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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Raketenkrieg gegen Israel Wie der Iran den Terror befeuert
Hunderte Raketen versetzen die Menschen in Israel in Todesangst. Islamistische Terroristen verschießen sie aus dem Gazastreifen. Dorthin gelangen sie mithilfe der iranischen Diktatur.
Die Nachricht über die tödliche Gefahr tönt zunächst aus dem Fernseher. Familie Lazar hat sich in ihrem Wohnzimmer bei Tel Aviv versammelt, es ist Dienstagabend, 20.45 Uhr. "Laut Hamas werden um 21 Uhr Raketen in ganz Israel einschlagen", sagt eine Stimme aus dem Fernseher. Tamar, die 25-jährige Tochter des Hauses, schaut ihren Vater an.
"Es ist okay, wir haben noch gut Zeit", scherzt er. Sekunden später schrillen die Sirenen. "Oh, die sind aber früh dran!", witzelt der Vater weiter. Tamar kann nicht darüber lachen. Die Familie zieht in den Schutzraum ihres Hauses um, erinnert sich die Künstlerin am darauffolgenden Tag. In der speziell gesicherten Kammer kauert sie etwa eine Stunde auf dem Boden. Sie und ihre Familie lauschen den Explosionen, die erstaunlich nah scheinen.
1.600 Raketen binnen weniger Tage
Währenddessen tobt am Himmel über ihren Köpfen ein Kampf um Leben und Tod. Es sind Duelle zwischen Artillerieraketen aus dem Gazastreifen und israelischen Abfangraketen. Mehr als 1.600 Geschosse haben Hamas und der palästinensisch-islamische Dschihad in den vergangenen Tagen auf Israel gefeuert, schätzt die israelische Armee. Das Land pariert demnach 90 Prozent dieser Angriffe auf Städte und Zivilisten mit seinem Raketen-Abwehrsystem, der sogenannten "Eisenkuppel".
Wenn die Abfangraketen erfolgreich sind, regnen kurz darauf Raketensplitter auf die Israelis. Auch diese können den Tod bringen, sind aber weniger gefährlich als die eigentlichen Terror-Raketen. Doch wie kommen die Terroristen der Hamas und des palästinensisch-islamischen Dschihad an so viele Raketen?
Waffensysteme, Einzelteile und Technologie
"Man könnte von einer dreifachen Strategie der Raketenbeschaffung im Gazastreifen sprechen", sagt der Nahostwissenschaftler Alexander Steder vom "Mideast Freedom Forum Berlin", einem unabhängigen Thinktank. Teils werden demnach vorproduzierte Einzelteile wie Abschussrampen in den Gazastreifen geschmuggelt. Um diese dort zusammenzubauen, benötigen die Terroristen zweitens Know-how, also Bauanleitungen. Teilweise können aber drittens auch fertige Waffensysteme geschmuggelt werden.
Dabei spiele der Iran eine wichtige Rolle, sagt Steder. Seit 2006, dem Jahr der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen, tritt der Iran als Terrorsponsor auf. Am Dienstag riet Ali Chamenei, Oberhaupt des Iran, den Palästinensern, mit der "Sprache der Stärke" den israelischen "Kriminellen" entgegenzutreten. Er nutzte dafür den Kurzbotschaftendienst Twitter, der eigentlich im Iran verboten ist:
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Der Iran und die Terrororganisationen hätten in den vergangenen Jahren ihre Strategie weiterentwickelt, berichtet Fabian Hinz, ein unabhängiger Nahost-Analyst im Interview mit t-online: "In den 2000er-Jahren wurden Raketen aus Syrien und dem Iran auf dem Seeweg in den Sudan gebracht. Schmugglerbanden, darunter Beduinen, schafften die Waffen dann über Ägypten und den Sinai durch Tunnel nach Gaza."
