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Russland: Ex-Agentin von Putin lockt mit Hilfe aus Deutschland neue Bürger


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Auswanderer aus dem Westen
Die Propaganda nimmt neue Formen an


Aktualisiert am 28.12.2024 - 17:30 UhrLesedauer: 13 Min.
Putin will Menschen aus dem Westen ins Land holen, und Menschen aus dem Westen sollen ihm unter Leitung der Abgeordneten und Ex-Agentin Maria Butina helfen.Vergrößern des Bildes
Putin will Menschen aus dem Westen ins Land holen, und Menschen aus dem Westen sollen ihm unter Leitung der Abgeordneten und Ex-Agentin Maria Butina helfen. (Quelle: SNA, Telegram/imago-images-bilder)
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Putin will unzufriedene Menschen aus dem Westen ins Land lotsen. Ein deutschsprachiges Netzwerk in Deutschland arbeitet daran schon länger – und spielt jetzt eine Schlüsselrolle.

Es ist der Tag nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine. Die vier Kinder sind vielleicht schon im Bett, als Anatoli Bublik und seine Frau beschließen, ihr Leben grundlegend zu ändern. "Ich möchte bei den Jungs sein", sagt er zu Nachrichten von der "militärischen Spezialoperation". Sie antwortet: "Ich auch." So erzählt Bublik es in Videos und Interviews immer wieder, wenn er schildert, wie er im Februar 2022 entschied, alle Zelte im deutschen Rheingau abzubrechen – und nach Russland zu ziehen.

Dort ist Anatoli Bublik in kürzester Zeit zu einer der wichtigsten Figuren geworden, um für den russischen Staat Menschen aus "unfreundlichen Ländern" den Weg in Putins Reich zu ebnen. Er ist Teil eines Netzwerks, das die Unzufriedenen im Westen für den Umzug nach Russland gewinnen soll. Und manche auch für den Kampf in der Ukraine.

Ende November Organisation gegründet

Unter den maßgeblichen Köpfen dieses Netzwerks sind Blogger wie Alina Lipp, die als deutsche Putin-Propagandistin bekannt geworden ist. Es sind Unternehmer dabei wie ein österreichischer Internetspezialist oder der frühere Russland-Chef eines deutschen Weltmarktführers für Trafo-Technik.

An die Spitze gestellt aber hat sich die Duma-Abgeordnete Maria Butina, die als russische Spionin in den USA im Gefängnis saß. t-online-Recherchen geben tiefe Einblicke in das Netzwerk.

Die Anwerbe-Organisation des Kremls: Am 29. November verkündete Maria Butina vor der Presse im Konferenzsaal der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, dass "Welcome to Russia" seine Arbeit aufnehme. Die einflussreiche Politikerin von Wladimir Putins Regierungspartei Einiges Russland führt mit dieser Organisation eine Bewegung an, für die der Präsident per Dekret sein Einvernehmen gegeben hat.

Butina ist Vorsitzende von "Welcome to Russia" und arbeitet eng zusammen mit drei Partnergruppierungen, die alle über Verbindungen nach Deutschland verfügen. Sie haben sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 gebildet und professionalisiert.

  • Put Domoj ("Weg nach Hause") um Anatoli Bublik und seine Frau,
  • Moya Rossiya ("Mein Russland") mit Alina Lipp und dem Österreicher Martin Held,
  • die Agentur OKA des deutschen Managers Jakob Pinneker, der mit dem ausgewanderten Unternehmer Remo Kirsch bereits die Regionalregierung von Nischni Nowgorod berät.

Auf dem Podium saß auch noch der aus Frankreich stammende Alexandre Tsiko-Stepanov, der oft auf Held trifft. Von den verschiedenen Akteuren gibt es Tausende Beiträge und Hunderte Videos, sie interviewen und filmen sich gegenseitig, sie teilen ihre Beiträge, nutzen den gleichen Anwalt für Migrationsrecht – und sie sind auch bei hochkarätigen Konferenzen in Russland Dauergast.

