Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Rezession in Deutschland Das geht nicht mehr lange gut
Migration, AfD, Demokratie – da war doch noch was. Ach ja, auch die Wirtschaft entscheidet über die Wahl 2025. Um die Wirtschaft steht es schlecht.
Robert Habeck hatte Glück: Niemand interessierte sich für ihn. In der vergangenen Woche stellte der Wirtschaftsminister seinen Jahreswirtschaftsbericht vor, das ist in normalen Zeiten ein Ereignis mit großer Medienresonanz und politischem Tamtam. Aber im Bundestag duellierten sich Olaf Scholz und Friedrich Merz, Topthema waren die Migration und die Mehrheit der Union mit der AfD; Habeck wurde in den Schlagzeilen nach hinten durchgereicht.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Ein Glück war das für ihn, weil die schlechte Nachricht, die er zu verkünden hatte, unterging: Die deutsche Wirtschaft wird auch 2025 kaum wachsen – statt um 1,1 Prozent, wie bisher vorausgesagt, nur um mickrige 0,3 Prozent. Das nennt man Stagnation. In Habecks Prognose sind zudem die Zölle noch gar nicht eingepreist, die Donald Trump in großem Stil einführen will. Wenn daraus ein ernster Handelskonflikt erwächst, was wahrscheinlich ist, könnte das Deutschland noch einmal 0,5 Prozent Wachstum kosten. Aus Stagnation wird Rezession.
Die nackten Zahlen zeigen: Die Wirtschaftspolitik der Regierung Scholz endet in der Krise. Unter der Regie des Wirtschaftsministers Habeck ist das Land nicht stärker, sondern schwächer geworden.
Friedrich Merz verspricht, Deutschland wieder auf einen Erfolgskurs zu führen; seine "Agenda 2030" sieht Steuersenkungen für Unternehmen vor, außerdem Bürokratieabbau, Einschnitte beim Bürgergeld. Zwei Prozent Wachstum jährlich hält er für möglich. Zwei Prozent, das klingt bescheiden. Tatsächlich ist dieses Ziel nicht nur ambitioniert, sondern sehr schwer zu erreichen, wenn überhaupt. Denn: Nicht nur die Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Sondern auch die deutsche Wirtschaft steht vor dem Scheitern. Das klingt brutal. Aber die ganze Dramatik der Lage erschließt sich nicht beim Blick auf die letzten drei Jahre. Sondern erst beim Blick auf die letzten drei Jahrzehnte.
Die Geschichte von Mercedes und Bosch
Deutschlands Volkswirtschaft hat eine atemberaubende Erfolgsgeschichte geschrieben. Es ist die Geschichte des Exportweltmeisters, der die besten Autos der Welt baut, dessen Maschinenbau auf allen Kontinenten einen legendären Ruf genießt. Die Geschichte von Mercedes und Bosch, der Chemieriesen Bayer und BASF, auch die Geschichte der "Hidden Champions" im Mittelstand, deren Namen kaum jemand kennt, deren Produkte aber rund um die Erde begehrt sind. Diese Geschichte geht zu Ende, egal wer regiert.
Warum? Weil das Zeitalter der Globalisierung Geschichte ist. Freier Handel und fairer Wettbewerb waren Fundamente dieses weltweiten Wirtschaftsmodells. Kein anderes Land hat davon so profitiert wie Deutschland – und China, das zur globalen Macht aufgestiegen ist. Chinas Aufstieg war wiederum ein Wachstumsprogramm für Deutschland. In China haben die Dax-Konzerne investiert, nach China haben sie exportiert, dort haben sie jahrelang viel Geld verdient. Vor allem dort. Aber auch in anderen Ländern Asiens, in Amerika, eigentlich überall. Globalisierung eben.
Eine Ära der Rivalität hat begonnen
Donald Trump schafft diese Wirtschaftsordnung ab. America first, die Zölle, sein ganzes imperiales Gehabe: Für Trump ist der Welthandel ein Nullsummenspiel. Was Amerika gewinnt, muss China verlieren. Oder Europa. Generationen von Volkswirten haben gezeigt, dass das nicht stimmt; vom freien Welthandel können alle profitieren. Aber jetzt dominiert politische Macht die ökonomische Vernunft. Eine Ära der geopolitischen Rivalitäten hat begonnen, die wirtschaftliche Kooperation ist ihr Opfer. Vom einstigen Exportweltmeister Deutschland heißt es nun, er sei doch leider sehr abhängig vom Export.
Scholz hat sich als Kanzler dafür eingesetzt, dass Industriearbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben. Er trat in Wolfsburg in der Betriebsversammlung von Volkswagen auf. Er stellte sich in Duisburg an die Seite der Betriebsräte von Thyssenkrupp. Habeck propagierte milliardenschwere Hilfen für die Elektromobilität bei Volkswagen und für grünen Stahl bei Thyssenkrupp. Scholz und Habeck haben versucht, das alte Industriemodell, die Basis unseres Wohlstands, zu retten.
