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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Chefsache Nord Stream 2 Als Sanktionen drohten, schaltete sich Schwesig persönlich ein
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ist möglicherweise noch tiefer in die Umgehung von US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 verstrickt. Als die Maßnahmen drohten, wurde sie persönlich aktiv.
Die Gaspipeline Nord Stream 2 hat im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern immer schon große Befürworter gehabt. Dort, wo das deutsch-russische Projekt an Land tritt, gingen Vertreter des Unternehmens seit Jahren in den Ministerien ein und aus. Sowohl der frühere Ministerpräsident Erwin Sellering als auch die heutige Ministerpräsidentin Manuela Schwesig machten aus ihrer Unterstützung nie einen Hehl. Die Devise war: Die Pipeline soll fertig werden. Allen Bedenken der EU- und Nato-Partner zum Trotz.
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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine macht die Tragweite dieses engagierten Einsatzes zur enormen politischen Belastung für die Landesregierung. Schwesig hat Fehler und politische Fehleinschätzungen in ihrer Russlandpolitik eingeräumt. Doch bislang war unklar, inwiefern sie an den Bestrebungen persönlich beteiligt war, drohende US-Sanktionen gegen das Projekt mittels einer sogenannten Klimastiftung zu umgehen. Recherchen von t-online legen nun nahe, dass sie in das mittlerweile berüchtigte Konstrukt tiefer eingebunden war als bislang angenommen.
War Pegel wirklich Initiator?
Bis dato hatte es aus der Staatskanzlei geheißen, ihr Energieminister Christian Pegel habe das Konstrukt initiiert und federführend begleitet. Er selbst hatte vor vier Wochen auf Anfrage von t-online eingeräumt, Gespräche dazu mit Nord-Stream-2-Vertretern geführt zu haben. Überlegungen für eine Stiftungsgründung durch das Land seien aber "allenfalls beiläufiger Gesprächsinhalt von Randgesprächen einzelner Gesprächsteilnehmer" gewesen. Kürzlich sagte er in Schwerin: "Ich bin nicht so vermessen zu sagen, ich bin der Einzige, der diese Idee hatte."
Kaum mehr ist bis heute über die Anbahnung der Stiftung bekannt, deren Gründung schließlich Anfang 2021 im Eilverfahren vom Landtag auf den Weg gebracht wurde.
Dass Pegel sich nicht mehr eindeutig zu erinnern scheint, wann und wie denn nun die eilige Stiftungsgründung geplant und beschlossen wurde, zu der kaum Dokumente in der Landesregierung existieren sollen, könnte einen einfachen Grund haben: In der heißen Phase, in der ab Mitte 2020 die Stiftung geplant worden sein muss, war er laut Informationen von t-online lediglich an drei von acht Terminen mit Nord-Stream-2-Vertretern beteiligt. Die übrigen bestritt Manuela Schwesig persönlich.
Als es ernst wird, wird die Pipeline Chefsache
Das ist vor allem deswegen auffällig, da bis dahin Planung, Genehmigung und Bau der Pipeline ihren üblichen Verlauf nahmen. Zwar hielt Schwesig offenbar über Jahre informellen Kontakt zu Nord-Stream-2-Verwaltungsrat Gerhard Schröder, wie t-online exklusiv berichtete. Die regelmäßigen offiziellen Arbeitstreffen mit den Vertretern der russischen Gashändler lagen aber seit der Amtszeit Sellerings weitestgehend in der Verantwortung der zuständigen Wirtschafts-, Energie- und Umweltministerien. Das geht aus einer Aufstellung hervor, die der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Landtag als Anlage beigefügt ist.
Demnach besprachen sich in Schwesigs Amtszeiten seit Juli 2017 Vertreter des Landes insgesamt 33 Mal mit Vertretern der Nord Stream 2 AG. Abgesehen von ihren verschwiegenen Treffen mit Gerhard Schröder, die nicht aufgeführt sind, nahm Schwesig aber nur an elf Gesprächen teil, in den ersten drei Jahren ihrer Amtszeit sogar nur an zweien. Das waren ein Kennenlerntermin unter anderem mit Nord-Stream-2-Geschäftsführer Matthias Warnig kurz nach Amtsantritt und ein Dinner zum Russlandtag 2018. Zumindest vordergründig hielt Schwesig also Distanz. Das änderte sich Mitte 2020 schlagartig, als die US-Sanktionen drohten.
Monatliche Treffen mit Nord Stream 2
Plötzlich war Schwesig nah dran und traf sich quasi monatlich mit wichtigen Gas-Funktionären: Im Juni diskutierten ihr Staatskanzleichef Heiko Geue und Energieminister Pegel die drohenden Sanktionen mit Geschäftsführer Warnig. Im August reiste Warnig sogar offiziell in die Schweriner Staatskanzlei, um die Strafmaßnahmen mit Schwesig zu besprechen und das Projekt trotz der schwierigen politischen Lage zu sichern.
