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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin Kemfert "Wir erleben die schlimmste Gaskrise, die wir je hatten"
Wie soll Deutschland klimafreundlicher werden? Diese Frage sorgt in der Bundesregierung zurzeit für Zwist. Scharfe Kritik kommt von Expertin Claudia Kemfert.
Die Ampelkoalition streitet über ihre Klimapolitik: Die Pläne, neue Gas- und Ölheizungen zu verbieten, lassen Hauseigentümer hohe Kosten befürchten und die Rufe nach einem Ausbau der staatlichen Förderungen lauter werden. In Brüssel stellte sich Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) derweil gegen das eigentlich schon längst beschlossene Verbrenner-Aus und verstimmte damit die EU-Kommission und andere Länder gleichermaßen.
Bei alldem geht es um Grundsatzfragen: Was darf Klimaschutz kosten? Wie viel Verbot darf sein? Und wie sinnvoll sind die Diskussionen überhaupt? Fragen an Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
t-online: Frau Kemfert, Deutschland hat sein Klimaziel 2022 erreicht. Wichtigster Grund dafür: die Energiekrise, die die Emissionen gedrückt hat. Nützt der Krieg dem Klima?
Claudia Kemfert: Die Emissionen sind tatsächlich in erster Linie im Industriesektor gesunken. Das ist nicht Folge des Klimaschutzes, sondern der Preisanstiege insbesondere beim Erdgas. Wir befinden uns inmitten eines fossilen Energiekrieges, im Endspiel um die fossilen Energien.
Aber?
Zugleich hat die Regierung die Preisdeckel für fossile Energie eingeführt – die dem Klimaschutz zuwiderlaufen. Und durch den Bau der Flüssiggasterminals machen wir uns erneut stärker von fossilem Erdgas abhängig.
Also bremst der Krieg die Energiewende sogar?
Die Maßnahmen, die die Energiewende wirklich beschleunigen, hat die Ampel schon vor Beginn des Krieges im Koalitionsvertrag vereinbart. Dann aber hat die Regierung sich ein Jahr lang schwerpunktmäßig mit der Bewältigung der akuten Krise beschäftigt. Insofern hat Deutschland wertvolle Zeit verloren und zahlt dafür einen enorm hohen Preis. Der Preis der verschleppten Energiewende ist sowieso schon riesig hoch.
Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Zudem lehrt sie als Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Kemfert ist Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung und Mitglied des Präsidiums der deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Sie ist außerdem als Autorin tätig und tritt regelmäßig als Expertin für Klima- und Energiefragen in den Medien auf.
Der Energiesektor konnte sein Ziel gerade so einhalten, bei Gebäuden und Verkehr lagen die Emissionen aber wieder darüber. Die FDP will die Sektorziele am liebsten ganz abschaffen und stattdessen auf den Emissionshandel setzen. Wie kann das funktionieren?
Das kann nur funktionieren, wenn die Preise für Heizen und Tanken massiv ansteigen. Was die FDP verschweigt: Nur auf Emissionshandel zu setzen, heißt allein auf Preissignale zu setzen. Klimaziele können so nur erreicht werden, indem fossile Energien massiv verteuert werden – eben durch gestiegene CO2-Preise.
Das heißt, der Verbraucher zahlt drauf?
Für Besitzer von Öl- und Gasheizungen und Verbrennerautos wird es dann richtig teuer. Wie ich die FDP kenne, führen wir dann aber die nächste Diskussion um Tankrabatte und Gaspreisbremsen.
Was soll der Vorschlag dann?
Ich sehe darin eher eine Verschleierungstaktik. Der Verkehrssektor unter FDP-Minister Volker Wissing hängt nämlich völlig hinterher. Die Liste der Versäumnisse im Verkehrssektor wird immer länger.
Trotzdem blockierte Wissing beim Verbrenner-Aus auf EU-Ebene, damit Verbrenner mit E-Fuels möglich bleiben.
Genau. Ich halte das nicht nur für nicht sinnvoll, sondern auch für nicht umsetzbar. E-Fuels sind nichts als Wahlkampf-Klimbim.
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Harte Worte.
