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Migration: Ex-Bundespolizist beurteilt Zustände an der Grenze


Ex-Bundespolizist über Situation an der Grenze
"Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht"


Aktualisiert am 08.04.2025Lesedauer: 7 Min.
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Polizeikontrolle an der Grenze zu Österreich: Für Jan Solwyn hat das System versagt. (Quelle: IMAGO/Michael Bihlmayer)
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Das aktuelle Asylsystem funktioniert nicht: Zu diesem Schluss kommt der Ex-Bundespolizist Jan Solwyn. 15 Jahre hat er an der Grenze gearbeitet. Nun zieht er ein düsteres Fazit.

Die Asylpolitik ist ein wesentlicher Streitpunkt in den aktuellen Koalitionsverhandlungen. Friedrich Merz (CDU) hatte im Wahlkampf eine "Asylwende" angekündigt, in den Gesprächen wollte die SPD viele Forderungen nicht mittragen. Selbst um die im Sondierungspapier geschlossenen Kompromisse gibt es bei der Auslegung Streit.

Zuletzt hat der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, das individuelle Asylrecht infrage gestellt: Man müsse sich "aus alten Denkschemata befreien" und ein grundlegend anderes System für die Geflüchtetenaufnahme in Europa etablieren.

Der ehemalige Bundespolizist Jan Solwyn sieht es ähnlich. Er war rund 15 Jahre an den deutschen und europäischen Außengrenzen im Einsatz und berichtet von einem nicht funktionierenden System und einem Versagen der Politik. Im Interview mit t-online zeigt er wenig Hoffnung auf eine Verbesserung.

t-online: Sie waren fast 15 Jahre lang Bundespolizist, mittlerweile sind Sie es nicht mehr. In Ihrem Buch zeigen Sie sich desillusioniert von der Arbeit. Warum?

Jan Solwyn: Am Anfang war ich noch sehr unbedarft und am Ende konnte ich mit einem reichlichen Erfahrungsschatz sagen: Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht. Das liegt aber nicht an der Behörde. Natürlich könnte auch die Bundespolizei mehr im 21. Jahrhundert ankommen. Trotzdem war das nicht das Problem, sondern die Politik.

Wie meinen Sie das?

Die aktuelle Migrationspolitik in Europa funktioniert nicht. Das habe ich aus verschiedenen Blickwinkeln festgestellt. Es gilt für die deutschen Grenzen ebenso wie für die europäischen Außengrenzen. Das Grundproblem ist, dass die deutschen Grenzen nicht mehr in Deutschland liegen, so paradox das klingt. Die deutschen Grenzen liegen zwischen Polen und Belarus oder zwischen Griechenland und der Türkei.

Sie meinen den Schengenraum, in dem es eigentlich keine Grenzkontrollen mehr geben soll.

Jeder, der diese Grenze einmal überquert hat, kann durch den Schengenraum früher oder später nach Deutschland kommen. Wir können unerlaubte Einreisen nicht nachhaltig verhindern. Als Polizei spürten wir das. Zusätzlich setzen wir uns im Hinterland zu oft mit Straftätern auseinander, die über diesen Weg nach Deutschland gelangt sind. Das treibt den Frust an eine persönliche Grenze.

Wie genau haben Sie die Auswirkungen an der deutschen Grenze gespürt?

Wir hatten lange Zeit keine stationären Grenzkontrollen. Das bedeutet, ich habe im Rahmen der Schleierfahndung punktuell Fahrzeuge oder Personen ausgemacht, die verdächtig waren und dann festgestellt, ob sie die Berechtigung hatten, nach Deutschland zu kommen oder nicht. Mittlerweile haben wir die stationären Grenzkontrollen, die man aber leicht umgehen kann. Und letztlich konnten und können wir ohnehin fast niemanden abweisen.

Wieso?

Angenommen, wir haben eine Person mit gefälschten Papieren festgestellt, dann ist es die Aufgabe der Bundespolizei als Grenzbehörde, diesen Personen die Einreise zu verweigern. Das funktioniert aber nur so lange, bis diese Person ein sogenanntes Schutzersuchen äußert. Den Beamten ist meist sofort klar, dass das bei vielen Menschen abgelehnt wird. Trotzdem dürfen alle erst einmal einreisen.

(Quelle: Angela Garcia Zapata)

Zur Person

Jan Solwyn war fast 15 Jahre lang Bundespolizist, bevor er seinen Dienst quittierte. In der Zeit war er an Flughäfen, Bahnhöfen und deutschen Außengrenzen im Einsatz. Außerdem nahm er an Missionen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland und Serbien teil. Mittlerweile lebt er in Israel. Seine Erfahrungen schildert er in dem Buch "An der Grenze" (Heyne Verlag), das Ende März erschienen ist.

