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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorwürfe von Juristen Machen sich Lauterbach und Baerbock hier strafbar?
Kostenlos auf Bestplätzen jubeln, während Fans tief in die Tasche greifen müssen – Minister und Abgeordnete genießen bei der EM von der Uefa spendierte Tickets. Juristen kritisieren das scharf. Machen sich die Bundespolitiker sogar strafbar?
Man hat sich an die Bilder aus den EM-Stadien schon fast gewöhnt: Unten kicken die Nationalspieler, auf den besten Rängen fiebern Kanzler, Minister und andere Politiker mit. Während Bürger für so prominente Plätze allerdings mehrere Hundert bis Tausende Euro zahlen müssten, zahlen die Politiker oft: nichts. Sie können von einem Kartenkontingent profitieren, das der Fußballverband Uefa ihnen kostenlos stellt und "Ehrenkarten" nennt.
669 Freikarten hat die Uefa der Bundespolitik so im Laufe des Turniers insgesamt bereitgestellt. Das teilt das Bundesinnenministerium (BMI) auf eine Anfrage von t-online mit. Sie wurden demnach aufgeteilt: Auf die Hälfte der Karten konnten Vertreter der Bundesregierung und ihre Stäbe zugreifen, auf die andere Hälfte Vertreter des Bundestags.
Das Ministerium begründet die Annahme der kostenlosen Eintrittskarten von der Uefa mit "Spielbesuchen von Repräsentanten des Bundes aus dienstlichem Anlass“. So solle bei allen Spielen der EM sichergestellt werden, dass Vertreter der Bundesrepublik präsent seien und "ihre Wertschätzung für den Fußball und die Sportler zeigen".
Juristen aber sehen diese Praxis sowie ihre Rechtfertigung im Gespräch mit t-online extrem kritisch – und das aus gleich mehreren Gründen. So sieht der renommierte Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate in der Annahme der kostenlosen Karten einen "vermögenswerten Vorteil, der den Verdacht einer Untreue begründen kann".
Und Till Zimmermann, Professor für Strafrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Experte für Korruption und Geldwäsche, sagt t-online: "Das hat ein korruptives Geschmäckle."
Kanzler, Minister und Abgeordnete umsonst auf Premiumplätzen
Grund für die Kritik der Experten: Die Eintrittskarten werden von der Uefa gestellt, die das Mega-Event EM ausrichtet. Der mächtige Verband, in dem neben dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) mehr als 50 andere nationale und regionale Verbände Mitglied sind, dürfte durch die Europameisterschaft 2024 Rekordsummen einstreichen. Laut "Spiegel" ging die Uefa in Budgetberechnungen vor Beginn des Turniers von mehr als 1,7 Milliarden Euro Gewinn aus.
Die Politik kann auf diese Gewinnmarge sowie das Turnier insgesamt Einfluss nehmen – sie stellt bei dem bundesweit ausgetragenen Event unter anderem in Sicherheits-, Mobilitäts-, und Steuerfragen Weichen. Nur ein Beispiel: Schon 2018 versprach die Bundesregierung der Uefa laut "Spiegel", dass sie vom EM-Gewinn kaum Steuern ans Finanzamt zahlen müsse. Der Finanzminister, der für das stattliche Steuergeschenk federführend zuständig war, hieß: Olaf Scholz.
Einen Interessenkonflikt bei der Annahme kostenloser Eintrittskarten aber scheint auch heute bei den Entscheidungsträgern niemand zu sehen. Denn schon die Liste der Regierungsvertreter, die bei diesem Turnier Spielen beiwohnten, ist lang: Finanzminister Christian Lindner (FDP), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) waren im Stadion. Gleich mehrfach jubelten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Innen- wie Sportministerin Nancy Faeser (SPD) mit.
"Der Verdacht der Korruption ist nicht ganz fernliegend"
Korruptionsexperte Till Zimmermann aber betont, dass Amts- und Mandatsträger nicht einfach mit "geldwerten Vorteilen" wie kostenlosen Eintrittskarten bedacht werden dürfen. Es brauche einen Grund dafür – und zwar einen gewichtigen.
"Ob Repräsentanz als Grund genügt, ist fraglich", sagt der Düsseldorfer Professor für Strafrecht. "Die Uefa hat als Ausrichter eines so großen Turniers schließlich gesteigertes Interesse daran, dass die Entscheidungsträger in Bundesregierung und Parlament ihr wohlgewogen sind."