Aber es ist doch so! Die E-Fuels dafür sind gar nicht auf dem Markt. Maximal 10 Prozent des E-Fuel-Bedarf in Deutschland könnten mit den aktuell geplanten Projekten bis 2035 überhaupt gedeckt werden. Hinzu kommt: E-Fuels brauchen wir für die Bereiche, wo wir keine vor allem elektrische Alternative haben, nämlich im Flug- und im Schiffsverkehr und teilweise auch im Schwerlastverkehr. Beim normalen Autoverkehr gibt es dagegen viel preiswertere, effizientere Möglichkeiten.
Sie meinen die E-Autos?
Ja. Vergleicht man E-Autos und E-Fuels, braucht man bei derselben Leistung für die Herstellung von E-Fuels fünf- bis siebenmal so viel Strom. Und ein Liter kostet dann wohl mehr als fünf Euro. Der Markt hat sich längst entschieden. Aber die Autobauer brauchen Planungssicherheit.
Ein Kompromiss mit der EU-Kommission soll nun Verbrenner erlauben, die nachweislich nur E-Fuels tanken. Ist das machbar?
Man kann wohl entsprechende Sensoren einbauen, aber auch das ist wieder ineffizient und teuer. Es ist von vorne bis hinten einfach unsinnig. E-Fuels im Pkw sind pure Verschwendung.
Ein weiterer Plan aus Brüssel ist, den Strommarkt regionaler zu gestalten. Heißt das, in Regionen wie Sachsen oder NRW, wo die Erneuerbaren einen geringeren Anteil an der Stromproduktion haben, zahlt der Verbraucher künftig mehr als zum Beispiel an der Küste?
Ja, es geht um regionale Preisanreize. Ökostrom vor Ort zu produzieren, führt zu niedrigeren Strompreisen, wovon die jeweiligen Regionen auch profitieren sollten. Zudem wird ein Standortvorteil geschaffen. Jüngste Entscheidungen von Unternehmen wie E-Auto- oder Chipherstellern zeigen deutlich, dass ein hoher Ökostromanteil ein wesentlicher Entscheidungsfaktor ist, nach Deutschland zu kommen.
Nicht nur Wind- oder Sonnenenergie verursachen kein CO2, auch Atomstrom ist CO2-neutral. Mitte April gehen in Deutschland die letzten Meiler vom Netz. Ist das ein Fehler?
Nein. Der Atomausstieg ist überfällig. Wir haben genügend Kapazitäten, wir brauchen den Atomstrom in Deutschland nicht mehr. Eine Verlängerung bedürfte neuer Sicherheitsprüfungen, auch für den Kauf potenziell neuer Brennstäbe. Das dauert und ist teuer.
Trotzdem gilt Atomstrom in der EU als erneuerbare Energie.
Atomstrom ist nicht erneuerbar, auch wenn die EU das auf Drängen Frankreichs so entschieden hat. Atomstrom verursacht enorme Kosten und Probleme, sei es beim Betrieb der Kraftwerke oder beim Rückbau der Meiler, von der Endlagerung des Atommülls mal ganz abgesehen. Das ist nicht zukunftsfähig.
Frankreich hat im Moment massive Probleme mit der Atomenergie.
Ja, aufgrund von fehlendem Kühlwasser und maroden Anlagen. Das zeigt, dass auch Atomstrom keine Versorgungssicherheit bietet. Im Gegenteil: Erneuerbaren Energien wird immer nachgesagt, sie seien unsicher wegen angeblicher Dunkelflauten, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Aber die tatsächliche Dunkelflaute verursachen im Moment die französischen Atomkraftwerke – und ganz Europa hängt mit drin.
Wie das?
Der Strommarkt ist solidarisch. Deutschland produziert mehr Strom für den Export, mit erneuerbaren Energien, aber vor allem auch mit Kohlestrom, damit in Frankreich nicht die Lichter ausgehen. Und bei uns steigen die Emissionen im Energiesektor.
Atomausstieg, Kohleausstieg, stockende Energiewende. Wo soll der Strom denn herkommen?
Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. Da ist jetzt einiges auf den Weg gebracht worden, es geht aber viel zu langsam. Wir können in Deutschland in vier Monaten ein Flüssiggasterminal planen und bauen, dann sollten wir das auch bei einem Windrad schaffen. Derzeit werden allerdings bis zu sieben Jahre gebraucht, um eine Windanlage zu bauen. Das darf nicht sein!
