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Ukraine-Krieg: Militäranalyst über den Einsatz von Hightechwaffen


Militäranalyst Gady
"Dann könnte es ziemlich dramatisch enden"

InterviewVon Marc von Lüpke

03.02.2025 - 12:28 UhrLesedauer: 7 Min.
Nordkoreanische Hyperschallrakete: Im Zeitalter der Präzisionswaffen ist eine Debatte notwendig über die Konsequenzen, sagt Franz-Stefan Gady.Vergrößern des Bildes
Nordkoreanische Hyperschallrakete: Im Zeitalter der Präzisionswaffen ist eine Debatte über die Konsequenzen notwendig, sagt Franz-Stefan Gady. (Quelle: KCNA/reuters)
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Immer effektiver, immer präziser: Hightechwaffen werden im russisch-ukrainischen Krieg erprobt, auch die Nato setzt zur Abschreckung Russlands auf modernste Technologien. Warum das eine eigene Gefahr mit sich bringt, erklärt Militäranalyst Franz-Stefan Gady.

Mit Tausenden Geschützen beschießen sich Russen und Ukrainer im Krieg tagtäglich, zugleich wetteifern beide Seiten um den Einsatz modernster Technologien: Drohnen etwa haben die moderne Kriegsführung revolutioniert. Nun ist bereits die Rede von Kampfrobotern und Künstlichen Intelligenzen, die zukünftig gegeneinander antreten sollen. Wird das der Krieg der Zukunft sein?

Zweifel daran hegt Franz-Stefan Gady, Militäranalyst und Autor des Buches "Die Rückkehr des Krieges. Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen". Gady befürchtet, dass Krieg immer Menschenleben kosten wird. Deutschland und Europa müssten dringend eine Debatte darüber führen, erst recht im Zeitalter der Präzisionswaffen, in denen ein unberechenbarer Konflikt mit Russland keineswegs unrealistisch ist. Wo große Gefahr droht, erklärt Gady im folgenden Gespräch.

Herr Gady, neue Technologien halten Einzug auf den Schlachtfeldern, bisweilen wird über autonome "Killerroboter" spekuliert, die mittels Künstlicher Intelligenz demnächst die militärischen Konflikte austragen sollen. Wie wird der Krieg der Zukunft aussehen?

Franz-Stefan Gady: Die russisch-ukrainische Front ist ein Experimentierfeld für neue Technologien, aber es kursieren zahlreiche falsche Vorstellungen davon, wie heute und zukünftig Krieg geführt wird. Ich persönlich bin davon überzeugt: Krieg wird auch in Zukunft eine zutiefst menschliche Profession bleiben.

Folglich wird der Krieg weiterhin Menschenleben fordern?

Krieg wird immer blutig bleiben, leider. Wir werden ihn aller Voraussicht nie vollständig an Roboter und an andere Technologien auslagern können, die imstande sind, Operationen für uns autonom durchführen. Die Militärgeschichte ist reich an Beispielen, in denen technologischer Lösungsglaube und die Verlockung vermeintlicher "Wunderwaffen" Kriege zumindest theoretisch schnell und effizient gewinnbar machen sollten. Oft erwies sich das allerdings als Illusion. Das ist sogar sehr gefährlich, denn ein technologischer Überlegenheitsglaube kann die Kriegsgefahr steigern. Nehmen wir den russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022: Russland wähnte sich haushoch überlegen, das erwies sich als schwerer Irrtum. Nein, den Schlüssel zur zukünftigen Kriegsführung sehe ich eher in sogenannten hybriden Strukturen.

Also als eine Art Teamwork von Mensch und Maschine?

So ist es. Die effektive gegenseitige Integration von Mensch und Maschine hat längst begonnen, das wird sich durch alle Formen der Kriegsführung ziehen. All die Dinge, die Maschinen möglicherweise besser als Menschen beherrschen, wird an diese übertragen. Dazu gehört die Datenverarbeitung, darauf basierend auch entsprechende Analysen, die wiederum in der Führungsunterstützung in Form der Ausarbeitung von Einsatzplänen münden können.

Zur Person

Franz-Stefan Gady, Jahrgang 1982, ist unabhängiger Militäranalyst. Gady berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den USA unter anderem in Fragen der Zukunft der Kriegsführung. Gady war mehrfach in der Ukraine, in Afghanistan und im Irak, wo er jeweils ukrainische, afghanische Einheiten und Nato-Truppen sowie kurdische Milizen bei Einsätzen begleitet hat. Mit "Die Rückkehr des Krieges. Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen" ist im Oktober 2024 Gadys erstes Buch erschienen.

Werden die Streitkräfte deswegen zukünftig weniger Personal benötigen?

