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SPD und Putin: 100-Milliarden-Dollar-Plan für Nord Stream 2


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Schröder, Schwesig und ihr Minister
Putins 100-Milliarden-Dollar-Plan


Aktualisiert am 19.11.2023Lesedauer: 16 Min.
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Russlands Machthaber Wladimir Putin: Der Kreml suchte in Deutschland nach Partnern – und fand sie in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. (Quelle: Matthew Stockman/getty-images-bilder)
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Russland plante, Deutschland und Europa für Jahrzehnte an sich zu binden. Dafür spannte Altkanzler Schröder eine ganze Landesregierung ein. Es folgten politisch heikle Geschäfte.

Es gibt nur wenige Fotos, die Altkanzler Gerhard Schröder in den letzten Jahren mit seinen SPD-Parteifreunden aus den Spitzen der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern zeigen. Mal grüßen sich Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und der heute öffentlich in Ungnade Gefallene bei einem offiziellen Empfang. Mal lugt Landesminister Christian Pegel bei einem Nord-Stream-Forum in Sankt Petersburg zum Tisch der Gastgeber hinüber.

Es sind zentrale Momente der Beziehung zwischen Schröder und der Spitzenpolitik im Nordosten Deutschlands, und dennoch sind sie rar dokumentiert. So rar, dass fast in Vergessenheit geraten könnte, wie eng die Zusammenarbeit der Ministerpräsidentin und ihres Ministers mit Russlands wichtigstem deutschen Lobbyisten für die Energieprojekte des Kreml war.

Vieles ist seit Beginn des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine über sie geschrieben worden. t-online machte Treffen öffentlich, die nie zu den Akten genommen wurden. Belegte, wie konspirativ die Akteure miteinander kommunizierten, weil die russischen Gashändler die Überwachung durch Geheimdienste befürchteten. Und wie unscheinbare Klimainitiativen als Lobbyinstrumente konzipiert wurden.

Die mit Millionen des russischen Staatskonzerns Gazprom gegründete Klimastiftung des Landes wurde zum Symbol der verschleierten Kooperation. Mit ihr sollten US-Sanktionen unterlaufen werden. Wie groß dabei der Einfluss Russlands besonders auf Minister Pegel war, zeigten interne Dokumente. Mittlerweile befasst sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag mit dem Komplex.

Nun legen Recherchen von t-online erstmals nahe: Der damalige Energie- und heutige Innenminister Christian Pegel grenzte seine politische Arbeit nicht strikt von persönlichen wirtschaftlichen Interessen ab.

Auf der Höhe der Kooperation mit den russischen Gashändlern erhielt seine Anwaltskanzlei einen heiklen Auftrag: Sie vertrat ein Unternehmen, das nicht nur mit Pegels und Gerhard Schröders Hilfe auf Geschäfte mit Gazprom und Nord Stream 2 hoffte, sondern sich auch um Landesmittel und womöglich um Förderung der Klimastiftung bemühte.

Weder Pegel und das Innenministerium noch die Staatskanzlei beantworteten t-online zunächst Fragen dazu. Gerhard Schröder, die beteiligte Unternehmensgruppe, ehemalige Unternehmensvertreter und die Kanzlei reagierten auf Anfragen nicht.

Schwesigs Landesregierung steht damit aber im Zentrum eines geopolitischen Projekts: Wladimir Putins Kreml plante, sich den europäischen Absatzmarkt für russisches Erdgas auf Jahrzehnte zu sichern. Für das Vorhaben gewann Schröder seine Parteifreunde – und vor allem gewann er dafür Christian Pegel, der dem Untersuchungsausschuss viele Fragen zu beantworten haben wird.

1) Der Plan des Kreml

100 Milliarden US-Dollar sind unvorstellbar viel Geld. Deswegen müssen Vergleiche her, um eine solche Summe begreifbar zu machen. Deutschland könnte alle seine Ausgaben für mehrere Wochen decken. Es ist mehr Geld, als Russland während seiner brutalen Invasion in der Ukraine jährlich in sein gesamtes Militär investiert. Es gibt nur weniges auf der Welt, mit dem sich derart hohe Einnahmen erzielen lassen.

Öl gehört dazu. Und Gas. Russlands Haupteinnahmequellen. Der Kreml beobachtete deswegen schon lange vor Kriegsbeginn sehr genau die europäische Klimapolitik. Und war besorgt.

