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Karl Lauterbach will Pflege zu Hause stärken – "Ein Witz"


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Neues Pflegegesetz kommt
"Das ist ein Witz"


Aktualisiert am 16.06.2023Lesedauer: 7 Min.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Archivbild): Das Pflegesystem ist auf Angehörige angewiesen, die einen großen Teil der Arbeit stemmen. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de)Vergrößern des Bildes
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (Archivbild): Das Pflegesystem ist auf Angehörige angewiesen, die einen großen Teil der Arbeit stemmen. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de) (Quelle: IMAGO)
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Ein neues Gesetz soll die Pflege zu Hause stärken. Aber wird es pflegenden Angehörigen wie Karin Köstner wirklich helfen?

Bevor Karin Köstner zur Arbeit geht, hat sie schon: ihren Mann Roland gewaschen, ihn mit einem Lift aus seinem Pflegebett geholt, das Frühstück gemacht, ihm je nach seiner Tagesform auch das Essen gereicht, und die Zähne geputzt.

Dann geht die 60-jährige Industriekauffrau ins Büro. Wenn sie danach zurück in ihr Haus in Nordhalben in Oberfranken kommt, kocht sie Kaffee, kontrolliert, ob ihr Mann genug getrunken hat und geht einkaufen. Vor einigen Monaten hat Karin Köster ihre Stunden reduziert, auf 20. Weil es nicht mehr anders ging. Weil alles zu viel wurde.

Deutschlands Pflegepolitik verlässt sich auf Menschen wie Karin Köstner. Von den rund fünf Millionen Pflegebedürftigen hierzulande werden vier Millionen zu Hause betreut, zum Teil mit der Unterstützung ambulanter Pflegedienste. "Glücklich schätzen" könnten wir uns, dass in Deutschland ein so großer Teil der Pflege durch Angehörige erbracht werde, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Pflegegesetz soll Situation für Angehörige verbessern

Und anders ginge es auch nicht: Professionelle Pflegekräfte fehlen schon heute, und der Mangel wird sich in der alternden Gesellschaft noch verschärfen. Jetzt, da die Babyboomer in Rente gehen. Das System ist auf Angehörige angewiesen, die einen großen Teil der Arbeit stemmen.

Ein neues Gesetz soll diesem Umstand nun Rechnung tragen. Lauterbach will damit unter anderem die Pflege zu Hause stärken – und die Situation für pflegende Angehörige wie Karin Köstner verbessern. Ende Mai hat der Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Haus von Karl Lauterbach verabschiedet. Am Freitag hat der Bundesrat dem "Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz" (PUEG) zugestimmt. Es wird also kommen. Die wichtigsten Punkte des neuen Pflegegesetzes lesen Sie hier. Nur: Wird es Menschen wie Karin Köstner helfen?

Seit mehr als 20 Jahren kümmert sich Köstner um ihren Mann. 1996 wurde bei ihm eine MS diagnostiziert. MS steht für Multiple Sklerose, eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die in Schüben verläuft. Ab 2000 war Roland Köstner, der früher als Zimmermann arbeitete, dann in Rente, mit damals 40 Jahren. "Da habe ich ihm schon bei vielem helfen müssen", sagt Karin Köstner. Seitdem habe sich sein Zustand rapide verschlechtert, die Pflege nahm für seine Frau immer mehr Zeit in Anspruch.

Viele, die sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern, sind enorm belastet. Das hat unter anderem eine kürzlich vom Sozialverband VdK veröffentlichte Studie gezeigt, für die 54.000 Betroffene befragt wurden. Fast 40 Prozent der Pflegenden kümmern sich demnach bereits seit mehr als fünf Jahren um Angehörige, 23 Prozent pflegen mindestens 40 Stunden in der Woche. 59 Prozent vernachlässigen deshalb die eigene Gesundheit, so die Studie.

"Ohne meinen Sohn wäre es für mich nicht mehr zu schaffen"

Auch Köstner bekam Gesundheitsprobleme. 2017 wurde ein Zwerchfellriss bei ihr festgestellt – eine Folge dessen, dass sie ihren Mann, der vor mehreren Operationen noch mehr als die jetzigen rund 65 Kilogramm wog, regelmäßig gestützt und gehoben hat. Da habe ihr erwachsener Sohn gesagt: "Wir müssen was ändern." Er begann, ihr bei der Pflege zu helfen.

"Ohne meinen Sohn wäre es für mich nicht mehr zu schaffen", sagt Karin Köstner heute.

