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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampfpause gegen Trudeau Das war erst Trumps Aufbaugegner
Justin Trudeau klingt plötzlich wie Donald Trump – aber warum? Kanada und Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum haben Trump im Handelskrieg scheinbar große Zugeständnisse gemacht. Oder steckt dahinter eine clevere Strategie?
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Plötzlich klang Justin Trudeau wie Donald Trump. Und vielleicht wollte der kanadische Premierminister ganz bewusst wie der amerikanische Präsident klingen. Zumindest las sich seine Stellungnahme zum vorläufigen Ende eines drohenden Handelskrieges so. Wie ein niedergerungener Kämpfer, der eine erste Niederlage in Runde eins eingestehen muss.
So will Trudeau jetzt beispielsweise extra einen "Fentanyl-Zaren" ernennen, der sich vorrangig um den Schmuggel der tödlichen Droge in die USA kümmert. Und so wie Donald Trump vor wenigen Tagen erklärte der Kanadier mit einem Mal die Drogenkartelle zu Terroristen. Zudem will Trudeau rund 10.000 Soldaten an der Grenze aufziehen lassen, um die illegale Migration nach Amerika zu unterbinden.
Wenige Stunden zuvor hatte auch Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum zugesagt, 10.000 Nationalgardisten an die Grenze nach Amerika zu schicken und die Drogenkartelle in ihrem Land stärker zu bekämpfen.
Alles an den öffentlichen Stellungnahmen der beiden Staatschefs und direkten Nachbarn der USA klingt nach massiven Zugeständnissen an Donald Trump.
Börsen: Erleichterung und die ersten Erkenntnisse
Insbesondere an den Börsen ist die Erleichterung weiter Teile der Weltwirtschaft jetzt abzulesen. Aber in den zunächst nur um einen Monat vertagten amerikanischen Handelskrieg mit Kanada und Mexiko mischt sich in diesen Stunden vordergründig eine Frage: Wer hat diesen ersten Kampf verloren und wer hat ihn gewonnen? Die Antwort darauf könnte wichtige Rückschlüsse für andere Handelspartner der USA geben – ganz besonders für die Europäische Union und Deutschland.
Eines ist wohl unumstritten: Diese Einigung in letzter Minute zwischen Mexiko, Kanada und den USA, um einen drohenden Handelskrieg abzuwenden, war bitter nötig. Zu brutal wären die wirtschaftlichen Folgen für alle Beteiligten gewesen. Auch für die Amerikaner, die mit deutlich steigenden Verbrauchspreisen und Einbußen beim Wirtschaftswachstum hätten rechnen müssen. Für den US-Präsidenten wäre es schwer geworden, dies als Erfolg zu verkaufen, zumal eines seiner zentralen, bislang nicht eingelösten Wahlversprechen lautete, die Preise zu senken.
Doch die Art und Weise, wie Kanadas Trudeau und Mexikos Sheinbaum die Einigung jeweils präsentierten, deutet auf eine bewusste Strategie hin, Trump als Gewinner erscheinen zu lassen und damit seine Position bei seiner Anhängerschaft zu stärken.
Dabei war es Trump, der diese massive Krise ursprünglich mit seinen Zolldrohungen ausgelöst hatte. Doch sowohl der kanadische Premierminister Justin Trudeau als auch die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum haben ihre öffentlichen Reaktionen mit einem Mal trotzdem so formuliert, dass sie Trumps Position eher stützen, anstatt sie offen zu konfrontieren. Wenige Stunden zuvor klang das noch anders. Trudeau sagte, Kanada werde niemals einknicken. Und Sheinbaum wies Trump deutlich für seine Behauptung zurecht, ihre Regierung würde mit Drogenkartellen gemeinsame Sache machen.