Das ist der größte Trugschluss, dem wir in dieser Hinsicht aufsitzen. Wir werden auch in Zukunft große Personalreserven in unseren Streitkräften benötigen. Ich kenne diese Vorstellungen, dass autonome Systeme es ermöglichen sollen, gleich Hunderte und Tausende Drohnen in Schwärmen aus der Luft, auf dem Wasser oder auch zu Boden angreifen zu lassen. Meine Beobachtungen in der Praxis an der Front in der Ukraine lassen mich allerdings zu einem anderen Schluss kommen.

Zu welchem?

Wenn in der Ukraine zum Beispiel der Angriff einer Infanterieeinheit von bis zu 16 Mann erfolgt, braucht es noch mal die gleiche Anzahl an Unterstützungspersonal, um allein die ganzen begleitenden Drohnenoperationen sicherzustellen. Wir befinden uns keineswegs an dem Punkt, ab dem Drohnenpiloten durch Algorithmen abgelöst werden. Ja, in der Drohnenkriegsführung übernehmen Künstliche Intelligenzen wichtige Funktionen. Etwa innerhalb von Steuerung oder Anpassung von Geschwindigkeiten. Aber für die Beurteilung der Umfeldbedingungen für den Einsatz von einzelnen Aufklärungs- und Kampfdrohnen ist der Pilot nach wie vor essenziell. Nur so kommt die Drohne effektiv ans Ziel.

Nun verfügt die russische Seite mittlerweile über starke Störtechnologien.

Der Kontakt kann dadurch abbrechen, wenn das Ziel in Reichweite ist. Dann können bestimmte Drohnen auf Autonomie umschalten und angreifen. Allerdings kann die Künstliche Intelligenz hier noch in keiner Weise bei den Fähigkeiten von gut ausgebildeten menschlichen Drohnenpiloten mithalten. Das wird sich in Zukunft aber sich ändern.

Braucht es dann nicht in der Zukunft weniger Drohnenpiloten so nahe an der Front, wenn die entsprechenden Systeme leistungsfähiger werden?

Dafür spricht vieles. Die Gesamtzahl an Soldaten einer Armee wird sich nicht unbedingt ändern, aber sehr wohl die Bereiche, in denen sie eingesetzt werden. Strukturell werden in der Kampftruppe durch den Einsatz der Technologie weniger Soldaten benötigt werden, dafür aber in der Kampfunterstützungstruppe und der Führungs- und Einsatzunterstützungstruppe umso mehr. Ein praktisches Beispiel: Wenn ich in der Aufklärung mehr und mehr halbautonome und autonome Systeme – etwa in Form von Robotern – zum Einsatz bringe, muss ich diese auch entsprechend warten, reparieren und einsatzfähig machen. Dafür braucht es viel qualifiziertes Personal, ebenso müssen diese Systeme im Einsatz auch unterstützt werden.

Auf welche Weise?

Der Gegner kann zum Beispiel mittels starker elektronischer Kampfmittel, gepaart mit Cyberfähigkeiten, die Verbindung zwischen der Etappe, wo der Mensch sitzt, und den Systemen, die sich im Fronteinsatz befinden, stören. Da braucht es dann jenseits der Front entsprechende Spezialisten, die die eigenen Systeme gegen diese Störungen immun machen. Durch Frequenzsteuerung zum Beispiel.

In Ihrem Buch "Die Rückkehr des Krieges" weisen Sie auf einen weiteren Aspekt der zukünftigen Kriegführung hin – und zwar die zunehmende Bedeutung von Präzisionswaffen. Was bedeutet das?

Wir befinden uns im Zeitalter der Präzisionswaffensysteme, wie ich es in meinem Buch ausführlich darstelle. Was das bedeutet, ist in der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht ausreichend bekannt: Es ist eine dramatische Entwicklung. Sie erinnern sich möglicherweise noch an die Bilder aus dem Zweiten Golfkrieg, übertragen von CNN, wie amerikanische Tomahawks irakische Stellungen angriffen, später gab es ähnliche Bilder aus dem Kosovokrieg etwa. Mittlerweile ist die Entwicklung so weit fortgeschritten, dass auch Akteure wie die Huthis im Jemen oder die Hisbollah Präzisionswaffensysteme, Drohnen, Marschflugkörper und Raketen sehr effektiv einsetzen können. Aber die eigentliche Gefahr lauert woanders.

Wo genau?

Ab 2026 werden die Vereinigten Staaten plangemäß als Teil ihrer Multi-Domain-Taskforce etwa Mittelstreckenwaffen und Hyperschallwaffensysteme in Deutschland stationieren. So weit, so gut. Die Multi-Domain-Taskforce soll die Schlagkraft der Nato im Konfliktfall erhöhen, sie bündelt Fähigkeiten in Aufklärung, elektronischer Kampfführung, Cyberkriegsführung und eben dem Einsatz weitreichender konventioneller Präzisionswaffen. Auf welche Weise? Angesichts ihrer numerischen Unterlegenheit sollen so russische Truppenverbände und die militärische Infrastruktur vernichtet werden, bevor die Nato-Truppen in Frontnähe gefährdet werden könnten.