Im September saß Schwesig dann drei Stunden lang mit Warnig und Schröder bei einem Abendessen in Heringsdorf zusammen. Gesprächsinhalte wurden nicht dokumentiert – die Staatskanzlei hatte auf Anfrage von t-online lediglich eingeräumt, dass man sich am Rande eines Konzerts getroffen habe.
Im Oktober traf Schwesig Nord-Stream-2-Pressesprecher Steffen Ebert bei einem Besichtigungstermin an der Anlandestelle. Im November beriet sie den "Sachstand", wie es heißt, erneut unter anderem mit Warnig und Ebert. Und auch Mitte Dezember sprach sie wieder mit Geschäftsführer Warnig – das Thema des Austauschs ist in der Staatskanzlei allerdings nicht nachgehalten. Nur drei Wochen später legte Schwesigs Landesregierung dem Landtag dann den Antrag zur Gründung der Klimastiftung vor.
Dass die US-Sanktionen und Möglichkeiten zu ihrer Umgehung in diesen Monaten für die Landesregierung das bestimmende Thema in ihren Beratungen zur Pipeline waren, legt nicht nur Schwesigs erstes Treffen mit Warnig im August nahe. Auch Energieminister Pegel arbeitete parallel daran.
Expertise für Schwesig-Schröder-Treffen?
Nur sechs Tage nach Schwesigs August-Treffen mit Warnig setzte er sich erneut mit Nord-Stream-2-Vertretern zusammen, um über die Sanktionen zu beraten. Eingeladen wurde dieses Mal externer Sachverstand. Mit dabei waren ein Rechtsanwalt und ein auf US-Sanktionen spezialisierter Wissenschaftler. Mit diesen fachlichen Einschätzungen ausgerüstet – so darf spekuliert werden – reiste Schwesig also zum September-Abendessen mit Schröder und Warnig. Wenige Tage nach diesem Treffen wiederum setzte sich Pegel erneut mit einem Nord-Stream-2-Vertreter zusammen. Das Thema: die US-Sanktionen.
Die Stiftungsgründung? Wie erwähnt: Laut Pegel war sie zu diesem Zeitpunkt "allenfalls beiläufiger Gesprächsinhalt von Randgesprächen einzelner Gesprächsteilnehmer".
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Anschließend begann er aber zeitnah mit der konkreten Ausarbeitung, die er eng mit Staatskanzlei und Nord Stream 2 abstimmte. Wie die "Welt am Sonntag" berichtete, schrieb er beispielsweise am 23. November in einer E-Mail an Staatskanzleichef Geue, er habe mit den Nord-Stream-2-Vertretern gesprochen: "Ihnen lagen drei Änderungen am Herzen, die ich eingefügt und gelb markiert habe." Ein solcher Kontakt ist in der Auflistung der Gespräche nicht enthalten. Am selben Tag aber ging eine Anfrage beim Justizministerium ein: "Anfrage zu Möglichkeiten einer Anerkennung der angedachten Stiftung". Ein Vorverfahren wurde eingeleitet.
Als die Klimastiftung schließlich Anfang Januar 2021 offiziell in die Wege geleitet war, wurden auch Schwesigs persönliche Termine mit den Pipeline-Machern wieder weniger. Lediglich zwei Telefonate zwischen der Ministerpräsidentin und Warnig sind für April vermerkt, kurz darauf ein Pressetermin mit dem russischen Botschafter an der Anlandestelle, wiederum knapp drei Wochen später ein Telefonat zwischen Warnig und Staatskanzleichef Geue. Erst im August sprach Schwesig wieder mit Warnig und traf Gerhard Schröder – während sich die übrigen Vertreter ihrer Landesregierung bis Jahresende im Vergleich zum Vorjahr auffällig zurückhielten.
Die Inhalte der vielen Gespräche Schwesigs mit den Funktionären von Nord Stream 2 dürften ihre Landesregierung noch viele Monate beschäftigen. Auch der heutige Innenminister Christian Pegel wird viele Fragen zu beantworten haben. Die Opposition aus CDU, Grünen und FDP hat einen Untersuchungsausschuss im Landtag beantragt, den sie unter anderem mit Berichterstattung von t-online begründet und mit den Stimmen ihrer Fraktionen einsetzen wird. Er wird sich auf die Suche nach weiteren Dokumenten machen. Als Zeugen sollen sowohl Schwesig als auch Pegel befragt werden.
- Eigene Recherchen
- Welt: Schwerin als Filiale der Nord Stream 2 AG (kostenpflichtig)