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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin zu Angriffen auf Politiker "Darum werden die Grünen so oft zur Zielscheibe"
Der politische Aschermittwoch der Grünen wurde abgesagt, weil die Sicherheit der Politikerinnen und Politiker auf dem Spiel stand. Woher rührt der Hass auf die Partei?
"Ihr seid eine Schande", "Leere Versprechen" und: "Wir packen das Übel bei der Wurzel" – diese und ähnliche Slogans waren am Mittwoch in Biberach zu lesen. Zahlreiche Menschen zogen mit Dutzenden Traktoren, lautem Gehupe und Getöse durch die baden-württembergische Kreisstadt. In dieser finden sich die Grünen, darunter Bundesprominenz wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir oder Parteivorsitzende Ricarda Lang, jährlich zum politischen Aschermittwoch ein. Doch am Mittwoch musste die Veranstaltung erstmals kurzfristig abgesagt werden.
Vor der Stadthalle hatten sich zahlreiche Demonstrierende versammelt. Die Straßen zur Stadthalle blockierten sie nicht nur mit Traktoren, sondern auch mit Pflastersteinen, Sandsäcken und einer Ladung Mist. Bei einem Fahrzeug wurde zudem eine Scheibe eingeschlagen. Dabei handelte es sich wohl um eines aus der Kolonne von Bundesagrarminister Cem Özdemir, berichtet die "Schwäbische Zeitung". Noch am selben Abend wurde seine Parteikollegin Lang in Schorndorf von einem wütenden Mob bedrängt. Und auch Robert Habeck wurde am Donnerstag angegangen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Dass die Grünen Opfer von Gewalt und Hass werden, ist kein Einzelfall. Statistiken zeigen, dass die Partei bei politisch motivierten Angriffen auf Parteibüros oder Politikerinnen und Politikern am ehesten zum Ziel wird. Nach ersten Zahlen gab es 2023 bundesweit 224 Angriffe auf Einrichtungen der Grünen. Auch Hanna Schwander sieht die Partei mit einer zunehmenden Ablehnung in der Öffentlichkeit konfrontiert. Die Hauptursache dafür ist nach Meinung der Politikwissenschaftlerin jedoch nicht die Politik der Grünen, sondern die Kommunikation der Medien und rechter Parteien, wie sie im Gespräch mit t-online erläutert.
"Darum werden die Grünen so oft zur Zielscheibe"
"Die Forschung zeigt uns, dass die Grünen nicht die Partei ist, deren Ziele in der Bevölkerung auf die meiste Ablehnung stoßen", so Schwander. An der Humboldt-Universität zu Berlin ist sie Leiterin des Lehrbereichs Politische Soziologie und Sozialpolitik. Studien zeigten, so die Expertin, dass grünen Parteien und ihren Wählerinnen und Wählern keine überdurchschnittliche Ablehnung entgegengebracht werde. Schaue man auf die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung, dann lehne diese eher rechtsextreme Parteien wie die AfD ab, deren Politik nicht mit demokratischen Werten übereinstimme.
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Für den Hass, der den Grünen dennoch entgegenschlägt, sieht Schwander mehrere Gründe. Zum einen seien Grünen-Politiker, wie etwa Cem Özdemir als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, mit einem Ministeramt automatisch in der Verantwortung und damit auch Ziel der Angriffe.
"Aber die Grünen stehen auch als Partei für Wandel und Veränderung", sagt Schwander. Gerade in der aktuellen Lage, in der viele Krisen und Konflikte aufeinandertreffen, gestalteten sich die angestoßenen Veränderungen der Ampelregierung jedoch als schwierig. "Darum werden die Grünen so oft zur Zielscheibe", sagt die Expertin.
"Der politische Diskurs hat sich verschärft"
Die Hauptursache sieht die Politikwissenschaftlerin allerdings in der Kommunikation der rechten Parteien: "Die Grünen werden für alle Konflikte verantwortlich gemacht, auch wenn sie es gar nicht sind. Sie werden von rechten Parteien und Medien als Feindbild dargestellt und Politiker anderer Parteien arbeiten sich an ihnen ab. Diese Gewalt, die wir jetzt sehen, ist das Ergebnis davon", sagt Schwander. Auch der politische Aschermittwoch habe gezeigt: "Der politische Diskurs hat sich verschärft", sagt die Politikwissenschaftlerin.
Am politischen Aschermittwoch der Parteien wird traditionell hart gegen die Politikerinnen und Politiker der Konkurrenzparteien ausgeteilt. So bezeichnete Agnes Strack-Zimmermann (FDP) den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz im vergangenen Jahr als "Flugzwerg". Auch in diesem Jahr nutzen die Politiker die jeweiligen Veranstaltungen ihrer Parteien für Seitenhiebe. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder schoss in den Augen zahlreicher Kritiker allerdings über das Ziel hinaus.
In einer persönlichen Attacke bezeichneter der CSU-Chef die aus Ostdeutschland stammende Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) als eine "grüne Margot Honecker". Die verstorbene Margot Honecker war Ehefrau von Erich Honecker, dem DDR-Staatsratsvorsitzenden, und als Ministerin Teil des SED-Regimes.
Lemke selbst bezeichnete die Worte Söders als "eines Ministerpräsidenten wirklich unwürdig." Im Gespräch mit den Sendern RTL und ntv sagte sie: "Es gibt eine nervöse und aufgeheizte Stimmung in unserer Gesellschaft, weil wir in schwierigen Zeiten leben." Kriege, Inflation und Klimakrise würden die Menschen verunsichern, darum mahnte sie zur Vorsicht im politischen Meinungsstreit. Auch Politikwissenschaftlerin Schwander fordert von den Politikern aller Parteien, im politischen Diskurs Sorge walten zu lassen.
- Gespräch mit Hanna Schwander am 15. Februar 2024
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa