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US-Militärhilfen für Ukraine: Strack-Zimmermann im Interview


Marie-Agnes Strack-Zimmermann
"Die schlimmsten Befürchtungen werden wahr"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 04.03.2025 - 10:57 UhrLesedauer: 8 Min.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) spricht beim Wahlkampfendspurt der FDP zur Europawahl 2024.Vergrößern des Bildes
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die FDP-Politikerin ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament. (Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa)
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Die USA frieren die Militärhilfen für die Ukraine ein. FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann erklärt, was das für Europa heißt – und wie sie zu einem neuen Sondervermögen für die Bundeswehr steht.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist dieser Tage noch gefragter als sonst: Als Verteidigungsexpertin gibt die Europaabgeordnete fast täglich Interviews zur geopolitischen Weltlage und zu den neuesten Äußerungen Donald Trumps in den USA. Und dann ist da auch noch ihre Partei, die FDP, die gerade aus dem Bundestag geflogen ist – und in deren Führung die Frontfrau der Liberalen in Brüssel künftig eine größere Rolle spielen könnte.

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Im Gespräch mit t-online plädiert Strack-Zimmermann für ein UN-Mandat zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine. Sie erklärt, warum China sich die Entwicklungen in Europa ganz genau anschaut. Und sie macht deutlich: Die FDP muss künftig für mehr als nur für Wirtschaftsliberalismus stehen.

t-online: Frau Strack-Zimmermann, US-Präsident Trump will Berichten zufolge sämtliche Ukraine-Hilfen einfrieren. Was heißt das für uns in Europa?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich gehe davon aus, dass das Weiße Haus mit Wolodymyr Selenskyj wieder ins Gespräch kommen wird. Was auch immer passiert: Europa muss liefern!

Insgesamt scheinen die USA den Westen aufzukündigen. Wie groß ist vor diesem Hintergrund Ihre Furcht vor einem Angriff Russlands auf Europa?

Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, ich bin aber in Sorge, denn die schlimmsten Befürchtungen werden nach der ersten Regierungszeit von Trump wahr: Er reißt binnen Tagen alles ein, was seine Vorgänger über 80 Jahre mit Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen den USA und Deutschland aufgebaut haben. Das ist erschütternd. Wir müssen der Realität jetzt ganz nüchtern ins Auge schauen und die Bedrohung durch Russland äußerst ernst nehmen. Wir in Europa befinden uns zwar nicht im Krieg, aber wir leben auch nicht mehr im Frieden.

Wie meinen Sie das?

Die Angriffe Russlands gegen den freien Westen laufen seit Jahren. Ich spreche von hybriden und Cyber-Angriffen. Russland verhindert durch Verminung der ukrainischen Getreidefelder die Ausfuhr von ausreichend Getreide. Die Ukraine ernährt 70 Millionen Menschen weltweit. Wenn die Menschen hungern, die Brotpreise ins Unermessliche steigen, werden Sie ihre Heimat verlassen müssen. Und genau das will Putin, um durch Migration Druck auf uns auszuüben. Er lässt gezielt unsere Unterwasserinfrastruktur, Kabel und Leitungen beschädigen und fordert uns immer wieder heraus, indem seine Kampfjets in unseren Luftraum eindringen, um uns zu provozieren. Abgesehen von den massiven Angriffen im Internet durch russische Trolle und Bots. Dadurch möchte er die Bevölkerung verunsichern, desinformieren und letztlich das Land ins Chaos stürzen. All das sind massive Angriffe auf uns und unsere Freiheit.


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Länder wie Polen, Estland, Litauen sind hochgradig alarmiert.


Marie-Agnes Strack-Zimmermann


Ein echter, konventioneller Krieg aber droht nicht?

Derzeit sind die Russen stark in der Ukraine gebunden. Mittelfristig können wir konventionelle Angriffe nicht mehr ausschließen. Wir alle wünschen uns, dass die Waffen in der Ukraine schweigen. Allerdings muss es ein dauerhafter gerechter Frieden für die Ukraine sein, der nicht nur als militärische Verschnaufpause für Russland herhält, damit Putin sich auf den nächsten Angriff vorbereitet. Länder, die eine Grenze zu Russland haben, wie Polen, Estland, Lettland, Litauen und Finnland sind hochgradig alarmiert. Umso schneller müssen wir uns in Europa gemeinsam rüsten, um entsprechend abwehrbereit und resilient zu sein. Nur so wird Moskau es nicht wagen, uns anzugreifen. Deswegen müssen wir auch weiterhin die Ukraine wirtschaftlich, humanitär, mit militärischen Equipment und Waffen unterstützen. Nur aus der Stärke heraus hat die Ukraine eine Chance, zu überleben.

Vom EU-Gipfel am Donnerstag soll ein solches Signal ausgehen, der "Weckruf" sei verstanden, heißt es dieser Tage oft. Was ist Ihre Erwartung an das Treffen?

Ich bin optimistisch, dass wir am Donnerstag ein starkes Signal der Unterstützung für die Ukraine sehen werden, auch wenn Ungarn erneut Hilfen blockieren wird.

Was macht Sie da so sicher?

Mich stimmt positiv, dass Großbritannien militärisch die Nähe zur EU sucht, auch wenn die Nation nicht mehr Mitglied der EU ist. Wir brauchen dringend eine Koalition der Willigen, Staaten in Europa, die Mitglied der EU sind und auch Nichtmitglieder. Die Bilder aus London waren positiv, wenngleich noch Länder bei dem Treffen fehlten, wie zum Beispiel Polen. Zusammen können diese europäischen Nationen vorangehen und eine starke Allianz bilden, der sich andere in der EU anschließen können.

Der Westen aber muss noch stark aufrüsten, sollten die Amerikaner als nukleare Schutzmacht ausfallen. Braucht es, wie vergangenes Jahr bereits diskutiert, eine europäische Atombombe?

Das Thema atomare Abschreckung ist hochkomplex und nicht mal so eben umzusetzen. Frankreich und Großbritannien gehören zu den Atommächten und könnten uns in Zukunft gegebenenfalls einen Schutzschirm anbieten, sofern er ausgebaut wird, auch wenn ich momentan nicht davon ausgehe, dass die USA ihren atomaren Schutz kurzfristig aus Europa abziehen. Leider müssen wir aber mit vielem rechnen, da hilft es, Szenarien frühzeitig zu bedenken.

Frankreich und Großbritannien sind es auch, die jetzt eine Waffenruhe zu Wasser und in der Luft vorgeschlagen haben. Was halten Sie von einem solchen ersten Schritt hin zu einem europäischen Friedensplan?

Jede Initiative muss durchdacht sein. Wir sollten uns aber darüber nicht täuschen lassen, dass Russland kein Interesse an einem Waffenstillstand hat und schon gar nicht daran, Frieden zu bringen. Seitdem Trump offensichtlich die Nähe zu Putin sucht, haben die Luftangriff auf die Ukraine umso mehr zugenommen. Dennoch ist es gut, wenn Europa Vorschläge macht, um auch den USA gegenüber zu signalisieren, dass wir Frieden auf unserem Kontinent wollen.

Den müssten, nach dem Willen der USA, am Ende die Europäer allein absichern. Können wir das überhaupt?

Bisher ist ja noch überhaupt nichts ausgehandelt worden. Es haben sich lediglich der US- und der russische Außenminister getroffen. Insofern können solche Szenarien noch gar nicht diskutiert werden. Und wenn es erforderlich sein sollte, muss man sich genau Gedanken machen, wer die Mission führt: Wäre es eine europäische Mission oder ein UN-Peacekeeping-Mandat, um einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine abzusichern? Da wären dann nicht nur Europas Mächte gefragt, sondern freiwillig auch Länder aus ganz anderen Regionen der Welt. Zum Beispiel Australien, Neuseeland, Korea, Japan. Enge westliche Verbündete. Einen erneuten Angriff auf die Ukraine würde dann einen großen Teil der freien Welt tangieren. Ein solches Mandat würde auch einen Effekt im Indopazifik erzielen.

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Nämlich?

China beobachtet doch ganz genau, was in Europa geschieht. Setzt sich Russland durch? Welche Rolle spielen die Vereinigten Staaten in Zukunft? Fühlt sich China durch die volatile Lage in Europa ermutigt, Taiwan anzugreifen, wenn sich auch demokratische Staaten des Indopazifiks für die Ukraine mitverantwortlich zeigen. Eins ist sicher, die Demokratien sollten auf diesem Erdball eng zusammenarbeiten und es den Autokraten zu verstehen geben, dass die freie Welt nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, sondern sich und die eigenen Werte bereit ist zu schützen und zu verteidigen.

All das wird viel Geld kosten, auch Deutschland wird einen hohen Preis zahlen müssen. Die Sondierer von Union und SPD sprechen darum über gleich zwei Sondervermögen in Höhe von jeweils 400 Milliarden Euro: Eines für die Bundeswehr und eines für die Infrastruktur. Sollte die FDP-Fraktion im "alten" Bundestag dem noch zustimmen?

Das werden die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion im Bundestag entscheiden müssen. Ein Sondervermögen macht dann Sinn, wenn es ganz klare Kriterien erfüllt, unsere Streitkräfte schnellstmöglich zu modernisieren. Das muss Friedrich Merz sicherstellen. Darüber hinaus muss der Verteidigungshaushalt im kommenden Haushalt und im folgenden deutlich erhöht werden. Es ist originäre Aufgabe des Staates, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Das muss sich im laufenden Haushalt klar wieder spiegeln. Wenn Friedrich Merz dem nicht nachkommt, und den Haushalt nicht anpasst und ein Sondervermögen für anderes missbraucht, dann wird er in nur ein Abziehbild von Olaf Scholz werden.

