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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bischof widerspricht Kritik aus der CDU "Das ist ein Trugschluss"

Mischen sich die Kirchen zu stark in die Politik ein? CDU-Politiker äußern gerade diese Kritik. Landesbischof Gohl widerspricht: Zu bestimmten Themen sei es christliche Pflicht, sich zu äußern – zum Beispiel zur AfD.
"Nicht zielführend" und "rechts- und verfassungswidrig": So bezeichneten die Kirchen im Januar Vorstöße von CDU/CSU zur Migrationspolitik im Bundestag. Zwar gab es danach Diskussionen, weil das Schreiben auf katholischer Seite offenbar nicht abgestimmt war. Doch die Kritik war in der Welt, machte Schlagzeilen – in aller Deutlichkeit.
Nun üben wiederum CDU-Politiker scharfe Kritik an den Kirchen: "Austauschbar" werde Kirche, wenn sie "zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO (Nichtregierungsorganisation)", warnte in der "Bild am Sonntag" CDU-Politikerin Julia Klöckner. Sie ist seit März auch Präsidentin des Bundestags.
Noch deutlicher wird der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß: Die Kirchen mutierten zu "politischen Institutionen mit linksgrünem Anstrich", sagte er dem "Spiegel". Ähnliches in noch schärferen Worten hört man seit Langem aus der AfD. Was ist dran an der Kritik? Wie politisch darf, wie politisch soll Kirche agieren? Und warum tut sie es?
Das hat t-online Ernst-Wilhelm Gohl gefragt, den Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er hat in der Vergangenheit schon mehrfach Diskussionen ausgelöst, etwa weil er sich gegen die AfD und für eine vollwertige Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ausgesprochen hat.
t-online: Der Tod des Papstes hat an Ostern viele Menschen bewegt, zugleich stehen die Kirchen in Deutschland vonseiten der CDU/CSU in der Kritik. Wie empfinden Sie die Lage für die Kirchen zurzeit?
Ernst-Wilhelm Gohl: Es gab sicher schon leichtere Zeiten. Es geht uns wie allen großen Institutionen: Wir sind nicht mehr selbstverständlich. Wir müssen viel mehr erklären, warum wir Sinn machen.
CDU-Politikerin Julia Klöckner kritisiert, dass die Kirchen sich zu stark politisch äußern – und zu wenig die großen Fragen von Tod und Leben im Blick haben. Dafür bezahle sie keine Kirchensteuer.
Ich halte diese Kritik für verkürzt, aber ich nehme sie ernst. Ich finde auch: Es ist nicht Aufgabe der Kirche, Tagespolitik zu betreiben. Aber als Christ sollte man politisch Stellung beziehen. Das Evangelium ist eine Sendung in die Welt – und in der Welt geht es politisch zu. Eugen Bolz (Anm. d. Red.: Zentrumspolitiker, NS-Widerstandskämpfer) hat es so formuliert: "Politik ist nichts anderes als praktisch angewandte Religion."

Zur Person
Ernst-Wilhelm Gohl ist seit 2022 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zuvor war er 16 Jahre lang Dekan in Ulm. Er wuchs in einer Pfarrersfamilie auf, nach dem Zivildienst machte er eine Ausbildung zum Rettungsassistenten. Im Januar 2024 veröffentlichte Gohl einen Artikel, in dem er die AfD als für Christinnen und Christen nicht wählbar bezeichnete, weil sie die Menschenwürde mit Füßen trete. Gohl ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Klöckner nennt als Beispiel das Tempolimit, das die Evangelische Kirche befürwortet hat.
Das ist mir für eine Positionierung auch zu kleinteilig. Sind wir jetzt die besseren Verkehrsexperten? Die Diskussion ist legitim, eine Haltung dazu nicht verboten. Aber solche sehr konkreten Fragen sollte man den Fachpolitikern überlassen.
Zu einem anderen politischen Thema äußern Sie sich ebenso wie viele Ihrer Kollegen sehr deutlich: zur AfD. Warum nicht Tempolimit, aber AfD?
Das ist für mich eine andere Kategorie. Auf die großen, ethischen Fragen unserer Zeit müssen wir Antworten liefern. Dazu gehört auch die AfD. Ich finde die Lehre aus der deutschen Geschichte zentral: Rechtsradikalismus führt ins Verderben. Er ist nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar.
Wo überschreitet die AfD aus Ihrer Sicht Grenzen?
Ein Herr Höcke äußert sich schlicht menschenverachtend. Zum Beispiel, wenn er Schwarzafrikaner mit Bakterien oder Viren gleichsetzt. Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild – egal, wo er geboren ist; egal auch, welche Partei er wählt. Auch ein Herr Höcke ist Gottes Geschöpf, ich begegne ihm mit Respekt und werte ihn als Menschen nicht ab. Aber die Ideologie, die er vertritt, widerspricht dem christlichen Menschenbild.
Höcke ist nicht die gesamte AfD.
