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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blockade in der Bundesregierung "Verheerend für das Sicherheitsgefühl"
Bundesinnenministerin Faeser will das Waffenrecht verschärfen. Die Opposition wirft ihr Symbolpolitik vor. Und nicht nur das – auch ein Koalitionspartner stellt sich quer.
Samstag, 10. August, Berlin-Lichtenrade: Nach einer Probefahrt mit einem Cabrio zieht der angebliche Interessent ein Messer, bedroht den Verkäufer, erzwingt den Autoschlüssel und flieht mit dem Wagen.
Freitag, 9. August, Berlin-Neukölln: Zwei Männer streiten auf dem Bürgersteig. Plötzlich zieht der Jüngere ein Cuttermesser, verletzt den Älteren am Hals. Der Mann wird ins Krankenhaus gebracht, muss erst reanimiert, dann notoperiert werden. Am Sonntagnachmittag stirbt er.
Donnerstag, 8. August, Berlin-Mitte: In der Nacht überfällt eine fünfköpfige Gruppe einen 18-Jährigen und eine 20-Jährige. Den jungen Mann bedrohen sie zuerst mit einem Messer, gehen dann auf ihn los und durchtrennen den Riemen seiner Bauchtasche. Der Mann erleidet Stich- und Schnittverletzungen.
Dienstag, 6. August, Berlin-Spandau: An einer Bushaltestelle geraten mehrere Personen in einen Streit. Ein 45-Jähriger wird mit einem Messer am Oberarm verletzt. Er muss stationär behandelt werden, die Polizei ermittelt wegen schwerer Körperverletzung. Der Täter flieht.
Es sind Meldungen der Polizei Berlin, aus nur einer Woche. Immer wieder sind die Tatwaffen dabei: Messer. Und das Problem reicht weit über die Hauptstadt hinaus.
Zwar werden die bundesweiten Zahlen für Messerangriffe noch nicht lange gesondert erfasst. Allerdings bestätigen die Daten der vergangenen zwei Jahre schon jetzt einen gefährlichen Trend: Während 2022 noch 8.160 Messerangriffe im Bereich gefährliche und schwere Körperverletzung registriert wurden sowie circa 4.200 Messerdelikte im Bereich Raub, waren es 2023 bereits 8.950 schwere Körperverletzungen mit Messern sowie 4.900 Delikte im Bereich Raub. Tendenz steigend.
Mit Blick auf diese Entwicklung ist der Druck aus den Ländern auf den Bund seit Monaten hoch. Nun will das Bundesinnenministerium aktiv werden. "Wir brauchen ein schärferes Waffenrecht und striktere Kontrollen", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Sonntag. "Der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum muss weiter eingeschränkt werden, um den Schutz vor Messerangriffen zu erhöhen."
Faesers Plan: Messer sollen in der Öffentlichkeit nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs statt wie bisher 12 Zentimetern mitgeführt werden dürfen, Springmesser ganz verboten werden. Ausnahmen soll es zum Beispiel für Haushaltsmesser geben, die in geschlossenen Behältnissen mit sich geführt werden.
Faesers große Waffenrechtsreform hängt seit anderthalb Jahren fest
Dabei gehe man im "engen Schulterschluss mit den Ländern" vor, betonte Faeser. Tatsächlich ist das eine Untertreibung. Denn Faesers Vorschläge sind quasi identisch mit Forderungen der Länder zur Messerkriminalität, wie sie der Bundesrat bereits Mitte Juni in einer Entschließung abgestimmt hat. Neben dem Verbot von Messern bereits ab einer Klingenlänge von sechs Zentimetern und dem Springmesserverbot forderten die Länder da außerdem ein allgemeines Messerverbot in Bus und Bahn sowie ein "Umgangsverbot" für Kampfmesser und Dolche.
Doch Faeser hat ein Problem. Und das nicht erst seit dem Wochenende. Einer ihrer Koalitionspartner nämlich spielt beim Thema Waffenrecht nicht mit.
Bereits vor anderthalb Jahren legte die Ministerin eine Novelle zum Waffenrecht mit diversen Verschärfungen vor. Sie schlug damals eine stärkere Reglementierung von Schreckschuss-, Signal- und Reizstoffwaffen vor. Messer sind in der Reform bisher kein Thema. Sie könnten nun leicht ergänzt und die Novelle könnte verabschiedet werden, es wäre der logische Schritt – und die Länder fordern genau dieses Vorgehen in ihrer Entschließung aus dem Juni.
Doch Faesers große Waffenrechtsreform hängt seit anderthalb Jahren in der regierungsinternen Abstimmung fest. Die FDP sperrt sich seither gegen die Verschärfung.
