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Corona-Lage in Bautzen: Die einen sterben, die anderen tanzen Polonaise


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Reportage aus Sachsen
Die einen sterben, die anderen tanzen Polonaise

  • Annika Leister
Von Annika Leister, Bautzen

26.11.2021Lesedauer: 8 Min.
Eine Pflegekraft dreht einen Covid-Patienten auf den Bauch (Symbolbild): Für die Umlagerung sind fünf Kräfte nötig.Vergrößern des Bildes
Eine Pflegekraft dreht einen Covid-Patienten auf den Bauch (Symbolbild): Für die Umlagerung sind fünf Kräfte nötig. (Quelle: Reichwein/imago-images-bilder)
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Nirgendwo sind die Corona-Inzidenzen zurzeit höher als in Sachsen. Die Krankenhäuser sind voll, Pfleger und Ärzte am Ende ihrer Kräfte. Doch Teile von Politik und Bevölkerung haben andere Prioritäten. Eine Reportage aus Bautzen.

Das Pumpen der Sauerstoffgeräte klingt bis auf den Flur der Bautzener Intensivstation. Mechanisch, kalt, lebensrettend. In einem unbelegten Zimmer steht Intensivpflegerin Elli im Halbdunkel und desinfiziert Arbeitsmaterial. Sie trägt Schutzbrille, Maske, Handschuhe, Kittel. Nur ihre Augenpartie ist zu sehen.

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Die drei Betten sind gerade frei geworden, die Covid-Patienten darin wurden nach Dresden verlegt. Drei neue Patienten, die die Betten benötigen, wurden bereits aufgenommen. Elli muss sich beeilen. "Wir sind alle durch", sagt die 31-Jährige, während sie immer wieder ein Desinfektionstuch über ein Kabel zieht. "Unser Nervenkostüm ist runter."

Seit sechs Jahren arbeitet sie als Intensivpflegerin im Bautzener Krankenhaus. Seit anderthalb Jahren herrscht Ausnahmezustand. Schon von der dritten Corona-Welle vor einem Jahr wurde der sächsische Landkreis hart getroffen. Jetzt wird er von der vierten Welle überrollt. Die Inzidenz im Landkreis liegt laut Landratsamt bei 1.700, kein Intensivbett in der Bautzener Klinik steht lange frei.

In keinem Bundesland haben sich bisher so wenige Menschen impfen lassen wie in Sachsen – und kein Bundesland verzeichnet derzeit mehr Neuinfektionen. Die Folgen für die Krankenhäuser sind gravierend. 278 Patienten liegen insgesamt im Bautzener Krankenhaus*. 41 davon sind Covid-Patienten auf der Normalstation – 60 Prozent sind ungeimpft. Covid-Patienten belegen außerdem neun der 20 Intensivbetten. Bis auf einen sind alle ungeimpft.

Das bringt für das Personal neue Herausforderungen. Patienten, so erzählt Elli, die Corona weiterhin als "harmlosen Krankenhauskeim" bezeichneten – obwohl sie bereits mit Sauerstoff versorgt werden müssten, obwohl das Personal mit sehr viel Kraft um ihr Leben ringe.

Fast täglich komme es zu solchen Szenen. Die hartnäckigen Leugner sind nun das größte Ärgernis für die Intensivpflegerin, die ihren Nachnamen lieber nicht veröffentlichen will. "Wir versorgen jeden gleich", betont sie. "Aber diese Leute, die noch immer sagen: Corona gibt es gar nicht, das ist gar nicht so schlimm – die regen mich auf."

Die Pflegedirektorin: "Niemand sieht, wie kaputt Pfleger und Ärzte sind"

Nur neun Covid-Intensivpatienten! Das muss ein Krankenhaus doch schaffen! Solche Sätze hört Manja Hollmann immer wieder. Sie sitzt zwei Stockwerke über der Intensivstation im Bautzener Krankenhaus, in einem hellgelb gestrichenen Büro. Die 43-Jährige ist Pflegedirektorin im Klinikum und sowohl für das Wohl der Patienten als auch für das der Pflegenden zuständig.

Hollmanns Büro ist funktional eingerichtet, nur an der Garderobe hängt ein Schild, auf dem auf Englisch steht: "Glück ist kein Ziel, sondern eine Lebensweise". Neben ihrem Beruf studiert die Frau mit den wachen, blauen Augen gerade Pflege- und Gesundheitsmanagement in Dresden. Sie will noch besser werden, sich weiter professionalisieren, sagt sie. Doch der Kampf gegen Covid zerrt an allen Nerven.

Jeden Tag erhält Hollmann die neuen Statistiken zur Belegung, muss neue Dienstpläne erstellen, umschichten und umorganisieren. Zwei Stationen – die Urologie und eine chirurgische Station – hat das Bautzener Klinikum gerade schließen müssen, um die Covid-Stationen zu betreiben. Patienten und Angestellte wurden umverteilt. Von den eigentlich sechs Operationssälen können derzeit nur drei benutzt werden. "Die Menschen müssen verstehen: Ein Corona-Patient ist in der Betreuung sehr viel aufwendiger als andere Patienten", sagt Hollmann.

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Schon die Covid-Patienten auf Normalstation könnten sich oft nicht mal mehr die Zähne selbst putzen. Oft verschlechtere sich ihr Zustand von einem auf den anderen Tag drastisch. "Viele, auch Junge, japsen nach kurzer Zeit nach Luft, müssen beatmet werden", sagt sie und fügt hinzu: "Das ist Wahnsinn."

Auf der Intensivstation wächst der Mehraufwand für die Pfleger weiter: Mindestens fünf Angestellte sind nötig, um die Schwerkranken täglich von der Rücken- in die Bauchlage und wieder zurück zu drehen. Hinzu kommt das Bedienen der Beatmungsgeräte, ein hochspezialisierter Job, für den Pfleger eine zweijährige Ausbildung durchlaufen.

In Bautzen mangelt es wie in so vielen Krankenhäusern nicht an Betten, sondern vor allem an Personal. Das war schon vor der Pandemie knapp bemessen. Und zurzeit sind im Bautzener Klinikum 60 von 385 Angestellten aus dem Pflegebereich krankgemeldet – das sind 15 Prozent, die ausfallen. Als Ursache sieht Hollmann vor allem die Mehrbelastung in der Corona-Pandemie. Viele seien noch geschlaucht von der dritten Welle.

Immerhin hätten in Bautzen noch keine Pflegekräfte den Dienst quittiert. Laut klopft die Pflegedirektorin mit beiden Händen auf den Holztisch, an dem sie sitzt. Zum Glück, so soll es bitte bleiben, bedeutet das. Aus anderen Häusern kennt sie andere Geschichten.

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"Niemand sieht, wie kaputt die Pflegekräfte und Ärzte sind", sagt Hollmann. Sie kann sich die Ursachen nicht erklären, doch in der Region sei bei vielen immer noch nicht angekommen: Corona kann zu schweren Verläufen führen, Corona bringt viele Menschen auf die Intensivstation. "Und: Eine Impfung kann genau das verhindern."

Die Impf-Zögerin: "Ich überlege noch"

Nur 500 Meter vom Krankenhaus entfernt soll um 10 Uhr eine der zentralen Teststationen in Bautzen öffnen. Zumindest steht es so auf der Webseite des Landkreises. Doch die Tür bleibt geschlossen. Als sich immer mehr Menschen davor sammeln, öffnet eine Mitarbeiterin kurz die Schiebetür, ruft ruppig: "Wir öffnen erst um 11, steht ja da!" Sie zeigt auf einen Papieraushang und schließt die Tür wieder.

Eine 34-Jährige, die mit ihren zwei Kindern ganz vorne in der Schlange steht, protestiert: "Ich hab einen Termin, meine Tochter ist positiv!" Das Kind auf ihrem Arm hustet.

Eine 18-Jährige mit blondem Haar und weißer Jeans, die in der ersten Reihe steht, seufzt laut auf. Sie müsse doch auf Arbeit. Sie ist Bedienung in einer Eisdiele und braucht den Testnachweis – wie so viele in der Schlange – für ihren Arbeitgeber. Seit Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz müssen alle, die nicht geimpft oder genesen sind, einen negativen Schnelltest vorlegen.

