"Die Angriffe auf mich waren ungeheuerlich" Deswegen trat Horst Köhler überraschend als Bundespräsident zurück
Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler ist mit 81 Jahren gestorben. Neben seinem Engagement bleibt vor allem sein Rücktritt in Erinnerung.
Es ist der 31. Mai 2010. Eilmeldungen und große nachrichtliche Lagen stehen nicht auf dem Plan – bis der damalige Bundespräsident Horst Köhler eine Pressekonferenz für den Nachmittag am Schloss Bellevue einberuft. Auf dieser sorgt er in nur drei Minuten für baffe Gesichter: Überraschend verkündet er seinen Rücktritt vom höchsten Staatsamt – knapp ein Jahr nach seiner Wiederwahl im Mai 2009. "Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung." Es sei ihm eine Ehre gewesen, Deutschland als Bundespräsident zu dienen.
Doch wie kam es dazu, dass der mit 81 Jahren verstorbene Politiker seinen Posten abgab?
Auslöser war ein Interview des damaligen Staatsoberhaupts im Deutschlandfunk. Thema war primär eine mögliche Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr. Vor allem ein Satz sorgte im Nachgang des Gesprächs für Aufruhr: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern."
Ein Sturm der Entrüstung folgte. Grünen-Politiker Jürgen Trittin warf Köhler eine "Kanonenbootpolitik" vor. Andere nannten die Äußerung "missverständlich", "keine besonders glückliche Formulierung", "präsidialer Fehltritt" oder gar "brandgefährlich". Unterstellt wurde ihm auch, er befürworte vom Grundgesetz nicht gedeckte Einsätze der Bundeswehr für wirtschaftliche Interessen. Das erzürnte Köhler besonders, wie er bei seinem Rücktritt sagte: "Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen!" Deswegen trat er zurück. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel versuchte, ihn umzustimmen – vergeblich.
Köhler berichtet von Anfeindungen und Angriffen
Daraufhin zog sich Köhler aus dem öffentlichen Leben zurück. Erst ein Jahr später, im Juni 2011, nahm er in der "Zeit" Stellung zu seinem Rücktritt. "Ich bin zurückgetreten, um Schaden vom Amt abzuwenden." Die Art und Weise der Kritik damals sei zu weit gegangen. "Die Angriffe auf mich im Zusammenhang mit meinen Äußerungen über sicherheitspolitische Interessen Deutschlands waren ungeheuerlich und durch nichts gerechtfertigt."
Kritikern warf er eine parteipolitische Instrumentalisierung seiner Aussage vor. Sie hätten ihn "bewusst missverstanden". "Es war die Rede von der Befürwortung von Wirtschaftskriegen und möglichem Verfassungsbruch. (...) Kann man einem Bundespräsidenten angesichts der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts Schlimmeres vorwerfen?"
Ohnehin habe er sich nie in das Amt des Bundespräsidenten drängen wollen. "Ich habe mich für das Amt des Bundespräsidenten in die Pflicht nehmen lassen. Die Anfrage schmeichelte mir, aber 80 Prozent war Pflichtgefühl. Ich dachte, ich könnte mit meiner beruflichen Erfahrung auch helfen. Ich kannte und akzeptierte aber selbstverständlich das Institutionen- und Machtgefüge unserer Verfassung." Er sei mit sich im Reinen, so Köhler.
- süddeutsche.de: "'Die Angriffe auf mich waren ungeheuerlich'"
- zeit.de: "Horst Köhler bricht sein Schweigen"
- welt.de: "Warum Horst Köhler nicht mehr Präsident sein wollte"
- dw.com: "Horst Köhler: Der unbekannte Präsident ist tot"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa