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Bodo Schiffmann und die "Querdenker"-Spenden: Jetzt fließt Geld fürs Ahrtal


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Fluthilfe von Bodo Schiffmann
"Querdenker"-Spenden fließen nach zwei Jahren doch noch


Aktualisiert am 28.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Bodo Schiffmann: Der "Querdenken"-Arzt hatte 700.000 Euro für Flutopfer an der Ahr gesammelt und wurde sie nicht los.Vergrößern des Bildes
"Querdenken"-Arzt Bodo Schiffmann hatte 700.000 Euro für Flutopfer an der Ahr gesammelt: Jetzt hat er einen Abnehmer gefunden. (Quelle: Montage: t-online/imago-images-bilder)

Zwei Jahre lang lagen 700.000 Euro Fluthilfe auf Eis. Erst jetzt ist das Geld, das "Querdenker" Bodo Schiffmann gesammelt hat, an der Ahr angekommen – t-online kennt die irre Reise der Euros.

Die Spenden waren als "schnelle Hilfe" fürs Ahrtal gedacht: Nach der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 hatte der umstrittene Arzt Bodo Schiffmann in seinem Telegram-Kanal dazu aufgerufen: "100 Prozent für die Flutopfer", schrieb er und sammelte Geld mithilfe eines sogenannten Moneypools von Paypal und begründete seine private Initiative damit, "dass es immer sehr lange dauert, bis staatliche Hilfen ankommt". Innerhalb kürzester Zeit wuchs die Summe der Spenden aus der "Querdenker"-Szene auf mehrere Hunderttausend Euro an.

Doch das Geld hängt bei Schiffmann fest: Fast zwei Jahre vergehen, bis die 700.000 Euro auf die Konten der Kommunen überwiesen werden. Die Geschehnisse bieten Stoff für eine Netflix-Serie, denn alles ist dabei: Stalking, Drohungen, Kopfgeld, Verdächtigungen, falschen Betrugsvorwürfen, Steuerforderungen und ein Verfahren bei der Luxemburger Bankenaufsicht. Allerdings gibt es ein Happy End, denn jetzt ist das Geld im Flutgebiet angekommen.

Geld ging am Montag an die Kommunen

Am Montag hat das Innenministerium von Rheinland-Pfalz 720.000 Euro vom Spendenkonto des Landes an die entsprechenden Kommunen im Norden überwiesen, zu drei Viertel an den am schwersten betroffenen Landkreis Ahrweiler. Seit der letzten Auszahlung im November 2022 hatte sich auf dem Konto noch mal Geld angesammelt. Das lag vor allem an einer Buchung aus dem Mai in Höhe von 697.659,63 Euro. Fast ein Jahr nach Ablauf einer Frist sind damit die "Querdenker"-Spenden an der Ahr angekommen. Schiffmanns Anwalt Ivan Künnemann zu t-online: "Ich bin glücklich, dass das Geld endlich seiner Bestimmung zugeführt wird."

Mit dem Spendengeld hatte es gleich mehrfach Ärger gegeben. Das erste Problem: 17 Tage nach Start der Spendensammlung 2021 sperrte Paypal sowohl Schiffmanns Konto als auch den Moneypool. Laut AGB hatte der Finanzdienstleister die Möglichkeit dazu, wenn jemand "Geschäfte in einer Weise führt, die zu Beschwerden führt". Und wegen Schiffmanns Spendensammlung hagelte es Beschwerden. Er stand im Fokus, weil er etwa Meldungen über durch Maskentragen verstorbene Kinder erfunden hatte und dazu aufrief, in vorgetäuschten Telefonaten Impf-Lügen zu streuen.

19,55 Millionen Spenden beim Land

Das Land Rheinland-Pfalz hatte wenige Tage nach der Flut ein Spendenkonto für die Opfer eingerichtet. Bis zum 26. Juni 2023 sind dort rund 19,55 Millionen Euro eingegangen. Von diesen Spenden wurden vom 26. Juli 2021 bis 26. Juni 2023 rund 19,54 Millionen Euro in neun Tranchen an die betroffenen Landkreise sowie die Stadt Trier ausgezahlt. Die Verwaltungen vor Ort können das Geld im eigenen Ermessen an die Bedürftigen auszahlen. Der Kreis Ahrweiler hat zunächst selbst in drei Runden betroffenen Privathaushalten Geld ausgezahlt, leitet die Mittel aber inzwischen an die Kommunen weiter, die sie für für Projekte und Maßnahmen in Zusammenhang mit dem Wiederaufbau einsetzen. Die Gelder sind laut Innenministerium zusätzlich zu Fluthilfezahlungen aus den Mitteln des Landes verteilt worden, ersetzten also keine staatlichen Zahlungen.

Auch Schiffmanns Pläne für die Verteilung des Geldes lösten Argwohn aus. Erst wollte er das Geld an Bauunternehmen im Ahrtal geben, wenn diese im Fluteinsatz auf Fahrzeugen für eine "Querdenker"-Kundgebung werben. Dann wollte er es Gemeinden geben, dies aber wiederum an politische Bedingungen knüpfen. Schiffmann machte die prompten Absagen der Kommunen öffentlich und forderte die Unterstützer auf, bei den jeweiligen Bürgermeistern wegen der Spenden vorstellig zu werden. In der Folge mussten sich inmitten der Katastrophe ehrenamtliche Kommunalpolitiker mit Beleidigungen und Bedrohungen von "Querdenkern" herumschlagen.