Die Pläne der EU-Kommission sehen vor: Bis 2030 soll Europa mehr als die Hälfte aller Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einsparen, bis 2050 soll es klimaneutral werden. Mit dem Umstieg auf regenerative Energien drohte die Nachfrage nach russischem Erdgas also drastisch zu sinken und damit eine zentrale Einnahmequelle des russischen Staats wegzubrechen. Es musste eine Lösung her: Wasserstoff.

Denn da die Klimaziele nicht nur mit erneuerbaren Energien wie Wind-, Solar und Wasserkraft zu erreichen sind, soll ein europaweiter Markt für Wasserstoff entstehen. Der muss zum Großteil importiert werden. Im besten Fall soll er zwar "grün" sein, die Energie für die Produktion im Elektrolyseverfahren also aus erneuerbaren Energien stammen. Auf Druck von Industrie und Lobbyverbänden hat die EU aber auch sogenannten blauen Wasserstoff zugelassen.

Bei dessen Herstellung kommt Erdgas zum Einsatz – das dabei ausgestoßene CO2 wird abgeschieden und im Erdboden gespeichert. Per definitionem ist damit "blauer Wasserstoff" ebenfalls klimaneutral, auch wenn Studien zeigen, dass weiterhin CO2 in die Atmosphäre gelangt.

Genau das war die Lücke, in die Russland vorzustoßen plante. Das skizzierte der Kreml bereits Mitte 2020 durchaus klar in Dokumenten, die die Ministerien des Kreml verabschiedeten. Die Staatsunternehmen Gazprom und Rosatom sollten die Speerspitze der neuen Ambitionen werden. Bis zu 100 Milliarden sollten so langfristig jährlich mit dem Export eingenommen werden.

"Unser Land möchte globaler Führer in der Produktion und im Export von Wasserstoff werden", sagte der russische Industrie- und Handelsminister Denis Manturow, als deutsche und russische Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler im Dezember 2020 zusammenkamen, um beim "Deutsch-Russischen Rohstoff-Forum" in Leipzig über die globale Energiewirtschaft zu sprechen. Es genoss damals die volle Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums.


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Es gab nur ein Problem. Noch existierte in Europa zu jener Zeit kein Markt für das Produkt, für das erst mal große Investitionen erforderlich waren. Das sah auch die russische Seite.

"Wir müssen Märkte schaffen, denn wenn keine Märkte bestehen, brauchen wir keinen Wasserstoff zu produzieren", sagte Vize-Energieminister Pavel Sorokin beim Rohstoff-Forum. Um sie zu schaffen, bräuchte es "gut durchdachte Pilotprojekte", hielt die Stiftung Wissenschaft und Politik etwas später in einer Analyse fest. Gazprom plante mit Unterstützung des russischen Energieministeriums solche Pilotprojekte.

Und da kam Mecklenburg-Vorpommern ins Spiel.

2) Der Knotenpunkt

Der Nordosten der Republik war lange zentral für die neue Exportstrategie des Kreml, Europa direkt durch die Ostsee mit billigem Erdgas zu versorgen, statt es wie seit Jahrzehnten über die bestehenden Pipelines durch die Ukraine und Polen zu schicken.

An der Ostseeküste in Lubmin zwischen Usedom und Rügen landete die erste Nord-Stream-Pipeline an. Ihre Schwester-Pipeline Nord Stream 2 wälzte sich ebenfalls dort ans Festland. Und von dort aus entspannte sich das Pipeline-Netz der damaligen Wintershall-Gazprom-Tochter Gascade, das russisches Erdgas nach Westen und Süden verschickte.

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So wurde Mecklenburg-Vorpommern zum zentralen Logistik-Knotenpunkt der europaweiten Erdgaslieferungen. Doch es drohte Unbill, nicht nur weil die Klimaschutzziele das Geschäftsmodell infrage stellten.

Denn zwar befürwortete Deutschland die neue Pipeline und hielt bis zum Kriegsausbruch an den Plänen fest. Europäische Partner, die USA und die Ukraine hatten aber seit Langem vor den sicherheitspolitischen Gefahren gewarnt, die Energieversorgung derart an Russland anzubinden.

Mit Unterstützung vor allem der Osteuropäer versuchten die USA unter Präsident Donald Trump deswegen im Jahr 2020 die Fertigstellung durch Sanktionen möglichst zu verhindern. Einen Ausweg für den Kreml boten die fast schon traditionell engen Verbindungen Russlands in die Politik von Mecklenburg-Vorpommern.

Seit vielen Jahren reichte der Arm des Kreml über seine Staatskonzerne bis in die Staatskanzlei des Landes. Dort gingen Unternehmensvertreter zunächst noch unter SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering ein und aus, bis schließlich Manuela Schwesig die Amtsgeschäfte übernahm und die gute Zusammenarbeit fortführte. Altkanzler Gerhard Schröder unterhielt zu beiden Parteifreunden vertrauliche Beziehungen.

Das war besonders deswegen von Nutzen, weil er Aufsichtsratschef der Nord Stream AG war und Präsident des Nord-Stream-2-Verwaltungsrats, zusätzlich zu seinem Posten im Aufsichtsrat des staatlichen Ölkonzerns Rosneft. Ein Gazprom-Aufsichtsratsposten stand später ebenfalls in Aussicht.

Gemeinsam ersannen die russischen Konzerne und die Landesregierung ungefähr ab Mitte 2020 eine Lösung für das Sanktionsdilemma: Gazprom-Millionen sollten in eine Klimastiftung des Landes fließen, die schließlich von Schwesig initiiert, von Energieminister Pegel vorangetrieben, vom Landtag beschlossen und von Sellering geleitet wurde. Über sie wurden in großem Umfang Geschäfte zur Fertigstellung der Pipeline abgewickelt, um beteiligte Unternehmen von den Gegenmaßnahmen Washingtons abzuschirmen.

Dabei lockten die russischen Staatskonzerne mit einer Zukunftsvision, die Mecklenburg-Vorpommern auch nach der Energiewende als Knotenpunkt vorsah: Eines Tages könne in Russland produzierter Wasserstoff über die Leitungen nach Lubmin fließen und von dort aus weiterverschickt werden. Die Gazprom-Wintershall-Tochter Gascade begann als Pilotprojekt, eine Erdgas-Pipeline von Rostock nach Leipzig für Wasserstoff umzurüsten.

Und Gazprom selbst ging sogar noch einen Schritt weiter: Der russische Staatskonzern könne eine Wasserstoffproduktionsanlage an den Anlandestellen der Pipelines bauen. Es werde gleichzeitig an Möglichkeiten gearbeitet, das bei der Produktion abgeschiedene Treibhausgas über die Pipelines zurück nach Russland zu transportieren.

Der Grundstein der Vision einer "deutsch-russischen Klimapartnerschaft" war also gelegt. Pegel sprach mehrfach öffentlich davon. Auf Einladung seines Energieministeriums diskutierten alle Akteure beim Russland-Tag im Juni 2021 darüber. Impulsgeber waren unter anderem: Nord Stream 2, Gascade, Rusatom, Stiftungsvorsitzender Sellering – und ein Vertreter einer politisch gut vernetzten deutschen Unternehmensgruppe, die offenbar an der Schnittstelle der gemeinsamen Anstrengungen saß.

3) Die deutschen Partner

Wenige Wochen nach Gründung der von Energieminister Pegel maßgeblich konzipierten Klimastiftung begann in seinem Büro Anfang 2021 ein bemerkenswertes Projekt: die "Wasserstoff-Hanse", eine vermeintliche Klimainitiative der Landesregierung.

Als t-online ein Jahr später kurz vor Kriegsbeginn erstmals über deren Rolle als Lobbyinstrument für Nord Stream 2 berichtete, fiel sie prompt auseinander. Zahlreiche Fragen blieben offen. Auch ihre Hintergründe will der Untersuchungsausschuss im Landtag mittlerweile aufklären. Die Recherchen wurden mit dem "Medienpreis Rufer" für Wirtschaftsberichterstattung ausgezeichnet.

Nun belegen t-online vorliegende Dokumente aus Energieministerium, Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei endgültig, dass die "Wasserstoff-Hanse" eine verschleierte Kooperation mit Russland war – und dass sie schwere Interessenkonflikte mit sich brachte.

  • Erstens wurde sie offenbar maßgeblich von Altkanzler und Gas-Lobbyist Schröder über die Landesregierung angestoßen und vorangetrieben.
  • Zweitens war der Import russischen Wasserstoffs über Nord Stream 2 zentral für die Pläne des federführenden Unternehmens, in dessen Beirat Schröder saß.
  • Drittens stand offenbar eine Beteiligung der von Nord Stream 2 finanzierten Klimastiftung im Raum.
  • Viertens lief das Projekt an der Fachabteilung vorbei und wurde direkt von Pegel betreut.
  • Fünftens involvierte es schließlich die Anwaltskanzlei, an der Pegel damals Anteile hielt.
  • Sechstens bemühte sich die Unternehmensgruppe schließlich ohne Ausschreibungsverfahren um einen Auftrag des Landes.

In internen E-Mails des Wirtschaftsministeriums heißt es dazu: "An dieser Stelle sei nochmals deutlich Folgendes betont: Auf Arbeitsebene des Energieministeriums war niemand in die Thematik 'Wasserstoff-Hanse' eingebunden." Die Aktivität des Partnerunternehmens sei "auf politischer Ebene begonnen" worden, der Geschäftsführer sei mit Schröder wohl "sehr gut bekannt". Alle Gespräche habe Pegel persönlich geführt.

"Ausgangspunkt war wohl mal ein Gespräch von [Gerhard] Schröder mit unserer [Ministerpräsidentin], die dann ihren Energieminister darauf angesetzt hatte", heißt es in den Mails weiter. "Es ging in den Gesprächen, die ich verfolgt habe, nach meinem Eindruck darum, am Ende einen Pfad für blauen Wasserstoff aus Russland zu konstruieren."

Termine mit Schröder wurden, wie t-online bereits berichtete, nicht zu den Akten genommen. Er selbst schweigt dazu. Die Staatskanzlei vorerst auch. Pegel sagte t-online auf eine frühere Anfrage, er erinnere sich nicht an Details. Eine aktuelle beantwortete er bislang nicht.

Das Partnerunternehmen allerdings, von dem in den E-Mails die Rede ist, ist die Euref AG aus Berlin, deren Geschäftsführer Reinhard Müller gute Kontakte vor allem in die SPD pflegt. In ihrem damaligen Tochterunternehmen, der Euref Energy Innovation GmbH (EEI), saß Schröder im Beirat.

Gemeinsam planten sie den t-online vorliegenden Dokumenten zufolge, unter dem Dach der "Wasserstoff-Hanse" die Infrastruktur aufzubauen, um auf blauem Wasserstoff basierendes E-Fuel für die Schifffahrt in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zu produzieren – dafür sollte der Wasserstoff entweder über Nord Stream 2 importiert oder aber an den Anlandestellen auf Basis des russischen Erdgases hergestellt werden.

Grundsätzlich stünden "beide erdgasbasierte Optionen" zur Verfügung, heißt es in einem sogenannten "Visionspapier" zur "Wasserstoff-Hanse", das Schwesigs Büro, dem Chef der Staatskanzlei und Pegel persönlich zuging. Das Unternehmen räumte die Planungen auf Anfrage von t-online weitgehend ein. Konkrete weitere Fragen beantwortete es nicht.

Um das Vorhaben aber in die Tat umzusetzen, begannen im Februar 2021 Gespräche mit Pegel. Einen Monat später besuchte er den Euref-Campus in Berlin, wo er mit Müller und Schröder die mögliche Zusammenarbeit besprach. Im Wochentakt folgten Video-Schaltkonferenzen. Ende April wurde bereits über ein konkretes erstes Pilotprojekt gesprochen: die Betankung eines Fährgastschiffs der sogenannten "Weißen Flotte" mit E-Fuel und Wasserstoff. Seit über 60 Jahren können Touristen mit ihr die Insel Rügen und auch die Insel Hiddensee erkunden.

An diesem Punkt holten Pegel und Schröder die mit Gazprom-Millionen gegründete Klimastiftung mit ins Boot – oder versuchten es zumindest.

4) Die Klimastiftung

Die gemeinsam von Landesregierung und Nord Stream 2 Anfang 2021 gegründete Klimastiftung passte gut ins langfristige Konzept der russischen Staatskonzerne, wie ein Dokument aus ihrer Anfangszeit zeigt. Damals bereitete sich die Nord Stream 2 AG damit auf die begleitende Öffentlichkeitsarbeit vor und gab es Pegel und Sellering zur Kenntnis. "Ausgewählten Journalisten" solle folgende Argumentation an die Hand gegeben werden:

"In der globalen Energie- und Klimapolitik spielen erneuerbare Energien und Wasserstoff eine entscheidende Rolle und dem tragen die Landesregierung mit der Stiftungsgründung und Nord Stream 2 mit seiner Mitwirkung Rechnung."

Offenbar spielten die russischen Wasserstoffpläne also bereits bei der Stiftungsgründung eine Rolle, womöglich war ihr sogar eine Funktion in ihnen zugedacht. Stiftungsvorsitzender Sellering erinnert sich jedenfalls an eine von Pegel organisierte Video-Schaltkonferenz im Mai 2021, an der auch Gerhard Schröder teilnahm. Der NDR berichtete zuerst darüber.

"In dieser Schalte ging es in der Tat unter dem Schlagwort 'Wasserstoff' um unternehmerische Planungen großen Stils", sagt Sellering t-online. Zur Sprache sei gekommen, "ob die Stiftung im Umfeld dieser – großen – Planungen für die ferne Zukunft ein eigenes, kleineres Projekt definieren wollte und könnte". Erwähnt worden sei als Idee die Umrüstung der "Weißen Flotte" für E-Fuel auf Basis von Wasserstoff.

Und so ergibt sich ein Verdacht: Sollte ein Teil der von Nord Stream 2 gestifteten Millionen in ein Projekt umgeleitet werden, das auf blauen Wasserstoff aus russischem Erdgas setzte? Das von Schröder vorangetrieben wurde? Und für das in den kommenden Monaten direkte Gespräche mit der russischen Regierung und Staatskonzernen geführt wurden?

Sellering sagt, er habe die gemeinsame Schalte mit Pegel und Schröder als wenig ergiebig empfunden und sie vorzeitig verlassen. Am 5. Mai 2021 stellte er allerdings in der Auftaktkonferenz der Stiftung eine Projektidee vor, die an ihn herangetragen worden sei. Es gebe derzeit Gespräche darüber, die Fähre der "Weißen Flotte" nach Hiddensee CO2-neutral umzurüsten:

"Da könnten wir – wenn wir angesprochen sind, bisher nur eine Idee – helfen und sozusagen ein Pilotprojekt finanzieren, das zeigt: So was geht. Und dann kann der Staat daraus ein Förderprojekt machen und das Ganze in die Fläche bringen."

Wie weit die Überlegungen dazu gediehen, ist unklar. Pegel teilte nach der NDR-Berichterstattung mit, die Stiftung habe über Förderungen selbst entscheiden können. Er erinnere sich nicht, ob Sellering oder Schröder an Konferenzen zur "Wasserstoff-Hanse" teilgenommen hätten.

Sicher aber ist, dass die Pläne der Euref und der Landesregierung voranschritten. Gemeinsam mit Euref besichtigte Pegel "mögliche Räumlichkeiten" und "vorhandene Infrastruktur" am Rostocker Hafen und am ehemaligen Kernkraftwerk Lubmin, wo heute noch große Projekte für die Wasserstoffherstellung entstehen. In der Fachabteilung erkundigte er sich für Euref nach einer Gascade-Pipeline zwischen den Standorten. Und außerdem sollte die "Wasserstoff-Hanse" gegründet werden.

5) Kooperation mit Russland

Die t-online vorliegenden Dokumente lassen keinen Zweifel daran, wie groß der Einfluss von Euref und Schröder auf die Landesregierung bezüglich der vermeintlichen Landesklimainitiative war und zu welchem Zweck sie konzipiert wurde. Ende April 2021, vermutlich einige Tage vor der Schalte mit Sellering, schickte Energieminister Pegel eine E-Mail an den Chef der Staatskanzlei, Heiko Geue. Darin heißt es:

"Lieber Heiko, für unser kurzes Telefonat nachher sende ich Dir anbei die auf Initiative von Gerhard Schröder mit dem EUREF eV [sic] aus Berlin vorbereitete Entwurfsfassung einer 'Rostocker Erklärung' zu, die für eine Übergangszeit von blauem/türkisem Wasserstoff ausgeht. Schau doch bitte einmal drauf."

Der t-online vorliegende Entwurf steht unter dem Titel: "Eine deutsch-russische Klimapartnerschaft". Sehr deutlich ist die Rede davon, bestehende Gasinfrastruktur für den Wasserstofftransport zu nutzen: "Russland steht als Lieferant bereit!" Dann harrte die sogenannte Rostocker Erklärung ihrer Unterzeichnung.

Allerdings nicht allzu lang: Anfang August wurde sie in großen Teilen wortgleich zur Gründungserklärung der "Wasserstoff-Hanse". Beim Festakt im Rostocker Hafen setzten unter anderem Schwesig, Pegel und die Euref-Vertreter ihre Unterschriften darunter. Symbolisch wurde die Fähre "Breitling" der "Weißen Flotte" mit auf Wasserstoff basierendem E-Fuel betankt.

Hinweise auf Nord Stream 2 und Russland waren aus dem Entwurf weitestgehend entfernt und durch neutralere Formulierungen ersetzt worden. Spätere Dokumente geben aber Aufschluss darüber, wo die erhofften Partner der "Wasserstoff-Hanse" und der Euref saßen: in der russischen Botschaft, dem russischen Energieministerium, bei Nord Stream 2, Gazprom und Gazprom Germania. Es gibt keinerlei Hinweis auf geplante Kooperationen mit anderen Staaten. Darüber machte sich auch das Wirtschaftsministerium einige Monate später keine Illusionen.

Da das Energieministerium nach der Landtagswahl aufgelöst und Pegel Innenminister geworden war, war es ab November 2021 für die "Wasserstoff-Hanse" zuständig. Also vermittelte Pegels Büro eine Einladung der Euref Mitte Dezember 2021 dorthin – mit der Bitte um "wohlwollende Behandlung der Anfrage, da die Zusammenarbeit mit Euref im Rahmen der 'Wasserstoff-Hanse' immer eine sehr vertrauliche war".

Zur geplanten Videokonferenz gab die Fachabteilung ihrem neuen Minister Reinhard Meyer (SPD) folgende Einschätzung: "Fortsetzung der im August mit der Gründung der 'Wasserstoff-Hanse' begonnenen Kooperation mit Russland". Teilnehmer der Konferenz waren Gerhard Schröder, der russische Vize-Energieminister Pavel Sorokin, Vertreter von Gazprom, Gazprom Export und weitere Offizielle.

Ziel sei: "Kontakte aufrechterhalten, wohl wissend, dass es sich hierbei nicht um 'grünen', d. h. aus erneuerbaren Energien hergestellten Wasserstoff handelt." Notwendig sei: "interne Klärung, wie die Nutzung von blauem Wasserstoff (Erdgasnutzung), gelbem und rotem Wasserstoff (Atomenergie) kommuniziert wird".

Das anschließende Fazit der Organisatoren ging dem Wirtschaftsministerium ebenfalls zu:

"Die russischen Teilnehmer, allen voran Vize-Energieminister Pavel Sorokin, waren bestens vorbereitet und inhaltlich liegen wir auf einer sehr guten gemeinsamen Linie. Herr Sorokin schlug mehrfach ein rasches weiteres, nach Möglichkeit persönliches Treffen vor. Wir sind hier mit der 'Wasserstoff-Hanse' auf dem absolut richtigen Weg und es ist ganz sicher, dass Mecklenburg-Vorpommern hierbei bereits heute eine wichtige strategische Rolle spielt."

Vermittelt hatte die Einladung Pegels Büro auf dienstlichem Wege, als Amtsvorgänger an seinen Nachfolger. Es gab allerdings eine weitere Kontinuität, die nicht ausschließlich Pegels politische Arbeit betraf. Und sie ließ die Grenzen zwischen dem Privatmann und dem Minister verwischen.

6) Der Auftrag

Christian Pegel ist nicht nur Minister, er ist auch Volljurist. Von 2005 bis 2012 arbeitete er als Rechtsanwalt und Sozius der Kanzlei Hardtke Svensson & Partner mbB mit Standorten in Greifswald und Rostock. Als er 2012 Chef der Staatskanzlei unter Ministerpräsident Erwin Sellering wurde, gab er die Tätigkeit dort auf, blieb aber Partner.

Was das bedeutet, sagte ein Mitgesellschafter 2015 der Deutschen Presse-Agentur, als der NDR erstmals über seine fortdauernde Teilhabe berichtete: Pegel sei nicht mehr für die Kanzlei aktiv, habe aber Kapitaleinlagen, die auch verzinst würden. Die Landesregierung teilte dem Landtag mit, Pegel habe keinen Anspruch auf Gewinnausschüttungen der Gesellschaft.