Herr Höcke wird in der AfD auf einem führenden Posten geduldet. Ihm wird von den Verantwortlichen nicht Einhalt geboten, im Gegenteil: Herr Höcke ist jetzt Mainstream in der AfD. Viele Funktionäre äußern sich ähnlich menschenverachtend, vor allem wenn es um Minderheiten geht. Die AfD ist inzwischen eine rechtsradikale Partei – diese Klarheit ist unsere Pflicht.
Sie haben die AfD in einem Artikel aus christlicher Sicht sogar als unwählbar bezeichnet. Geht ein so deutliches parteipolitisches Statement, eine Wahlempfehlung, nicht zu weit?
Für mich ist es keine parteipolitische, sondern eine theologische Aussage. Und eine Lehre aus der Geschichte: Nach dem Dritten Reich haben sich die Kirchen in der Stuttgarter Schulderklärung bekannt, dass sie dem Nationalsozialismus viel zu spät offen widersprochen haben. Wir müssen es wagen, früh deutlich zu sein.
Senden Sie so aber nicht das Signal an Gläubige: Wenn ihr AfD wählt, seid ihr nicht willkommen?
Niemand wird ausgegrenzt, alle sind herzlich willkommen. Das ist mir sehr wichtig. Ich respektiere andere Meinungen. Wenn andere das mit ihrem Glauben, Gewissen und Schriftverständnis vereinen können, dann ist das so. Ich möchte zur Diskussion anregen und in den Gemeinden Gesprächsräume öffnen.
Wie sind die Reaktionen auf Ihren Artikel ausgefallen?
Es gab unverschämte Briefe. Es gab Kritiker, mit denen ich in den Dialog gegangen bin. Aber die Mehrheit, zwei Drittel etwa, waren Zuspruch. Viele haben mich ermutigt: Wenn der Bischof das wagt, dann traue ich mich auch, den Mund aufzumachen.
Trotz aller Kritik hat die AfD bei der Bundestagswahl nicht nur im Osten, sondern auch in katholischen und evangelischen Regionen im Westen erstmals Bestwerte geholt. In Baden-Württemberg waren es 20 Prozent. Führt dieser Erfolg der AfD in den Kirchen zu Druck, leiser zu werden, unpolitischer?
Es ist ein Trugschluss zu denken: Wir verzichten auf die Debatte ums Tempolimit und die AfD, dann wird die Kirche wieder erfolgreich werden. Wir haben es mit einer grundlegend veränderten Gesellschaft zu tun. Die Heterogenität ist groß. Alle Institutionen, die versuchen, verschiedene Gruppen zusammenzuhalten, stehen vor großen Herausforderungen – ob Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften.
Wie blicken Sie auf CDU und CSU? Die haben Anfang des Jahres zur Migrationspolitik im Bundestag mit der AfD gestimmt, diskutieren gerade über die Brandmauer und einen neuen Umgang mit der AfD.
Ich sehe sie nicht auf demselben Weg wie die AfD, sondern vielmehr in einer wichtigen Debatte: Wie gehen wir am besten mit dem Phänomen AfD um? Das muss erlaubt sein, Denkverbote sind immer schädlich. Empörungswellen spielen nur denen in die Karten, die Wut schüren wollen.
Wie weit sollte sich die Union aus Ihrer Sicht öffnen?
Eine Koalition mit der AfD halte ich für den falschen Weg. Aber wir können nicht jede Form der Zusammenarbeit von vornherein ausschließen. Die Realität ist doch: Der bisherige Weg der Brandmauer war nicht erfolgreich. Wir erleben das als Kirchen auch in den östlichen Bundesländern, wo die AfD schon lange Mehrheiten erreicht. Da muss man zusammenarbeiten, zwangsweise.
Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma?
Wir müssen neue Wege suchen, ohne unsere Werte zu verkaufen. Und sollten dabei eine Brandmauer immer halten: uns vom Hass nicht anstecken zu lassen.
In den USA hat Donald Trump mit der MAGA-Bewegung die republikanische Partei ideologisch deutlich nach rechts verschoben. Halten Sie eine vergleichbare Entwicklung auch innerhalb der deutschen Union für möglich?
Ich hoffe nicht. Was wir in den USA gerade sehen, erfüllt mich mit Sorge. Der Trumpismus, "Make America Great Again" – das ist der nackte Egoismus. Auch das widerspricht der christlichen Grundhaltung: Solidarität.
Die katholische Kirche muss jetzt einen Nachfolger für Papst Franziskus finden. Was erhoffen Sie sich?
Mich hat Papst Franziskus tief beeindruckt. Er hat sich auf die Wurzeln des christlichen Glaubens besonnen, er hat Demut gelebt, nicht belehrt, sondern nach Antworten gesucht: Wie kann es heute gelingen, in einer Welt, die immer vielfältiger und fragmentierter wird, viele Menschen zu erreichen? Ich würde mir wünschen, dass die katholische Kirche diesen Weg weitergeht.
- Gespräch mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl