Corona-Talk bei "Anne Will" Nach Wagenknechts Worten spricht Lauterbach von "Räuberpistolen"
Bei "Anne Will" ging es um steigende Infektionszahlen und Druck auf Ungeimpfte. Karl Lauterbach warb für beschleunigte Booster-Impfungen. Sahra Wagenknecht beklagte eine "schräge" und "moralisch aufgeladene Debatte".
Nach einem Einspielfilm über den ungeimpften Fußballprofi Joshua Kimmich und seine Sorge um mögliche Langzeitfolgen einer Immunisierung wandte sich Anne Will mit der Frage nach dem "Warum" an die ebenfalls ungeimpfte Sahra Wagenknecht. "Ich finde es ein Problem, dass man das öffentlich begründen muss", erklärte die Linken-Politikerin, immerhin sei es eine "individuelle Entscheidung".
Auch sie habe Angst vor Corona, es gelte aber abzuwägen, zumal es sich um ein "neuartiges Impfverfahren" handle. Anders als bei klassischen Verfahren werde gegen Corona kein abgetötetes Virus geimpft, sondern "ein genetischer Code". Außerdem habe es beim Denguefieber bereits einen Impfstoff gegeben, der die Krankheit tödlich gemacht habe. Und warum hätten die Hersteller wohl so großen Wert darauf gelegt, nicht für eventuelle Langzeitfolgen zu haften?
Die Gäste
- Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe
- Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion
- Sahra Wagenknecht (Die Linke), Mitglied des Bundestages
- Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung"
Mit diesem Einstieg war die Rollenverteilung in der Runde geklärt: Impfskeptikerin Sahra Wagenknecht gegen den Rest. Zur ersten Widerrede setzte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach an. Amerikanische Top-Wissenschaftler von Harvard bis Yale versicherten unisono, dass Nebenwirkungen ausgeschlossen seien. Zudem gebe es ja nicht nur die neuartigen mRNA-, sondern auch Vektorimpfstoffe (z. B. Astrazeneca, Johnson & Johnson). Selbst bei den mRNA-Verfahren komme es aber nie dazu, dass genetisches Material in den Zellkern gehe. Wenn der Staat einen Impfstoff empfehle, hafte er auch für die Folgen, das sei auch bei Masern so. Man möge bitte "keine Räuberpistolen auf den Tisch legen". Und schließlich sei die Impfentscheidung keineswegs nur individuell, sondern sehr wohl gesellschaftlich relevant, weil Verweigerung "andere ins Risiko bringt".
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Als Sahra Wagenknecht daraufhin anführte, dass sich doch auch Geimpfte anstecken könnten, unterstützte "SZ"-Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt den Epidemiologen Lauterbach beim Einordnen. "Ja, als Geimpfter kann ich mich anstecken und kann auch andere anstecken, gerade mit wachsendem Abstand zur Impfung", so die Journalistin. Aber: Auch wer dank Impfung weniger schwer erkranke, helfe der Gesellschaft. Dass ein Doppelt-Geimpfter auf die Intensivstation müsse, der nicht hochbetagt oder vorerkrankt sei, sei unwahrscheinlich. Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, versuchte sich vermittelnd einzubringen: Auch er werbe für die Impfung, aber die Skeptiker "zu beschimpfen oder zu stigmatisieren ist nicht der richtige Weg". Zweiflern empfahl er, einen Arzt ihres Vertrauens zu konsultieren.
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Damit allerdings rief er wieder Sahra Wagenknecht auf den Plan: Es gebe ja nicht nur eine Meinung, auch nicht unter Ärzten und Wissenschaftlern. Sie beklagte eine "schräge" und "moralisch aufgeladene Debatte": "Wir bauen Intensivbetten ab, haben einen eklatanten Pflegenotstand und beklagen dann, dass Kapazitäten fehlen." Lieber solle man "aufhören, dass Gesundheitssystem kaputtzusparen". Als sie die These aufstellte, "ein gesunder Mittdreißiger" habe "ein geringes Risiko, schwer zu erkranken", platzte Lauterbach kurz der Kragen: "Sie erzählen Unsinn!" Was Wagenknecht nicht davon abhielt, auch noch die Existenz von Long Covid als "umstritten" zu bezeichnen.
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Mit einem weiteren Einspielfilm über verstärkten Druck auf Ungeimpfte in Österreich und Italien lenkte Anne Will die Diskussion in Richtung möglicher weitergehender Maßnahmen. "Viele Patronen haben wir nicht mehr", stellte Karl Lauterbach dazu fest, die Auslastung der Intensivbetten liege bereits bei 95 Prozent. Sein Vorschlag: "2G, wo immer möglich, ist das eine, und zum zweiten Booster-Impfungen, so schnell wie es geht". Hierzu plädierte der SPD-Mann für die Wiederöffnung der Impfzentren, da die Praxen gar nicht hinterherkämen.
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Marco Buschmann gab zu bedenken, dass "die 2G-Situation den Anschein totaler Sicherheit" erwecke und die Menschen unvorsichtig mache; Geimpfte müssten ebenfalls weiter auf sich aufpassen. Auch er sprach sich für verstärkte Booster-Impfungen in den Risikogruppen aus.
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Ob es denn angesichts all dessen jetzt der richtige Zeitpunkt sei, die "epidemische Lage nationaler Tragweite" auslaufen zu lassen, wollte die Moderatorin dann noch von Buschmann wissen. "Wir haben nicht gesagt, Corona ist vorbei", stellte der FDP-Mann klar, man beende lediglich "das juristische Konstrukt", weil die "Verschiebung in der Gewaltenteilung" keine Legitimation mehr habe. Dennoch gebe es weiterhin einen Maßnahmenkatalog, mit dem gearbeitet werden könne.
Fazit: Wer die Hoffnung hegt, dass sich zumindest einige Impfskeptiker noch durch Entkräften von Fehlinformationen und akkurates Argumentieren überzeugen lassen, kann dieser "Anne Will"-Ausgabe nichts Schlechtes nachsagen. Sie hat die nötige kommunikative Anstrengung beispielhaft und in zivilisiertem Ton unternommen.
- "Anne Will vom 31. Oktober 2021