Die Staatskanzlei in Schwerin sah somit "eindeutig keinen Verstoß gegen das Ministergesetz". Die SPD-Fraktion im Landtag bezeichnete damit einhergehende Vorwürfe der Opposition als "Unverschämtheit". Pegel selbst allerdings erklärte, dass er sich mit der Teilhaberschaft die Rückkehr in sein früheres Berufsleben offenhalte, für den Fall, dass seine hauptamtliche politische Tätigkeit vor Erreichen des Ruhestandsalters ende.

Das hat sich der Minister mittlerweile offenkundig anders überlegt. Wie aus t-online vorliegenden Handelsregisterunterlagen hervorgeht, ist er im April 2023 aus der Partnergesellschaft ausgeschieden. Und das obwohl die derzeitige politische Lage im Land es nur verständlich erscheinen ließe, auch an das Leben nach der Politik zu denken.

Gerade in diesem Jahr hat Pegel als Minister mit nicht wenigen Problemen zu kämpfen, die Opposition fordert seinen Rücktritt: Immer wieder hat er sich an zentrale Vorgänge rund um die Klimastiftung nicht erinnern können. Akten sind lückenhaft. Der Untersuchungsausschuss fand heraus, dass die ihm übergebenen Dokumente nicht vollständig sind. Der Minister löschte viele E-Mails, was er als Routinevorgang bezeichnet, um Serverkapazitäten nicht zu belasten. Außerdem hielt die Landesregierung lange Zeit Unterlagen zur "Wasserstoff-Hanse" zurück, die sie erst vor einigen Wochen nachlieferte.

Recherchen von t-online belegen nun: Auf der Höhe der von Pegel als Minister begleiteten Kooperation mit Nord Stream 2, Gazprom und der russischen Regierung erhielt seine Kanzlei einen Auftrag der damaligen Euref-Tochter EEI, in deren Beirat Schröder saß.

Sie meldete vier Wochen vor Gründung der Landesinitiative "Wasserstoff-Hanse" eine entsprechende Wort-/Bildmarke samt Logo beim Deutschen Patent- und Markenamt an, am 1. Oktober 2021 wurde sie ins dortige Register aufgenommen – und als Vertreter ist seitdem die Kanzlei Hardtke Svensson & Partner eingetragen, an der Minister Pegel damals Anteile hielt. Wenige Tage nach der Eintragung wurde er darüber persönlich vom Geschäftsführer der Euref AG informiert.

Weder die Euref AG noch damalige Unternehmensvertreter noch die Kanzlei reagierten auf Anfragen dazu. Pegel und das Innenministerium ließen eine zweitägige Frist zur Beantwortung zentraler Fragen "aufgrund aktueller Terminbindungen" zunächst verstreichen, die Staatskanzlei ebenfalls.

Update 21.11.2023: Einen Tag nach Veröffentlichung teilte das Innenministerium t-online mit, das Gesellschaftsverhältnis habe, wie 2015 dargestellt, auch fortan geruht. Pegel sei in der Kanzlei weder operativ tätig, noch an Entscheidungen beteiligt gewesen. "Damit hat es für den früheren Energieminister keinen Belang, wie viele und welche Mandate die Kanzlei bearbeitet." Er habe keine Kenntnisse zu Angelegenheiten der Kanzlei. "Dies umfasst auch, ob und welche – tausende – Mandate dort wahrgenommen werden."

Dass es bei der "Wasserstoff-Hanse" und der zugehörigen Wort-/Bildmarke allerdings um weit mehr als eine Landesinitiative ging, zeigen weitere Dokumente: Kaum drei Monate nach dem Schreiben an Pegel und wenige Wochen nach dem Treffen mit russischen Offiziellen ging im Januar 2022 im Wirtschaftsministerium ein Angebot der Euref-Tochter "Wasserstoff-Hanse Verwaltungsgesellschaft mbH" ein. Sie hält nach einem Umbruch in den Unternehmensstrukturen seit Anfang 2022 bis heute die Markenrechte und lässt sich dabei weiter von Pegels bisheriger Kanzlei vertreten.

