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Hofmann zu Taliban: "Ich würde die Position der Deutschen nicht unterschätzen"


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Krise in Afghanistan
Herr Hofmann, wie verhandelt man mit den Taliban?

InterviewVon Adrian Arab

22.08.2021Lesedauer: 8 Min.
Die Taliban im Präsidentenpalast in Kabul: Für Verhandlungen mit den Taliban braucht es viel Erfahrung.Vergrößern des Bildes
Die Taliban im Präsidentenpalast in Kabul: Für Verhandlungen mit den Taliban braucht es viel Erfahrung. (Quelle: Zabi Karimi/ap-bilder)

In Katar verhandeln Vertreter der Bundesregierung mit den Taliban über die Evakuierungen in Afghanistan. Was dabei passiert, erklärt der erfahrene Ermittler Thorsten Hofmann.

Viele Jahre arbeitete Thorsten Hofmann als operativer Ermittler des Bundeskriminalamts und Interpol. Im Interview erklärt er, wie Deutschland bei den Taliban Druck aufbauen kann – und wer den gefährlichsten Job am Verhandlungstisch hat.

t-online: Herr Hofmann, die Bundesregierung verhandelt mit den Taliban über die Ausreise afghanischer Ortskräfte. Wie beginnen solche Verhandlungen? Ruft Heiko Maas den Taliban-Kommandeur an? Oder schreibt er eine Whatsapp-Nachricht?

Thorsten Hofmann: Nein, ich gehe nicht davon aus, dass sich der Minister persönlich bei den Taliban gemeldet hat. In der Regel nutzt man die bestehenden Kontaktwege und sondiert vor, an wen man sich auf der anderen Seite wenden soll. Wenn es noch keine Kontaktmöglichkeiten gibt, helfen auch die Geheimdienste anderer Staaten aus. Den richtigen Ansprechpartner zu finden, ist bei den Taliban aber nicht so einfach wie bei deutschen Ministerien: Die Abstimmungs- und Entscheidungswege sind nicht so einfach nachvollziehbar.

Für die deutsche Bundesregierung verhandelt der ehemalige Afghanistan-Botschafter Markus Potzel. Ist ein politischer Beamter der beste Mann für diesen Job?

Verhandlungen laufen von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich. Wenn sie in Europa verhandeln, funktioniert das anders als in den USA und wiederum anders als in China. Herr Potzel hat als ehemaliger Botschafter und Sondergesandter viel Erfahrung gesammelt und kennt die Situation im arabischen Kulturkreis. Das ist ein großer Pluspunkt.

Solche Verhandlungen führt aber niemand alleine, sondern da ist ein ganzes Team vor Ort. Dazu zählt der Krisenstab des Auswärtigen Amtes, der die Verhandler mit Informationen versorgt. Mit Sicherheit werden auch Menschen im Team sein, die die Entscheidungsprozesse der Taliban verstehen und möglicherweise gar nicht aus Deutschland kommen. Man spielt also auch über Bande. Auch Mittler werden an den Verhandlungen beteiligt sein, also Menschen, die eine positive Reputation bei den Taliban haben und damit für die Deutschen bürgen. Das ist sicherlich der gefährlichste Job am Verhandlungstisch. Wenn die deutsche Verhandlungsdelegation ihre Zusagen nicht einhält, kann es für die Mittler lebensgefährlich werden.

Was zeichnet einen guten politischen Verhandler aus?

Ein guter Verhandler weiß, dass er die Gegenseite nicht überreden kann – und es auch nicht versuchen sollte. Es geht einzig und allein darum, deren Interessen zu verstehen und sie mit den eigenen Interessen zusammenzubringen. Die wichtigste Eigenschaft dafür ist, eine Beziehung zum Gegenüber herstellen zu können – eine sogenannte "taktische Empathie". Ohne Beziehung gibt es kein Vertrauen und ohne Vertrauen keinen Deal. Gute Verhandler schaffen es, mit Menschen, deren ethisches und moralisches Gerüst von ihren eigenen Wertvorstellungen abweicht, ein Gespräch zu führen. Dafür müssen sie sich von ihren eigenen moralischen Standards freischneiden. Das ist nicht einfach.

