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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erfolg bei jungen Menschen Erst Grün, jetzt AfD: Wie kommt das?
Insbesondere unter den jungen Wählern hat die AfD stark zugelegt. Ausgerechnet in der Generation also, die zuvor lange die Grünen präferiert hat. Wie erklärt sich das?
"Wir sind die Partei der Zukunft. Die jungen Leute strömen uns zu": Das proklamiert Hans-Christoph Berndt, der AfD-Spitzenkandidat für die Brandenburger Landtagswahl. Die Sätze stammen aus einer Wahlkampfrede des 68-Jährigen, seine Partei hat diese Passage so wie weitere Ausschnitte der Rede auf TikTok geteilt – dort, wo sie die angesprochene Zielgruppe erreicht.
Berndt hat tatsächlich recht. Bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen war die AfD bei jungen Menschen mit Abstand die beliebteste Partei. In Thüringen wählten 38 Prozent der unter 25-Jährigen die AfD, in Sachsen waren es 31 Prozent – jeweils mit großem Abstand vor der zweitplatzierten CDU.
Junge Menschen wählen Grüne und FDP – das ist jetzt anders
Das wirkt paradox, galt die AfD doch lange Zeit als eine Partei der Mittelalten, derjenigen, die sich in der Gesellschaft abgehängt fühlen. Junge wählten noch vor Kurzem eher die Grünen oder FDP – bei der vergangenen Bundestagswahl waren diese Parteien die großen Gewinner. Nur sieben Prozent der Erstwähler stimmten damals für die AfD. Das hat sich gedreht. Auch in Brandenburg wird Umfragen zufolge ein hoher Zuspruch der jungen Generation für die AfD erwartet.
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Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Doch ein paar Grundlinien zeichnen sich Experten zufolge ab: Die in der öffentlichen Wahrnehmung vorherrschenden Themen haben sich verschoben – auch durch die AfD. Und diese spricht junge Menschen geschickter und gezielter als etablierte Parteien an.
Insbesondere die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle für den Erfolg der AfD. Sie hat früher als andere Parteien die Möglichkeiten von TikTok erkannt. Der Augsburger Generationenforscher Rüdiger Maas hat mit vielen Jugendlichen über ihre Wahlentscheidung gesprochen. Dabei zeigte sich: Sie waren besonders empfänglich für emotionalisierte Darstellungen. Und: "Populistische Themen kann man besser emotionalisieren."
Zur Person
Dr. Rüdiger Maas ist Gründer und Vorstand des Augsburger Instituts für Generationenforschung mit besonderem Fokus auf die Generationen Z und Alpha. Vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat das Institut Daten bei den jungen Wählern erhoben und ihre Beweggründe in Jugendwahlstudien veröffentlicht.
Dabei spielten nicht nur offizielle AfD-Accounts für die Partei eine Rolle, sondern auch andere Influencer aus dem rechten Spektrum beeinflussten die Jugend mit emotionalisierten Themen. Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Regionen haben Maas immer wieder von Geflüchteten berichtet, die angeblich Großmütter entführten, um Lösegeld zu erpressen. Es gibt keinerlei Nachweise für solche Taten, doch durch TikTok verbreiten sich solche Geschichten schnell und führen direkt zur AfD, weil die Accounts direkt oder indirekt auf die Partei als Lösung solcher "Probleme" verweisen.
"Die schiere Menge macht die AfD erfolgreich"
Doch nicht nur die Inhalte verfangen. Der Politikwissenschaftler Aiko Wagner sieht auch in der schieren Menge der Posts der AfD einen Grund für ihren Erfolg. "Dadurch kommt die Partei im Alltag viel häufiger vor." Aus einem einzelnen Wahlkampfauftritt postet die AfD meist zahlreiche kurze Ausschnitte; so hat der Account der Brandenburger AfD in den ersten beiden Septemberwochen nahezu 50 TikTok-Videos hochgeladen, die SPD in Brandenburg gar keines, die CDU sieben.
Zur Person
Dr. Aiko Wagner ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Sein Schwerpunkt ist die Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland. Dabei hat er zuletzt insbesondere zum Wählerverhalten und Parteiensystem in Deutschland geforscht.
Die Strategie geht auf. Denn obwohl die meisten Videos lediglich von etwas mehr als 1.000 Menschen angesehen wurden, geht unter den Dutzenden Videos alle paar Tage eines viral. Wie der Redeausschnitt des Landesvorsitzenden René Springer, der sich über SUVs mit ukrainischem Kennzeichen auf den Autobahnen und Flixbuslinien nach Kiew aufregt. Er behauptet darin, die Ukrainer bekämen hier Bürgergeld und führen danach in ihre Heimat zurück. Das Video wurde über 320.000-mal angesehen.
Inhaltlich arbeiten sich die Politiker an vielen Themen ab: Migration, Sicherheit, Schulen, Volksentscheide. Dazu kommen offensichtlich KI-generierte Wahlaufforderungen, die aber kaum auf Interesse stoßen. Besonders häufig angesehen werden die emotionalen Videos, insbesondere Angriffe auf die politischen Gegner. Wenn es heißt, "Die CDU ist eine Partei von Lügnern" oder "Was wir an Hass auf unsere Kultur erleben, kommt von den Grünen", schauen Zehntausende, meist sehr junge Menschen, zu.
