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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA unter Trump "Dann ist die Nato erledigt"

Die Sicherheit Europas ist extrem gefährdet, denn die USA sind kein verlässlicher Verbündeter mehr. Wie brisant die Lage ist, erklärt Sicherheitsexperte Ralf Fücks.
Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten: Donald Trump setzt seine Parole "America First" ohne Rücksicht auf Verluste um und brüskiert die europäischen Verbündeten. Wie gefährlich ist die Lage? Begeht Trump in seinem Werben um den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Fehler? Und haben Deutschland und Europa den Ernst der Lage erkannt? Diese Fragen beantwortet Ralf Fücks, Sicherheitsexperte und Grünen-Vordenker, im Gespräch.
t-online: Herr Fücks, sind die Vereinigten Staaten für den Westen verloren?
Ralf Fücks: Das müssen wir befürchten, solange Donald Trump an der Macht ist. Was danach kommt, kann niemand wissen. Wir leben jetzt in einer verkehrten Welt: Eingefleischte Anti-Amerikaner, vor allem die von ganz rechts, sind nun Fans von Trump und Elon Musk. Jene aber, die aus Überzeugung und mit Herzblut für das transatlantische Bündnis eingetreten sind, kommen jetzt zu dem bitteren Schluss, dass Europa sich von den USA unabhängig machen muss.
Je schneller, desto besser?
Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir müssen schnellstmöglich sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen stehen, wir dürfen auch nicht länger technologisch derart von den USA abhängig sein. Das macht uns angreifbar. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit für Europa gekommen, in der sich entscheidet, ob wir weltpolitisch eine eigenständige Rolle spielen oder zum Spielball zwischen den USA, China und Russland werden. Der Lackmustest dafür ist die Ukraine. Dort wird es sich entscheiden.
Trump fährt einen riskanten wirtschaftlichen und außenpolitischen Kurs. Könnte er darüber stolpern?
Wir müssen hoffen, dass Donald Trump nur ein hässliches Zwischenspiel ist. Aber er ist immerhin von einer knappen Mehrheit der Amerikaner gewählt worden. Die USA sind nun in die Hände eines autoritären, geltungssüchtigen und charakterlich primitiven Präsidenten gefallen. Er nimmt nach außen keinerlei Rücksichten auf bisherige Partner, das Völkerrecht interessiert ihn nicht, nach innen greift er die "Checks and Balances" der amerikanischen Demokratie an. Das ist ein politischer Supergau. Bleibt zu hoffen, dass die amerikanische Demokratie resilient genug ist, um Trump zu überstehen. Aber sicher ist das nicht.
Zur Person
Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist Direktor der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne in Berlin. Zuvor war er unter anderem Senator in Bremen und 21 Jahre lang Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht. Fücks ist Autor mehrerer Bücher und auf der Plattform X unter @fuecks aktiv.
Wozu raten Sie?
Wir brauchen jetzt eine Allianz der Demokratien, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Kanada, Australien, Japan, aber auch Taiwan gehören dazu, auch Israel sollten wir nicht abschreiben. Zusätzlich müssen wir uns verstärkt um Länder des Globalen Südens wie Indien, Südafrika oder die Philippinen bemühen. Darunter sind Staaten, die keine lupenreine Demokratien sind, aber doch potenzielle Partner. Denn sie haben ein Interesse am Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung.
Was ist mit definitiv autoritären Staaten wie Saudi-Arabien?
Saudi-Arabien wird autoritär regiert, aber es ist prowestlich. Die Saudis haben uns nicht den Fehdehandschuh hingeworfen, das war Wladimir Putin. Europa braucht sicherheitspolitisch und auch ökonomisch globale Allianzen, um sich zu behaupten. Der Geist der Freiheit ist nicht tot, aber er wird jetzt massiv angegriffen durch eine konzertierte Aktion autoritärer Mächte, während die USA die Seiten wechseln. Was gestern undenkbar war, ist jetzt Realität: Ein amerikanischer Präsident macht gemeinsame Sache mit Putin gegen die Ukraine, die die Werte verteidigt, für die der Westen steht.
Handelt Trump erratisch oder sehen Sie eine Strategie, die hinter seinen Avancen stecken könnte? Zurzeit werden Vermutungen angestellt, ob die USA einen Keil zwischen Russland und China treiben wollen.
