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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Skepsis bei Sondervermögen Grünen-Chef: Merz hat Wähler "schlicht belogen"
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Union und SPD überlegen, mit zwei riesigen Sondervermögen Geld für Verteidigung und Infrastruktur zu mobilisieren. Die Grünen sind nicht überzeugt – und machen Friedrich Merz Vorwürfe.
Die Grünen sind sehr skeptisch, ob mit dem alten Bundestag jetzt noch schnell neue Sondervermögen eingerichtet werden können, so wie es Union und SPD offenbar überlegen. "Eine Verfassungsänderung macht man ja nicht eben mal sozusagen auf dem Weg von hier bis zum Bundestag", sagte Grünen-Chef Felix Banaszak am Montag in Berlin. "Ich finde das alles sehr ambitioniert und vor allem auch planlos."
Man habe aus der Zeitung erfahren, dass Friedrich Merz dafür möglicherweise am 10. März eine Sondersitzung des Bundestages abhalten wolle. Das sei eine "sehr knappe Zeit". Der neue Bundestag muss sich spätestens am 25. März konstituieren, dann kann der alte nichts mehr beschließen.
Banaszak argumentierte nun jedoch, schon "wenn am 14. März das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl vorliegt, gibt es wenig Anlass, noch Mehrheiten mit dem alten Deutschen Bundestag zu suchen". Er verwies dabei auch auf die rechtlichen Unsicherheiten und angekündigte Klagen gegen einen solchen Beschluss mit alten Mehrheiten, "die ja nur deswegen mobilisiert werden, weil einem die neuen nicht passen".
Am Wochenende hatte die Nachrichtenagentur Reuters über einen Vorschlag von vier Ökonomen berichtet, der demnach auch in den Sondierungsgesprächen von Union und SPD am Freitag diskutiert worden sein soll. Er sieht vor, das schon verplante 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen Bundeswehr um 400 Milliarden Euro aufzustocken. Daneben könnte es ein weiteres Sondervermögen für die Infrastruktur geben, das für Bund und Länder 400 oder sogar 500 Milliarden Euro mobilisieren soll.
"Schlicht belogen"
Grünen-Chef Banaszak betonte, man verweigere sich Gesprächen über neue Sondervermögen zwar nicht und sei "gespannt" auf "konkrete Ideen". Doch er sagte auch, man sei von der Idee der Sondervermögen nicht überzeugt. Das sei nicht die strukturelle Lösung, die es brauche. "Wir halten eine umfassende Reform der Schuldenbremse für notwendig." Dafür stehe man jederzeit bereit. "Wer etwas anderes möchte, kann auf uns zukommen."
Banaszak kritisierte CDU-Chef Friedrich Merz scharf für seinen Kurswechsel in der Finanzpolitik. Es sei "verantwortungslos" und "fahrlässig", dass Merz vor der Wahl "alle Warnungen in den Wind geworfen hat", die Schuldenbremse zu reformieren. Merz habe "seinen Wahlkampf aufgebaut auf der Unwahrheit, dass es Deutschland gelingen kann, diese ganzen Ausgaben zu tätigen, ohne dass man an der Einnahmeseite etwas ändern muss". Merz habe seine Wähler "schlicht belogen".
Friedrich Merz müsse jetzt schnell in der Realität ankommen, sagte Banaszak, und auf die Grünen sowie die Linkspartei zugehen. Er müsse sich mit einer "Zusammenarbeit auf Augenhöhe" arrangieren. "Vielleicht kann man die CDU mit Basta führen, ein Land regieren kann man so nicht."
Die Linkspartei wiederum, die es im neuen Bundestag für eine Reform der Schuldenbremse bräuchte, forderte Banaszak dazu auf, "anzukommen in einer neuen außen- und sicherheitspolitischen Realität in diesem Land". Die Linke ist zwar für eine Reform der Schuldenbremse, allerdings nicht, um die Verteidigungsausgaben zu erhöhen.
Union lehnt Reform der Schuldenbremse bisher ab
Die SPD hätte genau wie die Grünen eigentlich lieber eine generelle Reform der Schuldenbremse. Ein Vorschlag lautet, Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur grundsätzlich von den Vorgaben auszunehmen. Verteidigungsminister Boris Pistorius argumentiert, dass aus einem Sondervermögen die ebenfalls steigenden Betriebskosten für Wartung und Instandsetzung sowie die Personalkosten nicht bezahlt werden können.
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte sich am Sonntag im ZDF jedoch grundsätzlich offen für den Weg der Sondervermögen gezeigt, auch wenn er zum konkreten Vorschlag nichts sagen wollte. "Wir sind gewillt, schnell zu einer tragfähigen Lösung zu kommen", sagte Klingbeil. Was das konkret bedeutet, hänge von den Sondierungsgesprächen mit der Union ab, die am heutigen Montag fortgesetzt werden.
Die Union lehnt eine schnelle Reform der Schuldenbremse bisher ab. Nötig ist sowohl für eine Reform der Schuldenbremse als auch für Sondervermögen eine Zweidrittelmehrheit. Die aber haben Union, SPD und Grüne im neuen Bundestag nicht mehr.
Neuen Schwung in die Debatte um eine Reform der Schuldenbremse könnte in dieser Woche ein Vorschlag der Bundesbank bringen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte vergangene Woche einen Vorschlag angekündigt, der die "neuen fiskalischen Herausforderungen" berücksichtige. Die Bundesbank sieht ebenso Handlungsbedarf bei der Infrastruktur und der nachhaltigen Finanzierung der Verteidigungsausgaben.
Der Vorschlag solle mehr Spielraum für Verteidigung und Investitionen ermöglichen, sagte Nagel. Kernelement sei, dass man sich eine größere "strukturelle Komponente" vorstellen könne. Bislang erlaubt die Schuldenbremse dem Bund strukturell nur eine maximale Nettokreditaufnahme von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. "Diesen Spielraum könnte man innerhalb der europäischen Vorgaben vergrößern, um mehr Investitionen zu ermöglichen", sagte Nagel. Weitere Details nannte er bisher nicht.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters