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Brandenburg-Wahl in Erkner: Verzweiflung und Verständnis im Ort


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Reaktionen aus dem brandenburgischen Erkner
"Groß tönen kann jeder"


23.09.2024Lesedauer: 5 Min.
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Hat viel riskiert: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. (Quelle: IMAGO/Matthias Gränzdörfer/imago)
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Ministerpräsident Woidke hat die Wahl in Brandenburg zwar für sich entschieden, aber auch die AfD hat viele Stimmen dazugewonnen. Im brandenburgischen Erkner sind die Meinungen so geteilt wie das Wahlergebnis.

Haarscharf war es für die SPD: Mit einem knappen Vorsprung gewann die Partei die Landtagswahl in Brandenburg vor der AfD. Damit dürfte Ministerpräsident Dietmar Woidke seine elfjährige Amtszeit verlängern können. Und trotzdem: Die AfD erreichte fast 30 Prozent. Auch in der kleinen Stadt Erkner haben viele Menschen für die Rechtspopulisten gestimmt.

Erkner ist nicht irgendein Ort in Brandenburg. Denn die 12.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zu Berlin entspricht quasi Brandenburg im Kleinen. t-online hat dafür das Sinus-Institut und seinen Partner MB Micromarketing gefragt: Welcher Ort repräsentiert die Bevölkerung des gesamten Bundeslandes am ehesten? Das Ergebnis war Erkner. Hier lesen Sie mehr zu der Methode. Und auch ein Blick auf die Wahlergebnisse zeigt: In Erkner wird fast genauso gewählt wie auf Landesebene. Wie also denken dort die Menschen über den Wahlausgang?

Am Montag hadern in Erkner viele Menschen mit der erstarkten AfD – sind aber auch erleichtert darüber, dass Woidke nicht gehen muss. Der SPD-Ministerpräsident hatte vor der Wahl angedroht, seine politische Karriere zu beenden, sollte die SPD die Wahl nicht gewinnen. Zu einem Zeitpunkt, an dem die AfD noch deutlich vor der SPD lag. Die Umfragen zeigten in der Folge ein immer knapper werdendes Wettrennen, das Woidke erst am Wahltag für sich entschied. Mehr Spannung geht in einer Landtagswahl kaum.

In der Friedrichstraße, der belebtesten Straße Erkners, freut sich Pensionär Frank über Woidkes Abschneiden. "Was Woidke gemacht hat, war konsequent, und er hat richtig was in die Waagschale geworfen", sagt der 65-Jährige. Wirtschaftlich laufe es in Brandenburg gut, und gerade in Erkner habe man mit der Nähe zu Berlin wenig Grund, sich zu beklagen. Im Bildungsbereich sieht er jedoch Potenzial: "Da lief es die letzten 35 Jahre chaotisch. Da sollte man mehr mit Leuten aus der Praxis reden", so Frank, der selbst im Bildungsbereich gearbeitet hat.

"Eine Art Rebellion"

Viele Bewohner Erkners pendeln mit dem Zug nach Berlin, die Stadt ist der letzte Halt an einer Berliner S-Bahnlinie. Auch an diesem Montagmorgen ist an der Haltestelle Hochbetrieb. Nur wenige wollen hier nicht über die Wahl sprechen, die meisten haben eine Meinung zum Wahlausgang. So auch Annett, 59 Jahre: "Dass Woidke gewonnen hat, finde ich gut, weil das einen Sieg der AfD verhindert hat", sagt sie. Die dennoch hohe Zustimmung für die AfD gerade bei den jungen Menschen aber stimmt sie nachdenklich: "Vielleicht ist es eine Art Rebellion oder fehlende Lebenserfahrung, aber die müssten auch sehen, dass da keine Lösungen geboten werden."

Die 84-jährige Edeltraud hingegen hält nicht viel vom Ministerpräsidenten. "Woidke hatte viel Zeit, sein Engagement für Brandenburg zu beweisen. Das ist nicht gelungen. Groß tönen kann jeder", sagt sie. Sie wehrt sich dagegen, dass alle AfD-Wähler Rechte sein sollen. "Viele AfD-Wähler sehen, dass hier immer mehr Fremde sind und bei einem selbst reicht es für das Nötigste nicht", sagt sie. Viele seien einfach unzufrieden. "Da braucht man sich nicht zu wundern." Sie hoffe, dass die nächste Regierung die Sorgen der Bürger ernster nehme.