Trumps Strategie: Krisen schaffen und dann "lösen"
Um zu verstehen, warum Sheinbaum und Trudeau nun so handelten, wie sie es taten, hilft es, sich Donald Trumps Herangehensweise an den Zollkrieg noch einmal zu vergegenwärtigen:
Die von Trump ausgestoßenen Drohungen und schließlich die Anordnung von Strafzöllen gegen Kanada und Mexiko sind ein klassisches Beispiel seiner buchstäblichen Krisenerzeugungsstrategie. Am Montag machte er daraus im Oval Office auch kein Geheimnis. Vor Reportern gab er offen zu, dass er mit Zöllen nicht nur ökonomische Ziele verfolgen. Weil die USA wirtschaftlich so mächtig seien, würden Zölle auch dabei helfen, "alles zu bekommen, was man will", so Trump im Weißen Haus.
Es geht ihm im Zweifel ums Image und nicht um politische Ziele. Vom Image kann er politisch profitieren. So stellte Trump die verhängten Zölle gegen Kanada und Mexiko zwar als notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung von Drogenhandel und illegaler Einwanderung dar – beides zentrale Themen seines politischen Wahlprogramms. Letztlich aber will sich primär als starker Anführer zeigen.
Die vermeintliche Dringlichkeit unterstrich er darum noch, indem er den nationalen Notstand im Sinne des sogenannten "International Emergency Economic Powers Act (IEEPA)" erklärte – eine unter Rechtsexperten übrigens hochumstrittene Maßnahme.
Nachdem Kanada und Mexiko bestimmten Zugeständnissen zugestimmt hatten, konnte Trump sich als derjenige darstellen, der Amerikas Nachbarn zum Handeln gezwungen hatte. Kurzerhand erklärte er die Übereinkunft zu einem Sieg für die amerikanische Sicherheit und für wirtschaftliche Fairness.
Seine Erklärung zum Abkommen betont Amerikas Stärke und stellt Kanada und Mexiko als Länder dar, die sich endlich seinen Forderungen gebeugt haben: "Kanada hat zugestimmt, dass wir eine sichere Nordgrenze haben und endlich die tödliche Geißel von Drogen wie Fentanyl beenden werden, die in unser Land strömen", schrieb Trump. Dass in Wahrheit nur ein sehr geringer Teil der Drogen an der kanadischen Grenze gefunden wurde, ist für seine Erzählung unerheblich.
Ebenso betonte er zur Einigung mit Mexiko, dass die USA erhebliche Zugeständnisse erreicht hätten: "Sie (Präsidentin Sheinbaum) hat zugestimmt, sofort 10.000 mexikanische Soldaten an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zu stationieren."
Trudeaus Strategie: Kalkuliertes Vermeiden von Konfrontation
Justin Trudeaus Reaktion spiegelte hingegen wider, auf welche Weise der Premierminister offenbar glaubt, Trump beschwichtigen zu können, indem er Kanadas Engagement für die Grenzsicherheit hervorhob. Statt Trump weiterhin seine aggressive Handelspolitik vorzuwerfen, betonte Trudeau Kooperation statt Konfrontation. Das Poltern war wie vergessen, als er von einem "guten Gespräch" mit Trump schrieb.
Zwar vermied Trudeau, den Anschein zu erwecken, lediglich den Druck aus den USA reagiert zu haben. Indem er sein Einlenken aber als unabhängige Initiative Kanadas darstellte, bewahrte er subtil die eigene Souveränität, ließ jedoch zugleich Raum für Trumps Triumph. Dabei hatte Trudeau seinen Anti-Drogen-Plan schon vor Wochen angekündigt.
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Sheinbaums Strategie: Kooperation ohne Unterwerfung
Claudia Sheinbaums Reaktion auf Trumps Forderungen folgte einem ähnlichen Muster wie Trudeaus. Auch sie erkannte die Einigung an und formulierte dies als diplomatischen Erfolg, nicht als erzwungenes Zugeständnis. Auch ihre Stellungnahme hob auf ein eigenständiges Engagement Mexikos ab, für verstärkte Grenzsicherheit zu sorgen. Zwar bestand der Plan, 10.000 Nationalgardisten an die Grenze zu entsenden, noch aus der Zeit von Joe Bidens Präsidentschaft. Sheinbaum ließ es aber so erscheinen, als habe sie Trumps Vorschlag aufgegriffen.
