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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Massaker, Attentate, schweres Gelände Wie ist der Bundeswehreinsatz in Mali?
1.100 Bundeswehr-Soldaten sind in Mali stationiert. Im Süden bilden sie malische Armeeangehörige aus. Im Norden helfen sie, das Land zu stabilisieren. Doch die Sicherheitslage verschlechtert sich.
"Ich glaube nicht, dass sie die Wahrheit sagen." Babas Einschätzung kommt schnell und ungeschminkt: In Englisch informiert der Übersetzer aus Gao die Bundeswehr-Soldaten. Bei 43 Grad im Schatten sitzen die Deutschen mit zwei malischen Hirten um eine erloschene Feuerstelle. Unter einer Akazie besprechen sie die aktuelle Situation in der Gegend rund 20 Kilometer außerhalb der Provinzhauptstadt Gao: Kommen Fremde vorbei, wie fühlen sich die Nachbarn, was gibt's Neues?
Fragen und Antworten gehen über eine halbe Stunde hin und her. Im Hintergrund notiert ein Protokollführer das Gespräch in einer großen Kladde. Auch er, wie alle anderen Deutschen, eingepackt in einen Flecktarnanzug, die Füße umhüllt von Wollsocken und schweren Stiefeln, dazu Splitterschutzweste und Ausrüstung, insgesamt rund 15 Kilo Gewicht. Der Schweiß läuft bei der drückenden Hitze fast ununterbrochen.
- Fotoshow: Die Bundeswehr in Mali
Den Deutschen wird vertraut
Allerdings nicht bei den Einheimischen, die lange, leichte Gewänder tragen. Dass sie mit den deutschen Soldaten reden, sei überhaupt nicht selbstverständlich. "Das Vertrauen der Bevölkerung haben wir nur langsam, in vielen Gesprächen aufgebaut", sagt der Chef der 40-köpfigen Patrouille, Reiner T.*, vom Gebirgsjägerbataillon aus Bischofswiesen, nachdem er sich von den Hirten verabschiedet hat und die kleine Gruppe durch den Busch zu den gepanzerten Fahrzeugen der Patrouille zurückstapft. Während des 15-minütigen Rückmarsches bilanziert er das Gespräch. Auch, dass er möglicherweise belogen wurde, ist für ihn eine wichtige Information. Danach gibt er das Signal zum Aufbruch. Die Fahrzeugkolonne setzt sich langsam in Bewegung und macht sich auf zum nächsten Gespräch.
Reden, mit offenen Augen durch Dörfer und Städte fahren, Stimmungen aufnehmen – das ist der Hauptjob der Deutschen im Norden Malis: So steht es im Auftrag der Vereinten Nationen für die MINUSMA-Mission. MINUSMA – das steht für multidimensionale integrierte Stabilisierungsmission in Mali. Das Land stand im Januar 2012 kurz vor dem Zusammenbruch, als bewaffnete Tuareg-Rebellen und al-Qaida nahestehende Islamisten erst den Norden Malis unter ihre Kontrolle brachten und dann auf den Süden vorrückten. Der damalige Präsident des Landes rief die Franzosen zu Hilfe, die 2013 einschritten und später von anderen Armeen unterstützt wurden. Der Angriff wurde zurückgeschlagen und ein Friedensabkommen vereinbart.
Papier ist geduldig – Anschläge gibt es immer noch
Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Nach wie vor verüben bewaffnete Gruppen Anschläge. Auch in Gao, wo die Bundeswehr stationiert ist. Im November 2018 steuerte ein Selbstmordattentäter einen Geländewagen mit 900 Kilogramm Sprengstoff im Kofferraum in das Gebäude einer Nichtregierungsorganisation. Zwei Menschen starben, 30 Menschen wurden verletzt, darunter 10 Kinder.
Auch deshalb zeigt die Bundeswehr starke Präsenz. Nachdem die Patrouille am Nachmittag in der Gegend um Gao unterwegs war, geht es in den Abendstunden in die Stadt hinein. Was einfacher gesagt ist als getan, denn immer wieder fahren sich die schweren Fahrzeuge in dem feinen Sand fest, kommen nicht weiter und müssen einen anderen Weg wählen. "Manche Fahrzeuge sind einfach nicht für das schwere Gelände geeignet", geben Bundeswehr-Soldaten unumwunden zu. Dann heißt es zurücksetzen, einen Umweg fahren oder sogar umdrehen. Alles Situationen, in denen die Soldaten einfacher anzugreifen wären.