(Quelle: Hoffotografen)


Thorsten Hofmann arbeitete viele Jahre als operativer Ermittler des Bundeskriminalamts und Interpol. Er war im Bereich Organisierte Kriminalität tätig, vor allem bei Verhandlungsfällen von Erpressungen und Geiselnahmen. Heute berät er Unternehmen, Verbände und Politik. Er leitet das C4 Center for Negotiation an der Quadriga Hochschule Berlin.

Nach einer Verhandlungsrunde Ende Juli garantierten die Taliban öffentlich den Schutz der Ortskräfte. Daran gehalten haben sie sich nicht. Wie sichern sich die Verhandler gegen Vertragsbrüche ab?

Die Macht in einem Land zu haben ist das eine, für Stabilität sorgen zu können, ist das andere. Afghanistan ist ein armes Land, das in den kommenden Monaten auf die Unterstützung anderer Staaten angewiesen ist. Diese Unterstützung versprechen sich die Taliban sicherlich auch von Deutschland. Das ist der eine Hebel. Dazu kommt: Auch wenn Geldzahlungen wahrscheinlich aktuell Priorität haben, wollen die Taliban trotz ihrer negativen Reputation als afghanische Regierung anerkannt werden.

Welchen Hebel haben die Taliban in der Hand – außer die Ausreise der Ortskräfte zu verhindern?

Bei solchen Verhandlungen entstehen keine Verträge, die man bei irgendeinem Gerichtsstand einklagen könnte. Allerdings ist die Umsetzung der Vereinbarung ganz entscheidend für die Zukunft. Fakt ist ja, dass die Taliban die vorherrschende Macht in Afghanistan sind. Wenn Deutschland in Zukunft noch Einfluss in Afghanistan haben möchte, braucht man also den Zugang zu den Taliban und sollte sich an Abmachungen halten.

Wie weit reicht das Verhandlungsmandat des Botschafters? Muss jede größere Entscheidung von Staatssekretären oder gar dem Außenminister abgesegnet werden?

Potzel wird ein relativ klar umrissenes Verhandlungsmandat haben, aber wichtige Entscheidungen müssen rückgekoppelt werden. Schließlich geht es nicht nur um Geld, sondern um auch um politische Symbole. In so einer Situation ist ein Diplomat ständig im Austausch mit seiner Führung. Gleiches gilt übrigens für die Taliban. Auch bei deren Verhandlern handelt es sich um Unterhändler, die die Ergebnisse gegenüber ihren Führungsstrukturen vertreten müssen. Deshalb ist vielleicht auch der Begriff Verhandlung nicht ganz korrekt: Ich würde die Gespräche eher Sondierungen nennen, also Gespräche, in denen Lösungswege ausgelotet, aber nicht verabschiedet werden.

Wäre es auch denkbar, dass der deutsche Außenminister in die Verhandlungen einbezogen wird? Immerhin verstehen sich die Taliban als rechtmäßige Regierung ihres Landes.

Das wäre die maximale Form der Anerkennung. Ob Deutschland aktuell diesen Schritt gehen würde, wage ich zu bezweifeln. Eher kann ich mir vorstellen, dass die deutsche Delegation sich demnächst gemeinsam mit den Taliban in größerer Runde zeigt, um ihnen ein zivilisiertes Gesicht zu geben.

Würden Sie die Taliban-Unterhändler als Verhandlungsprofis bezeichnen?

Verhandlungen haben in der arabischen Welt einen anderen Stellenwert als bei uns. Man verhandelt von Kindesbeinen an und hat auch große Freude daran. In unserer Gesellschaft spielt Verhandeln dagegen keine so große Rolle. Ob man von Profis sprechen kann, hängt davon ab, wie man eine professionelle Verhandlung definiert. In der arabischen Welt funktionieren Verhandlungen anders als bei uns.

Was ist der Unterschied?

Man setzt sich zusammen, trinkt Tee und redet erstmal über die Welt, über das Essen, die Familie, oftmals stundenlang. Aber nicht über das eigentliche Kernthema. In Deutschland würden wir das Smalltalk nennen. Dieses Herantasten dient dem Vertrauensaufbau. Plötzlich kommt dann das eigentliche Thema auf den Verhandlungstisch und dann ist die Verhandlungsebene bereits so gut, dass schnell Einigkeit über den Inhalt entstehen kann. Ich bin sicher, die Taliban werden nur mit jemandem zum Abschluss kommen, mit dem sie eine Vertrauensebene aufbauen können und bei dem sie das Gefühl haben, wertgeschätzt zu werden – auch für ihre Religion.

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Welchen Einfluss hat der öffentliche Druck auf das Verhandlungsergebnis?

Für den Verhandlungsführer ist die öffentliche Beobachtung unangenehm. Noch kritischer ist der Zeitdruck. Wer bei einer Verhandlung zu schnell auf die Forderungen der Gegenseite eingeht, muss mit Gegenforderungen rechnen. Je länger die Zeit für mich spielt, desto mehr Druck entsteht bei der Gegenseite, die ja auch zu einem Verhandlungsergebnis kommen will. In Katar ist Zeit aber ein wichtiger Faktor, deshalb besteht irgendwann das Risiko, dass die politischen Ebenen immer nervöser werden – besonders vor dem Hintergrund des Bundestagswahlkampfs. Im schlimmsten Fall müssen dann zu früh zu viele Zugeständnisse gemacht werden.

In den Nachrichten bekommt man gelegentlich einen Eindruck, wie es aussieht, wenn Staats- und Regierungschefs miteinander verhandeln: Dort sitzen meist große Verhandlungsdelegationen an langen Tischen, auf kleinen Tellern sind Häppchen drapiert und im Hintergrund stapeln sich die Journalisten. Funktionieren Verhandlungen, wie sie jetzt mit den Taliban stattfinden, nach demselben Prinzip?

Nein, wenn überhaupt, dann ganz zum Schluss. Solche Verhandlungen beginnen mit einer sogenannten "Back Channel Negotiation", also einem inoffiziellen Abtasten innerhalb eines begrenzten Personenkreises. Der Botschafter trifft sich dann zum Beispiel mit einem Taliban-Vertreter, wenn überhaupt darf jeder noch eine weitere Person mitnehmen. Ist man sich auf dieser Ebene einig, werden die Delegationen und Räume größer. Wenn die Verhandlungen später in größeren Räumen stattfinden, kann das als Zugeständnis an die Taliban zu werten sein. Dahinter steht dann das Symbol: Wir geben euch eine gewisse Legitimation.

Wenn man den verzweifelten Versuch der Deutschen, afghanische Ortskräfte auszufliegen, betrachtet, entsteht der Eindruck, Deutschland stecke in einer dramatisch schlechten Verhandlungsposition. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich würde die Verhandlungsposition der Deutschen nicht unterschätzen. Die Taliban waren selbst überrascht, wie schnell sie in Afghanistan die Macht bekommen haben. Für sie ist es essentiell, das Land zügig zu stabilisieren. Dass sie überhaupt bereit sind, mit uns zu verhandeln, zeigt ja, dass es ihnen nicht um die Lösung eines Freizeitproblems geht. Wenn sie die Ortskräfte einfach umbringen wollten, hätten sie das längst getan. Wir sehen, dass sich die Taliban aktuell fast staatsmännisch inszenieren. Ein Interesse der Taliban könnte es daher sein, dieses Bild durch die Verhandlungen mit westlichen Staaten zu schärfen.

Jonathan Powell, der für die Briten das Karfreitagsabkommen in Nordirland verhandelt hat, sagte dazu: "Bei Verhandlungen mit Terroristen geht es nicht darum, die Vergangenheit zu verzeihen oder zu vergessen, sondern eine pragmatische Haltung für die Zukunft einzunehmen."