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"Wir hatten ein gutes Gespräch mit Präsident Trump, mit großem Respekt für unsere Beziehungen und unsere Souveränität; wir haben eine Reihe von Vereinbarungen getroffen", schrieb Sheinbaum. Etwas deutlicher als Kanada stellte die erst kürzlich gewählte Präsidentin aber sicher, dass Mexiko nicht als bloßer Erfüllungsgehilfe von Trumps Forderungen erscheint.
Indem sie auch US-Verpflichtungen erwähnte – insbesondere zur Bekämpfung des Waffenschmuggels in Richtung Mexiko – brachte sie eine gewisse Balance in die Erzählung eines einseitigen Sieges für die USA. Anders als der aus dem Amt scheidende Trudeau hat Sheinbaum aber auch mehr zu verlieren.
Warum Trudeau und Sheinbaum Trump glänzen lassen
Aufmerksamen Beobachtern entgeht zwar nicht, dass auch Trump sich einen voll entfachten Handelskrieg nur schwer leisten könnte. Klar ist aber auch, dass der US-Präsident bereit ist, zum Äußersten zu gehen. Trump pokert mit höchstem Risiko.
Die Entscheidung von Trudeau und Sheinbaum, Trump vorerst als Sieger erscheinen zu lassen, ist kein Zufall. Vielmehr ist es eine strategische Entscheidung, weitere Konfrontationen mit einer scheinbar unberechenbaren US-Regierung zu vermeiden. Denn eines ist inzwischen berechenbar: Trump setzt wirtschaftlichen Druck als politisches Werkzeug ein – selbst wenn es ihm dabei nur um das eigene Image geht.
Sehr wahrscheinlich haben sich Trudeau und Sheinbaum auch untereinander besprochen. Sie dürften zu dem Schluss gekommen sein, dass es die diplomatischen Beziehungen erleichtert, wenn Trump glaubt, gewonnen zu haben. Wenn sich der US-Präsident als Sieger fühlt, ist es wahrscheinlicher, dass er zumindest zeitnah keine weiteren Eskalationen provoziert. In 30 Tagen lässt sich wahrscheinlich erleben, ob dieses Kalkül aufgegangen sein wird.
Den Schein wahren
Deutschland und die Europäische Union haben nun Zeit, den Hergang dieser Fast-Eskalation weiterhin zu studieren. Trump macht kein Geheimnis daraus, dass er die EU für einen ganz anderen Gegner als Kanada oder Mexiko hält. Die Europäer verhielten sich zwar "unfair", aber seien auch "ungeheuer stark", sagte er neulich und klang dabei fast anerkennend.
Wie bei einem bevorstehenden großen Boxkampf scheint sich der US-Präsident also gerade warmgelaufen zu haben. Mexiko und Kanada waren bislang seine Aufbaugegner. Und vielleicht folgt bald schon Runde zwei. Auf der anderen Seite des Pazifiks wartet China, auf der anderen Seite des Atlantiks die EU. Beide haben aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke und der gegenseitigen Abhängigkeit mit den USA das Zeug zu Trumps Endgegner auf seinem Weg in sein versprochenes "goldenes Zeitalter".
Egal, wie inszeniert es wirken mag, egal, wie schwer es fallen mag, Trumps Spiel mitzugehen: Seine auserkorenen Gegner tun wahrscheinlich gut dran, ihn gewähren zu lassen – und sei es nur zum Schein. Dass man dabei seine Souveränität trotzdem nicht einbüßen muss, haben Kanada und Mexiko jetzt gezeigt.
- Eigene Überlegungen
- Stellungnahmen von Donald Trump, Justin Trudau und Claudia Sheinbaum