Fußpatrouille in der Nacht
Doch endlich ist es geschafft: In der Innenstadt Gaos verlassen die Soldaten ihre Fahrzeuge und setzen die Patrouille zu Fuß fort. Bewaffnet und mit kleinen blauen Erkennungslichtern ausgestattet, geht es langsam durch den Stadtbezirk. Nach wie vor ist es sehr heiß, die Temperaturen liegen in den Nachtstunden immer noch bei 34 Grad, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, dazu stinkt es unangenehm. Die Sandpisten in Gao sind fast alle gesäumt von Müll.
Obwohl es stockdunkel ist – künstliches Licht gibt es kaum – suchen immer wieder Einwohner der Stadt das Gespräch. Sie hocken in kleinen Gruppen vor ihren Häusern, stehen an Ladenbuden zusammen oder kommen mit ihren Motorrädern oder Autos direkt auf die Soldaten zugefahren und berichten von ihrem Leben – und manchmal auch von terroristischen Aktivitäten.
Nach neun Stunden Patrouille in glühender Hitze kehrt um Mitternacht der Zug zurück ins Camp Castor, dem Lager der Bundeswehr. Rund 850 Deutsche sind dort untergebracht, neben rund 650 Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen. Eine kleine Stadt, ausgerüstet mit allem, was es braucht: Angefangen bei Waffen, Fahrzeugen und Werkstätten, über Unterkünfte, Wäscherei und eigener Trinkwasserversorgung bis hin zu Kantine, Kino und einem Tante-Emma-Laden.
Höchste Belastung für Mensch und Material
All das ist härtesten klimatischen Bedingungen ausgesetzt. Insbesondere die Fahrzeuge werden vom täglichen Kampf mit dem Klima aufgerieben. In einem riesigen, aufklappbaren Hangar stehen mehrere grüne Motorblöcke und Getriebe, teilweise stark verdreckt. "Hitze, Staub und Sand sind natürliche Feinde jeder mechanischen Verbindung. Gepaart mit dem Gelände, das hier vorliegt, sind das die größten Gegner eines jeden Fahrwerks, wo auch unsere größten Probleme drin liegen", erklärt Oberleutnant Martin S., zuständig für Wartung und Reparatur. Es werde viel improvisiert, sagt er, damit Patrouillen wie geplant das Lager verlassen können.
Dass der Mali-Einsatz enorm herausfordernd ist, das bestätigt in Gao fast jeder Soldat. Angesichts der persönlichen Belastung wünschen sich alle, dass der Einsatz erfolgreich ist. Doch bessert sich die Lage in Mali?
Es gibt Defizite
Oberst Stefan Leonhard ist zurzeit Führer des deutschen Bundeswehr-Kontingents in Gao. In einem Bürocontainer managt er den Einsatz. Trotz schwerer Anschläge, die es nach sechs Jahren MINUSMA immer noch gibt, ist er optimistisch: "Wie im richtigen Leben auch, gibt es immer mal wieder Rückschläge. Doch darf man sich davon nicht entmutigen lassen. Im Wesentlichen ist die Lage stabil und sie wird sich, wenn die internationale Gemeinschaft den Staat weiter unterstützt, zum Positiven entwickeln."
Allerdings rechnet Leonhard mit einem jahrelangen Einsatz. Denn: "Es gibt Defizite: Wir sind der einzige Aufklärungsverband, der zur Verfügung steht. Nur ein Verband für ein Gebiet, das so groß ist, wie die halbe Bundesrepublik! Das ist deutlich zu wenig. Außerdem muss dort, wo einigermaßen Sicherheit hergestellt worden ist, der Staat präsent sein mit Basisleistungen wie Schulunterricht, Polizei oder einer Justizverwaltung, sodass die Malier den Erfolg tatsächlich auch spüren."