Russland schrumpft: Putin macht Vorgaben zur Geburtenrate

Russlands Problem: Russland hat große demografische Probleme. Im November wurde deshalb sogar "Werbung für Kinderlosigkeit" unter Strafe gestellt, weil diese angeblich die "Entvölkerung" fördere. Putin gab im Mai als Ziel die Zahl von 1,6 Kindern pro Frau 2030 und 1,8 im Jahr 2036 aus und fordert Zeiten zurück mit sieben, acht Kindern. In Russland ist schon die Rede von einer "speziellen demografischen Operation". Migranten waren bisher in der russischen Diskussion aber eher ein notwendiges Übel.

Ein Umdenken zeichnete sich ab, als Putin im Februar 2024 auf einem Zukunftsforum dafür plädierte, Ausländern mit "traditionellen Werten" die Einreise zu erleichtern. Prorussische Gruppen im Ausland fordern das schon lange.

Die Politikerin und Spionin: Auch Maria Butina teilt diese Forderung: Es brauche Reformen angesichts des "Wunschs vieler hochqualifizierter Fachkräfte aus westlichen Ländern", in Russland zu leben und zu arbeiten, sagte sie im Januar. Sie ist heute eine der wichtigsten Ansprechpersonen für Menschen, die aus dem Westen kommen, aber ein Leben in Russland vorziehen – das hat meist mit ihrer Biografie zu tun.

Butina, eine 36-jährige, blonde Politikerin, die stets im geschäftsmäßigen Look auftritt, infiltrierte einst als Postergirl der Waffennarren für Russland die US-Waffenlobby. Darüber bekam sie Zugänge zu den Republikanern. Sie wollte einen geheimen Kommunikationskanal zwischen der ersten Trump-Regierung und dem Kreml einrichten. Als sie aufflog, bekannte sie sich schuldig, wurde als Agentin verurteilt und verbrachte 14 Monate in US-Haft. Später sagte sie, sich nur deshalb schuldig bekannt zu haben, um einer höheren Strafe zu entgehen. Am 25. Oktober 2019 kehrte sie nach Russland zurück, 2021 wurde sie in die Duma gewählt.

Für die von ihr geforderten Reformen war der 19. August 2024 der entscheidende Tag: Putin erließ das Dekret Nummer 702: Einwanderungswillige Ausländer, die aus "unfreundlichen Ländern" stammen, müssen seitdem keine Kenntnisse der russischen Sprache oder Geschichte mehr nachweisen, um zunächst für drei Jahre in Russland leben zu können.

Russland-Umzug als "humanitäre Unterstützung"

Sie brauchen nur die richtige Einstellung. Ein Paradebeispiel dafür: Der ehemalige EU-Abgeordnete Bela Kovacs aus Ungarn, rechtskräftig zu Haft verurteilt wegen Spionage für Russland. Vor dem Prozess floh der Politiker nach Russland, wo die Ex-Spionin ihn unlängst als prominenten Einwanderer bei einer Podiumsdiskussion präsentierte.

Moskau nennt den neuen Einwanderungsweg "humanitäre Unterstützung von Personen, die traditionelle russische geistige und moralische Werte teilen". Das Instrument taugt damit auch zur Propaganda im eigenen Land, das sich als "Hafen traditioneller Werte" darstellt.


Quotation Mark

Hiermit bestätige ich, dass der Grund für meine Übersiedlung nach Russland die Nichtakzeptanz der Politik des Staates meiner Staatsbürgerschaft ist, die ideologische Haltungen aufzwingt, die den traditionellen russischen geistigen und moralischen Werten widersprechen, sowie die Aufzwingung von destruktiven Ideen und Werten, die in Artikel 14 der Grundlagen der Staatspolitik für die Erhaltung und Stärkung der traditionellen russischen geistigen und moralischen Werte verankert sind.


