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Lage in Israel – Experte: "Der Konflikt wird weltweit sehr einseitig dargestellt"


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Experte über Nahost-Gewalt
"Der Konflikt wird weltweit sehr einseitig dargestellt"

InterviewVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 15.05.2021Lesedauer: 6 Min.
Krawalle zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften: Der Konflikt spaltet auch in Deutschland die Meinungen.Vergrößern des Bildes
Krawalle zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften: Der Konflikt spaltet auch in Deutschland die Meinungen. (Quelle: Abbas Momani/AFP/getty-images-bilder)

Der Nahostkonflikt spaltet auch in Deutschland die Meinungen. Als hochemotional und hasserfüllt beschreibt der Psychologe Ahmad Mansour die Debatte und erklärt, was viele in Deutschland nicht verstehen.

In Nahost ist der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern eskaliert. Die Terrororganisation Hamas feuert Hunderte Raketen auf israelische Städte unter Dauerbeschuss, Israel reagiert mit Luftschlägen. Mehr dazu lesen Sie in unserem Newsblog. Auch in Deutschland spaltet der Konflikt die Meinungen.

Der Psychologe und Buchautor Ahmad Mansour arbeitet schon seit Jahren in der Extremismusprävention. Im Interview erklärt er, wie Radikale die sozialen Medien für sich nutzen und wie sich das auf die Diskussion in Deutschland auswirkt.

t-online: Herr Mansour, Sie haben selbst Familie in Israel. Was hören Sie von dort?

Ahmad Mansour: Meine Eltern erleben derzeit eine unglaubliche Situation: Raketenangriffe und Ausschreitungen von Jugendlichen gegen die Polizei, die ihren Unmut und ihre Aggressionen loslassen wollen. Sie wohnen in einer hauptsächlich arabischen Stadt. In gemischten Städten wie Haifa, Akkon und Lod übernehmen gerade Mobs und Radikale von beiden Seiten und machen Jagd auf die jeweils anderen.

Der israelische Präsident Reuven Rivlin warnt vor einem Bürgerkrieg, Experten vor einer dauerhaften Spaltung der Gesellschaft. Allerdings gab es auch gemeinsame Demonstrationen von jüdischen und muslimischen Israelis, die gegen den Hass eintreten. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Dieser Hass, der sich gerade zeigt, wird natürlich Konsequenzen haben. Es wird viel Versöhnungsarbeit nötig sein. Aber ich bin mir sicher, dass die Menschen wieder zu einer Normalität finden werden. Sie wollen ja ihr Leben weiterführen und ihrer Arbeit nachgehen. Und die findet gemeinsam in Krankenhäusern, in der High-Tech-Branche, in Einkaufszentren statt. Wir brauchen jetzt aber eine starke Polizei, die gegen die Radikalen vorgeht und politische Vorbilder, die auf Arabisch und Hebräisch sagen: "So geht es nicht weiter, wir müssen damit aufhören".

Welche Fehler hat die israelische Regierung in dieser Situation gemacht?

Sie hat sehr spät reagiert und teilweise diese Spannungen, die sich ja schon seit Jahren in der Bevölkerung aufbauen, unterschätzt. Ich wehre mich aber dagegen zu sagen, die israelische Regierung ist der Auslöser. Es gehören immer zwei Seiten dazu. Und auf der einen Seite steht ein demokratisches Land mit Gesetzen, und auf der anderen Seite eine Terrororganisation.

Das ist die Hamas, die seit 2007 in Gaza regiert und derzeit die israelische Zivilbevölkerung mit Raketenangriffen terrorisiert. Was bezwecken sie damit außer Terror?

Die Hamas braucht eigentlich keine Gründe, ihr Existenzrecht ist ja der bewaffnete Kampf gegen Israel. Sie hat in den letzten 20 Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie auf der Suche nach Eskalation ist. Das nutzt sie immer wieder, um sich als Beschützer der Heiligen Orte zu stilisieren, wie jetzt auch in Ost-Jerusalem. Sie terrorisieren übrigens nicht nur die Israelis, sondern auch die eigene Bevölkerung.