Der Medizinische Dienst hat Roland Köstner mit dem Pflegegrad 5 eingestuft. Der Pflegegrad sagt aus, auf wie viel Hilfe Betroffene angewiesen sind. 5 ist die höchste Stufe und heißt: "schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen für die pflegerische Versorgung".

Der 35-jährige Sohn kommt morgens und hilft seiner Mutter, seinen Vater aus dem Bett zu holen. Wenn sie über die Mittagsstunden zur Arbeit geht, ist der Sohn wieder da, bereitet Essen zu, schneidet es klein. An manchen Tagen, wenn die Hände seines Vaters wieder zu taub sind, zu sehr kribbeln, reicht er ihm auch das Essen.

"Deshalb mache ich das eigentlich gar nicht"

Für ein paar Jahre hatte sich alles eingespielt, es ging irgendwie. Weil Ehefrau und Sohn sich in vielem umstellten und einschränkten. Der Sohn, indem er sich selbstständig machte, um flexibler zu sein – und seitdem mehrmals täglich ins Haus seiner Eltern fährt. Karin Köstner, weil sie sich schon lange darauf eingestellt hat, keine Zeit mehr für sich zu haben. "Ich muss mich halt nach der Krankheit richten und nach der Situation."

Sie klingt dabei nicht, als ob sie sich beschweren möchte. Geht sie selbst zu einem Arzt, muss jemand anderes nach ihrem Mann schauen. "Das muss alles getaktet und geplant sein." Will sie abends mal unterwegs sein, ist das auch so. "Deshalb mache ich das eigentlich gar nicht", sagt Köstner.

Doch Ende vergangenen Jahres habe es sie dann aus der Bahn geworfen: "Aber richtig." Im Dezember teilten die Ärzte ihr und ihrem Mann mit, dass er ein Stoma brauche, einen künstlichen Darmausgang, durch den der Stuhlgang nach außen in einen Beutel geleitet wird. Multiple Sklerose kann in manchen Fällen dazu führen, dass der Darm nicht mehr richtig arbeitet.

"Das hat mich ganz schön mitgenommen", sagt Karin Köstner. "Schaffe ich das?", habe sie sich gefragt. Denn schnell war klar: Die Belastung wird noch größer.

Seit ihr Mann den künstlichen Darmausgang hat, steht sie jede Nacht ein- bis zweimal auf und läuft ins Erdgeschoss. Weil ihr Mann die Treppen nicht mehr hochkommt, es auch nicht mehr schafft, sich in den Treppenlift zu setzen, schläft sie oben, er unten in der Wohnstube, wo jetzt sein Pflegebett steht. "Mit dem Stoma muss ich oft nachschauen, ob sich der Beutel mit Luft gefüllt hat", sagt Karin Köstner. "Nachts ist das eine Herausforderung." Danach könne sie manchmal nicht mehr einschlafen.

Pflegegeld steigt

Seit Anfang des Jahres ist Karin Köstner krankgeschrieben, weil es sie "nervlich so erwischt" hat, wie sie sagt. Bereits zuvor hatte sie ihre Stunden auf 20 pro Woche reduziert. Köstner also – so kann man das sagen – wartet dringend auf Hilfe aus der Politik. Darauf, dass sich etwas an ihrer Situation verbessert. Doch von dem, was nun kommt, ist sie enttäuscht.

Zwar steigt das sogenannte Pflegegeld zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent. Doch zuvor war es seit 2017 nicht erhöht worden. Das Pflegegeld erhalten Betroffene von der Pflegeversicherung, wenn sie zu Hause von Angehörigen oder Ehrenamtlichen gepflegt werden – also auch Roland Köstner. Weil er in die höchste Stufe eingeteilt ist, erhält er 900 Euro pro Monat. 5 Prozent von 900 Euro sind 45 Euro, das hat sich Karin Köstner schon ausgerechnet. 45 Euro pro Monat zusätzlich. "Das ist ein Witz", sagt sie. "Das hilft uns gar nichts."

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Auch die Sozialverbände kritisieren, dass die Erhöhung zu gering ausfalle. Der Pflegeexperte Heinz Rothgang sagte t-online: "Das ist viel zu wenig." Hier lesen Sie mehr dazu.

"Es funktioniert also nicht"

Die Köstners sind auf das Pflegegeld angewiesen – seit Karin Köstner ihre Stunden reduzieren musste, mehr denn je. Mit ihrem Gehalt, der Rente ihres Mannes und dem Pflegegeld, von dem auch ihr Sohn etwas bekommt, kämen sie gerade so über die Runden. Dass sie nun – notgedrungen – weniger Stunden in ihrem "normalen" Job arbeitet, bereite finanzielle Schwierigkeiten. "Aber es bringt ja nichts, das schaffe ich ja sonst nicht", sagt Köstner. "Ich kann nicht ganze Tage arbeiten und habe meinen Mann mit Pflegegrad 5 zu Hause."