Auch Erkners parteiloser Bürgermeister Henryk Pilz beobachtet, dass viele unzufrieden sind. Oft ginge es ihnen dabei um Probleme, die sie in ihrem Alltag gar nicht beträfen, sagt er. Etwa, wenn sie um Sicherheitsmaßnahmen für Asylheime bitten: "Da ist nichts vorgefallen, was das rechtfertigt, aber mir wird gesagt, da sind bestimmt Terroristen dabei."

Neben der Migrationspolitik sei der Krieg in der Ukraine immer wieder Gesprächsthema. Für Pilz liegt das an den unterschiedlichen Weltanschauungen, von denen Ost- und Westdeutsche lange geprägt wurden: "Die Westdeutschen bekamen ihr ganzes Leben vom 'bösen Russen' erzählt, die Ostdeutschen vom 'bösen Ami'. Das wurde nie zusammengeführt."

"Habe von Tesla nichts als Stress"

Die wahren Probleme sieht Pilz unter anderem im Bildungssystem. Das sei vernachlässigt worden; die Landesregierung in Potsdam habe sich zu lange nur auf das Thema Wirtschaft fokussiert. Doch das von Ansiedlungen wie dem Tesla-Werk in Grünheide befeuerte Wirtschaftswachstum komme in Erkner nicht an – stattdessen leide die Stadt an dem dadurch entstandenen Durchgangsverkehr. "Ich habe von Tesla nichts außer Stress", sagt Pilz. "Mit vielen Problemen werden wir hier alleingelassen."

Auch das mag ein Grund dafür sein, dass die AfD in Erkner – wie auch in ganz Brandenburg – von fast einem Drittel der Menschen gewählt wurde. Zudem stimmten viele junge Menschen für die AfD, landesweit 32 Prozent der 16-24-Jährigen. Ein Phänomen, das sich auch schon bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen beobachten ließ. Experten erklären sich das unter anderem mit dem starken Auftritt der Partei in sozialen Medien und der zielgruppengerechten Ansprache (hier lesen Sie mehr dazu).

Den 37-jährigen Dennis, der an diesem Montag vom Bahnhof Erkner nach Berlin pendeln will, besorgt die Taktik der Partei. "Die AfD versteht es, mit den Ängsten der Menschen zu spielen", sagt er. "Viele hier haben Abstiegsängste oder Angst vor Wohlstandsverlust." Dabei habe Woidke eigentlich gute Arbeit gemacht, aber: "Das sehen die jungen Wähler nicht, die haben lieber AfD gewählt", sagt Dennis.

Vor dem Carl-Bechstein-Gymnasium erklärt die 17-jährige Ida sich das Wahlverhalten vieler ihrer Altersgenossen so: "TikTok hat da viel Einfluss genommen." Eine Mischung aus Überzeugung und Protest hat sie zudem beobachtet. "Viele fühlen sich unsicher und können sich damit zugehörig und stark fühlen", sagt die Schülerin.

Keine Brandmauer in Erkner

Auch wenn die AfD nicht regieren wird, weil niemand mit ihr eine Koalition eingehen mag, so kann sie trotzdem Einfluss auf die Landespolitik nehmen. Die Partei hat eine Sperrminorität, was bedeutet: Sie kann wichtige Entscheidungen, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht, im Landtag verhindern. Wahlsieger Woidke steht zudem vor einer schwierigen Regierungsbildung: Die rot-schwarz-grüne Koalition kann ihre Arbeit nicht fortsetzen, die Grünen sind im neuen Landtag nicht mehr vertreten.

Für Rot-Schwarz reicht es zudem knapp nicht. Woidke will nun auch mit dem BSW sprechen, mit der AfD hat er eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. Am Wahlabend verbuchte er es als einen großen Sieg, dass dem Land Brandenburg kein "brauner Stempel" aufgedrückt worden sei.

Bürgermeister Pilz sieht das anders. Von einer Brandmauer gegen die AfD hält er nichts, auch nicht auf Landesebene. Er wirbt für einen pragmatischen Umgang. Die AfD hat in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Erkner die zweitmeisten Sitze. Um in Erkner etwas zu bewegen, brauche es alle politischen Kräfte, sagt Pilz.

Verwendete Quellen
  • Eigene Vor-Ort-Recherche
  • Gespräch mit Henryk Pilz
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