Das Angebot enthält das Logo der "Wasserstoff-Hanse" und nimmt Bezug auf die Gründung der Initiative mit Ministerpräsidentin Schwesig. Mit dem Schreiben bemühte sich nun aber das private Unternehmen um 500.000 Euro Landesmittel für eine Machbarkeitsstudie "als Grundlage für die Entscheidung zur Machbarkeit einer E-Fuel-Produktionsanlage am Hafen Rostock". Ein "Leuchtturmprojekt" mit einem enormen Investitionsvolumen: 230 Millionen Euro, die "im Rahmen von Public Private Partnership" aufgebracht werden sollten.

Die Antwort des Wirtschaftsministeriums an die Euref-Tochter war knapp vier Wochen vor Kriegsbeginn verhalten: Es liege ein Missverständnis vor, man habe das Angebot gar nicht angefordert. Schließlich hätte man den Auftrag sonst europaweit ausschreiben müssen. Ohnehin habe man nicht vor, eine Machbarkeitsstudie anfertigen zu lassen. Auch förderfähig sei sie für eine privatunternehmerische Ansiedlung nicht.

7) Das Ende der Pläne

Wenig später stieg Euref per Schreiben an Ministerpräsidentin Schwesig aus der Landesinitiative "Wasserstoff-Hanse" aus – einen Tag vor Veröffentlichung der ersten Recherchen von t-online. Binnen Minuten kommentierte die Fachabteilung in internen Mails den Ausstieg offensichtlich erleichtert: "Gott sei's getrommelt und gepriesen!"

Von weiteren Aktivitäten der "Wasserstoff-Hanse" in Mecklenburg-Vorpommern wurde nichts bekannt. Seit Kriegsausbruch versucht die Landesregierung bislang erfolglos, die Klimastiftung aufzulösen.

Gerhard Schröder wurde zwar Anfang Februar 2022 für einen Aufsichtsratsposten beim Staatskonzern Gazprom nominiert. Im Mai 2022 teilte er aber mit, dass er ihn nicht antreten werde. Auch seinen Aufsichtsratsposten beim staatlichen Ölkonzern Rosneft gab er auf. Damals hatte der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern gerade auf Antrag von CDU, Grünen und FDP die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses beschlossen.

Der Obmann der CDU-Fraktion im Ausschuss, Sebastian Ehlers, sagte t-online nun zu den neuen Recherchen: "Angesichts der riesigen Summen, die im Umfeld der Stiftung bewegt wurden, wäre es fast erstaunlich, wenn wirklich niemand auf die Idee gekommen wäre, auch den persönlichen Vorteil zu suchen." Transparenz sei das Gebot der Stunde.

Der Obmann der Grünen-Fraktion im Ausschuss, Hannes Damm, ging noch einen Schritt weiter: Er bezeichnete die "Wasserstoff-Hanse" angesichts der neuen Erkenntnisse als "Marketingtrick, veredelt mit den Unterschriften von Ministerpräsidentin Schwesig und Minister Pegel" und als "Schachzug von Gazprom und Gerhard Schröder", um russisches Erdgas zu verkaufen. Scharfe Kritik übte er an dem heutigen Innenminister persönlich.

"Minister Pegel hat die Grenze zur Vetternwirtschaft klar überschritten." Dass Pegels damalige Anwaltskanzlei "mit wichtigen Rechtsgeschäften der 'Wasserstoff-Hanse' betraut wurde", habe er der Öffentlichkeit verschwiegen. "Christian Pegel muss jetzt vollständig darlegen, ob es im Zusammenhang mit russischen Erdgasgeschäften weitere private Verflechtungen gab."

Staatskanzlei und Innenministerium stellten in Aussicht, Fragen von t-online Mitte kommender Woche zu beantworten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • E-Mails und Dokumente aus dem ehemaligen Landesenergieministerium, dem Landeswirtschaftsministerium und der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern
  • Deutsches Patent- und Markenamt: Registernummer 302021014888
  • Landtag Mecklenburg-Vorpommern: Drucksache 8/379
  • Landtag Mecklenburg-Vorpommern: Drucksache 8/373
  • Landtag Mecklenburg-Vorpommern: Drucksache 6/4500
  • Pressemitteilung des Landesinnenministeriums: Nr. 108/2023, 9.6.2023
  • Stiftung Klima- und Umweltschutz MV: Pressekonferenz, 5. Mai 2021, 11 Uhr
  • NDR: "Termin mit Altkanzler Schröder: Minister Pegel mit Erinnerungslücken"
  • Stiftung Wissenschaft und Politik: "Russland im globalen Wasserstoff-Wettlauf"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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