Wirtschaftsminister Robert Habeck plant, ab kommendem Jahr den Neueinbau konventioneller Gas- und Ölheizungen zu verbieten. Eine Alternative sind strombetriebene Wärmepumpen. Vielen Hauseigentümern graut es vor der Investition. Wie soll so die Wärmewende funktionieren?
Die Gaspreise explodieren, wir erleben die schlimmste Gaskrise, die wir je hatten. Trotzdem wurden 2022 noch 700.000 neue Gasheizungen eingebaut. Welch ein Fehler! Gas wird teuer bleiben, ob durch hohe Gaspreise oder steigende CO2-Preise. Wer jetzt noch eine neue Gasheizung einbaut, läuft Gefahr, über 10.000 Euro aus dem Fenster zu werfen. Gaspreisdeckel wird es nicht auf Dauer geben. Es gibt offenbar einen großen Informationsmangel. Die Diskussion, die wir aktuell führen in Deutschland, hilft den Leuten nicht.
Warum nicht?
Wahre Kosten werden absichtlich überschätzt und Nutzen vor allem in Form vermiedener Kosten für fossile Energien verschwiegen. Wärmepumpen sind in der Anschaffung nicht billig, ja. Materialien sind knapp, Fachkräfte schwer zu kriegen. Aber wie man es dreht und wendet: Wenn man alle Kosten des fossilen Heizens mit einpreist, rechnen sie sich. Viele andere Länder machen vor, wie es geht.
Die Zehn-Jahres-Rechnung nützt aber dem Hauseigentümer nicht, der im kommenden Jahr nicht weiß, wie er die fünfstellige Summe für seinen Heizungsaustausch aufbringen soll.
Es gibt bereits Förderprogramme, auch mit Härtefallregelungen. Die müssen ausgebaut werden und sicher auch nach Einkommen gestaffelt werden. Als Eigentümer eines Einfamilienhauses müssen Sie aktuell nicht selten einem Gasanbieter bis zu 9.000 Euro für ein Jahr nachzahlen. Das ist schon die Hälfte der Wärmepumpen-Investition. Die Zeit der Gas- und Ölheizungen ist abgelaufen.
Auch der Weltklimarat fordert in seinem neuesten Bericht, alle Investitionen in fossile Energien müssten sofort beendet werden. Darauf hat sich allerdings über Jahrzehnte unser Wohlstand aufgebaut. Wie weit kann die Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen überhaupt noch wachsen?
Wir sehen, dass das ungezügelte Wirtschaftswachstum, das auf fossile Energien, Gier, Ungleichheit und Ausbeutung des Planeten ausgerichtet ist, nicht in Einklang mit den planetaren Grenzen zu bringen und damit nicht zukunftsfähig ist.
Und stattdessen?
Jetzt muss das Gute wachsen und das Schlechte schrumpfen. Vorsorge, Pflege, Bildung, Umwelt- und Klimaschutz: Diese Dinge brauchen wir. Die Ausrichtung auf das fossile Kapital, die enormen Umwelt- und Klimaschäden, die Ungleichheit: Das ist nicht aufrechtzuerhalten. Wir brauchen ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem, welches eher auf das Prinzip der vorsorgeorientierten Postwachstumsökonomie setzt.
Sie haben keine Angst vor politischen Statements. Das bringt Ihnen immer wieder heftige Kritik ein. Sind Sie Wissenschaftlerin – oder Aktivistin?
Ich bin immer und überall Wissenschaftlerin. Wissenschaft trägt Verantwortung und hat die Pflicht, die eigenen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu vermitteln. Diese Überzeugung teile ich im Übrigen mit Tausenden Kolleginnen und Kollegen weltweit. Mich hat das Buch von Friedrich Dürrenmatt "Die Physiker" sehr geprägt. Als Wissenschaftlerin ist es meine Pflicht, auf Gefahren hinzuweisen. Ich kann doch nicht zugucken, wie die Welt ins Verderben rennt!
Frau Kemfert, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Interview mit Claudia Kemfert am 22. März 2023