Aber im deutschen Rechtsstaat gibt es das Recht auf Asyl und jeder hat das Recht, dass sein Antrag entsprechend geprüft wird. Es ist doch keine Option, das abzuschaffen.

Das ist das große Dilemma, in dem wir stecken. Dass selbst der Chef der Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge jüngst einen derart radikalen Kurswechsel forderte, zeigt doch, wie groß das Problem mittlerweile ist.

Bedeutet das, Sie würden sich mehr Kompetenzen für die Bundespolizei wünschen, um falsche Asylgesuche direkt ablehnen zu können?

Das ist die Krux an der Sache. Ich maße mir nicht an, das abschließend zu bewerten. Aber ich kann das Problem offenlegen. Wenn wir der Bundespolizei die Kompetenz geben, vor Ort zu entscheiden, ob das ein Schutzersuchen oder nicht ist, kann das auch zu Problemen führen. Dann könnte der Dienstgruppenleiter oder der Inspektionsleiter nach persönlichem Gusto entscheiden – und die Person hätte keine Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen. Das ist rechtsstaatlich schwierig.

Was könnte man stattdessen tun?

Die europäische Lösung muss im Vordergrund stehen. Sobald wir anfangen, nationalstaatlich herumzudoktern und nationale Grenzen wieder zur Maxime unserer Handlung zu machen, schaden wir Europa. Wenn der Schengenraum fällt, fällt die europäische Idee. Aber die ist für mich eine der größten Errungenschaften. Deswegen muss für mich die Marschrichtung der Politik sein, zu einer gesamteuropäischen Lösung zu kommen. Der europäische Außengrenzschutz muss lückenlos werden. Der nächste Schritt muss sein, Asylverfahren zentral an europäischen Außengrenzen stattfinden zu lassen und niemanden mehr durchreisen zu lassen.

Die EU-Staaten haben sich 2023 auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) geeinigt, die im nächsten Jahr in Kraft treten soll. Die sieht rechtsstaatliche Verfahren direkt an den Außengrenzen vor. Fordern Sie nicht genau das?

Wir hatten schon ein gemeinsames europäisches Asylsystem, nämlich die Dublin-Verordnung.

Die besagt, dass Menschen auf der Flucht ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen, das sie zuerst betreten haben.

Das ist komplett gescheitert und wurde dennoch jahrelang durchgezogen. Kollegen aus anderen Ländern, mit denen ich bei Frontex gearbeitet habe, haben mich teilweise bemitleidet und gesagt: "Ihr Deutschen seid die Einzigen in ganz Europa, die ständig auf das Dublin-System verweisen. Wir Italiener, wir Griechen, wir Spanier, wir haben das schon vor Jahren abgeschrieben. Wir leiten Migranten einfach weiter." Warum sollten sich jetzt alle Staaten an die neuen Regelungen halten? Genau wie bei Dublin gibt es für Deutschland keinen Hebel, um die Umsetzung des Geas zu erzwingen.

Friedrich Merz hat im Wahlkampf eine Asylwende versprochen. Hat Sie das bei all Ihrer Kritik nicht optimistisch gestimmt?

Dass die Asylwende morgen kommt, höre ich seit Anfang 2016 – und das eigentlich jährlich. Es tut mir leid, aber ich glaube daran in dieser Form nicht mehr.

Nun gibt es in Deutschland seit dem vergangenen Jahr an allen Grenzen Kontrollen. Ist das für Sie ein wirksames Mittel?

Wir haben fast 4.000 Kilometer Grenze. Dort gibt es Autobahnen, Hauptstraßen und zig Nebenstraßen. Um die alle zu überwachen, müsste man die gesamte Bundespolizei an die Grenze schicken und 24 Stunden jeden Grenzübergang überwachen. Und dann bleibt immer noch die grüne Grenze. Die Kontrollen sind für mich daher absolute Augenwischerei.

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Sie sprechen viel über die negativen Auswirkungen der Migration. Aber es kommen auch hilflose Menschen an, die beschwerliche, lebensgefährliche Wege hinter sich haben. Empfinden Sie auch Mitgefühl mit diesen Menschen?

Selbstverständlich. Man darf mich nicht falsch verstehen und denken, dass ich über die Zeit empathielos geworden wäre. Allerdings lasse ich ein bestimmtes Leid nicht mehr so nah an mich heran. Ich glaube, das ist ein Schutzmechanismus von Polizisten. Sonst würde jeder von uns irgendwann die Segel streichen.