Ob sie noch nicht geimpft ist? "Die erste Impfe habe ich", sagt sie. Doch sie habe "sehr schwere Nebenwirkungen" gehabt: Schüttelfrost, Fieber, "zwei Wochen lang" habe sie ihren Arm nicht bewegen können. Ob sie sich die zweite Spritze überhaupt noch geben lässt? "Weiß ich noch nicht, ich überlege noch."

Ein paar Meter weiter wartet auch Husein A., 40 Jahre alt, in schwarzer Jacke und mit tief hängender Maske auf Einlass ins Testcenter. Zwei Mal habe er bereits Corona gehabt und sei außerdem geimpft, sagt er. Doch er ist weiter überzeugt: Corona sei wie ein kleiner Schnupfen. Die Impfung, die Tests – das alles habe einen politischen Zweck. "Das kapitalistische System will die Menschen nur weiter kontrollieren."

Um 11 Uhr öffnet das Testcenter die Türen. Infizierte und Nicht-Infizierte strömen hinein, ballen sich ohne Abstand auf der Treppe vorm Empfang. Die 18-Jährige ist da schon weg. Ihre Schicht hat bereits begonnen.

Die Rechtsextremen: "Das ist die längste Infektionskette in Sachsen!"

"Das ist die längste Infektionskette in Sachsen!", ruft ein Sänger begeistert von der Bühne herab, während er auf der Gitarre klimpert. Vor ihm schlängelt sich eine Polonaise von Menschen ohne Masken, ohne Abstand, die Hände auf die Schultern gelegt, fröhlich singend und lachend.

Es ist ein Protest gegen eine 2G-Veranstaltung vor dem Bautzener Theater Mitte November. Das Video der Szene teilen die "Freien Sachsen" später auf Telegram. Die "Freien Sachsen" werden vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistische Gruppe beobachtet. Dem Video geben sie den Titel: "Ungeimpft und frei: Volksfeststimmung in Bautzen!" und schreiben dazu: "Ganz stark, so geht kreativer Widerstand!"

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Der Landrat: "Wir müssen wegkommen von der Polarisierung"

In einem großen Büro im Bautzener Landratsamt, einem pompösen ehemaligen Bankgebäude, sitzt CDU-Landrat Michael Harig. Er trägt Anzug und Deutschlandfahnen-Pin am Revers, spricht ruhig und erklärt ausgiebig. Im Landkreis Bautzen ist er maßgeblich für die Corona-Politik zuständig.

Bereits im August hat Harig einen offenen Protestbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben. Darin warnte er vor dem "Eindruck eines interessengelenkten Obrigkeitsstaates" und einer "zunehmenden Spaltung der Gesellschaft" durch die Corona-Politik.

Er hat dafür viel Beifall in seinem Landkreis bekommen. Auch die rechtsextremen "Freien Sachsen" feiern ihn und sich dafür. "Dass sich der Bautzener Landrat so offen gegen Kretschmer stellt, ist ein maßgeblicher Erfolg der großen Straßenproteste", schreiben sie auf Telegram. Mehr als 180.000 Menschen haben den Post gelesen, die Zahl ist an dem Post vermerkt.

Harig weiß, dass er Beifall aus der extremen Ecke erhält. Der "falschen Ecke", wie er es nennt. Doch es ist auch heute sein wichtigstes Anliegen, immer wieder kommt er darauf zurück: "Wir müssen wegkommen von der Polarisierung, von der moralischen Aufladung, von der Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte", sagt er.

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Dass die Situation im Kreis ernst ist, leugnet er nicht. Die Menschen in den Krankenhäusern leisteten "Übermenschliches", sagt er. Trotzdem klingt er entspannt. Sein Landkreis sei mit neun Kliniken in der Versorgung gut aufgestellt. Er zweifele auch daran, dass die Impfrate in seinem Landkreis, überhaupt in Sachsen, tatsächlich so niedrig ist wie gemeldet. Viele Bürger hätten sich in angrenzenden Bundesländern impfen lassen, vermutet er und kritisiert den Datenschutz: Die Impfstatistiken seien wegen der strengen Regeln nicht aussagekräftig.

