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Selenskyjs mächtigste Waffe: Die USA als Verbündete


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Selenskyj-Besuch in Washington
Sie wissen um die Gefahr

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 22.12.2022Lesedauer: 5 Min.
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Emotionale Rede: Selenskyj wirbt im US-Kongress um Unterstützung und erhält großen Applaus. (Quelle: reuters)
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Seine erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn führt den ukrainischen Präsidenten nach Washington. Die Bilanz eines historischen Besuchs – gerade auch für den Westen.

Rund 300 Tage ist es her, dass die USA dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angeboten haben sollen, ihn zu evakuieren. Innerhalb von drei Tagen, kündigten die Russen damals an, würden sie Kiew einnehmen. Eine erfolgreiche Verteidigung der ukrainischen Hauptstadt schien vielen damals illusorisch.

Doch der aufgebrachte Selenskyj soll den Amerikanern damals entgegengeschleudert haben: "The fight is here. I need ammunition, not a ride." ("Der Kampf findet hier statt. Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.")

Der Satz wurde zum Symbol des ukrainischen Selbstverteidigungswillens.

Zehn Monate später sieht die Bilanz so aus: Die USA haben der Ukraine mit Abstand die meisten Waffen geliefert und viele Milliarden Dollar in den Abwehrkampf gegen die russische Armee gesteckt. Auch deshalb hat sich die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf besser geschlagen, als es die meisten Optimisten für möglich hielten. Sie hat sogar beträchtliche, zwischendurch von Russen besetzte Gebiete zurückerobert.

Und nun, mitten im Winter, nahm der ukrainische Präsident die Mitfahrgelegenheit der USA doch noch an. In einem US-amerikanischen Regierungsjet flog er von Polen nach Washington: Nicht, um aus seiner Heimat zu fliehen, sondern um bei der Weltmacht um etwas zu flehen. Um noch mehr Geld, noch mehr Waffen und noch mehr Unterstützung.

Dass Selenskyjs Besuch in Washington kurz vor Weihnachten stattfand, war kein Zufall. Er geschah zu einem Zeitpunkt, der in vielerlei Hinsicht entscheidend ist. Nicht nur für ihn, auch für US-Präsident Joe Biden und den Westen steht viel auf dem Spiel.

  • Die russische Armee bombardiert die zivile Infrastruktur der Ukraine heftiger denn je. Der bislang erfolgreiche Widerstand ist damit mehr denn je in Gefahr.
  • Die Rufe nach einer Verhandlungslösung mit Russlands Präsident Wladimir Putin werden immer lauter. Die Regierungen vieler Länder, die die Ukraine bislang unterstützten, stehen angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme unter Druck.
  • Die Mehrheit im US-Repräsentantenhaus haben ab Januar nicht mehr Bidens Demokraten, sondern die Republikaner. Eine einflussreiche Minderheit der nach rechts abgedrifteten Partei lehnt im Sinne der "America First"-Strategie weitere Hilfen für die Ukraine strikt ab.

Die Zukunft des Westens

All diese Faktoren könnten in einer entscheidenden Phase des Krieges den Zusammenhalt des Westens gegen den russischen Aggressor empfindlich schwächen. Sollte Putin trotz aller bisherigen Rückschläge doch noch erfolgreich sein, käme dies nicht nur einer Niederlage der Ukraine gleich. Der Westen insgesamt wäre düpiert, die Weltordnung würde sich womöglich dauerhaft zu seinen Ungunsten verschieben. Um diese Gefahren weiß man auch im Weißen Haus.

Kein Wunder, dass die US-Hauptstadt Selenskyj förmlich zu Füßen lag. Erst kam der Empfang im Weißen Haus durch Joe Biden und seine Frau Jill. Dann eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem Präsidenten. Später eine Rede des ukrainischen Präsidenten vor dem Kongress.

"Ich denke, wir teilen die exakt gleiche Vision", sagte der US-Präsident im Weißen Haus. Es sei die Vision "einer freien, unabhängigen, wohlhabenden und sicheren Ukraine". Das klang fast nach einem Freifahrtschein für die Forderungen des ukrainischen Präsidenten.

Denn Selenskyj hatte da seine Vision längst deutlich gemacht. "Für mich bedeutet ein gerechter Frieden keine Kompromisse hinsichtlich der Souveränität, der Freiheit und der territorialen Integrität meines Landes", sagte er. Dazu forderte er Reparationszahlungen als "Wiedergutmachung aller Schäden, die durch Russlands Aggression entstanden sind."

Die Zwänge der Ängste

Der US-Präsident weiß, dass das so nicht passieren wird. Zumindest noch nicht. Also fahren er und seine Sicherheitsberater mit einer Strategie fort, die bislang erfolgreich war. Stück für Stück wird die Ukraine mit immer wirksameren Waffen ausgestattet. Mit der Lieferung des neuen Patriot-Abwehrraketensystems zündet die Biden-Administration nun quasi die nächste Stufe.