Funktionierte Ihr Schutzmechanismus immer?

Es gibt grob drei Kategorien Menschen, auf die man als Polizist an den Grenzen trifft. Einerseits sind das diejenigen, die vor allem zur Ausnutzung des deutschen Sozialstaats kommen. Ob man die Beweggründe verstehen kann oder nicht, ist eine andere Frage. Die zweite Kategorie sind Menschen, denen es wirklich schlecht geht. Die kommen aus wirtschaftlich prekären Verhältnissen und haben oft auch schlimme Dinge erlebt, aber erfüllen trotzdem nicht die Voraussetzungen nach einer der Asylkategorien.

Und die dritte Kategorie?

Das sind Menschen, die schwer traumatisiert waren. In deren Augen, Gestik, Mimik und Habitus habe ich erkannt, dass sie wirklich durch die Hölle gegangen sind.

Was für Situationen haben Sie konkret erlebt?

Noch am Anfang meiner Zeit als Bundespolizist habe ich nachts eine Dame aus Somalia am Hauptbahnhof angetroffen. Ich habe das Trauma in ihren Augen gesehen. Wir konnten uns kaum verständigen, aber sie hatte eine unglaubliche Angst vor mir und meinen Kollegen. Das war nicht die Angst, die wir kennen. Das war eine Todesangst. Sie hat uns als Männer mit Waffen gesehen, die sie möglicherweise zusammenschlagen, ausrauben, vergewaltigen und vielleicht sogar umbringen. Das habe ich bis heute nicht vergessen.

Sie werben für einen härteren Asylkurs und kritisieren in Ihrem Buch, dass Deutschland falsche Anreize für illegale Migration geschaffen habe. Viele Menschen hier waren allerdings auch stolz auf eine Willkommenskultur.

Es ringt mir Respekt ab, wenn Menschen aus reiner Nächstenliebe anderen Menschen helfen, die sie nicht kennen. Diese Menschen opfern ihre Zeit, ihr Geld und andere Ressourcen – ich könnte das nicht aufbringen. Das liegt wohl auch an meinem ehemaligen Job, der mir das aberzogen hat. Ich hatte das Gefühl, dass diese Willkommenskultur in eine falsche Richtung abgedriftet ist. Sie hat dem Kontrollverlust Tür und Tor geöffnet. Das haben wir an der Grenze gespürt. Diese Botschaft hätte man wieder einfangen müssen. Das ist nicht geschehen.

Ähnlich klingen auch Politiker der AfD.

Das muss ich aushalten. Deswegen habe ich mich in dem Buch auch klar davon distanziert. Aber wir könnten gar nicht mehr diskutieren, wenn wir das Feld den extrem Rechten überlassen. Ich stehe zu dem, was ich geschrieben und erlebt habe. Ich stimme trotzdem nicht mit diesen Menschen und ihrer politischen Einstellung überein.

Sie berichten in dem Buch von Kollegen, die die AfD wählen. Wie hoch ist die Gefahr innerhalb der Polizei, nach rechts abzudriften?

Die Gefahr ist gegeben, weil wir als vorderster Prellbock ungefiltert die Auswirkungen einer verfehlten Migrationspolitik abbekommen. Das macht etwas mit den Kolleginnen und Kollegen. Wir fangen mit unseren Körpern und Seelen das ab, was dadurch einem Großteil der Bevölkerung erspart bleibt. Die AfD ist die einzige Partei, die konsequent seit 2015 dieses Thema vor sich herträgt. Ich glaube, dieser Umstand, dass die Probleme der ungesteuerten Migration nie ins Zentrum einer Debatte der demokratischen Mitte gerückt wurden, hat die AfD erst so stark gemacht, wie sie heute ist. Es ist ein großes Problem, dass man ihr diesen Raum gegeben hat.

Ist rechtes Gedankengut also in der Polizei besonders verbreitet? Es gibt immer wieder Vorfälle von Rassismus. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass ein Drittel aller Polizisten schon Kollegen erlebt hat, die sich rassistisch äußern.

Ich habe meine Kollegen in der Regel als sehr reflektierte Menschen erlebt. Aber es gibt auch vereinzelte Polizisten, die mit ihren Bemerkungen über die Stränge geschlagen sind. Das wurde aber von der Masse eingefangen. Das wurde in unserem Kollegenkreis nicht geduldet. Das duldete auch der Dienstherr nicht. Dafür bin ich dankbar.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Jan Solwyn
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