Aus dem Antragsformular


Nach dem Dekret legte Butina richtig los: Sie wirbt seitdem in Interviews für Unterstützung, sie ließ eine Telegram-Gruppe eröffnen und umbenennen in "Welcome to Russia with Maria Butina!". Sie selbst und ihr Stab sind in der Telegram-Gruppe unter den bislang rund 1.000 Mitgliedern. Ende November gründete sie schließlich die Organisation "Welcome to Russia" mit ihr als Vorsitzender.

Organisationen, die sie bei dem Werben um Einwanderer aus dem Westen unterstützen, haben sich schon lange in Stellung gebracht. In den verschiedenen sozialen Netzwerken kommen sie auf sechsstellige Mitglieder- und Abonnentenzahlen. Zentrale Rollen spielen dabei Menschen aus Deutschland und Österreich.

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Deutsche Spätaussiedler-Politik dient als Vorbild

Der Pionier: Als Anatoli Bublik 2022 mit Frau und vier Töchtern nach Russland umzog, kam das überraschend für die Menschen in seinem Umfeld im Weinort Oestrich-Winkel. Zu seiner Einstellung passe das allerdings, sagen Bekannte. Bublik habe auch über Russenfeindlichkeit geklagt und über Flüchtlinge geschimpft. Seine Frau kritisierte die Corona-Testpflicht für Kinder. Er war viel in sozialen Netzwerken unterwegs. Dort las und schrieb er auch vom "Great Reset". Verschwörungsideologen sehen in dem Begriff Weltherrschaftspläne einer mächtigen Finanz- und Politikelite. Bublik schrieb auch vom "LGBT-Irrsinn" und von einem bevorstehenden Kollaps Deutschlands.

Bubliks Familie hat zwar deutsche Wurzeln, stammt aber aus Kasachstan. Er zog eigenen Aussagen zufolge Anfang der 2000er-Jahre nach Deutschland, "als die Deutschen sich auf der ganzen Welt nach allen umsahen, die für ihre Wirtschaft nützlich waren".

Genau das schwebt dem Netzwerk nun auch für Russland vor. Bublik sieht darin aber noch mehr: "Erstmals in der Geschichte Russlands besteht die Chance, unser Volk nach Hause zu holen."

Sein eigener "Weg nach Hause" sei für ihn allerdings nicht einfach gewesen. Die Probleme und schlechten Erfahrungen auch mit Behörden in Deutschland und Russland schildert er auf Telegram, um sie anderen zu ersparen, wie er in Interviews sagt. Immer häufiger hätten ihn Fragen zum Umsiedeln erreicht.

Umzug trotz guten Lebens in Deutschland

Inzwischen steht Bublik an der Spitze der im Januar 2023 von ihm gegründeten Organisation Put Domoj, seine Frau Maria ist Stabschefin dieses "Zentrum zur Förderung der freiwilligen Umsiedlung von Landsleuten". Sie verbreiten Informationen und Kontakte in sozialen Netzwerken und werden dabei von einem Heer Freiwilliger unterstützt. Mehr als 150.000 russischsprachige Familien und mehr als 4.500 Deutschsprachige mit Auswanderungsplänen nach Russland hätten sich an die diversen Kanäle seiner Organisation gewandt, sagte Bublik im April. Auf eine Anfrage zu neuen Zahlen hat er nicht geantwortet.

Bublik ging es in Deutschland gut, sagt er in Videos. Er war in eine Firma eingestiegen, die mit umweltfreundlichen Wandputzen Geschäfte macht, und sollte sie übernehmen. Bublik reiste nach China, weil die Firma dorthin expandierte, lebte in einem ansehnlichen Haus. Kommunalpolitikern in Oestrich-Winkel lag er in den Ohren, wenn ihm etwas nicht passte. Als Sportschützen waren er und seine Frau in Mainz aktiv.

Am 25. Juli 2022 endete das alles.

