für viele normale Menschen in den USA geraten schon seit längerem viele bisherige Selbstverständlichkeiten ins Wanken. Die Corona-Krise verschärft diese Entwicklung nun noch: Plötzlich schwächelt die Wirtschaft, und gerade für die Mittelschicht ist der alte amerikanische Traum geplatzt, dass man nur eine gute Ausbildung braucht, und dann steht die Welt offen. Das verunsichert gerade diesen Teil der Gesellschaft, der bisher immer für eine große gesellschaftliche Binnenstabilität stand.

Ist die US-amerikanische Gesellschaft kaputt?

Das Land ist zumindest in einer sehr schwierigen Lage. Es hat sich sehr verändert, und zwar nicht erst seit Trump. Trump ist eher der vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung, die sich schon sehr unter Obama abzeichnete.

Welche Folgen ergeben sich daraus für die Rolle der USA in der Welt?

Die USA sind nicht mehr willens und auch nicht mehr in der Lage, die Rolle einer Weltordnungsmacht zu übernehmen. Die Bundeskanzlerin hat dies nach ihrer ersten Begegnung mit Trump ja schon vor drei Jahren gesehen und mit ihrem Satz "Wir müssen als Europäer unser Schicksal jetzt ein Stück weit selbst in die Hand nehmen" die Konsequenzen aufgezeigt. Wir müssen als Europäer tatsächlich selbst mehr Verantwortung übernehmen, auch für unsere eigene Sicherheit. Die amerikanische Truppenpräsenz in Deutschland wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten bereits um über 80 Prozent reduziert, jetzt kommt möglicherweise noch einmal ein weiterer signifikanter Truppenabzug hinzu. Das verändert die gesamte Statik unserer Sicherheit.

Stimmen Sie zu, dass das ein schwerer Schlag für die Nato ist?

Dieser Truppenabzug dient jedenfalls niemandem und schadet allen. Wir müssen uns doch jetzt die Frage stellen: Woher kommen heute die Gefahren für unsere Sicherheit und für unsere Freiheit?

Sagen Sie es uns.

Gefahren drohen nicht mehr allein für unsere territoriale Integrität, noch mehr sind unsere Datennetze und unsere digitale Infrastruktur bedroht. Wir erleben Hackerangriffe auf die Bundesregierung, auf den Bundestag, auf Unternehmen, auf Krankenhäuser. Es ist so gut wie sicher, dass russische und chinesische Geheimdienste dahinterstecken. Wir sind in unserem Alltag davon betroffen, zum Beispiel mit Hackerangriffen auf bestimmte Apps und Navigationssysteme. Schauen Sie den jüngsten Vorfall an bei Garmin. Garmin ist eine Firma, die in der Navigationstechnik arbeitet und Marktführer bei Fitnessarmbändern ist, ich benutze selbst eines. Vor kurzem wollte ich laufen gehen – und schauen Sie mal, was auf meinem Handy seit Tagen zu lesen ist!

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Lassen Sie mal sehen: "Es werden Wartungsarbeiten durchgeführt, versuchen Sie es später erneut."

Von wegen Wartungsarbeiten. Das System ist gehackt worden und steht jetzt weltweit still. Möglicherweise ist es einfach nur kriminelle Erpressung. Aber dieser Vorfall zeigt, wie weit solche Angriffe führen können. Jetzt sind es nur Sportuhren. Aber was ist mit den Navigationssystemen, die wir alle jeden Tag benutzen? Und die die Seefahrt genauso benötigt wie die Luftfahrt. Die Vernetzung aller Unternehmen, Maschinen und Datensysteme schafft enorme Möglichkeiten, birgt aber auch große Risiken.

Welche geopolitischen Veränderungen nehmen Sie außerdem wahr?

Die gegenwärtige Politik der chinesischen Staatsführung ist in vielerlei Hinsicht besorgniserregend. Das gilt sowohl für ihr Verhalten in Hongkong als auch für die aggressive Haltung Chinas im ostchinesischen und im südchinesischen Meer. China verfolgt offenbar eine Politik der territorialen Expansion und nimmt dabei immer wieder auch Verletzungen des internationalen Rechts in Kauf. Auch Russland testet offenbar, wie weit der Kreml gehen kann, ohne auf Widerstand zu stoßen. Vor diesem Hintergrund wäre es mehr als wünschenswert, dass die Europäische Union zu einer gemeinsamen Lagebeurteilung kommt und daraus dann auch gemeinsame Konsequenzen zieht.

Da fehlt offenbar etwas, wenn wir Sie richtig verstehen.

Sie verstehen mich richtig. Europa muss mehr sein als ein Binnenmarkt – und allemal mehr als ein rein ökonomisches Projekt. Die Amerikaner entscheiden in Washington darüber, wo sie ihre Truppen stationieren und verteilen die Einheiten nach ihrem Gutdünken über Europa. Da muss die Frage erlaubt sein: Warum entscheiden wir nicht gemeinsam als EU, wo wir bestimmte Truppenkontingente der Amerikaner strategisch am besten aufgestellt sehen? Wir sind doch nicht die Befehlsempfänger der Amerikaner, sondern ihre Partner. Hier braucht auch Deutschland mehr Koordination mit den europäischen Verbündeten, um auf gleicher Augenhöhe unsere Interessen wahrzunehmen.

Wer könnte das Ihrer Meinung nach sein?

In sicherheitspolitischen Fragen betrifft das alle europäischen Nato-Mitglieder. Mit einer besseren Abstimmung könnten wir mit weniger Aufwand für uns alle mehr an Sicherheit und Stärke gewinnen.

Also braucht Europa eine echte Verteidigungsunion mit einer europäischen Armee?

Das sollte jedenfalls langfristig das strategische Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa sein.

Uneinig ist sich Europa auch beim Umgang mit Hongkong. Die chinesische Zentralregierung setzt dort brutal ihr neues "Sicherheitsgesetz" durch. Großbritannien stellt sich klar dagegen, die Bundesregierung verhält sich auffällig leise.

Das war bisher so, aber nachdem auch die deutsche Bundesregierung entschieden hat, das Auslieferungsabkommen mit Hongkong zu suspendieren, gibt es offensichtlich eine größere Veränderung in diesem Teil der deutschen Außenpolitik. Ich habe das schon vor einigen Wochen so gefordert und kann das nur begrüßen.

Kuscht die Bundesregierung Ihrer Meinung nach vor Peking?

Bisher hat Deutschland sehr viel Rücksicht genommen auf die chinesische Staatsführung und natürlich auch auf unsere eigenen Wirtschaftsinteressen. Aber ich sehe dazu eine neue Nachdenklichkeit in Berlin und auch in Teilen der deutschen Wirtschaft. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: Wir müssen unsere außenpolitische und unsere wirtschaftspolitische Souveränität bewahren.

Herr Merz, wir danken für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Friedrich Merz in Berlin
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