Der Shitstorm fiel zusammen mit einer Art Kopfgeld, auch ausgelöst durch die Spenden: Der Verein "Mutigmacher"aus der "Querdenker"-Szene lobte 10.000 Euro Prämie für denjenigen aus, der die Verantwortlichen für die Sperrung des Paypal-Accounts benennt. Der Aufruf dazu ist bis heute online.

Schiffmann suchte nun nach anderen Abnehmern für das eingefrorene Geld und fand sie potenziell in einem Verein, der in seinem Umfeld gegründet wurde. Nur: Eine Verantwortliche war damit aufgefallen, esoterischen Hokuspokus wie 30-Milliliter-Fläschchen "energetisiertes Wasser" (Verkaufspreis: 25 Euro) als Hilfsgut zu verteilen. Schiffmann hatte bereits eine Abtretungserklärung des Geldes an ihren Verein abgegeben, doch die Vorsitzende wollte jetzt das Geld nicht mehr annehmen. Schiffmann blieb weiter auf den Spenden sitzen.

Und jetzt kam Schiffmann auch noch der Staat in die Quere, dem er eigentlich zeigen wollte, wie schnelle Hilfe geht: Das Land hatte ein Spendenkonto eingerichtet, und dort war gewährleistet, dass das Geld zu 100 Prozent bei den Flutopfern ankommt. Eigentlich ein Versprechen seiner Spendenaktion.

Schiffmann wollte keinen Kontakt mehr mit dem Geld

Und das wäre mittlerweile auch möglich gewesen, denn Paypal hatte das "Querdenker"-Geld zum 30. Juni 2022 freigegeben. Schiffmann hätte es sich auf sein Konto transferieren und dann aufs Landeskonto überweisen können. Da wartete das nächste Problem: Er wollte es auf keinen Fall auf diesem Konto haben. Und Paypal wollte es nicht selbst ans Land überweisen. Nach den Geschäftsbedingungen des Finanzdienstleisters kann Geld nur auf andere Paypal-Konten transferiert werden – oder auf das Referenzkonto bei der Bank des Initiators.

Warum Schiffmann das nicht wollte, wurde erst später deutlich: Die Finanzbehörden hatten die Hand auf dem Konto, denn nach Unstimmigkeiten um Vorauszahlungen gab es eine Pfändung. Bei einem Geldeingang wäre ein Teil der Summe durch den Vermögensarrest sofort weg gewesen. Schiffmann hätte den fehlenden Betrag aus eigenen Mitteln ausgleichen müssen, um sich gegenüber den Spendern nicht strafbar zu machen.

Schiffmanns Anwalt setzte Paypal deshalb eine Frist, die Summe auf das landeseigene Spendenkonto zu überweisen: Das Unternehmen ließ sich nicht dazu bewegen und auch nicht von einem Schreiben der Spendenaufsichtsbehörde beeindrucken, das die mit Schiffmann gefundene Lösung ausdrücklich begrüßt: Der Weg stelle "sammlungsrechtlich eine einwandfreie und zweckentsprechende Verwendung der Sammlungserträge dar".

Stattdessen blieb das Geld, wo es war. Und in sozialen Netzwerken wurden Spekulationen laut: Hat Schiffmann das Geld im fernen Tansania verprasst? Immerhin hat er seine Praxis in Sinsheim nach Durchsuchungen und Kündigung der Räume aufgegeben, ist nach Afrika übergesiedelt und hat dort ein Hotel renoviert.

Schiffmann wurde sogar wegen Spendenbetrugs angezeigt. Allerdings sah die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht. Die Vorwürfe gegen ihn waren zumindest an dieser Stelle falsch: Das Geld war noch da, es lag bei Paypal auf Eis.

Beschwerdeverfahren bei der Bankenaufsicht erledigt

Eine Klage gegen Paypal scheute Schiffmann offenbar wegen der hohen Kosten, die bei einer Summe von 700.000 Euro zusammenkommen würden. Erst im März 2023 startete Schiffmanns Anwalt Künnemann einen weiteren Versuch. Er hatte sich formal bei Paypal beschwert, um nach der Ablehnung ein Beschwerdeverfahren bei der zuständigen Aufsichtsbehörde in Luxemburg beschreiten zu können.

Paypal hatte dort Künnemann zufolge noch nicht Stellung genommen. Das sei jetzt auch nicht mehr nötig, nachdem Paypal das Geld auf das Konto des Landes überwiesen hat. Das Unternehmen habe sich vorher noch einmal gemeldet, um das Konto zu verifizieren, heißt es von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier, der zuständigen Spendenaufsicht.

Nach fast zwei Jahren ist das Geld also endlich im Ahrtal angekommen – und Schiffmann ist den Spendenärger los. Nur eine Bescheinigung fürs Finanzamt, um die Spende steuerlich absetzen zu können, wird er nach Auskunft des Innenministeriums nicht erhalten. Das Geld stammt ja von Spenden anderer Leute. Den Ausgang der Geschichte nimmt er aber in einem Video zum Anlass für Selbstlob: Er hat auch gespendet – etliche Dixie-Klos im Ahrtal sind auf seine Kosten aufgestellt worden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfragen an Innenministerium Rheinland-Pfalz, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Kreisverwaltung Ahrweiler
  • dlive.de: Update Spende Ahrtal - Was ist mit den 700.000 Euro passiert - mit Bodo Schiffmann? (archiviert)
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