Eine Annäherung Amerikas an Russland ergibt keinen Sinn, wenn sie auf Kosten Europas geht. Dass die USA auf Europa verzichten könnten, ist eine krasse Fehlkalkulation – gerade in der Auseinandersetzung mit China. Europa ist immer noch der wichtigste Partner der USA. Wir sind militärisch, wirtschaftlich, technologisch eng miteinander verflochten. Putin wird niemals sein Bündnis mit China riskieren. Er muss damit rechnen, dass künftig wieder ein US-Präsident ins Weiße Haus einzieht, der ein autoritäres und expansives Russland als Bedrohung betrachtet. Ökonomisch und politisch ist China die wichtigste Stütze des russischen Regimes. Putin und Xi Jinping haben ein gemeinsames strategisches Interesse: sie wollen die liberale Weltordnung zerstören. Im Zweifelsfall wird sich ein neo-imperiales Russland immer für China entscheiden.
Russland will die Nato zerstören: Wie nahe ist Putin diesem Ziel gekommen?
Für Putin ist Trump ein Geschenk des Himmels. Er höhlt die Nato von innen aus. Wenn auf die amerikanische Beistandsgarantie kein Verlass mehr ist, dann ist die Nato erledigt. Trump verhandelt mit Putin ohne Rücksicht auf die Europäer. Vizepräsident Vance hat den europäischen Demokratien auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Fehdehandschuh hingeworfen. US-Außenminister Rubio hat die nach Washington gereiste EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas abblitzen lassen. Das sind alles Zeichen der Verachtung, die Trump und seine Leute für Europa hegen. Russland ist seinem Ziel eines Endes der Nato näher als jemals zuvor.
Worauf wird das Tauwetter zwischen den USA und Russland voraussichtlich hinauslaufen?
Der Kreml ist daran interessiert, zu einem Arrangement mit Amerika zu kommen. Aber daraus wird kein Bündnis. Man teilt seine Interessensphären auf: Wer kriegt was? Das entspricht dem Trumpschen Weltbild von "Deals". Im Prinzip sind wir damit wieder bei einer imperialen Großraumordnung im Sinne Carl Schmitts angelangt.
Carl Schmitt war ein nationalsozialistischer Vordenker.
In seiner Vorstellung wird die Welt von einer Handvoll Großmächte dominiert, die über ihre Machtsphäre unbeschränkt herrschen. Nur diese Großmächte genießen volle Souveränität, alle anderen Staaten müssen sich diesen Mächten beugen. So gehen Putin und Trump gerade mit der Ukraine um.
Dieser Präzedenzfall dürfte im Interesse der wenigsten Staaten dieser Welt liegen.
Das ist der entscheidende Punkt. Viele Staaten in Lateinamerika, Asien oder Afrika mögen von einer liberalen Demokratie nach westlichem Muster weit entfernt sein, aber sie haben kein Interesse an einer Welt, in der allein das Recht des Stärkeren herrscht. Sie können für die Verteidigung einer regelbasierten Welt gewonnen werden. Eine solche Allianz zu bilden, ist nun die Herausforderung für europäische Politik.
Trauen Sie das den notorisch uneinigen und unentschlossenen Europäern zu?
Wir müssen mutiger werden, sicherheitspolitisch wie handelspolitisch. Dazu gehören auch Freihandelsabkommen mit anderen Weltregionen. Wir können unseren Partnern nicht die Regeln diktieren, sondern müssen uns auf gegenseitige Interessen verständigen. Nur mit denjenigen zu kooperieren, die vollständig unsere Werte teilen, können wir uns nicht mehr leisten. Diese Staaten haben doch längst Alternativen zur Hand, vor allem China.
In den USA hat Trump nicht nur das Weiße Haus erobert, samt Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses, sondern es haben sich auch mehrere Superreiche der Technologiebranche mit ihm verbündet. Allen voran Elon Musk. Was bedeutet das?
Wir sind noch auf der Suche nach der passenden Bezeichnung, manche nennen es Techno-Feudalismus. Die dominierenden Techno-Unternehmer Amerikas, voran Elon Musk, sind eine enge Fusion mit der politischen Macht eingegangen. Zugleich sind sie dabei, die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz vorantreiben. Damit verfügen sie über ein ungeahntes technologisches Potenzial, das zum Guten wie zum Bösen genutzt werden kann. Hier entsteht eine ganz neue Gefahr für die liberale Demokratie.
In welcher Form?
Die Symbiose zwischen moderner Technik und autoritärem politischem Zugriff könnte eine Koalition hervorbringen, die glaubt, dass sie die Demokratie nicht mehr braucht. Diese Leute gehen davon aus, dass sie die Dinge ohne die Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung und ihren komplizierten Entscheidungsprozessen besser steuern könnten. Musk, Zuckerberg und Co. gerieren sich als die Herolde der freien Meinungsäußerung, in Wirklichkeit betreiben sie eine ungeheure Monopolisierung. Mit den Algorithmen der großen Medienplattformen verfügen sie über die Möglichkeit, nicht nur den öffentlichen Diskurs, sondern ganze Gesellschaften zu lenken.