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Russland reagierte im vergangenen Jahr mit erneuten nuklearen Drohungen auf die entsprechende Ankündigung seitens der USA.

Ja. Es gab auch in Deutschland einige Kritik daran, allerdings vermisse ich eine breite fundierte Debatte über die sicherheitspolitischen Risiken dieses militärischen Ansatzes der Nato. Das birgt nämlich ein großes Risiko.

Die Multi-Domain-Taskforce ist darauf ausgerichtet, die russischen Fähigkeiten zum Angriff auszuschalten. Allerdings wüssten die Russen im Konfliktfall nicht, womit ein westlicher Marschflugkörper – konventionell oder nuklear – bestückt wäre, der auf sie zurast?

So ist es. Erst recht nicht, wenn die Multi-Domain-Taskforce elektronisch ihre Aufklärung stört – in dem Fall wären die Russen nahezu blind. Dann könnte es ziemlich dramatisch enden. Es wäre doch wichtig, vor diesem Hintergrund eine Diskussion zu führen. Wir befinden uns im Zeitalter der Präzisionswaffen, gepaart mit den Möglichkeiten der elektronischen Kriegsführung und den Fähigkeiten der Cyberaufklärung und Cyberkriegsführung. Was würde es tatsächlich bedeuten, gegen ein nuklear bewaffnetes Russland zu kämpfen? Darüber sollten wir wirklich alle innerhalb der Nato nachdenken – insbesondere in den Streitkräften und der Politik, aber auch innerhalb der Gesellschaften.

Vor allem wäre eine Risikobewertung dringend notwendig.

Absolut. Welche Risiken nehmen wir in Kauf? Welche nicht? Wie reagieren wir im Zweifelsfall? Das sind Fragen, die dringender Klärung bedürfen. Nehmen wir das Baltikum als Beispiel, einen geografischen Raum, der bei einem russischen Überfall wenig strategische Tiefe bietet. Wenn die Nato im Kriegsfall nicht in die Defensive geraten will, dann müsste sie auch Angriffe auf russisches Territorium ausführen beziehungsweise Ziele in Russland zerstören. Dann haben wir es allerdings mit der nuklearen Abschreckung zu tun. Damit kann eine verhängnisvolle Spirale beginnen. Mit meinem Buch möchte ich einen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte liefern.

Es gibt hingegen auch Überlegungen, dass die Kriege der Zukunft vor allem hybrider Natur sein werden. Was halten Sie davon?

Das halte ich für zweifelhaft. Die Vorstellung mag einigen Leuten geradezu verlockend erscheinen: keine teuren Kampfpanzer mehr, keine Schützenpanzer, weder Artillerie noch riesige Munitionsreserven, weil der Krieg der Zukunft hauptsächlich aus Cyberangriffen bestehen würde, aus Desinformationskampagnen, dem Einsatz von kleineren Spezialeinsatzkräften oder den berüchtigten "kleinen grünen Männern", wie sie Russland 2014 auf der Krim eingesetzt hat. Ich halte derartige Überlegungen eher für eine Ausrede, um nicht mehr Geld für Verteidigung und Abschreckung in die Hand nehmen zu müssen. In meinem Buch unterstreiche ich, dass hybride Bedrohungen immer ein Teil von militärischen Bedrohungen sind, dass wir uns entsprechend gegen beide wappnen müssen.

In kriegerischen Konflikten kommt es immer wieder zu zahlreichen Toten unter der Zivilbevölkerung. Optimisten hoffen auf Künstliche Intelligenzen, um derartige Tote zukünftig zu vermeiden.

Künstliche Intelligenzen können dabei helfen, so etwas zu vermeiden. Sie sind aber – wie der Mensch – keineswegs unfehlbar. Es wird immer zivile Opfer in Kriegen geben, es werden immer Unschuldige sterben. Das liegt in der grausamen Natur eines Krieges begründet. Leider. Der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz hat es einst als "Friktion" bezeichnet.

Russland setzt im Krieg gegen die Ukraine hingegen auf Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Ja. Das ist ein weiterer Grund, warum wir dringend eine Debatte in den westlichen Gesellschaften führen müssen. Der Krieg ist zurückgekehrt – und es ist keineswegs hilfreich, die Augen davor zu schließen und diese Tatsache zu ignorieren. Das größte Problem dieser ganzen Technologisierung der Kriegsführung besteht darin, dass sie anscheinend die Notwendigkeit obsolet macht, harte strategische Entscheidungen zu treffen. Aber das ist ein gewaltiger Trugschluss.

Herr Gady, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Franz-Stefan Gady via Telefon
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