An jenem Sommertag, fünf Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, steigen die Bubliks und ihre Kinder ins Auto nach Stawropol, mehr als 3.000 Kilometer Luftlinie von Oestrich-Winkel entfernt. Buchstäblich seit dem 24. Februar, dem Tag, als sie über den Einmarsch sprachen und den Beschluss fassten, hätten sie die Auswanderung vorbereitet, erzählt er in Interviews.

Die Auswanderer, die Ausreise-Interessierten helfen, fallen in Russland bald auf. Bublik wird im Mai 2023 vom Vorsitzenden des Internationalen Rates der russischen Landsleute (MSRS), Hassan Mirzoev, empfangen. Dabei ist auch ein Mitarbeiter von Putins Sonderbeauftragten für die Betreuung von Landesleuten im Ausland, Alexander Babakow. Babakow hatte einst einen Millionenkredit für Marine Le Pens Partei in Frankreich eingefädelt. Die Runde spricht darüber, Bublik zum Vertreter des MSRS für die Umsiedlung von Landsleuten zu machen.

"Anführer einer ganzen Rückkehrbewegung"

Bublik stehen viele Türen offen. Die staatliche Agentur Sputnik schreibt über ihn: "Nach seiner Rückkehr aus Deutschland wurde er zum Anführer einer ganzen Rückkehrbewegung."

Im Januar 2024 wird seine Organisation Partner von Rossotrudnitschestwo, der mächtigen föderalen russischen Auslandsagentur, die auch hinter dem "Russischen Haus" in Berlin steckt. Put Domoj kooperiert mit weiteren "patriotischen" Organisationen, die etwa Unterstützung für Russlands Ukraine-Truppen organisieren oder Freiwillige rekrutieren. In Chats fragen Nutzer, wie sie spenden oder ob sie kämpfen können. Put-Domoj-Administratoren verweisen dann auf die Partnerorganisationen und persönliche Nachrichten.

Solche Gespräche werden zuerst nur auf Russisch geführt. Später entsteht eine deutschsprachige Telegram-Gruppe, und das offenbar abgestimmt: Der Erste, der im Sommer 2023 dort schreibt, leitet eine ähnliche Organisation: "Ich habe die Kollegen von MR auch informiert, reinzukommen. Dann lernt ihr die auch kennen." MR steht für Moya Rossiya, die Nachricht kommt von Martin Held.

Der Vernetzer und sein Moya Rossiya: Held ist zentraler Bestandteil des Teams um die Ex-Spionin Butina und den Auswanderer Bublik. Der Österreicher ist der Gründer von Moya Rossiya und hilft Russlands Staatsmedien: Als Russia Today nicht mehr in die EU senden durfte, war Martin Held zur Stelle. Er schaffte Wege, das Verbot mithilfe von "Internettunneln", sogenannten VPN-Kanälen, zu umgehen, und bewarb sie. Zudem startete Held Telegram-Kanäle, die Meldungen der staatlichen russischen Nachrichtenagenturen RIA Nowosti und Tass ins Deutsche übersetzen.

Held kommt aus der IT-Branche und hat zwei Firmen, Fancy Nerds und Geroy. Geroy ist die russische Übersetzung von Held. "Wir sind Helden" steht auf der Internetseite der Firma; russische Telekommunikationsunternehmen werden als Referenzen genannt. Beschäftigen kann man die "Helden" aber nicht: "Wir bieten nichts an, was Sie kaufen könnten, und Sie können keine unserer Dienstleistungen buchen", heißt es auf der Seite.

"Stimme aus Russland" hilft "Neues aus Russland"

In einem Interview erzählt Held, nach den Sanktionen gegen Russland habe er sich 2022 entscheiden müssen – Geschäfte machen in West oder Ost. Er entschied sich für Ost, der Österreicher hat inzwischen auch die russische Staatsbürgerschaft. Im Team der Firma gebe es Autoren und Social-Media-Manager, die Muttersprachler in Deutsch, Englisch und Russisch seien. Seine Techniker hätten "viel Erfahrung mit Telegram-Bots, Programmierung, KI, Apps usw. …", schreibt er in seinem Telegram-Kanal.

