Wut über Korruption Tagelange Proteste im Irak fordern Dutzende Tote
Im Irak gehen seit Dienstag Tausende Menschen gegen Korruption und Misswirtschaft auf die Straßen. Die Polizei geht mit aller Härte dagegen vor. Mehrere Dutzend Menschen starben.
Trotz Reformversprechen der Regierung gehen die Proteste im Irak gegen Korruption und Misswirtschaft weiter. Sicherheitskräfte verhinderten am Freitag Augenzeugen zufolge, dass sich kleinere Gruppen von Demonstranten in der Hauptstadt Bagdad auf einem zentralen Platz versammeln. Seit Beginn vor vier Tagen seien 93 Menschen ums Leben gekommen, teilte die staatliche Menschenrechtskommission in Bagdad am Samstag mit.
Am Rande neuerlicher Proteste in Bagdad am Freitag waren etwa nach Angaben der irakischen Sicherheitsbehörden vier Menschen erschossen worden. Zwei Angehörige der Sicherheitskräfte und zwei Zivilisten seien von "unbekannten Scharfschützen" getötet worden. Mehr als 1.600 Menschen wurden seit Dienstag verletzt. Iraks höchster schiitischer Geistlicher rief die Politik zu "ernsthaften Reformen" auf, bevor es zu spät sei.
Proteste gegen Korruption und politischen Stillstand im Land
Großajatollah Ali al-Sistani verurteilte zugleich die Angriffe auf Demonstranten und Sicherheitskräfte. Präsident, Regierung und Parlament müssten die notwendigen Schritte für "wirkliche Reformen" unternehmen, erklärte er in seiner Freitagspredigt, die für ihn in einer Moschee verlesen wurde. Der Geistliche gilt als Iraks wichtigste moralische Stimme, mit großem Einfluss auf die Politik.
In der Hauptstadt sowie in mehreren anderen Provinzen vor allem im Süden des Landes waren am Dienstag Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft ausgebrochen. Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Schüssen in die Luft gegen die Demonstranten vor. Die Proteste richten sich gegen die im Irak weit verbreitete Korruption, politischen Stillstand und die hohe Arbeitslosigkeit. Der Irak gehört weltweit zu den größten Ölproduzenten, leidet aber unter akutem Strommangel.
Die Wut der Demonstranten ist auch deshalb so groß, weil die Regierung seit Jahren Reformen und einen verstärkten Kampf gegen die Korruption verspricht, ohne dass sich die Lage bessert. Die großen politischen Lager im Parlament blockieren sich gegenseitig. Der Regierungschef verfügt über keine eigene Hausmacht.
Ausgangssperre seit Donnerstagmorgen
Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi erkannte die Forderungen der Demonstranten in einer TV-Ansprache in der Nacht auf Freitag als berechtigt an. Die Regierung sei um eine Lösung bemüht, doch gebe es "keine Zauberformel", um alle Probleme zu lösen, sagte er. Zugleich kündigte er Hilfe für benachteiligte Familien an. Das Parlament will am Samstag in einer Sondersitzung über die Krise beraten. In Bagdad hatte am Donnerstagmorgen eine Ausgangssperre begonnen.
Der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr rief die Abgeordneten seines politischen Blocks auf, das Parlament so lange zu boykottieren, bis die Regierung ein Programm vorlegt, das vom Volk akzeptiert werde, wie lokale Medien meldeten. Al-Sadrs Block hatte bei der Wahl im vergangenen Jahr die meisten Sitze gewonnen.
Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es in der südirakischen Großstadt Basra heftige Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft gegeben. Viele Teile des Landes haben nur wenige Stunden Strom am Tag und vielerorts ist das Wasser knapp. Jeder vierte Jugendliche ist arbeitslos, während riesige Summen durch Korruption versickern. Seit der US-Invasion 2003 sollen 410 Milliarden Euro veruntreut worden sein.
UN ruft Sicherheitskräfte zur Mäßigung auf
Die Chefin der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, erklärte, die Forderungen der Demonstranten seien legitim. "Unverzügliche, spürbare Ergebnisse sind von großer Wichtigkeit, um das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen", sagte sie.
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Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf rief die Regierung auf, die Proteste ernst zu nehmen. Sie müsse beispielsweise Arbeitsplätze schaffen. Das Büro äußerte sich besorgt über Berichte, dass die Sicherheitskräfte teilweise scharfe Munition und Gummigeschosse eingesetzt hätten. Die Regierung müsse sicherstellen, dass die Menschen ihre Beschwerden ohne Risiken zu Gehör bringen können.
- Nachrichtenagentur dpa, AFP