Das erinnert stark an China und sein Kontrollregime.
Da treffen die Dinge tatsächlich aufeinander. Die chinesische Machtelite strebt einen technokratischen Totalitarismus an, ein autoritäres Machtmonopol, gestützt auf die modernsten Methoden der Computertechnik. Das könnte auch eine Versuchung für bestimmte Akteure in den USA sein, weil sie an Steuerungsfantasien mittels Künstlicher Intelligenz und digitaler Überwachung glauben, aber nicht an die Notwendigkeit einer pluralistischen Demokratie. Das lässt sich gut mit einem populistischen Politikstil à la Trump kombinieren, der sich unmittelbar an den Massen wendet.
Die Ukraine ist der Lackmustest dafür, welches Gesellschaftsmodell bestehen wird. Wie beurteilen sie die Lage, nachdem Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus von Trump und Vance gedemütigt worden ist?
Das Schicksal der Ukraine bestimmt, wer künftig die Spielregeln für Europa definiert. Das werden Trump und Putin tun, wenn wir uns als schwach erweisen. Die Weichen, die jetzt gestellt werden, bestimmen die nächsten Jahrzehnte. Es war eine beispiellose Demütigung, die Selenskyj durch Trump und Vance erfahren hat. Aber am Ende hat sie hoffentlich Europa wachgerüttelt. Etliche europäische Regierungen, darunter London und Paris, scheinen den Ernst der Lage verstanden zu haben. Sie versuchen, eine Koalition der Willigen zu bilden, unter Einschluss von Kanada und anderen internationalen Akteuren. Ich hoffe, dass auch Deutschland bald aus seiner Lähmung herauskommt.
Wird die Ukraine standhalten können, wenn Trump und Putin zugleich versuchen, sie zu einem sogenannten Frieden zu zwingen?
Ein solcher Diktatfrieden verdient nicht die Bezeichnung Frieden. Es ist empörend, welcher Schindluder mit diesem hehren Wort getrieben wird. Trump behauptet, er wolle Frieden und Selenskyj Krieg. Das ist eine Verhöhnung all derjenigen, die sich gegen eine mörderische Aggression, gegen einen Vernichtungskrieg verteidigen. Ein bodenloser Zynismus.
Union und SPD haben sich auf milliardenschwere Investitionen für Bundeswehr und Infrastruktur geeinigt. Kommt damit Bewegung in das Projekt eines souveränen Europas?
Die Lockerung der Schuldenbremse für Investitionen in Verteidigung und die Modernisierung der Infrastruktur ist überfällig. Deutschland kann damit vom Bremser zum Motor für Europa werden. Das konnte man allerdings schon vor der Wahl wissen. Verteidigungsfähigkeit und eine florierende Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Die Milliarden, die nun investiert werden sollen, sind ein Aufbruchsignal gegen den schleichenden Niedergang – vorausgesetzt, dass sie tatsächlich in Zukunftsinvestitionen fließen. Neue Schulden dürfen nicht dazu dienen, notwendige Reformen weiter zu verschleppen.
Olaf Scholz vermied die politische Kommunikation eher. Erhoffen Sie sich eine Besserung unter der neuen Regierung?
Bessere politische Kommunikation und Mut zur politischen Führung sind bitter nötig, um den Bürgern das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie zurückzugeben. Die neue Bundesregierung muss die drängenden Herausforderungen angehen und klare Prioritäten setzen. Dazu gehört auch ein neuer Anlauf in der Klimapolitik. Sie bleibt ein zentrales Element ökonomischer Modernisierung und vorbeugender Sicherheit. Dagegen sind manche Orchideenthemen, die bisher in der postmodernen Linken gepflegt wurden – wie das bedingungslose Grundeinkommen – komplett aus der Zeit gefallen. Das gilt auch für die Übersteigerungen linker Identitätspolitik.
Eine letzte Frage: J. D. Vance ist neben Donald Trump das zweite Gesicht der Abkehr der USA vom transatlantischen Westen. Wie schätzen Sie ihn ein?
Vance hat 2017 noch die Demokraten unterstützt und eindringlich vor Trump gewarnt. Jetzt hat er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sein Auftritt in München, diese kalte Arroganz, war eine Kampfansage. Falls er Trump beerbt, werden Amerika und Europa zu Antipoden. Aber so muss es nicht kommen. Die Aussicht, dass Trump mit seiner destruktiven Politik scheitert, ist hoch. Die Frage ist nur, wie viel Flurschaden er bis dahin anrichtet.
Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Ralf Fücks in Berlin