Das bestätigt auch Abdrahamane Mahamane. Er ist Regionaldirektor für Jugend und Sport in Gao. Wir treffen ihn in einem Sportstudio, dem die Bundeswehr ausgemusterte Sportgeräte geschenkt hat: "Die Fitnessgeräte hier sind enorm wichtig. Haben die jungen Leute keine Beschäftigung, könnten sie Terroristen hinterherlaufen, weil die Geld versprechen." Er weiß, sagt er, dass Extremisten in Gao sind – wenn auch unbewaffnet. Der Lokalpolitiker wünscht sich, dass die internationale Gemeinschaft die Einhaltung des Friedensabkommens ernsthafter kontrolliert: "Man kann nicht nur ein Papier unterschreiben und es dann nicht in die Realität umsetzen." Er fordert, Milizen zu entwaffnen und ehemalige Kämpfer in die Armee zu integrieren.
Was passiert, wenn all das nicht gemacht wird, lässt sich zurzeit in der Mitte des Landes beobachten, in der Region um Mopti. Die Hunderttausend-Einwohner-Stadt, auf halber Strecke zwischen Gao und Malis Hauptstadt Bamako gelegen, ist für ihre Große Moschee berühmt: errichtet aus Nigerlehm, war sie einst eine der berühmtesten Touristenattraktionen in Mali. Heute ist es gefährlich, die Stadt und ihre Umgebung zu betreten.
Hunderte Tote in der Region Mopti
Denn immer wieder kommt es in der Region zu schweren innerethnischen Konflikten: Zuletzt wurde in der Nacht zu Pfingstmontag ein Dorf im Bezirk Koundoun überfallen. Mindestens 35 Menschen starben. Im April wurden bei einem Überfall auf das Dorf Ogossagou 134 Zivilisten ermordet, darunter waren viele Frauen und Kinder.
Bernd Schwenk, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Mali, hat deswegen all seine Mitarbeiter aus Mopti abgezogen, wo die Organisation zusammen mit lokalen Partnern landwirtschaftliche Projekte betrieben hat – insbesondere für Frauen. Dafür macht er aber nur indirekt die MINUSMA-Mission verantwortlich: "In dem Maße, wie die Blauhelme im Norden Malis aktiv und erfolgreich geworden sind, verlagerten sich radikale Gruppen Richtung Süden. Das war einfach, denn der Staat ist in der Mitte des Landes nicht besonders präsent." Schwenk fordert, mehr Druck auf die malische Regierung auszuüben; schließlich werde deren Etat zu 50 Prozent im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit finanziert.
Bescheidene Resultate nach sechs Jahren Einsatz
Damit die malische Armee besser auf diese Herausforderungen reagieren kann, bildet die Bundeswehr einheimische Soldaten aus: 13.000 haben das Trainingszentrum in Koulikoro nahe der Hauptstadt Bamako bislang durchlaufen. Insgesamt 650 Soldaten aus 28 Staaten sind an dieser von der Europäischen Union organisierten Mission beteiligt. Bis Mitte Juni war Brigadegeneral Peter Mirow Chef dieses Einsatzes. Seine Bilanz fällt nüchtern aus: "Für mich bleiben in allen Bereichen der malischen Streitkräfte signifikante Defizite, sodass die malischen Soldaten auch in Zukunft erheblichen Unterstützungsbedarf haben."
Und auch, was Sicherheit und Stabilität angeht, ist Mirow eher pessimistisch: "Nach meiner Beobachtung hat sich seit November 2018 und bereits zuvor die Sicherheitslage in Mali signifikant verschlechtert. Es geht um innerethnische Konflikte im Zentrum von Mali, die erhebliche Opferzahlen gefordert haben. Und das gibt tatsächlich Anlass zur Besorgnis." Die Ursachen seien vielfältig: Immenses Bevölkerungswachstum, damit einhergehend der Kampf um Ressourcen. Fatal wirke parallel eine schlechte Regierungsführung. "Solange diese Probleme, die nicht militärisch zu lösen sind, weiter bestehen, bleibe das Resultat am Ende überschaubar", bilanziert der General.
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Jetzt wird innerhalb der Vereinten Nationen diskutiert, in Mopti ein weiteres Camp zu errichten. Der Bundestag hat bereits eine solche mögliche Ausdehnung des Einsatzes genehmigt, nicht jedoch eine Erhöhung der Gesamtzahl der Soldaten.
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