Der heißt "Stimme aus Russland". Held unterstützt die Telegram-Kanäle der deutschen Bloggerin und Russlandpropagandistin Alina Lipp: "Neues aus Russland", aber auch diverse weitere Kanäle wie "Politik für Blondinen" oder "Russländer & Friends". Und alle leiten Botschaften von Moya Rossiya weiter, um vermeintlich aufzuklären und Hilfe für Russland zu leisten. Oder im Sinne von der Kreml-Erzählung vom verdorbenen Westen Stimmung zu machen.

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Held hat aber nicht nur Kontakte zu diesen Kanälen, Held hat auch Werkzeuge. Ein Bot offenbar aus seiner Schmiede beantwortet Fragen auf "Welcome to Russia" – und hat das auch schon für Moya Rossiya getan. Automatisiert könne der Bot fast jede Frage rund um Russland beantworten, "im Grunde wie ChatGPT" – gefüttert mit russischen Inhalten aus dem Internet.

Den Bot hätten 140.000 deutschsprachige Menschen für Antworten zu Fragen rund um das Thema Auswanderung genutzt, "manche täglich. Vollkommener Wahnsinn", erzählt Held in einem Interview im März 2024.

Der eigene Kanal von Moya Rossiya wurde von YouTube gelöscht. Held beklagt sich, es würde "frei erfunden behauptet", sie seien "Teil von Putins Propagandamaschine". Tatsächlich bietet Moya Rossiya viel mehr: Kennenlerntreffen in Russland und Gruppen- und Sprachreisen ins Land. Die im Juli 2022 registrierte Internetseite vermittelt Flüge und Hotels – der Programmiercode deutet darauf hin, dass dafür Provisionen fließen.

Entstanden sei die Idee für Moya Rossiya in einem Gespräch zwischen ihm, Lipp und einer russischen TV-Journalistin: "Wir kannten alle viele Menschen, die Probleme haben. Denen musste geholfen werden." Eingewanderte in Russland taten sich zusammen für Moya Rossiya, rund 15 Personen. Dazu gehören Angestellte seiner Firma, die auch im Impressum angegeben sind. In seinem persönlichen YouTube-Kanal findet sich das offizielle Video von der "Welcome to Russia"-Vorstellung, eine Mitarbeiterin ist Administratorin bei "Welcome to Russia".

Und plötzlich kommt es auf Zahlen nicht an

Aus den Daten des Bots und von Telegram-Umfragen schloss Held schon 2023, dass mehr als 30.000 deutschsprachige Nutzer in die Russische Föderation ausreisen wollten. Als Experte auf dem Podium des Sankt Petersburger Weltwirtschaftsforum nennt er im Juni 2023 die Zahl und macht damit in Russland Furore. "Auf der Suche nach der Wahrheit strömen die Europäer massenhaft nach Russland", titelt eine Zeitung.

Bei Butina hören sich die Zahlen weniger imposant an: Von 2022 bis 2023 seien dem Migrationsdienst zufolge durch Programme 3.553 Menschen aus dem Westen nach Russland gekommen, sagt sie bei der Pressekonferenz im November. In diesem Zeitraum habe es aber Putins Dekret noch nicht gegeben. Und sie betont: "Es ist sehr wichtig, wer zu uns kommt, und nicht, wie viele es sind.“

Zu Held nach Krasnodar, wo er zum Teil lebt und seine Firmen sitzen, kommt 2022 auch eine junge Frau aus dem hessischen Frankfurt und wird bei ihm angestellt. In einem neuen Kanal berichtet sie davon, in Russland mit ihrer Tochter Asyl zu suchen, sie sei vor "Verrückten mit Sexkoffer im Kindergarten" geflüchtet. Die Frau postet inzwischen nichts mehr.

