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Nancy Faesers Waffenrecht-Gesetzentwurf – "kleineres Messer gefährlicher"?


Faeser-Vorstoß zu kürzeren Messern
"Jede Bewegung hilft, zu überleben"


14.08.2024Lesedauer: 5 Min.
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Messerangriff auf Mannheimer MarktplatzVergrößern des Bildes
Spurensicherung in Mannheim Ende Mai: Ein 29 Jahre alter Polizist starb bei einer Messerattacke. (Quelle: Uwe Anspach/dpa/dpa-bilder)

Innenministerin Faeser will das Waffenrecht verschärfen und längere Messerklingen in der Öffentlichkeit verbieten. Ein Verteidigungsexperte erwartet dadurch keine zusätzliche Sicherheit.

Messer mit mehr als sechs Zentimeter langen Klingen sollen verboten werden: So fordert es Innenministerin Nancy Faeser. "Der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum muss weiter eingeschränkt werden, um den Schutz vor Messerangriffen zu erhöhen", sagte sie der "Bild am Sonntag".

Denn die Zahl der Messerangriffe ist angestiegen. 2022 waren es noch 8.160 Messerangriffen im Bereich gefährliche und schwere Körperverletzung sowie circa 4.200 Messerdelikte im Bereich Raub, ein Jahr später bereits 8.950 schwere Körperverletzungen sowie 4.900 Raubdelikte mit Messern.

Deshalb will Faeser nun die erlaubte Klingenlänge von zwölf auf sechs Zentimeter reduzieren und Springmesser komplett verbieten. Von SPD und Grünen kommt Unterstützung, die FDP sieht darin vor allem Symbolpolitik. Alexander Michalsky, Leiter der Berliner Selbstverteidigungsschule Defence Lab, zweifelt im t-online-Interview ebenfalls an der Wirkung der Maßnahme, sieht die Regierung aber auf einem richtigen Weg.

t-online: Herr Michalsky, Innenministerin Nancy Faeser will die in der Öffentlichkeit erlaubte Klingenlänge von Messern auf maximal sechs Zentimeter beschränken. Wie sinnvoll ist das?

Alexander Michalsky: Grundsätzlich hängt eine Verletzung von der Intensität des Angriffs ab, nicht von der Länge der Klinge. Ich weiß daher nicht, ob uns mit einer Beschränkung auf Messer mit einer kürzeren Klingenlänge tatsächlich geholfen ist. Denn auch mit einer Sechs-Zentimeter-Klinge kann es zu erheblichen Verletzungen kommen.

Das bedeutet, es gibt kaum einen Unterschied bei Angriffen mit Sechs- oder Zwölf-Zentimeter-Klingen?

Es gibt Stiche und Schnitte. Gerade bei Schnitten macht das tatsächlich kaum einen Unterschied. Wenn ich einen Schnitt an einer gefährlichen Stelle am Hals oder einer größeren Arterie verursache, sind sechs Zentimeter genauso tödlich wie zwölf Zentimeter oder noch mehr. Die erheblichen Verletzungen ändern sich nicht drastisch.

(Quelle: Defence Lab)

Zur Person

Alexander Michalsky ist Leiter des Berliner Defence Labs. Die Defence Labs sind von Andy Norman entwickelte Kampfschulen mit dem Zweck, sich in gefährlichen Situationen effektiv verteidigen zu können. Dabei sollen Verteidigungstechniken für konkrete Situationen, wie etwa Messerangriffe, vermittelt werden.

Muss man sich gegen ein längeres Messer denn anders verteidigen?

Nein, Unterschiede gibt es bei einem großen Schwert, aber diese wenigen Zentimeter machen bei der Verteidigung keinen Unterschied. Das sind gefährliche Angriffe und man hat in der Situation einen erheblichen Stresspegel. Da hat man kein Gefühl dafür, ob das sechs oder zwölf Zentimeter sind. Die Verteidigung wird dieselbe sein müssen. Ein kleineres Messer kann sogar gefährlicher sein.

Inwiefern?

Ein kleines Messer kann man noch deutlich verdeckter tragen, um es dann auch gefährlicher einzusetzen. Die Chance, das Messer bei einem Angriff vorher zu erkennen, ist gleich null.

Eine Beschränkung auf Messer mit bis zu sechs Zentimeter langer Klinge ist Ihrer Meinung nach also nicht sinnvoll. Was wäre eine bessere Lösung?