Wie?

Bilder zeigen, wie sie Raketen aus dicht besiedelten Gegenden abschießen. Sie nutzen die Bevölkerung sozusagen als Schutzschild. Das macht es für Israel natürlich schwer, die Hamas zu schwächen, ohne dass Unschuldige darunter leiden. Was man in Europa auch nicht mitbekommt ist, dass einige Raketen von der Hamas gar nicht in Israel, sondern in Gaza selbst einschlagen und dort auch Menschen verletzen und töten. Ich will damit nicht kleinreden, dass auch durch israelische Angriffe unschuldige Menschen sterben.


Die Eskalation, die wir derzeit beobachten, hat sich vor allem rund um eine Hausräumung in Ost-Jerusalem entzündet. Warum?

Ich warne davor, eine einfache Erklärung für eine komplizierte Lage zu finden. Da ist zum einen die unsichere politische Lage in Israel: Geht das Land nach links mit einer Regierung ohne Benjamin Netanjahu? Wird Netanjahu mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten oder vielleicht doch mit einer arabischen Partei? Die Debatte ist sehr heftig. Dann ist da die Palästinensische Autonomiebehörde, die erst eine Wahl angekündigt und dann wieder abgesagt hat – aus Angst, sie zu verlieren. Für die radikalislamistische Hamas kommt das ungelegen, weil sie auf mehr Macht im Westjordanland gehofft hat. Dazu kommt eine Jugend, die nach der Corona-Pandemie auf der Suche nach Abenteuer und Beschäftigung ist, und der Fastenmonat Ramadan, in dem viele Muslime nervlich sowieso am Ende sind. Die radikalen Seiten spielen außerdem mit sehr stark emotionalisierten Bildern.

Was meinen Sie damit?

Es gab zum Beispiel die Videos, in denen man Muslime in der Al-Aksa-Moschee beten sieht. Dann kommen Polizeikräfte, Beamte gehen in diesen für Muslime heiligen Ort und schießen mit Tränengas. Das ist natürlich für die, die das sehen, ein absolutes No-Go. Mit so einem Video kann man die Leute unter dem Motto "Schützt eure Religion, schützt eure Moschee" leicht mobilisieren. Wenn man dann aber sieht, dass aus dem Bereich der Moschee heraus die für Juden heilige Klagemauer mit Steinen angegriffen wurde, ist das Bild ein anderes. Die Radikalen aber zeigen jeweils nur eine Seite.

Das ist nicht das einzige Beispiel von sehr einseitigen Beiträgen. In sozialen Medien wie Instagram oder Tiktok erreichen diese teilweise Millionen Menschen. Welche Rolle spielt das in dieser Situation?

Es gab in den letzten Wochen mehrere Fälle, in denen arabische Jugendliche Juden angegriffen und das als Tiktok-Videos hochgeladen haben, die dann noch gefeiert wurden. Das hat natürlich sehr viele Emotionen auf jüdischer Seite ausgelöst und Radikale zu Gegenreaktionen bewegt. Ich merke auch, dass der Konflikt nicht nur dort, sondern weltweit sehr einseitig dargestellt wird. Eines der Videos, das in Deutschland am meisten verbreitet wurde, zeigt einen Mob von Juden, der an der Klagemauer feiert, dass es bei der Al-Aksa-Moschee brennt. Kennen Sie das Video?

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz sowie den Carl-von-Ossietzky-Preis. Im Oktober erschien sein Buch "Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass".

Ja, das habe ich gesehen. Es war nur ein sehr kleiner Ausschnitt.