Was sie anfangs erzählt, bedient aber das Bild, das Außenamtssprecherin Maria Sacharowa in der größten russischen Boulevardzeitung vom Westen zeichnet: Menschen "aus den Nato-Ländern" kämen vor allem aus Angst um ihre Kinder. Sie behauptet: "Die Legalisierung der Pädophilie ist bereits Realität; sie ist im Westen nicht gesetzlich legalisiert, sondern de facto akzeptiert."

Darauf zielt Russlands Propaganda ab: Frühsexualisierung, LGBTQ, "Gender-Irrsinn". Ein früherer Sicherheitsbeauftragter des Eishockeyteams Eisbären Berlin wurde durch russische Medien gereicht mit seiner Geschichte seines Jobverlustes: Er habe den Wahnsinn nicht mitgemacht, eine "Frau mit angeklebtem Schnurrbart" auf die Männertoilette gehen zu lassen, und habe sich gegen Russophobie gestellt (Lesen Sie hier mehr zu dem Fall).

"Druschba"-Freundschaftsfahrt legte Grundlagen

Die Realität widerspricht den kühnen Zahlenträumen des Auswanderer-Netzwerks: Nach Deutschland zogen viel mehr Menschen mit russischer Staatsangehörigkeit oder dem Geburtsland Russland als in die Gegenrichtung.

Die Berater: Die russische Vorzeigeregion für Zuwanderung aus dem Westen ist Nischni-Nowgorod. Dort gibt es Berater aus Deutschland. Einer von ihnen gehört Moya Rossiya an: Der aus Potsdam stammende Remo Kirsch kennt Martin Held mindestens seit einer Russlandfahrt der Druschba-Organisation. Diese wurde vom heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Reiner Rothfuß gegründet und veranstaltet Fahrten nach Russland, 2018 – und erneut 2024 – auch nach Nischni Nowgorod.

Beim Halt dort erkor der 59-jährige Kirsch die Gegend zu seiner künftigen Heimat: Nun will er dort auf acht Hektar eigenem Land rund um sein Haus herum ein "deutsches Dorf" errichten. Davon erzählt er regelmäßig in russischen Medien, im März erhielt er per Dekret von Präsident Putin die russische Staatsangehörigkeit.

Gleb Nikitin, der Gouverneur der Region Nischni Nowgorod und Studienfreund des AfD-Politikers Maximilian Krah, ernannte Kirsch Ende Juni zudem zum ehrenamtlichen Berater für Auswanderer in der Region. Einen weiteren Deutschen machte er zum Generaldirektor einer staatlichen Agentur zur Unterstützung von Zuwanderern. Diese Personalvermittlung ist die Agentur OKA – einer der drei Partner von Butinas "Welcome to Russia".

Nischni Nowgorod mit Deutschem ist Vorzeigeregion

An der Spitze steht Jakob Pinneker, einst Russland-Chef der Maschinenfabrik Reinhausen (MR), einem Weltmarktführer für Trafo-Technik. 2016 war der Wolgadeutsche mit seiner Familie nach Russland gezogen. Mitte 2022 hat sich das Unternehmen von Pinneker getrennt, erklärt die Zentrale in Regensburg. Das Russlandgeschäft werde seither sanktionsgerecht abgewickelt. Und "MR" steht bei Pinneker jetzt eher für Moya Rossiy.

Für Butina sind Pinneker und die Region Nischni Nowgorod besonders wichtig, andere Regionen in Russland sollen von ihnen lernen. Und die Region ist auch mit ihrer Moskauer Vertretung Schauplatz des ersten Treffens freiwilliger Helfer von "Welcome to Russia" am 23. Dezember, gut zwei Dutzend Menschen hören unterm Weihnachtsbaum Butina und Held zu.

Am 20. November ist Butina in Nischni bei einem Treffen mit ausgewanderten Menschen aus dem Westen dabei. Sieben Familien hätten es mithilfe der Agentur geschafft, auszuwandern, erklärt Pinneker da. Einen Monat vorher hatte er Bublik zu einem runden Tisch begrüßt.