Gleiches Ziel, andere Mittel
Auch Merz verfolgt dieses Ziel, nur mit anderen Mitteln. Er warnt wieder und wieder vor der Deindustrialisierung Deutschlands. Die Ursachen dafür sieht er in den Fehlern der Ampelkoalition: zu teure Energie, zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie. Aber mit seiner Agenda 2030 kann auch er den Abstieg der Industrie allenfalls verlangsamen, nicht aufhalten. Die deutsche Autoindustrie hat ihre besten Zeiten hinter sich, der Maschinenbau wird das Wachstum nicht mehr treiben. Deutschlands Wirtschaft war hervorragend aufgestellt für das 20. Jahrhundert. Das ist vorbei.
Was folgt aus dieser Analyse? Dass die deutsche Wirtschaft sich neu erfinden muss. Scholz und Habeck lobten monströse Subventionen für den Bau von Chipfabriken aus, in Dresden, in Magdeburg, im Saarland. Ihr Plan war, alte durch neue Industrien zu ersetzen. Er ging nicht auf. Über den ersten Spatenstich ist keins dieser milliardenschweren Projekte staatlicher Investitionslenkung hinausgekommen.
Was kann, was muss die nächste Regierung anders machen?
Das erste Stichwort ist spröde, oft benutzt, längst abgenutzt: Entbürokratisierung. Aber auch nach jahrelangen Diskussionen und inzwischen vier "Bürokratie-Entlastungsgesetzen" empfinden Handwerksbetriebe, Start-ups und Konzerne die überbordende Verwaltung als unerträgliche Behinderung ihrer Arbeit. Nur ein Beispiel: In Deutschland gelten 16 verschiedene Bauordnungen, für jedes Bundesland eine. Das ist absurd. Aber der Föderalismus ist den Deutschen heilig, jedenfalls denen, die Politik machen. An Heiligtümer traut man sich nicht heran.
Schlecht Bildungspolitik ist schlechte Wirtschaftspolitik
Anderes Thema, gleiches Problem: Bildung und Ausbildung sind die wichtigsten Rohstoffe unserer Zukunft, das ist eine Binsenweisheit. Die Ergebnisse der Pisa-Studien passen nicht zu dieser Erkenntnis. 16 Bundesländer machen 16 mal Bildungspolitik. Schlechte Bildungspolitik ist schlechte Wirtschaftspolitik. Deutschland muss massiv in Kitas, Schulen und Universitäten investieren. Berlin kann den Ländern diese Aufgabe nicht allein überlassen.
Investieren, investieren, investieren – das sind sowieso die drei Hauptaufgaben der künftigen Wirtschaftspolitik. Deutschland hat riesigen Nachholbedarf bei der Bahn, bei Brücken und Straßen, in puncto Digitalisierung. Die Menschen erleben das in ihrem Alltag. Dazu kommt die historische Aufgabe, das Land wieder verteidigungsfähig zu machen. Das sind die Notwendigkeiten. Aber Deutschland leidet unter einer hartnäckigen Investitionsschwäche.
Scholz und Habeck haben dagegen kein Mittel gefunden. Und Merz? Dessen Agenda 2030 weist in die richtige Richtung. Aber die Analogie zu Gerhard Schröders Agenda 2010 stimmt nur bedingt. Vor 20 Jahren legte der Sozialdemokrat einen Reformplan vor, der Wirtschaft und Arbeitsmarkt grundlegend veränderte. Schröders Agenda war eine Zumutung. Merz' Agenda ist ein Versprechen. Schröders Agenda war glasklar. Merz lässt vieles im Unklaren, vor allem die Finanzierung. Sogar Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat inzwischen die Schuldenbremse als Hemmnis für die nötigen Investitionen des Staates bezeichnet. Der Bundesbankpräsident, der Hüter der Stabilität! Und Merz?
Die Schicksalsfrage der Nation
Merz hält sich bedeckt. Merz will Zuversicht vermitteln. Vieles an der schlechten Wirtschaftslage sei auch Psychologie, sagt er. Markus Söder fordert: "Wir müssen endlich wieder unsere Wirtschaft ankurbeln." Stimmung verbessern, Konjunktur ankurbeln? Die deutsche Wirtschaft leidet nicht nur unter schlechter Stimmung, sie steckt nicht nur in einer konjunkturellen Krise. Ihre Probleme gehen viel tiefer. Sie werden durch einen Regierungswechsel nicht automatisch kleiner.
"Wirtschaft ist unser Schicksal" – diesen Satz zitierte einst Helmut Schmidt, Ex-Bundeskanzler und Weltökonom, um seine Politik zu begründen. Olaf Scholz hat keine Antwort auf die Schicksalsfrage der Nation gefunden. Friedrich Merz bleibt die Antwort bisher schuldig.
- Eigene Überlegungen