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Vormarsch von General Haftar in Libyen: Russlands Mann in Nordafrika


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Vormarsch von General Haftar
Putins Mann in Nordafrika


14.04.2019Lesedauer: 6 Min.
Häufiger Gast in Moskau: General Chalifa Haftar nach einem Treffen mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow im November 2016.Vergrößern des Bildes
Häufiger Gast in Moskau: General Chalifa Haftar nach einem Treffen mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow im November 2016. (Quelle: Maxim Shemetov/reuters)
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In Libyen greift ein General mit seiner Armee nach der Macht. Er hat dabei auch das Wohlwollen Russlands, das konkrete Interessen in der Region verfolgt. Die Gelegenheit für Moskau war nie besser.

Am Mittwoch kam in New York erneut der UN-Sicherheitsrat zu einer Krisensitzung in Sachen Libyen zusammen. Hintergrund ist der Vormarsch eines Bündnisses von Milizen aus dem Osten des Landes auf die Hauptstadt Tripolis im Westen. Das Bündnis, das sich Nationale Armee Libyens (LNA) nennt, wird von dem General Chalifa Haftar befehligt. Der Militär, der einst in der Sowjetunion die Militärschule besuchte und viele Jahre in den USA im Exil lebte, greift entschlossen nach der Macht. Er weiß dabei wichtige Unterstützer im Ausland hinter sich – Kairo, Riad, und nicht zuletzt Moskau, das strategische Ziele in Libyen verfolgt.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte in der Sitzung vor einer "blutigen Schlacht" mit vielen Toten. Noch sei Zeit für eine Waffenruhe, sagte er. Noch könne das Schlimmste verhindert werden. Doch nach eineinhalb Wochen haben die Kämpfe laut der Weltgesundheitsorganisation bereits mindestens 121 Menschenleben gefordert. Zuletzt konzentrierten sich die Gefechte auf die Außenbezirke von Tripolis. Haftars Kämpfer sollen bis auf rund elf Kilometer ans Stadtzentrum herangerückt sein. Tausende Menschen ergriffen nach UN-Angaben die Flucht.

Der Zeitpunkt für den Vorstoß des Generals ist nicht zufällig gewählt. Am Sonntag sollte in der Stadt Ghadames eine Konferenz zur Zukunft Libyens beginnen. Die wichtigsten Akteure im Land waren eingeladen, um unter anderem die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorzubereiten. Haftar, der seit Beginn des Jahres weite Teile des Landes unter seine Kontrolle bringen konnte, wollte aber schon im Vorfeld Fakten schaffen und die von den UN gestützte, aber schwache Regierung stürzen. Inzwischen wurde das Treffen abgesagt.

Geld aus Saudi-Arabien, Waffen aus Ägypten und den Emiraten

Die Regierung in Tripolis um Premier Fajis al-Sarradsch sieht hinter dem 75 Jahre alten Militär starke ausländische Kräfte wirken. Haftar werde mit Waffen und Geld aus Ägypten, Saudi-Arabien und den Emiraten versorgt, mutmaßte Brigadegeneral Mohammad al-Qunidi, Chef des regierungstreuen Militärgeheimdienstes, in der in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden Zeitung "Al Khaleejn". Der 75-Jährige hätte sich bei einem Besuch Ende März in Saudi-Arabien das nötige Geld und den Segen des Königshauses für seine Offensive abgeholt, so al-Qunidi. Ägypten und die Emirate lieferten die Waffen.

Einen anderen wichtigen Unterstützer Haftars ließ al-Qunidi unerwähnt: Moskau. Doch der Kreml spielt in Libyen eine zunehmend wichtige Rolle. Für die russische Führung um Präsident Wladimir Putin ist das Engagement in dem Land am Mittelmeer ein wichtiger Baustein für die eigenen sicherheitspolitischen und geostrategischen Ambitionen. Russische Energieunternehmen haben die reichen Ölvorkommen im Blick, Waffenbauer wittern lukrative Geschäfte. Und General Haftar ist in diesen Überlegungen eine zentrale Figur.

Eine russische Marinebasis in Libyen?

Es soll Überlegungen geben, in Tobruk im Osten des Landes, wo Haftar die Kontrolle besitzt, eine russische Marinebasis zu errichten. Es wäre die zweite im Mittelmeerraum neben der im syrischen Tartus. Und noch dazu eine, die das Andocken der größten Kriegsschiffe ermöglichen sollte, was Moskaus strategische Optionen erheblich erweitern würde.

Libyen ist auch mit Blick auf die Europäische Union für Moskau von Bedeutung. Das Land ist eines der wichtigsten Transitländer für Flüchtlinge, die in die EU wollen. Die libysche Küste ist dabei die letzte Station vor der Fahrt übers Mittelmeer, von hier aus starten die meisten Schleuserboote. Mit guten Verbindungen zu den wichtigsten Entscheidern im Land ließe sich auch auf die EU Druck aufbauen.

Daneben hat Moskau in Libyen vitale Sicherheitsinteressen. Das Land mit seinen weiten Wüstenregionen ist nach dem Ende der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi und dem Zerfall der staatlichen Ordnung zu einem Rückzugsort und Trainingsgebiet für islamistische Terroristen geworden. Russland, das immer wieder Ziel von dschihadistischen Anschlägen war, sieht diese Entwicklung als Bedrohung für die eigene Sicherheit an. Es fürchtet die Rückkehr gut ausgebildeter Kämpfer, die Terrorakte verüben oder in der Kaukasusregion für Unruhe sorgen könnten. Deshalb unterstützt Moskau schon länger die Gegenregierung im Osten Libyens und die Armee von General Haftar in ihrem Kampf gegen die Extremisten.

