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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.NRW-Ministerpräsident Wüst Einfach verantwortungslos
NRW-Ministerpräsident Wüst gerät angesichts des Brückendebakels auf der Sauerlandlinie mehr denn je unter Druck. Plausible Antworten bleibt er schuldig.
In höchsten Staatsämtern wiegt Verantwortung schwer. So schwer vielleicht, dass mancher sie gern wieder los wäre, wenn er sie einmal besitzt. Umso mehr, wenn er Ambitionen auf noch höhere Ämter hat, und bisherige Entscheidungen, Fehler und Versäumnisse ihm dabei nur im Wege stünden. In solchen Fällen wird die Verantwortung gern delegiert, abgeschoben. An Vorgänger, an Umstände und nicht selten auch an Untergebene. Die sollen die Verantwortung tragen. Und wenn es schiefgeht, eben auch dafür gerade stehen.
Es verdichtet sich der Eindruck, dass der Fall bei NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) so oder so ähnlich liegen könnte. Und dass er und seine Landesregierung bereit sind, sich die Wahrheit zurechtzubiegen – bis sie möglicherweise bricht. Verantwortungsbewusst wirkt sein Verhalten im Debakel um die Rahmedetalbrücke jedenfalls nicht.
Wüst ist jemand, der aus Rückschlägen gelernt hat. Er ist Landesvorsitzender der CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland und laut Umfragen nach CSU-Chef Markus Söder der beliebteste Unionspolitiker der Republik. Und einer, dessen Name immer wieder fällt, wenn es um die Frage geht, wer nächster Kanzlerkandidat von CDU und CSU werden könnte.
Seit Monaten Zweifel an Wüsts Glaubwürdigkeit
Wüsts Karriere ist beachtlich, aber auch erstaunlich: Als die NRW-CDU vor Jahren Termine mit dem damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers gegen Geld verschacherte, nahm er als Generalsekretär seinen Hut. Sein Comeback wurde möglich, weil Gras über die Sache wuchs und ihm seine Loyalität von der Partei offenbar gedankt wurde.
Nun kann Wüst offenbar selbst auf Loyalität in der schwarz-grünen Koalition setzen. Die Regierungsfraktionen decken ihn. Denn eines will er offenbar auf keinen Fall: Fehler oder Versäumnisse eingestehen. Das wurde am Dienstag in einer Pressekonferenz deutlich und am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde des Landtags.
Und trotzdem: Für Wüst wird es eng.
Exklusive Recherchen von t-online wecken bereits seit Monaten Zweifel an Wüsts Glaubwürdigkeit und der seiner Landesregierung. Denn bevor er Ministerpräsident wurde, war Wüst Verkehrsminister in Düsseldorf. Und für ein milliardenschweres Verkehrsdebakel in seinem Bundesland will der frühere Ressortchef nicht verantwortlich sein. Dabei wird die mittlerweile wegen schwerer Schäden gesperrte Rahmedetalbrücke an der A45, die durchs Sauerland führt, immer mehr zum handfesten politischen Problem. Antworten auf drängende Fragen bleibt Wüst schuldig – oder weicht mit Spitzfindigkeiten aus.
Mittlerweile ist durch die t-online-Recherchen klar, dass ...
- ... der dringend notwendige Brückenneubau in Wüsts Amtszeit als Verkehrsminister verschoben wurde und dass er im Wahlkampf etwas anderes suggerierte;
- ... dass das Verkehrsministerium mit noch vorhandenen Unterlagen die Sache hätte aufklären können – aber nichts dergleichen tat und auf fehlende Akten verwies;
- ... dass E-Mails verschwunden sind, die darüber Auskunft geben könnten, ob Wüsts Büro von der Verschiebung und den Gründen dafür Kenntnis hatte;
- ... dass sein Staatssekretär mitmischte, in welcher Reihenfolge Projekte mit Planfeststellungsbedarf angegangen wurden – obwohl die Landesregierung stets darauf pocht, alles werde auf fachlicher Ebene ohne politische Einflussnahme entschieden.
Angesichts der Vielzahl der für Wüst ungemütlichen Erkenntnisse bröckelt seine Verteidigungslinie. Der Ministerpräsident will Versäumnisse während seiner Amtszeit als Verkehrsminister mittlerweile nicht mehr ausschließen. Das räumte er am Dienstag ein. Doch noch immer macht er "zuständige Stellen" in seinem Haus verantwortlich, noch immer verweist seine Landesregierung auf den damals für Straßenbau zuständigen Landesbetrieb und die heute verantwortliche Autobahn GmbH des Bundes. Noch immer weicht Wüst auch auf mehrfache Nachfragen aus, ob er persönlich von der Verschiebung und ihren Gründen wusste.
Der Regierungschef schickt seine Minister vor
Und noch immer ist unklar, ob Wüsts politisches Programm möglicherweise dazu führte, dass das Ministerium und der Landesbetrieb für Straßenbau ihre Schwerpunkte neu setzten und die Rahmedetalbrücke dabei auf der Strecke blieb.
Stattdessen zeigt Wüsts Landesregierung auf die Opposition. Der heutige Verkehrsminister Oliver Krischer von den Grünen tritt nun als Brandmauer für den CDU-Regierungschef auf. Von der Opposition forderte er am Mittwoch im Landtag eine Entschuldigung. Sie halte "mit unsinnigen und fragwürdigen Kleinen Anfragen die Menschen von der Arbeit ab". Das kam im Parlament nicht gut an: Kleine Anfragen sind das verfassungsmäßig garantierte Recht der Opposition zur Kontrolle der Regierung.
Und was sagte Wüst, der Chef dieser Regierung? Der äußerte sich nicht im Parlament. Dabei hatte er am Vortag noch eine Transparenzoffensive angekündigt. Im Landtag schickte er lieber seinen Verkehrsminister und den Chef der Staatskanzlei vor. So ist er selbst die Verantwortung los – zumindest für den Moment.
- Eigene Recherchen