Weil es finanziell so knapp ist, könne sie es sich nicht leisten, sich täglich von einem ambulanten Pflegedienst helfen zu lassen. Der komme zwar einmal im Monat – um den Katheter zu wechseln. Denn das darf sie selbst nicht tun, sondern das müssen ausgebildete Pflegefachkräfte machen.

Was Karin Köstner aber wirklich entlasten würde, wäre eine Pflegekraft, die ihr mehrmals täglich etwas abnähme, etwa ihren Mann aus dem Bett heben und ihn waschen. Für solche Leistungen kann zwar das Pflegegeld verwendet werden. Aber dann würde das Geld nicht mehr zum Leben reichen, sagt sie. Sie hat sich die Kosten genau angeschaut: Komme der Pflegedienst zweimal pro Tag, blieben vom Pflegegeld noch 63 Euro übrig, sagt sie. Komme er dreimal pro Tag – was ihr am meisten helfen würde – müsste sie sogar 57 Euro draufzahlen.

Das Problem dabei: "Mehr arbeiten könnte ich dann trotzdem nicht", sagt Köstner. In den restlichen Stunden – wenn der Pflegedienst nicht da ist – müsse ja trotzdem jemand in der Nähe ihres Mannes sein, ihm etwa etwas zu essen oder zu trinken zu geben. "Es funktioniert also nicht", sagt Köstner. Aus den gleichen Gründen komme auch ein Heimplatz nicht infrage. "Wir haben keine Rücklagen – womit soll ich den bezahlen?", fragt sie.

Experte: "Lichtblick am Horizont"

Einmal im Jahr allerdings – vorausgesetzt, sie finden einen freien Platz – ist der 63-Jährige für zwei Wochen in einem Heim in der Nähe untergebracht. Das wird von den Pflegekassen übernommen. Pflegebedürftigen stehen verschiedene Hilfen zu, damit Angehörige mal eine Auszeit haben – etwa um Urlaub zu machen, beruflichen Verpflichtungen nachzukommen, oder wenn sie selbst krank sind. Kurzzeitpflege heißt das und bedeutet, dass eine pflegebedürftige Person für eine kurze Zeit in einem Pflegeheim aufgenommen wird.

Dass diese Kurzzeitpflege nun durch das neue Gesetz mit einer weiteren Leistung, der sogenannten Verhinderungspflege, zusammengelegt werden soll, findet Köstner gut. Denn damit wird sie mehr Geld zur Verfügung haben, das sie für diese Kurzzeitpflege nutzen kann – und damit etwas mehr Zeit, die sie für sich hat, sich erholen kann.

Im vergangenen Jahr habe sie für diese Kurzzeitpflege einen Eigenanteil von rund 900 Euro selbst dazuzahlen müssen, sagt Karin Köstner – das Geld muss sie zuvor mühsam ansparen. Auch der Pflegewissenschaftler Rothgang nennt das Entlastungsbudget im Gespräch mit t-online einen "Lichtblick am Horizont". "Viele aus der Pflegeszene sagen, das könnte tatsächlich helfen", so der Wissenschaftler der Universität Bremen.

"Eigentlich müsste auch der Angehörige ein Recht auf Zeit haben"

Trotz dieses "Lichtblicks" aber klingt Köstner enttäuscht. Auch wenn die neue Geldleistung den vielsagenden Namen "Entlastungsbudget" tragen soll – "entlastet" fühlt sie sich ganz und gar nicht. "Es ist einfach zu wenig dafür, dass die tägliche Pflege so anstrengend ist", sagt sie.

In den mehr als 20 Jahren, die sie sich nun schon um ihren Mann kümmert, habe sich nur wenig zum Besseren gewandelt, sagt Köstner. "Eigentlich müsste auch der pflegende Angehörige ein Recht auf Zeit haben. Das ist aber nicht so. Ich habe keine Zeit."

Deshalb hat sie den Entschluss gefasst: Sollte sie selbst einmal pflegebedürftig werden, möchte sie nicht, dass sich ihr Sohn um sie kümmert. "Das will ich ihm nicht auch noch aufbürden", sagt Köstner. Dann will sie in ein Pflegeheim gehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonische Gespräche mit Karin Köstner
  • Telefonisches Gespräch mit Heinz Rothgang
  • vdk.de: "Pflege zu Hause – zwischen Wunsch und Wirklichkeit"
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