Iran gesteht Flugzeugabschuss ein Kommandeur: "Ich wünschte mir, lieber selbst tot zu sein"
Ein Abschuss sei technisch und wissenschaftlich absurd, hatte der Iran noch am Freitag behauptet. Nun kommt das Eingeständnis: Die ukrainische Passagiermaschine ist abgeschossen worden.
Ein Defekt im militärischen Kommunikationssystem hat nach Angaben eines Kommandeurs der Iranischen Revolutionsgarden zu dem fatalen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine nahe Teheran geführt. "Das Unglück ereignete sich nach einem Kommunikationsdefekt, was jedoch trotzdem keine Rechtfertigung und unverzeihlich ist", sagte der Kommandeur der Luft- und Weltraumabteilung der Revolutionsgarden, Amir Ali Hadschisadeh.
Hadschisadeh berichtete, am Tag des Unglücks seien alle Streitkräfte wegen der Drohungen der USA, 52 Ziele im Iran anzugreifen, in höchster Alarmbereitschaft gewesen, darunter die Militärbasen in Teheran.
Die ukrainische Maschine wurde nach seinen Worten als potenzielle Gefahr eingestuft, man habe sie fälschlicherweise für einen Marschflugkörper im Anflug auf eine strategisch wichtige Militärbasis in Teheran gehalten. Der zuständige Offizier wollte demnach der Zentrale die Gefahr melden, aber genau zu dem Zeitpunkt habe es einen Defekt im Kommunikationssystem gegeben. Der Offizier hatte laut Hadschisadeh dann nur wenige Sekunden Zeit, um zu entscheiden, ob er eine Luftabwehrrakete abfeuert oder nicht. "Und leider tat er es, was dann zu dem Unglück führte", sagte der Kommandeur. "Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein statt Zeuge dieses Unglücks", sagte Hadschisadeh. Als Chef der Abteilung für Luft- und Weltraumabteilung trage er die volle Verantwortung und sei bereit, alle Konsequenzen zu tragen.
Iran räumt Flugzeugabschuss ein
Hadschisadeh verteidigte die zivile Luftfahrtbehörde, die tagelang den Abschuss geleugnet hatte. "Sie trifft keine Schuld, weil sie das Ganze aus technischer Sicht gesehen haben und nichts über den Ablauf wussten", sagte der Kommandeur. Seiner Einschätzung nach hätte es aber an dem Tag landesweit ein Flugverbot geben sollen, weil sich das Land in einer Art Kriegssituation befunden habe.
Nach tagelangem Leugnen hat der Iran am Samstagmorgen nun doch eingestanden, für den Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs mit 176 Todesopfern verantwortlich zu sein. Das Militär habe die Maschine "unbeabsichtigt" abgeschossen, es handele sich um "menschliches Versagen", hieß es in einer Presseerklärung. Präsident Hassan Ruhani bedauerte den Abschuss, versprach eine gründliche Untersuchung und erklärte: "Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden." Die Familien der Opfer müssten entschädigt werden. So etwas dürfe nie wieder passieren. "Die Islamische Republik des Iran bedauert diesen katastrophalen Fehler zutiefst", schrieb er zuvor auf Twitter.
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Zuvor hatte der Iran tagelang einen Abschuss vehement bestritten und erklärt, ein technischer Defekt sei die Ursache gewesen.
Zum Hergang erklärte das iranische Militär, es habe an dem Unglückstag mehrere Drohungen der USA gegeben, iranische Ziele anzugreifen. Daher habe höchste Alarmbereitschaft geherrscht. Dann habe sich die ukrainische Maschine einer strategisch wichtigen Militäranlage genähert, sei versehentlich als Bedrohung eingestuft und schließlich abgeschossen worden.
Kurz vor dem Absturz am Mittwoch hatte der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak angegriffen. Kurze Zeit später war die ukrainische Maschine abgestürzt. Am Freitag hatten sich bereits mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada davon überzeugt gezeigt, dass es sich um einen wohl versehentlichen Abschuss durch den Iran handeln müsse. Unter den Absturzopfern waren unter anderem 57 Kanadier.
"Ein trauriger Tag"
In der iranischen Pressemitteilung hieß es weiter, der für den Abschuss Verantwortliche werde vor ein Militärgericht gestellt. Die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Familien der Opfer und versprachen, solch ein "Fehler" werde nicht mehr vorkommen.
Außenminister Mohammed Dschawad Sarif schrieb auf Twitter von einem "traurigen Tag". Er entschuldigte sich bei den Familien der Opfer und der iranischen Bevölkerung. Weiter schrieb er: "Menschliches Versagen in Krisenzeiten, vom Abenteurertum der USA verursacht, hat zu diesem Desaster geführt." Auch Ruhani versuchte, den Abschuss mit den militärischen Spannungen mit den USA zu rechtfertigen.
Auch Justizchef Ibrahim Raeissi forderte eine lückenlose Aufklärung. "Die Justizabteilung der Streitkräfte sowie die iranische Luftfahrtbehörde sollten alle Dimensionen untersuchen und mir die Ergebnisse umgehend mitteilen", erklärte Raeissi laut Nachrichtenagentur Isna.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte den Iran auf, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und Entschädigungen zu zahlen. Er erwarte ein volles Schuldeingeständnis.
In sozialen Medien reagierten iranische Bürger mit Wut und Enttäuschung. Besonders aufgebracht waren sie wegen der vielen offiziellen Dementis. Ein User schrieb auf Twitter: "Ich wäre lieber auch in der Maschine gestorben, dann hätte ich als Iraner diese Peinlichkeit nicht erlebt."
Ringen um Atomabkommen
Mehrere ausländische Expertenteams, auch eins von Boeing, waren nach Teheran eingeladen worden, um zusammen mit iranischen und ukrainischen Experten die Blackboxes der Maschine zu untersuchen. Am Freitag hatten die Ermittlungen dann begonnen.
Seit dem Vorfall haben mehrere ausländische Fluggesellschaften, auch Lufthansa und die Austrian Airlines, ihre Flüge nach Teheran eingestellt. Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA hatte nach dem Absturz von Flügen über den Iran abgeraten.
Unterdessen standen die Zeichen im Konflikt zwischen den USA und dem Iran nach den gegenseitigen gezielten Militärangriffen vorerst auf Entspannung. Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA den iranischen Topgeneral Ghassem Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten. Nach dem Vergeltungsangriff des Iran auf die von den USA genutzten Militärbasen im Irak hatten US-Präsident Donald Trump und Irans Präsident Hassan Ruhani angekündigt, den Konflikt auf die politische Ebene zurückführen zu wollen.
Um den Iran-Konflikt sollte es auch bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an diesem Samstag in Moskau gehen. Russland und Deutschland sind sich einig, das Atomabkommen mit dem Iran möglichst zu erhalten.
Der Iran wollte am Samstag eigentlich entscheiden, wie das Land das Abkommen künftig umsetzen will. Eine dafür anberaumte Pressekonferenz der iranischen Atomorganisation wurde allerdings kurzfristig abgesagt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hält ein Scheitern für möglich. "Vielleicht können wir nicht verhindern, dass das Abkommen am Ende aufgelöst wird", sagte Borrell am Freitag nach einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. Er stellte jedoch klar, dass die EU den Deal retten wolle.
- Nachrichtenagentur dpa