Das ist genau der Punkt. Potzel und sein Team vergeben den Taliban nicht, sie vergessen auch nicht, was die Taliban getan haben. Aber sie konzentrieren sich auf das, was in der Zukunft liegt: Also die Sicherheit der Ortskräfte. Das System der Taliban abzulehnen ist das eine. Die Scharia und Anschläge der Vergangenheit aber plötzlich zum Verhandlungsgegenstand zu machen, kann die gesamte Verhandlung zerstören, weil dahinter der Gesichtsverlust des Gegenübers stehen würde.

Über die Taliban-Unterhändler ist nur wenig bekannt: Möglicherweise handelt es sich um die sogenannten "Taliban Five", eine Gruppe ehemaliger Guantanamo-Häftlinge, die bereits in den vergangenen Jahren mit westlichen Staaten verhandelt haben. Gehen Sie davon aus, dass bei den aktuellen Verhandlungen Russland und Iran mit am Tisch sitzen?

Ich gehe davon aus, dass die Verhandler in ein Umfeld aus anderen Taliban und aus unterstützenden Kräften, Staaten und Geheimdiensten eingebunden sind. Ob das der Iran ist, oder vielleicht auch Pakistan, sei mal dahingestellt. Potzels Aufgabe ist es, die Strukturen hinter den Teams herauszuarbeiten und deren Interessen zu verstehen.

Internationale Verhandlungen finden häufig auf neutralem Boden statt, zum Beispiel in der Schweiz oder in Österreich. Die Verhandlungen mit den Taliban werden hingegen in Qatar geführt einem Staat, der Taliban-Kämpfer nach Afghanistan fliegt und in diesem Konflikt nicht neutral ist. Ist es ein Zugeständnis der Deutschen, sich auf diesen Verhandlungsort eingelassen zu haben?

Der Ort der Verhandlung ist immer ein Verhandlungsgegenstand. Es muss ein Ort der Sicherheit für beide Seiten sein. Die Taliban können sich in der Welt aber auch nicht so bewegen, wie wir es mit unseren deutschen Pässen können. Sei es, weil sie dort Strafverfolgung ausgesetzt wären oder weil sie schlicht keine Einreisegenehmigung bekommen. Deshalb musste ein Gebiet gefunden werden, auf dem sich beide Seiten einigermaßen wohl fühlen.

In den Verhandlungen mit den Taliban wird vermutlich auch Geld eine Rolle spielen. Gibt es Marktpreise, auf die sich Entführer, Terroristen und Diktatoren bei ihren Forderungen stützen?

In Entführungsindustrien, zum Beispiel in Mexiko, Kolumbien oder Jemen, gibt es so etwas tatsächlich. Auch für die Taliban sind Entführungen eine Erwerbsquelle, insofern gibt es dort grobe Rahmenbedingungen, wer wie viel wert ist. Das hängt in der Regel von der Nation der Opfer ab. Grob gesagt: Jemand ortsansässiges ist günstiger als ein Ausländer. Wer zum Beispiel einen Deutschen im Ausland entführt, wird damit ein größeres Geschäft machen, als wenn er einen Einheimischen entführt hätte. Auch wenn das unglaublich klingt: Solche Entführungsindustrien haben ihre Vorteile. Denn allen ist klar, dass die Opfer nicht umgebracht oder verletzt werden sollen, sondern dass es am Ende ums Geld geht.

Über welche Summen sprechen wir?

Das werde ich Ihnen nicht sagen. Das größte Gift in solchen Verhandlungen ist es, wenn die Opfer später darüber sprechen, was für ihre Freilassung bezahlt wurde. Das ist nicht besonders hilfreich.

In vielen Staaten wird öffentlich die Maxime vertreten: "Wir verhandeln nicht mit Terroristen". Was halten Sie davon?

Die Behauptung zielt an der Realität vorbei, bezieht sich aber auf politische Forderungen. Terroristen wollen ja eine politische Veränderung herbeiführen, zum Beispiel einen Systemwechsel oder die Freilassung von Gefangenen. Wenn der Staat sagt, wir verhandeln nicht, dann bezieht sich das auf diese Form der politischen Beeinflussung. Über monetäre Fragen verhandeln die meisten Staaten.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Thorsten Hofmann
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