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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schwesig bei "Illner" "Es kann nicht mehr zurückgehen"

Bei Maybrit Illner verteidigen Carsten Linnemann und Manuela Schwesig den schwarz-roten Koalitionsvertrag – Kritik kommt von Ex-Linken-Chefin Katja Kipping.
Deutschland geht in sein drittes Rezessionsjahr in Folge, US-Präsident Donald Trump stürzt die Welt ins Zollchaos – hat die designierte schwarz-rote Regierung darauf die richtigen Antworten gefunden? Darüber diskutierte Maybrit Illner unter dem Titel "Aufbruch oder 'Weiter so' – mit Merz aus der Krise?".
Ein gänzlich negatives Urteil über den am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag wollte keiner der Talk-Gäste fällen, allerhand Kritik aber gab es. "Bisschen Aufbruch steckt da schon drin", konzedierte etwa der Journalist Michael Bröcker, bemängelte jedoch zu viele Prüfvorbehalte in dem 144-Seiten-Werk und die Auslagerung ungeklärter Fragen in Kommissionen und Arbeitskreise.
Die Gäste
- Carsten Linnemann (CDU), Generalsekretär
- Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern
- Katja Kipping, Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands
- Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall
- Michael Bröcker, Journalist ("Table Media")
"Es kam besser, als wir erwartet haben", bemühte sich auch Arbeitgeber-Lobbyist Stefan Wolf zunächst um eine positive Sichtweise und lobte die vorgesehenen Abschreibungsmöglichkeiten für investierende Betriebe. Zu "zaghaft" nannte er dagegen die geplante schrittweise Absenkung der Körperschaftssteuer für große Unternehmen erst von 2028 an.
Am deutlichsten drückte die ehemalige Linken-Vorsitzende Katja Kipping ihr Unbehagen aus. Sie sehe "drei große Verlierer" der schwarz-roten Verabredungen, so die heutige Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands: den Klimaschutz, den Schutz vor Armut und den Schutz von Geflüchteten. Auf Maybrit Illners Einwurf, ob der Koalitionsvertrag den Bürgern mehr Veränderung hätte zumuten können, hatte sie eine prägnante Antwort: "Man muss sagen, dass Menschen, die in Armut leben, schon die ganze Zeit Zumutungen haben."
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Zur Verteidigung des Koalitionsvertrags waren die beteiligten Verhandler Carsten Linnemann und Manuela Schwesig im Studio. Der CDU-Generalsekretär zeigte sich überzeugt, dass der versprochene Politikwechsel damit eingelöst werde. Er lobte insbesondere, dass es bei den Verhandlungen "kein Hin- und Herschieben" von SPD- oder CDU-Wünschen gegeben habe. Vielmehr sei man "in die Tiefe gegangen" und habe gefragt: "Was braucht das Land?" Auch die SPD-Ministerpräsidentin war mit dem Ergebnis zufrieden: "Wir verbinden Geld für Investitionen mit Beschleunigung."
Als Michael Bröcker in Richtung Carsten Linnemann einwandte, bei der Ausweitung der sogenannten Mütterrente handle es sich sehr wohl um den Wunsch einer Partei, nämlich der CSU, übernahm Schwesig den Konter: Die Mütterrente sei wichtig, um Altersarmut von Frauen zu bekämpfen. Auch die umstrittene Senkung des Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie und die Reaktivierung des von der Ampel gestrichenen Diesel-Privilegs für Landwirte verteidigte die SPD-Politikerin. Carsten Linnemann wiederum hob die neu geschaffene Möglichkeit für Rentner hervor, bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei hinzuzuverdienen: "Die Aktivrente wird ein dickes Ding", so der CDU-General.
Linnemann: Wir rücken nicht lang links
Gegen den von Maybrit Illner eingespielten Vorwurf des FDP-Mannes Christian Dürr, Friedrich Merz habe die CDU noch schneller nach links gerückt als Angela Merkel, verwahrte er sich: "Wir kriegen eine Migrationswende hin, die sich gewaschen hat", führte er als Gegenargument an und ergänzte: "Wir rücken nicht nach links, sondern wir rücken in die Realität, zu den Bürgern." Als weitere Errungenschaft nannte er die vorgesehene Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes: Betriebe würden so von "horrenden Berichtspflichten" befreit, das sei ein "Durchbruch" und "kein Formelkompromiss".
Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf mahnte dennoch eine Senkung der Einkommensteuer an, um Unternehmer zu entlasten, und forderte: "Wir brauchen noch ’ne Schippe drauf." Während er empfahl, sich an der Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder zu orientieren, verwies Katja Kipping auf eine "andere Facette" dieser Reformen: die "soziale Verunsicherung", die sie geschaffen hätten und die den Boden für Demokratiefeinde bereite.
Schwesig: Kann nicht mehr zurückgehen
Auch Manuela Schwesig konnte einer Rückkehr zu "Modellen der letzten Jahrzehnte" nichts abgewinnen: "Wir bekommen keine billige Energie aus Russland mehr und auch keinen billigen Schutz durch die USA", so die einstige Nord-Stream-2-Befürworterin: "Das ist ’ne Mega-Herausforderung. Es kann nicht mehr zurückgehen." Dies seien ihre vierten Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene gewesen, und noch nie habe man so unter Druck gestanden.
Am Ende wollte Maybrit Illner noch wissen, wo der Staat denn nun spare – und wie viel Geld der Umbau des umstrittenen Bürgergelds zur Grundsicherung einbringe. Eine präzise Antwort darauf bekam sie nicht. Katja Kipping bezweifelte lediglich, dass der von CDU-Chef Friedrich Merz im Wahlkampf avisierte zweistellige Milliardenbetrag realistisch sei, und schlug vor, "lieber an Steuerbetrug ranzugehen".
Ziel sei, das Bürgergeld "gerecht zu machen", wich Carsten Linnemann aus: "Wer arbeiten kann, soll arbeiten gehen." Auch Schwesig betonte den Ansatz, mehr Menschen wieder in Arbeit zu bringen: "Es gibt kein 'Steuerbetrug versus Bürgergeld'". Die Moderatorin vermutete ihrerseits, dass der geplante Bürgergeld-Stopp für neue Ukraine-Flüchtlinge am meisten Geld sparen werde.
"Bis zum Sommer müssen die wichtigsten Pflöcke eingerammt werden", gab Carsten Linnemann schließlich als Zeitfenster vor. Er äußerte sich überzeugt, dass mit der Kanzlerwahl von Friedrich Merz "ein neues Kapitel aufgeschlagen" werde und dieser als Regierungschef "überraschen" werde. Auch auf Maybrit Illners Einwand, "das hätte man als Generalsekretär der Partei jetzt auch nicht anders formulieren können", hatte er noch eine Replik parat: "Aber ich hab’s authentisch und glaubwürdig gemacht."
- zdf.de: "Sendung "Maybrit Illner" vom 10. April 2025