Die Ideallösung wäre, Messer allgemein zu verbieten. Tatsächlich haben wir aber bereits gute Gesetze in Deutschland, etwa für Waffenverbotszonen. Richtet die Politik mehr Waffenverbotszonen ein, würde das bedeuten, dass man auch mehr kontrollieren kann.

… aber auch mehr kontrollieren muss.

Richtig. Wir haben schon jetzt das Problem, dass es zu wenig Polizeibeamte und Leute gibt, die kontrollieren können. Wir bräuchten mehr Waffenverbotszonen, mehr Kontrollen, mehr Investitionen in die Sicherheit. Und die Justiz muss härter durchgreifen und auch präventiv abschrecken.

Wie könnte das aussehen?

Wenn jemandem aktuell ein Messer abgenommen wird, besorgt er sich einfach das nächste. Es müsste bei Verstößen deutlicher vermittelt werden: Das Messer ist nicht erlaubt und kostet als Ordnungswidrigkeit richtig Geld. Oder es gibt eine Gesetzesänderung und ein Vergehen wird zur Straftat. Dann muss man auch wegen des Besitzes eines Messers ins Gefängnis.

Sie fordern also striktere Maßnahmen zum Schutz vor Messerattacken. Aber wie groß ist denn die Gefahr durch Messerangriffe?

Ich bin selbst bereits mit einem Messer angegriffen worden. Die Gefahr der Messerangriffe ist mittlerweile höher als noch vor einigen Jahren. Im Internet gibt es beispielsweise viele Anleitungen, wie mit Messern angegriffen werden kann. Und Messer gibt es in jedem Haushalt. Dazu kommt ein Unsicherheitsgefühl: Gerade nach Corona ist die Aggression in der Gesellschaft gestiegen. Einige rüsten sich in der Folge mit Messern aus.

Und wie sehen Messerattacken dann üblicherweise aus?

Da gibt es grundsätzlich zwei Arten: Zum einen den Messerangreifer, der eine Raubtat begeht und jemanden mit einem Messer bedroht, weil er etwas haben möchte – zum Beispiel das Telefon oder Geld. Jemanden zu verletzen, steht da gar nicht im Vordergrund. Aber das Problem sind die Attacken, die aus dem Nichts kommen. Da wird jemand getroffen, der gar keine Chance hat, sich zu verteidigen. Das Aggressionspotenzial ist sehr groß.

Aber das bleibt auch bei einem Messerverbot.

Richtig, das Aggressionspotenzial wird dadurch nicht entschärft. Aber es gibt die Möglichkeit, dass nicht so viele Menschen verletzt oder getötet werden.

Ist dann eine Reduzierung auf maximal sechs Zentimeter lange Klingen nur Symbolpolitik?

Es könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Ich habe Vertrauen darin, was unsere Politiker erzählen, und sie werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Und das muss ich vielleicht gar nicht wissen.

Sie lehren insbesondere die Selbstverteidigung. Wie verteidige ich mich denn allgemein bei einem Messerangriff?

Um sich gegen ein Messer verteidigen zu können, muss man eine Vielzahl von Trainingseinheiten durchlebt haben. Erst dann hat man eine gewisse Struktur erlernt. Wenn ich mich gegen ein Messer verteidige, muss ich meinem Gegenüber die gleiche Aggression entgegenbringen: Er möchte mir das Leben nehmen und ich muss mich verteidigen. Es ist schwierig, den Leuten das klarzumachen. Mit einem leichten Schlag wird die Sache nicht vorbei sein. Und ich rede jetzt nicht davon, dass man jemanden umbringt oder schwer verletzt.

Wie verhalte ich mich also konkret in einer bedrohlichen Situation?

Wie schon erwähnt, muss man da zwei Situationen unterscheiden. Werde ich beraubt, mache ich gar nichts und gebe dem Angreifer im Zweifel mein Telefon oder meinen Geldbeutel. Nichts ist wichtiger als mein Leben. Wenn ich eine Chance habe, aus der Situation unverletzt herauszukommen, dann sollte ich immer diese Option wählen.

Und bei einem tatsächlichen Angriff?

Wenn es gar nicht anders geht und der Angriff konkret wird, dann hilft uns nichts anderes, als mit irgendwelchen Gegenständen dem entgegenzugehen und aggressiv zu versuchen, den Gegner kampfunfähig zu machen. Drastisch gesagt: Wenn man gar nichts macht, ist man tot. Aber wir schulen: Jede kleine Bewegung, die man macht, hilft, zu überleben.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Michalsky.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Alexander Michalsky
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