Reiche Ölvorkommen, lukrative Geschäfte

Russische Energiefirmen bemühen sich derweil, ihren Anteil am Rohstoffreichtum des Wüstenstaates zu sichern. Gazprom und Tatneft sind in Gesprächen über Projekte mit der National Oil Company in Libyen. Rosneft hat ein Abkommen über die Erschließung von Rohstoffquellen und den Ankauf von Rohöl geschlossen.

Waffenbauer und Militärdienstleister haben lukrative Deals geknüpft – nicht zuletzt mit den Rebellen in Libyen. Private russische Firmen haben Sicherheitsexperten entsandt, die die Armee Haftars beraten und Kämpfer ausbilden. Die Firmen liefern Ersatzteile für militärisches Gerät, stellen Piloten und organisieren Lufttransporte.

Die LNA verfügt nach Angaben der Zeitung "Der Standard" aus Wien über moderne russische Waffensysteme, darunter auch modernisierte sowjetische Luftabwehrsysteme. Hartnäckig halten sich zudem Gerüchte, die private russische Militärfirma Wagner habe Söldner in den Osten Libyens entsandt, um an neuralgischen Orten russische Interessen abzusichern und um für eine reibungslose Abwicklung von Rüstungsgeschäften zu sorgen.

Haftar – ein "libyscher Sisi"?

Moskau setzt auf Haftar und hofft, er könnte der kommende starke Mann in Libyen werden. Ein "libyscher Sisi", wie manche meinen, der ähnlich wie der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi sein Land mit harter Hand zu regieren vermag. Mehrmals war der Befehlshaber in den vergangenen zwei Jahren als Gast der russischen Regierung in Moskau, zuletzt im November 2018. Zwar dementierte Kremlsprecher Dmitri Peskow vergangene Woche eine Unterstützung für den General. Am Sonntag aber blockierte Moskau eine formale Erklärung des UN-Sicherheitsrates, die Haftar zur Einstellung sämtlicher Truppenbewegungen aufrufen sollte.

Doch die Strategie des Kremls ist nicht ohne Risiken. Die LNA ist eher ein loser Zusammenschluss verschiedener Milizen als ein geschlossener Truppenverband. Im Kampf gegen die Extremisten mögen die Gruppen geschlossen auftreten. Dennoch verfolgen sie auch eigene Interessen. Weshalb Moskau auch um gute Beziehungen zur Regierung von Fajis al-Sarradsch, dem Gegenspieler Haftars, bemüht ist.

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In den vergangenen Monaten gelang Haftar aber Erstaunliches. Er schaffte es, die Spannungen zwischen den Gruppierungen innerhalb der LNA abzubauen. Er konnte seinen Einfluss im Süden und Südwesten Libyens seit Beginn des Jahres massiv ausbauen und die wichtigen Ölfelder Scharara und Fil unter seine Kontrolle bringen. Haftar erreichte dies nicht nur dank seiner militärischen Macht. Er konnte lokale Milizen von einer Kooperation mit dem Versprechen überzeugen, regelmäßigen Sold zu zahlen, und gewann die Unterstützung der hiesigen Bevölkerung, indem er ihnen Lebensmittel und Treibstoff lieferte.

Gute Beziehungen seit Jahrzehnten

Für Moskau birgt der Aufstieg des Generals die Chance, an alte Zeiten anzuknüpfen. Schon während der Sowjetunion bestanden gute Verbindungen nach Libyen. Tripolis bezog sein militärisches Arsenal nahezu komplett aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs blieben beide Länder Partner. 2009 soll Libyen ein Waffengeschäft im Umfang von vier Milliarden Dollar mit Moskau abgeschlossen haben.

Bis der Bürgerkrieg 2011 die Lage dramatisch veränderte. Die westlichen Alliierten legten ausgestattet mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrates, die dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen sollte, binnen Monaten das Kriegsgerät der libyschen Armee in Trümmern und verhalfen so den Rebellen zum Sieg.


Bis heute meinen nicht wenige in Russland, der Kreml habe sich vom Westen übertölpeln lassen. Es war aus ihrer Sicht ein Fehler, dass sich Russland bei der Abstimmung in dem UN-Gremium über die Resolution enthielt, statt sein Veto einzulegen. Moskau verließ sich damals auf die Zusage des Westens, es würde keinen Regimewechsel geben. Faktisch aber läutete die Resolution den Anfang vom Ende der Herrschaft Gaddafis ein. Fünf Monate später war der Machthaber tot – und Moskau einen wichtigen Partner in Nordafrika los.

Die Gelegenheit, die Entscheidung von damals im eigenen Sinne zu revidieren, ist heute günstig wie nie. Die USA unter Präsident Donald Trump haben geopolitisch ein Vakuum hinterlassen. Ihr Anspruch lautet jetzt "America First" statt Weltpolizei. Russland ist gewillt, in diese Leerstelle zu stoßen. General Haftar könnte dafür in Libyen ein Schlüssel sein.

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