Hätten die Amerikaner dies gleich zu Beginn getan, hätten sie sich den Vorwurf der fahrlässigen Eskalation gefallen lassen müssen. So aber ließen sie Putin immer eine Chance, noch einzulenken. Weil er es nicht macht, legen sie weiter nach.

Warum aber liefert Biden der Ukraine nicht gleich alles, was das Land braucht? Bei der Antwort auf diese zentrale Frage werden die Zwänge des Präsidenten deutlich. Dann "würden die Nato und die EU auseinanderbrechen", sagte Biden. Hunderte Stunden habe er zugebracht und mit den europäischen Staats- und Regierungschefs gesprochen. Die hätten "sehr wohl verstanden", worum es geht, so Biden. "Aber sie wollen auch nicht in einen Krieg mit Russland geraten oder in einen Dritten Weltkrieg". Es gäbe darüber noch mehr zu sagen, aber er habe wohl schon zu viel gesagt. Es klang ein wenig so, als meinte er damit auch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz.

Eine Kriegsrede an die Zauderer

Als Biden über diese Furcht der Europäer sprach, stand Selenskyj daneben und schwieg. Seine Antwort gab er später nicht weit entfernt im US-Kongress, als er seine Rede vor beiden Kammern hielt. "Wir haben keine Angst, und auch sonst niemand auf der Welt sollte sie haben", rief Selenskyj den Abgeordneten und Senatoren entgegen und bekam Jubel, Applaus und stehende Ovationen. Er hielt eine Kriegsrede. Nicht an die eigene Nation, sondern an die westlichen Alliierten.

In Washington vergleicht man Selenskyjs Auftritt mit der Rede Winston Churchills während des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1941. Auch der britische Premierminister hatte damals vor dem Kongress gesprochen und an die US-Parlamentarier appelliert. Denn die verabschieden die Kriegshilfen, nicht der Präsident. Aktuell muss der Senat etwa über ein Haushaltsgesetz abstimmen, zu dem auch neue Milliarden für die Ukraine gehören.

"Ihre Gelder sind keine Almosen", warb Selenskyj. "Sie sind eine Investition in die globale Sicherheit und in die Demokratie." Den Abwehrkampf im Donbass gegen die russische Armee verglich Selenskyj mit der Ardennen-Offensive der Alliierten gegen Nazi-Deutschland im Jahr 1944.

"Die Ukraine hat nie darum gebeten, dass amerikanische Soldaten an unserer Stelle in unserem Land kämpfen", sagte er. "Ich versichere Ihnen, dass ukrainische Soldaten amerikanische Panzer und Flugzeuge perfekt selbst bedienen können." Auch dafür gab es wieder Jubel und Applaus.

Zum Dank überreichte Selenskyj dem Parlament eine ukrainische Flagge von der Front, unterschrieben von "Soldaten, die ihr Leben geben" für die Freiheit. Für Joe Biden hat er den Orden eines Front-Offiziers dabei. Es waren Worte und Symbole, die in den USA gut ankommen.

Die Fackel der Freiheit

Wer erwartet hatte, dass Selenskyj nach mehr als 300 Tagen Krieg müde und erschöpft wirkt, konnte sich an diesem Tag in Washington vom Gegenteil überzeugen. "Die Ukraine wird sich niemals ergeben", rief der ukrainische Präsident zum Abschluss seiner Rede und wünschte allen fröhliche Weihnachten und ein frohes, neues und vor allem siegreiches Jahr. "Wir werden Weihnachten feiern. Selbst wenn es keinen Strom gibt, wird das Licht unseres Glaubens an uns selbst nicht erlöschen."

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Das Licht als Metapher im Kampf gegen Russland hat auch der US-Präsident an diesem Tag immer wieder bemüht. "Was Sie erreicht haben, ist nicht nur für die Ukraine von Bedeutung, sondern für die ganze Welt", sagte Biden. Er habe keinen Zweifel daran, dass man gemeinsam die Fackel der Freiheit am Leuchten halten werde. "Das Licht wird bestehen bleiben und die Dunkelheit überwältigen", so Biden. Das amerikanische Volk habe Selenskyj und die Ukrainer bei jedem Schritt begleitet. "Und wir werden bei Ihnen bleiben, solange es nötig ist", sagte Biden.

Wenn Selenskyj zurück in Kiew ist, führt er weiter jenen Krieg, den Wladimir Putin dem Land aufgezwungen hat. Es ist ein Krieg, den sonst niemand führen will – und kann. Der Freiheitskampf der Ukraine gibt dem Westen seinen Sinn zurück, den er zu verloren haben schien.

Dem Westen klarzumachen, was ihn vom Rest der Welt unterscheidet und ihn stark macht, ist Selenskyjs mächtigste Waffe gegen Russland. Denn sie garantiert den Rückhalt des Bündnisses unter der Führung der USA.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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