Die Vorgeschichte ist, dass Palästinenser einen Feuerwerkskörper auf die Klagemauer werfen wollten. Das ist schiefgegangen und dann hat ein Baum neben der Moschee Feuer gefangen. Die jüdischen Demonstranten, unter denen ohne Frage viele Radikale waren, hatten schon vorher gefeiert. Ob das spätere Feuer auch gefeiert wurde, kann ich nicht beurteilen. Es gibt aber auch von der anderen Seite Bilder, wie Leute die ersten Raketenangriffe auf Jerusalem gefeiert haben. Also so einfach ist die Lage nicht. Aber wenn man aus den Bildern diese Einseitigkeit herstellt, schafft man Emotionen. Und die sehen wir sogar hier in Deutschland.

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Wie nehmen Sie das Klima in Deutschland wahr?

Hochemotional und hasserfüllt. Es macht mir Angst, wie viele Nachrichten ich tagtäglich bekomme. Ich will es aber auch ganz deutlich sagen: Die Menschen haben natürlich das Recht, hier in Deutschland gegen den Krieg auf die Straße zu gehen, sich Sorgen um die Menschen in Gaza zu machen und ihren Unmut über den Krieg zu äußern. Das, was wir aber bisher gesehen haben, waren keine antiisraelischen Demos. Das waren reine antisemitische Haltungen. "Scheiß Jude" zu rufen, hat mit dem Konflikt in Israel nichts zu tun.

Israel wird auf diesen Demonstrationen – aber auch in sozialen Netzwerken wie Instagram und Tiktok – immer wieder als Goliath dargestellt, der David, die Palästinenser, unterdrückt. Ist es so einfach?

Nein. Wir neigen oft zu sehr eindimensionalen Schwarz-Weiß-Bildern und verkennen dabei die Realität. Die Leute greifen mich hier oft an, weil ich angeblich eine pro-israelische Haltung habe. In Israel würde ich hingegen als links gelten, weil ich die Politik von Netanjahu nicht gutheiße. Ich sehe aber die Komplexität: Viele begreifen nicht, dass in Israel auch zwei Millionen Araber leben, dass ein Krieg gegen eine Terrororganisation nicht so einfach zu führen ist und, dass Israel mit dieser Vernichtungsangst seit seiner Existenz lebt.

Woher kommt der Hass?

Der ist immer da gewesen, findet aber jetzt eine Legitimation sich zu zeigen. In meiner Arbeit merke ich das: Flüchtlinge aus Syrien zum Beispiel – ohne sie jetzt als homogene Gruppe darzustellen – sind natürlich Menschen, die ganz anders sozialisiert sind. Das müssen wir begreifen, um sie dementsprechend zu erreichen. Es geht mir nicht darum, sie als Antisemiten abzustempeln. Es geht mir darum, einen Weg zu finden, wie man erklären kann, warum das hier nichts zu suchen hat. Das ist in der Debatte aber schwierig anzusprechen, weil es die falsche Seite unterstützt. Und das tut es ja auch: Die AfD findet es sehr gut, wenn man über den muslimischen Antisemitismus spricht. Wir müssen es ansprechen, aber dürfen dabei nicht verkennen, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Die Bedrohung ist vielfältig und kommt von unterschiedlichsten Seiten.

Auch nach der Eskalation in Nahost 2014 hat es in Deutschland und anderen Ländern Europas eine Vielzahl an antisemitischen Vorfällen geben. Ist danach nicht genug getan worden?

Es gab Mahnwachen und dann haben wir es vergessen. Das einzige, was wir in dieser Situation jetzt machen können, ist Rechtsstaatlichkeit zeigen, klar zu kommunizieren: "So geht es nicht." Die wirkliche Arbeit aber fängt danach an: in den Schulen, in den sozialen Medien, in den Integrationskursen. Wir müssen sie erreichen, wenn die Emotionen gerade nicht so hochkochen. Gerade aber ist es wohl kaum möglich, diese Menschen zu erreichen.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Ahmad Mansour
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