Machen sich Minister und Abgeordnete also womöglich sogar strafbar, wenn sie von dem Angebot der Uefa Gebrauch machen? "Ob das strafrechtlich relevant ist, hängt von mehreren Faktoren ab und müsste im Einzelfall untersucht werden", sagt Zimmermann. Klar aber sei: "Der Verdacht der Korruption ist nicht ganz fernliegend."
Strafrechtler sieht Spaß, nicht Dienst im Vordergrund
Als "schlicht abwegig" bezeichnet der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate die Argumentation des Innenministeriums, die kostenlosen Eintrittskarten würden im Zuge der Dienstausübung der Amts- und Mandatsträger genutzt.
"Es liegt auf der Hand, dass die Empfänger solcher Karten nicht ins Stadion gehen, weil sie ihren Dienst ausüben, sondern weil sie Freude an der Beobachtung eines spannenden sportlichen Wettbewerbs haben", sagt er t-online. "Das zeigt sich beispielsweise auch an den Selfies und Texten, die Herr Lauterbach bei jedem Spielbesuch ins Netz twittert."
Tatsächlich ist der SPD-Gesundheitsminister bekennender Fußballfan und in der Bundesregierung einer der fleißigsten Nutzer des Uefa-Kartenkontingents. Auf Anfrage von t-online erklärt ein Sprecher seines Ministeriums, dass Lauterbach bis auf ein Vorrunden-Spiel alle Partien der deutschen Nationalelf live verfolgt habe, zudem beim Halbfinale war und auch für das Finale am Sonntag einen Besuch plant. Macht sechs EM-Spiele in Summe.
Fleißig twitterte Lauterbach bei den Spielen auf der Tribüne, schickte Selfies mit Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock oder Innenministerin Faeser ins Netz, die Tausende Male geliked wurden. Dabei reckte er gut gelaunt den Daumen in die Kamera und schrieb dazu Sätze wie "Die Stimmung ist bombig …" oder "Das Fanteam No1 ist schon klatschbereit."
Erkauft die Uefa sich Wohlwollen?
Strafrechtler Strate ist Experte für den juristisch hochkomplexen Bereich der Untreue und erstritt hier historische Urteile. Zweifelsfrei sieht er in der Herausgabe der kostenlosen Karten einen "vermögenswerten Vorteil" – und das könne den "Verdacht einer Untreue" begründen.
Dieser Vorwurf wäre dann gerechtfertigt, so Strate weiter, "wenn mit der Hingabe dieser Ehrenkarten ein generelles Wohlwollen der damit bedachten Amtsträger erkauft wird im Sinne einer 'allgemeinen Klimapflege' für die Uefa und ihrem Mitglied, dem DFB." Ob das auf jeden Empfänger zutreffe, müsse im Einzelfall überprüft werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei aber eindeutig, dass die Entgegennahme dieser kostenlosen Karten "natürlich auch steuerpflichtig" sei. "Ein Minister wie Lauterbach muss also jede einzelne Karte auch versteuern."
Minister schweigen auf zentrale Fragen
Stellt sich die Frage: Haben die Minister das vor? Und noch viel zentraler: Warum kaufen sich Minister und Abgeordnete nicht einfach selbst Tickets für die EM – und machen sich so unabhängig von der Uefa? Mehr als 16.000 Euro erhalten Minister schließlich monatlich, bei Abgeordneten sind es rund 12.000 Euro.
t-online hat diese Fragen an die Minister gestellt, die am häufigsten im Stadion anwesend waren: Neben Lauterbach sind das die Innenministerin Faeser, Außenministerin Baerbock und Familienministerin Paus.
Die meisten ihrer Sprecher aber schickten lediglich teils gleichlautende und eher allgemeine Stellungnahmen. Sie verweisen erneut darauf, dass das "begrenzte Kontingent sogenannter Ehrenkarten" für Spielbesuche von Repräsentanten des Bundes "aus dienstlichem Anlass" vorgesehen sei. Auf die Frage, ob die Karten versteuert würden, antwortete: kein einziger.
- Eigene Recherchen
- Anfragen an vier Ministerien
- Gespräche mit den Strafrechtlern Till Zimmermann und Gerhard Strate
- spiegel.de: "Deutschland zahlt, die Uefa kassiert"