Und selbst wenn es doch nicht sehr viel mehr Geimpfte gäbe: Vermutlich werde sich die Situation in ein paar Wochen wieder anders darstellen, dann seien die Inzidenzen woanders hoch, dann stehe ein anderes Land, nicht mehr Sachsen, "am Pranger", sagt Harig. Zähle man all die Genesenen hinzu, sei schließlich auch im Freistaat bald die Herdenimmunität erreicht. Kein Grund zur Panik – diese Botschaft sendet der Landrat.

Die Chefärztin: "Jetzt droht die nächste Stufe der Priorisierung"

Seit Bergamo, seit den überfüllten Krankenhäusern in Italien und den Bildern von zusammenbrechenden Medizinern, ist "Triage" ein Angstwort in den Medien. Eigentlich stammt die Praxis aus der Militärmedizin, etabliert wurde sie im Krieg – wenn Bomben und Kugeln hageln und unerwartet viele Patienten auf einmal versorgt werden müssen, aber nicht genügend Sanitäter, Betten, Verbandsmaterial vorhanden sind. Wenn Mediziner die Entscheidung treffen müssen: Wen können wir noch versorgen? Wen versuchen wir zu retten, wen lassen wir sterben?

Auch im Bautzener Krankenhaus wird Manja Hollmann nervös, wenn sie gefragt wird, ob hier bald Patienten aussortiert werden. Man ist vorsichtig geworden, man will keinesfalls Panik verbreiten und überspitzte Schlagzeilen produzieren. Hollmann ruft Wilma Aron an, Chefärztin im Bautzener Krankenhaus.

Aron ist zurzeit eigentlich krankgeschrieben, doch die Erklärung ist ihr wichtig. Sie nimmt sich Zeit. "Eigentlich triagieren wir schon die ganze Zeit", sagt sie. Aus Sicht von Medizinern sei schließlich jede Absage einer elektiven Operation eine Triage, nämlich die Abwägung: Der Patient kommt später dran, ein akuter Fall hat Vorrang.

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In den Hochphasen der Pandemie ist diese Praxis für Mediziner in ihrer sanften Form viel selbstverständlicher geworden, als Medien es oft darstellen. Das wird im Gespräch mit Hollmann und Aron nur zu deutlich. Viele Tumoroperationen seien beispielsweise im vergangenen Jahr aufgeschoben worden, erzählen sie. Die Tumore seien gewachsen, viele Leute müssten nun, in Jahr zwei der Pandemie, dringend operiert werden. Doch das sei schwer, Corona lasse kaum Platz.

Und Aron warnt mit ernster Stimme: "Jetzt droht die nächste Stufe der Priorisierung." Sie vermeidet dabei das Angstwort. Die Intensivbetten seien fast vollständig belegt, Platz gewinne man vor allem durch Verlegungen oder Überlastung des Personals. Vielleicht aber müsse man bald schon die Entscheidung treffen: Wen können wir dort überhaupt noch behandeln? Wer hat die größten Überlebenschancen? Der Schlaganfall-, der Herzinfarkt-, der Covid-Patient? "Wir hoffen, dass wir solche Entscheidungen niemals treffen müssen."

Die Intensivpflegerin: "Die Menschen sollen vernünftig werden"

Was sich Intensivpflegerin Elli am sehnlichsten wünscht? "Urlaub", ruft sie spontan und lacht.

Dann wird sie ernst, ihre Stimme dunkler: "Dass die Menschen draußen vernünftig werden und sich impfen lassen."

*Die Belegungszahlen sind die Zahlen vom Tag des Reporter-Besuchs im Bautzener Krankenhaus: Mittwoch, den 24. November 2021.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen vor Ort
  • Infektionsstatistik des Landratsamts Bautzen
  • Telegram-Kanal der "Freien Sachsen"
  • Offener Brief von CDU-Landrat Michael Harig
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