Kurz vor den Knesset-Wahlen Netanjahu verspricht, das Jordantal zu annektieren
Israels Ministerpräsident hat angekündigt, im Falle eines Sieges das Jordantal zu annektieren. Die Palästinenser üben Kritik. Mehrere Staaten sind empört. Während Netanjahus Rede kommt es zudem zu einem Raketenangriff.
Eine Woche vor der vorgezogenen Parlamentswahl in Israel hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigt, im Falle seiner Wiederwahl das Jordantal im besetzten Westjordanland zu annektieren. Nach einem Wahlsieg werde er Israels Souveränität "sofort" auf das an der Grenze zu Jordanien gelegene Gebiet ausweiten, sagte Netanjahu am Dienstag in Ramat Gan bei Tel Aviv. Jordanien und die Palästinenser warnten vor katastrophalen Konsequenzen eines solchen Schritts.
Das Jordantal macht rund ein Drittel des seit 1967 von Israel besetzten Palästinensergebiets aus. Israel betrachtet es als wichtige Verteidigungsbarriere; rechtsgerichtete Politiker betonten schon in der Vergangenheit, sie würden niemals auf das Gebiet verzichten.
Netanjahu erklärte am Dienstag, er wolle lediglich alle jüdischen Siedlungen im Jordantal sowie das "nördliche Tote Meer" annektieren – palästinensische Orte wie etwa Jericho blieben davon unberührt. Allerdings entsprechen die genannten Siedlungen etwa 90 Prozent des Gebiets.
Donald Trump unterstützt Israel
Erneut bekräftigte Netanjahu zudem seinen Vorsatz, sich für eine Annexion der jüdischen Siedlungsgebiete in anderen Teilen des Westjordanlands einzusetzen. Der von US-Präsident Donald Trump seit langem angekündigte Nahost-Friedensplan sei eine "einmalige und historische Gelegenheit, unsere Souveränität über unsere Siedlungen in Judäa und Samaria sowie über andere für unsere Sicherheit, unser Erbe und unsere Zukunft wichtige Orte anzuwenden", sagte er.
Trump hat seit seiner Wiederwahl wiederholt Israel und Netanjahu unterstützt: Unter anderem erkannte er Jerusalem als Hauptstadt Israels sowie Israels Souveränität über die besetzten syrischen Golan-Höhen an und kürzte Millionenhilfen für die Palästinenser. Allgemein wird damit gerechnet, dass der seit langem von Trump angekündigte Nahost-Friedensplan nach der vorgezogenen Neuwahl in Israel vorgestellt wird.
In den Siedlungen im besetzten Westjordanland und in dem von Israel annektierten Ost-Jerusalem leben mehr als 600.000 Israelis – neben drei Millionen Palästinensern. Die UN betrachtet die Siedlungen als illegal. UN-Sprecher Stephane Dujarric erklärte am Dienstag, jegliche Entscheidung Israels, dem Westjordanland seine Verwaltung, Gesetze und Rechtsprechung "aufzuzwingen", werde international keinen Bestand haben.
Scharfe Kritik an Benjamin Netanjahus Vorhaben
Sollte Netanjahu die Ankündigungen nach einer Wiederwahl tatsächlich umsetzen, würde das aus Sicht der Palästinenser nicht nur das Ende einer möglichen Zwei-Staaten-Lösung bedeuten. Netanjahus Pläne zerstörten auch "alle Aussichten auf einen Frieden", sagte Palästinenservertreterin Hanan Aschrawi.
"Damit ändern sich die Spielregeln völlig", sagte Aschrawi. Die Pläne ließen den Palästinensern nur noch die Kontrolle über einige Städte, Palästina würde "ausradiert". Dies sei schlimmer als "die Apartheid", sagte Ashrawi. Sie fügte hinzu, bei jeder israelischen Wahl zahlten die Palästinenser den Preis, "mit unseren Rechten, unserem Land".
Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat bezeichnete Netanjahus geplantes Vorgehen als ein Kriegsverbrechen. Es würde gegen internationales Recht zu besetzten Gebieten verstoßen, so Erekat. Israel hatte das Westjordanland 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen das Gebiet als Teil eines künftigen eigenen Staates.
Auch die Außenminister der Arabischen Liga kritisierten die Pläne Netanjahus als schädlich für den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern.
Der Sprecher der radikalislamischen Hamas-Bewegung, Hasem Kassem, sagte, Netanjahu verkaufe auf der Jagd nach rechtsextremen Wählerstimmen die "Illusion, dass er die palästinensischen Gebiete auf ewig besetzen" könne. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi warnte, der einseitige Schritt könne "die gesamte Region in die Gewalt" abgleiten lassen.
Und auch Saudi-Arabien hat die Pläne des israelischen Ministerpräsidenten scharf verurteilt. Saudi-Arabien verurteile Netanjahus Ankündigung und weise sie "kategorisch" zurück, hieß es in einer Erklärung des Königshauses in Riad, die am Mittwoch von der staatlichen Nachrichtenagentur SPA verbreitet wurde. Die Ankündigung sei eine "sehr gefährliche Eskalation", die sich gegen das palästinensische Volk richte und eine "eklatante Verletzung" der UN-Charta und des Völkerrechts darstelle. Saudi-Arabien forderte demnach eine Dringlichkeitssitzung der Außenminister der 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC).
Die Türkei verurteilte die Pläne. Netanjahus "Wahlversprechen" sei ein "rassistischer Apartheid-Staat", schreib Außenminister Mevlut Cavusoglu im Onlinedienst Twitter. Die Türkei werde die Rechte und Interessen ihrer palästinensischen Brüder und Schwestern "bis zum Ende verteidigen".
Raketenangriff während Wahlkampfrede
Während seiner Wahlkampfrede wurde Netanjahu von Raketenalarm unterbrochen. Die israelische Armee teilte mit, militante Palästinenser hätten zwei Raketen auf Israel abgefeuert. Auch in der Hafenstadt Aschdod, wo Netanjahu gerade seine Rede hielt, heulten die Warnsirenen. Ein Video zeigte, wie der 69-Jährige in Begleitung von Bodyguards rasch den Saal verließ. Später setzte er seine Rede fort.
Nach Angaben der Armee wurden beide Raketen von dem Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) abgefangen. Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom teilte mit, es habe keine Verletzten gegeben. Eine 46 Jahre alte Frau in Aschdod habe einen Schock erlitten und sei ins Krankenhaus gebracht worden.
Die israelische Luftwaffe habe daraufhin Angriffe auf den Gaza-Streifen geflogen. Laut eigenen Angaben wurden am Mittwoch 15 Ziele getroffen, darunter eine Munitionsfabrik sowie Tunnel der radikalislamischen Hamas-Miliz. Berichte über Opfer lagen zunächst nicht vor.
Parlamentswahlen in Israel im September
Israel wählt am 17. September ein neues Parlament. Nach Meinungsumfragen liefern sich Netanjahus rechtskonservativer Likud und das Bündnis der Mitte, Blau-Weiß, bei der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Netanjahus politische Rivalen werfen ihm immer wieder vor, er gehe nicht entschlossen genug gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas vor.
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Netanjahu, dem mehrere Anklagen unter anderem wegen Korruption drohen, kämpft um sein politisches Überleben. Für einen Sieg bei der Parlamentswahl am nächsten Dienstag ist er auf Wählerstimmen aus dem ultrarechten Lager und der jüdischen Siedlerbewegung angewiesen. Derzeit wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem schärfsten Rivalen erwartet, Ex-Generalstabschef Benny Gantz von der Mitte-Rechts-Liste Blau-Weiß.
- Nachrichtenagenturen Reuters, afp und dpa