Der Jurist: Pinneker hat einen Co-Geschäftsführer, der auch bei Moya Rossiya und Put Domoj aktiv ist und oft als "persönlicher Berater" von Politikerin Butina bezeichnet wird: Anwalt Timur Beslangurow (44). Mit seinem eigenen Unternehmen hat er westlichen Firmen bei Einwanderungsfragen geholfen, aber die "Services seit 2022 an die aktuellen Gegebenheiten angepasst". So steht es auf der Firmenseite, die offenbar auf dem gleichen Server liegt wie Internetseiten von Maria Butina und Moya Rossyia. Die Firma ist zudem im gleichen Bürokomplex gemeldet wie Butinas "Welcome to Russia".

Beslangurow ist aber auch Geschäftsführer eines Bauernhofs – notgedrungen: Bei einer kanadischen Vorzeigefamilie, acht Kinder und enttäuscht vom Westen, lief es nach dem Umzug doch nicht so gut in Russland mit einer geplanten Farm – sie hatten schon ein YouTube-Video veröffentlicht, wie die Bürokratie ihre Träume zunichtemache. Jetzt leitet Problemlöser Beslangurow auf dem Papier den Bauernhof, die Familie kann wieder in Russlands Medien herumgereicht werden.

Derartige Probleme will Moya Rossiya zusammen mit dem Anwalt Beslangurow Einwanderern künftig ersparen: Es gibt ein Rundum-sorglos-Paket mit Check aller notwendigen Papiere und betreuten Behördengängen für 290.000 Rubel (rund 2.7000 Euro) für die erste Person, für weitere wird es günstiger.

Die Verstärker: Bei der Vorstellung von "Welcome to Russia" saß neben Butina die Deutsche Alina Lipp. Die 31-Jährige trug die frisch verliehene Puschkin-Medaille, höchste Auszeichnung für kulturelle Leistungen, die die "mutige Journalistin" im November erhalten hatte. Lipp hat den größten deutschsprachigen Kanal zur Verbreitung prorussischer Propaganda mit mehr als 180.000 Abonnenten und die Staatsangehörigkeit der nicht anerkannten Volksrepublik Donezk.

Lipp stellte in Gesellschaftskammer Organisation vor

Weil sie zu Beginn des Ukraine-Krieges von Donezk aus das völkerrechtswidrige russische Vorgehen feierte, leiteten deutsche Staatsanwälte Ermittlungen wegen Billigung eines Angriffskriegs ein – seitdem tritt Lipp in Russland als Opfer politischer Verfolgung auf. Ihre deutsche Mutter folgte ihr nach Problemen mit ihrer Bank nach Russland. Die Bloggerin bekam nach eigenen Angaben viel von deren Schwierigkeiten beim Umzug mit.

Sie erklärt, häufig von auswanderungswilligen Menschen aus dem Westen kontaktiert zu werden. Moya Rossiya nimmt ihr das nun in Teilen ab. Im Juni 2023 stellte Lipp die Organisation einem Ausschuss der russischen Gesellschaftskammer vor, die die Duma beraten soll. Eine Million hoch qualifizierter Menschen aus den USA und der EU könnten nach Russland ziehen, hieß es da.

Von Lipps Abonnenten sind viele auf die junge Frau eingeschworen. Wenn Lipp Botschaften verbreitet, bekommen sie eine deutlich größere Reichweite unter deutschsprachigen Russland-Sympathisanten. Mehr als 120 Postings hat sie zu Moya Rossiya in ihrem Kanal verschickt. Es gibt weitere Kanäle junger Frauen im Moya-Rossiya-Netzwerk, die überwiegend von Russlands Schönheiten schwärmen.

Über Deutschland, wo sie früher lebten, finden sie selten ein gutes Wort.

Verwendete Quellen
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