Flyer mit Emojis: "AfD macht das sehr geschickt"
Doch auch außerhalb des digitalen Raumes ist die AfD bei den jüngsten Wählern in Brandenburg präsent. Dort darf im Gegensatz zu Sachsen und Thüringen bereits ab 16 Jahren gewählt werden. Im August verteilte sie daher zahlreiche Flyer an Schulen, gespickt mit Emojis, verfasst in einfacher Sprache, auf die einfache Antworten gegeben werden. Zu wenig Ärzte? "Wir sorgen dafür, dass man für Termine beim Arzt nicht nach Berlin fahren muss." Geflüchtete? "Wir werden Zuwanderer, die nicht hier sein dürfen, in ihre Heimat zurückbringen."
- Sie wollen den Sieg – um jeden Preis: Lesen Sie hier mehr zur AfD-Strategie in Brandenburg
Das verfängt bei der Zielgruppe, sagt Politikerwissenschaftler Wagner. "Die AfD nutzt dort keine bleiwüstenartige Sprache wie andere Parteien, sondern formuliert jugendadäquat." Sie spreche Themen an, die bei jungen Menschen verfangen, und setze dies passend um. "Die Kampagne der AfD in Brandenburg versucht, mit Witz und Selbstironie zu arbeiten und macht das sehr geschickt."
Dass sich die jungen Wähler von dieser Ansprache beeindrucken lassen, liegt auch an ihrer Einstellung zu Parteien. "Junge Wähler sind weniger stark an Parteien gebunden und eher bereit, andere Parteien zu wählen", erklärt Wagner. Sie seien sensibler für politische Stimmungen. Und die haben sich seit der vergangenen Bundestagswahl stark verändert.
Links-rechts-Spektrum verschwindet
Damals war der Klimawandel präsent, Fridays for Future mobilisierte Zehntausende junger Menschen. Generationenforscher Maas hat eine Verschiebung der Prioritäten beobachtet: "Der Klimawandel ist für die jüngere Generation zwar noch ein wichtiges Thema. Aber die Erde steht noch." Und die Grünen, die für den Kampf gegen die Klimakrise standen, verhielten sich in der Wahrnehmung der Wähler nicht so wie versprochen.
Wenn Bilder von Annalena Baerbock im Regierungsflieger oder von Ricarda Lang mit einem Wegwerf-Kaffeebecher im Netz kursierten, enttäusche das die jungen Wähler. Das nutzten die Gegner der Grünen, um in den sozialen Medien gegen sie zu hetzen, sagt Wagner: "Es gibt ein massives Grünen-Bashing, sodass sie in Teilen der Gesellschaft mittlerweile verhasst sind."
Dass die Jungen mit der AfD eine Partei wählen, die in Sachsen und Thüringen gesichert rechtsextrem und deren brandenburgischer Spitzenkandidat Berndt erwiesener Rechtsextremist ist, sei für sie weniger relevant. Jeder dritte junge Wähler denkt nicht mehr in einem Links-rechts-Spektrum, hat Maas in seiner Studie herausgefunden. "Auch diejenigen, die AfD wählen, verorten sich teilweise in der Mitte. Dort gibt es kein links- und rechtsextrem."
Auch in Brandenburg wählt die Jugend AfD
Zudem habe sich der politische Diskurs insgesamt nach rechts verschoben. "Weil die CDU AfD-Themen und -Narrative übernommen hat, sehen die Jugendlichen diese auch in anderen Medien und bekommen das Gefühl, das sei die Realität", sagt Maas. Durch die TikTok-Präsenz sei die AfD zudem deutlich nahbarer.
Am vergangenen Dienstag stellte Maas die Jugendwahlstudie vor. Dazu hatten er und sein Team 1.000 Menschen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren in Brandenburg befragt. Das Ergebnis: 23 Prozent wollen die AfD wählen, die mit Abstand am meisten favorisierte Partei.
Einige der Befragten wurden im Anschluss erneut mit den Ergebnissen konfrontiert, um zu verstehen, wie die Antworten zustande kommen. "Kaum jemand der 16- oder 17-Jährigen hatte ein tiefgreifendes Politikverständnis. Das war immer eher so ein Bauchgefühl", erklärte Maas bei der Vorstellung der Studie. Ein wesentlicher Punkt sei auch die Familie. So gaben 61 Prozent derjenigen, die AfD wählen wollen, an, dass auch ihre Eltern AfD-Wähler seien.
Die Jugendlichen seien zu wenig aufgeklärt, schließt der Generationenforscher aus den Befragungen. "Die Schulen müssen hier viel mehr leisten, wenn es darum geht, die jungen Menschen darauf vorzubereiten, was wählen gehen wirklich bedeutet", fordert Maas daher.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Aiko Wagner
- Gespräch mit Rüdiger Maas
- TikTok-Kanal der AfD Brandenburg
- Institut für Generationenforschung: "Die neue Generation von Erstwählern"