Das klingt, als seien Sie persönlich doch aufgeschlossen für den Plan.

Ich persönlich würde, vorausgesetzt die Kriterien wären erfüllt, einem solchen zweiten "Sondervermögen Bundeswehr" zustimmen, auch wenn die CDU mit der SPD und den Grünen zusammen ohne die Stimmen der FDP die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament noch hat. Denn es wäre ein wichtiges Signal in Richtung EU, in Richtung Ukraine und in Richtung der Vereinigten Staaten, dass wir dem Ernst der Lage und dem Zeitdruck, unter dem wir stehen, Taten folgen lassen. Nach der Konstituierung des neu gewählten Bundestages wird sich die Lage für den zukünftigen Bundeskanzler nämlich grundsätzlich ändern. Die AfD und die Linke lehnen beide die Nato und die Europäische Union strikt ab. Beide wollen, dass Deutschland aus den Bündnissen aussteigt, und sie werden daher keinem Sondervermögen zustimmen.

Lassen Sie uns noch einmal auf Ihre Partei blicken, die FDP, die nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag einen neuen Chef sucht. Sie haben sich unlängst offen dafür gezeigt, mehr Verantwortung zu übernehmen. Wollen Sie nun Vorsitzende werden – oder nicht?

Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, ich wolle die neue Parteivorsitzende werden, im Gegensatz zu meinem Kollegen Wolfgang Kubicki. Er hat, nachdem er in der Wahlnacht verkündet hatte, er wolle Verantwortung übernehmen und sich wie Christian Lindner zurückziehen, er sei ja schließlich Teil der Kampagne gewesen, sich es dann doch – nach einer feucht traurigen Nacht – anders überlegt. Er hat dies der "Bild"-Zeitung mitgeteilt. Ich habe bereits am Wahlabend darauf verwiesen, dass es eines Teams bedarf, um die Partei in den Bundestag zurückzuführen, und ich, wenn meine Expertise benötigt wird und die Partei es wünscht, dabei wäre.

Viele in der Partei können sich Christian Dürr, den Chef der Bundestagsfraktion in Auflösung, als Vorsitzenden vorstellen.

Wir haben ganz viele kluge Leute in unserer Partei, die das könnten und auch das breite Spektrum der FDP widerspiegeln würden. Es wäre deshalb gut, wenn unterschiedlich Köpfe eine Rolle spielen würden. Neben den erfahrenen Kollegen wie Johannes Vogel und Konstantin Kuhle sind das auch Kolleginnen wie Gyde Jensen, Ria Schröder, Maria Westphal, Franziska Brandmann oder Susanne Seehofer. Wir brauchen ein Team aus Frauen und Männern, die unterschiedliche Gruppen ansprechen, um als Partei wieder attraktiv zu werden.

Also wären Sie auch für eine Doppelspitze, wie andere Parteien sie haben?

Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Zumal wir in den Landesverbänden damit sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Dazu müsste allerdings unsere Satzung geändert werden. Letztendlich muss das selbstverständlich der Parteitag entscheiden.

Und welchen Kurs sollte die Partei mit diesem Team einschlagen, nachdem der schwarz-gelbe "Dagegen"-Wahlkampf der FDP zuletzt gescheitert ist?

Eine Partei, die immer nur gegen alles ist und sich an der Konkurrenz abarbeitet, ist nicht attraktiv. Wir sollten klarmachen, für was wir stehen. Um es mal etwas einfach auszudrücken: Wenn ich in einen Laden gehe, um eine Hose zu kaufen, dann doch, weil das Geschäft Werbung für seine Ware macht und die Vorzüge und Vielfalt anpreist und nicht, weil es dem Nachbargeschäft unterstellt, nur Mist zu verkaufen.

Und wie lässt sich der "Laden" FDP retten?

Die FDP steht für den Wirtschaftsliberalismus, denn ohne entsprechende Rahmenbedingungen für den Mittelstand und die Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, wird es keine erfolgreiche Wirtschaft geben. Dies ist aber Voraussetzung für alles, was wir finanzieren wollen und müssen. Darüber hinaus spielt der Bürgerrechtsliberalismus eine Rolle und sollte auch entsprechend wieder in den Fokus gerückt werden. Die Bürgerrechte zu schützen, ist elementar für unsere gesellschaftliche Freiheit. Der Liberalismus ist so kostbar, dass wir ihn nicht einengen, sondern breiter aufstellen sollten. Er ist kostbar und in schwierigen Zeiten nicht wirklich populär, weil leider sich viele Bürger nach Führung sehnen und offensichtlich auch kein Problem damit haben, wenn ihre Freiheiten sukzessive eingeschränkt werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit einer thematisch breit aufgestellten FDP und einem guten Team in vier Jahren im Bundestag wieder dabei sind. Deutschland wird schnell merken, dass der Parlamentarismus in Deutschland ein anderer ist, wenn die Freiheit im Parlament keinen richtigen Vertreter mehr hat.

Frau Strack-Zimmermann, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann
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