Neu sei nun, dass der Iran nun auch die Verbündeten anleite, ihre Waffen selbst herzustellen. "Schon bei der Raketenentwicklung wird nun darauf geachtet, dass das entsprechende Know-how übertragbar ist", sagt Hinz. Auch existierende Waffensysteme sollen vor Ort aufrüstbar sein.
"Wie eine Stalinorgel"
Der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus bestätigt Hinz' Analyse im Interview mit t-online. Der "Keim" der Waffenproduktion im Gazastreifen sei das Know-how von iranischen Ingenieuren; die meisten eingesetzten Raketen würden mittlerweile im Gazastreifen selbst hergestellt. Teilweise würden diese Raketen aus Bauteilen zusammengesetzt, die insgesamt etwa 100 US-Dollar kosten. Zum Vergleich: Eine israelische Abfangrakete kostet den Staat etwa 50.000 US-Dollar.
Die in Gaza produzierten Systeme haben allerdings einen entscheidenden Nachteil, erklärt Hinz: Die Angreifer können die Flugbahn nach dem Abschuss nicht beeinflussen: "Im Grunde funktionieren die Raketen wie eine Stalinorgel. Sie treffen kein spezifisches Ziel, sondern werden für einen politischen-psychologischen Effekt eingesetzt. Eben um die Bevölkerung zu terrorisieren."
Tunnel und Taucher
Doch wie schaffen es die Terroristen, an der israelischen Armee vorbei Waffen und Einzelteile in den Küstenabschnitt zu bringen?
"Gaza ist eine Blackbox, die Schmuggellinien sind weitgehend unbekannt", sagt Hinz. Vermutlich werden demnach Waffen und auch ihre Teile über den Seeweg transportiert. Die Hamas und der islamisch-palästinensische Dschihad versuchen aber, eigenständig Raketen zu produzieren, erklärt Hinz: "Teilweise nimmt das absurde Züge an. Die Hamas hat beispielsweise Granaten aus einem im ersten Weltkrieg gesunkenen Schiff geborgen. Die Sprengköpfe haben die Hamas und der palästinensisch-islamische Dschihad dann weiterverwendet."
Auch durch Tunnel kommen die Angreifer noch an ihre tödlichen Lieferungen: "In der Sinai-Region bei der Grenzstadt Rafah sind ganze Tunnel-Netzwerke angelegt. Manche sind mit Schienen ausgestattet, andere bieten Platz für kleine Lkw", beschreibt der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus die Lage.
Laut Imad Abu Awad, Forscher am "Jerusalem Center for Studies of Israeli and Palestinian Affairs", hat die Hamas eine zusätzliche Lösung für den Waffenschmuggel gefunden: Kampfschwimmer. Wie er gegenüber dem Onlineportal "Al-Monitor" berichtete, sei eine Hamas-Spezialeinheit dazu ausgebildet, in die "die Tiefen der See" einzudringen. Eine weitere, anonyme Quelle aus dem Schmugglermilieu bestätigte diese Einschätzung gegenüber "Al-Monitor": Waffen werden demnach mit Schwimmern von im Mittelmeer geankerten iranischen Schiffen zum Gazastreifen transportiert.
Es sind Schmuggelrouten für gefährliches Gut, das zur Gefahr für mehr als 9 Millionen Israelis wird, sobald die Angreifer ihre Raketen zusammenschrauben. Doch die Terroristen schrecken nicht davor zurück, dass auch ihre eigenen Familien in Gefahr gebracht werden: Die israelische Armee schätzt, dass in den vergangenen Tagen mehr als 200 Raketen aus dem Gazastreifen nicht richtig funktioniert haben – sie sind noch im eigenen Territorium, im Gazastreifen, abgestürzt.
- Eigene Recherchen
- Interview mit Alexander Steder
- Interview mit Fabian Hinz
- Interview mit Lt. Col. Jonathan Conricus
- Al-Monitor: "Report outlines how Iran smuggles arms to Hamas" (engl.)
- Haaretz: Newsblog (engl.)
- Jerusalem Post: "Iron Dome successful in downing 75% of rockets" (engl.)