In den Ländern, auch den SPD-regierten, ist der Frust darüber groß. "Der Bundesrat bedauert, dass die vom BMI angekündigte Novelle des Waffenrechts sich nach mehr als einem Jahr immer noch in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung befindet", klagten die Länder bereits in ihrem Papier aus dem Juni.
Und unter der Hand heißt es: Man wisse nicht einmal, in welchem Stadium sie genau hänge. Die Informationen aus der Bundesregierung dazu seien spärlich.
Niedersachsen kritisiert FDP: Blockade und Klientelpolitik
Deutlich wird Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Tag nach Faesers Vorstoß. Es sei gut, dass die Bundesinnenministerin Forderungen der Bundesratsinitiative aus dem Juni aufgreife und "insbesondere ein Verbot von Spring- und Kampfmessern umsetzen möchte", sagte sie t-online. "Ich erwarte aber gleichzeitig, dass die FDP ihre regierungsinterne Blockadehaltung bei diesem für unsere Sicherheit so wichtigen Thema endlich aufgibt."
In den Ländern gebe es eine große Zustimmung für eine Verschärfung des Waffenrechts, so Behrens weiter. "Es kann nicht sein, dass die FDP diesen wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Messerkriminalität aus rein klientelpolitischen Motiven verhindert!" Die stark gestiegene Zahl der Messerangriffe sei "hochgefährlich" und wirke sich "verheerend auf das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger" aus.
Auch die Grünen im Bundestag dringen auf die große Reform: "Wir sind offen für die Vorschläge von Nancy Faeser. Die Bedrohung durch Messer hat in den letzten Jahren zugenommen, darauf muss die Politik reagieren", sagte Innenexperte Marcel Emmerich t-online.
Eine Waffenrechtsreform aber müsse auch weitere Herausforderungen angehen, die schon im Koalitionsvertrag vereinbart worden seien. Darunter: die Entwaffnung von Extremisten und der kleine Waffenschein für Schreckschusswaffen. Es brauche "eine Waffenrechtsreform, die alle Probleme angeht und nicht nur einzelne Aspekte herausnimmt", so Emmerich. Und: "Es wäre gut, wenn die FDP das nicht weiter blockiert."
FDP winkt ab – Vorschläge "nicht überzeugend"
Faeser allerdings will nun einen anderen Weg gehen: Nach Informationen von t-online will sie in ihrem Haus voraussichtlich einen eigenen Gesetzentwurf zu Messern erarbeiten lassen. Die damit offenbar verbundene Hoffnung: Den liberalen Koalitionspartner zumindest bei diesem populären Thema zu einer Zustimmung zu bewegen und die Umsetzung so zu beschleunigen.
Es wäre die kleine Lösung, ein Sonderweg für Messer, ein Sonderweg speziell für die FDP. Und zugleich ein Zeichen, dass für die größere Waffenrechtsreform wohl nur noch wenig Hoffnung besteht.
Ob dieser Sonderweg allerdings erfolgversprechend ist? Aus der FDP war die Ablehnung am Montag auch zu Faeser Vorstoß zu den Messern deutlich: "Die Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium sind nicht überzeugend", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Länder könnten nach aktueller Rechtslage bereits weitreichende Verbotszonen für Messer an öffentlichen Plätzen und im öffentlichen Personennahverkehr einrichten, so Kuhle. Davon sollten sie Gebrauch machen, wenn sie entsprechende Verbote für erforderlich hielten. Bestehende Verbote müssten stärker kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden.
Auch wie sich die Union positioniert, ist noch unklar. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte Faesers Vorstoß am Montag im "Münchner Merkur" als "Symbolpolitik". Und auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) bemängelt, der Vorschlag ziele auf den "Effekt des Tages" ab. "Verbote bringen nur etwas, wenn sie kontrolliert werden können", sagt Reul t-online. Und weiter: "Mit Waffenverbotszonen haben wir gute Erfahrungen gemacht. Damit können wir den Leuten in die Tasche gucken und Messer einsammeln." Jedoch sei der Aufwand groß.
Sein Fazit: "Die eine Lösung gibt es nicht. Wir müssen uns auch genau anschauen, wer damit unterwegs ist. Die Leute müssen verstehen, dass Messer hier nicht gebraucht werden und auch hier nicht erlaubt sind. Das Gewaltmonopol hat der Staat."
Auch mit dem Sonderweg hätte Faeser also noch einiges an Gegenwind zu erwarten.
- Eigene Recherchen
- Pressemitteilungen der Polizei Berlin