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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wüsts Brückendebakel Stolpert der NRW-Chef über einen einfachen Satz?
Die Vollsperrung einer wichtigen Autobahnbrücke lähmt NRW. Der Anteil des Verkehrsministeriums daran könnte größer sein als bislang bekannt. Trägt Landeschef Wüst direkte Verantwortung?
Eine heikle Frage beschäftigt den nordrhein-westfälischen Landtag und eine ganze Region: Hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in seiner Zeit als Landesverkehrsminister durch Versäumnisse oder Fehlentscheidungen ein milliardenschweres Verkehrsdebakel verursacht?
Es geht um die Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45, einer der wichtigsten Verkehrsadern des Landes. Schäden an der Brücke waren seit Jahren bekannt, doch ein geplanter Neubau wurde verschoben. Verantwortung dafür hat Wüst bisher strikt zurückgewiesen. Doch ein interner Schriftverkehr des Ministeriums, der t-online exklusiv vorliegt, lässt seine Aussagen nun zweifelhaft erscheinen.
Die Wahlkampfaussage
Es ist ein einfacher Satz in einem Interview, der Wüst unter Druck setzt. "Wann welches Bauwerk saniert wird, ist eine fachliche Entscheidung, die im Übrigen vor meiner Amtszeit getroffen wurde", sagte Wüst im April 2022 dem "Westfälischen Anzeiger", als er auf mögliche Versäumnisse bezüglich der Vollsperrung angesprochen wurde. Damals war Wahlkampf, Wüst wollte Ministerpräsident werden.
Damit suggerierte er: Der geplante Neubau der Brücke, der die Sperrung verhindert hätte, wurde nicht in seiner Amtszeit als Minister verschoben, sondern davor. Recherchen von t-online belegten später das Gegenteil. Seitdem muss sich die neue NRW-Landesregierung harten Fragen im Landtag stellen. Denn Wüst gewann die Wahl und wurde Ministerpräsident.
Die gefundenen Dokumente
Die Antworten, die seine Regierung auf die Fragen fand, haben die Opposition bislang nicht zufriedengestellt: Der heutige Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) behauptete, sein Haus verfüge über keinerlei Dokumente mehr zum Neubaustopp – was sich als falsch herausstellte.
Und Wüst und seine Staatskanzlei behaupteten, solche Entscheidungen seien ausschließlich auf Fachebene getroffen worden. Noch im Dezember sagte er erneut dem "Westfälischen Anzeiger": "Priorisierungen von Projekten in einem solch sensiblen Bereich erfolgen aufgrund fachlicher Entscheidungen von Experten, die trifft man nicht politisch."
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Auch an dieser Aussage lassen Dokumente aus dem NRW-Verkehrsministerium nun allerdings zweifeln. Sie stammen aus Wüsts Zeit als Verkehrsminister und liegen t-online durch das Informationsfreiheitsgesetz vor. Darin enthalten ist ein Schriftwechsel der für Straßenbau zuständigen Abteilung kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2017. Zusammen mit Wüst als Verkehrsminister hatte damals Staatssekretär Hendrik Schulte seinen Posten angetreten. Als solcher war er Wüsts ständiger Vertreter und hatte gegenüber den Mitarbeitenden ein uneingeschränktes Weisungsrecht.
Der Start ins Amt
Deswegen lässt der Wortlaut der t-online vorliegenden E-Mail aufhorchen. Geschrieben hat sie der Abteilungsleiter an seine Mitarbeiter – es habe ein Gespräch mit dem neuen Staatssekretär Schulte gegeben, schreibt er darin.
Es wird klar: Schulte, der als Staatssekretär Wüsts politisches Scharnier zum Beamtenapparat des Ministeriums war, wollte mehr wissen zur Priorisierung von Brückensanierungen und -neubauten – und erkundigte sich offenbar explizit nach den Brücken an der A45: "Besonders interessiert ihn, wie die Entscheidung über Ertüchtigung oder Neubau getroffen wird und ob und – wenn ja – wie priorisiert wird", heißt es in der internen E-Mail. "Ergänzend sollte der der Arbeit der Projektgruppe (...) zugrundeliegende Masterplan A45 dargestellt werden."
Im sogenannten Masterplan für die Sauerlandlinie stand erst das Jahr 2019, dann 2020 als Start für den Neubau der Rahmedetalbrücke und zwar auch noch während Wüsts Amtszeit. Doch dann wurde der Neubau um mehrere Jahre verschoben, weil sich abzeichnete, dass ein Planfeststellungsverfahren notwendig sein würde. Für dieses aufwendige Verfahren gab es nach Informationen von t-online aber nicht genug Personal – obwohl die neue Landesregierung Planungskapazitäten bereits erhöht hatte.
"Ob die Prioritäten dann richtig gesetzt sind"
Das macht eine weitere Passage der E-Mail brisant. Denn Schulte wollte mit seiner Abteilung offenbar auch über die Priorisierung der Planfeststellungsverfahren sprechen. "H. Sts benötigt einen Überblick über die laufenden und in den nächsten Jahren geplanten [Planfeststellungsverfahren]", heißt es in dem internen Schriftwechsel. "Schriftlich sollte dazu eine Erläuterung erfolgen, warum diese Reihenfolge so zustande gekommen ist; ihm geht es nämlich auch darum zu hinterfragen, ob dem eine Priorisierung zugrunde liegt und ob die Prioritäten dann richtig gesetzt sind."
Die neuen Informationen fügen sich ins Bild: Denn ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt als Verkehrsminister stellte Hendrik Wüst als erstes Prestigeprojekt den sogenannten "Masterplan zur Umsetzung des Fernstraßenbedarfsplans" vor. Der sollte als "Planungs- und Steuerungsinstrument" sämtliche Bauprojekte an Autobahnen und Bundesstraßen zusammenführen, denn auch künftig bestehe die Notwendigkeit, "eine Reihenfolge für die Planung und Umsetzung der Projekte vorzunehmen".
Umgesetzt wurde der Masterplan in einem zugehörigen Arbeitsprogramm jeweils für das Folgejahr, das die einzelnen Maßnahmen aufführte. Dort ist der A45-Streckenabschnitt, in dem die Rahmedetalbrücke liegt, zwar aufgelistet – der ursprünglich für 2019 und dann für 2020 geplante Neubau der Brücke taucht allerdings nicht explizit auf. Ob dafür ausschließlich die Entscheidung von Fachleuten verantwortlich ist, wie Wüst behauptet, oder sein damaliges Ministerium ihn nicht mehr priorisierte, wird sich möglicherweise noch herausstellen.
- Eigene Recherchen
- Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
- Come-on.de (Westfälischer Anzeiger): "A45-Brücken-Desaster für Lüdenscheid – Hendrik Wüst: Durchfahrtsverbot für Lkw möglich"
- Come-on.de (Westfälischer Anzeiger): "A45-Sperrung in Lüdenscheid: Drei Fragen an Ministerpräsident Wüst"